Gerhard Kaufmann Ein Kämpfer für die Gemeindeautonomie

Fritz Weissenberger

Am 30. April 1998 feierte Riehens langjähriger Gemeindepräsident seinen Abschied: Stellvertretend für viele andere die Würdigung von Gemeinderat Fritz Weissenberger.

Heute tritt unser Gemeindepräsident Gerhard Kaufmann nach 28 Jahren als Gemeindepräsident und gesamthaft 34 Jahren Riehener Politik von seinem anspruchsvollen Amt ab. Sie alle sind gekommen, um Gerhard Kaufmann von seinem Amt zu verabschieden. Sie haben Gerhard Kaufmann in irgendeinem Zusammenhang, in Ausübung seines Amtes oder in einem andern Kreis, kennengelernt. Der Gemeinderat freut sich, dass Sie unserer Einladung zur Verabschiedung von Gerhard Kaufmann so zahlreich gefolgt sind. Wir danken Ihnen sehr herzlich dafür.

Wenn Gerhard Kaufmann heute nach 28 Jahren Gemeindepräsidium das Amt in die Hände seines Parteikollegen Michael Raith legt, darf er mit berechtigtem Stolz auf eine bewegte und ereignisvolle Zeit zurückblicken. Wie kaum ein Gemeindepräsident vor ihm hat er die Gemeinde Riehen als eigenständige Gemeinde im Stadtkanton Basel-Stadt vertreten, ja, man darf sogar sagen, verkörpert.

Souverän hat er die Gemeinde Riehen durch eine Zeit dauernder Veränderung und immer schneller werdender Technisierung geführt. Es ist allerdings heute noch zu früh, die Nachhaltigkeit seiner Leistungen zu beurteilen.

Das klingt nach 28 Jahren Amtsführung fast paradox. Gerhard Kaufmann hat - wie bei ihm nicht anders zu erwarten - in den letzten Monaten und Wochen, ja sogar in den letzten Tagen, einige wichtige Geschäfte auf die Schie

Fritz Weissenberger

ne gesetzt und dabei auch gleich die Weichen in die von ihm bevorzugte Richtung gestellt. Ich denke da insbesondere an die Beziehungen zum Kanton, die Einleitung der Zonenhoheit der Landgemeinden, den Richtplan für die Gemeinde Riehen, das begonnene Energieleitbild und vieles mehr. Eines steht aber heute schon fest: Gerhard Kaufmann hat ein grosses Stück Riehener Geschichte geschrieben.

Als er 1970, nach zwei Jahren Weiterer Gemeinderat (heute Einwohnerrat) und vier Jahren Gemeinderat (damals Engerer Gemeinderat genannt), in dieses Amt gewählt wurde, hatte er in seiner steilen politischen Karriere bereits den Gipfel erreicht.

Blenden wir zurück ins Jahr 1970: In den Zeitungsberichten rund um die Wahl von Gerhard Kaufmann zum neuen Gemeindepräsidenten von Riehen wird deutlich, dass der neue Präsident seine Aufgabe als Kämpfer für die Autonomie der beiden Landgemeinden gesehen hat. Es war ihm ein Anliegen, in unserem Stadtkanton mit dem übermächtigen Zentrum der Stadt Basel für die Gemeindeanliegen zu kämpfen. In der National-Zeitung vom 5. März 1970 machte Gerhard Kaufmann auf die Schwierigkeiten einer Landgemeinde im Stadtkanton aufmerksam. Er sagte in einem Interview: «Da der Rechtsanspruch fehlt, muss alles erbettelt, erkämpft und erdauert werden. In diesem Erkämpfen darf Riehen aber nicht den <Muschkopf> machen; es muss werben für seine Anliegen und bewusstmachen, dass diese Interessen auch die Interessen des Kantons, aber nicht unbedingt auch diejenigen der Stadt sind.»

Diesen Kampf hat er 28 Jahre durchgestanden. Ich bin überzeugt, viele der Vertreterinnen und Vertreter der Stadtbehörden können davon ein Müsterchen erzählen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an die verhinderte Abstimmung über die erste Steuerinitiative und den eingeleiteten Kampf für die neue Steuerinitiative.

Die Gemeinde Riehen darf stolz darauf sein, mit Gerhard Kaufmann einen so hartnäckigen, beharrlichen Präsidenten in den Verhandlungen mit dem Kanton gehabt zu haben. Ich bin überzeugt, dass sich sein unermüdlicher Kampf um die Autonomie der Gemeinde Riehen zum Wohle unserer Gemeinde ausgewirkt hat und wir noch lange - bewusst oder unbewusst - davon profitieren werden.

In der erwähnten Zeitung vom 5. März 1970 wurde Gerhard Kaufmann auch nach seinen Zielen befragt. Er sah als dringende Aufgaben: die spitalärztliche Versorgung, eine Umfahrungsstrasse für Riehen, die Forderung nach gemeindeeigenem Wohnungsbau für Betagte, für Ehepaare und Einzelpersonen, für kinderreiche Familien und für junge Riehener. Diese damals genannten Ziele hat er hartnäckig verfolgt.

Selbstverständlich haben sich die Ziele und Aufgaben im Laufe der 28 Jahre gewandelt. Neue Aufgaben sind dazugekommen, andere etwas in den Hintergrund geraten. Nach den Wahlen 1990 hat Gerhard Kaufmann seine Ziele neu definiert. In der Basler Zeitung vom 16. Februar 1990 hat er diese wie folgt umschrieben: Gemeindeautonomie nach wie vor als oberste Priorität, Verkehrsfragen, insbesondere die zollfreie Strasse und die Regio-S-Bahn, der Wärmeverbund Riehen (auch ohne Geothermie), die überbauung Gartengasse (Singeisenhof). Die Gewichtung hat sich etwas verlagert. Die Anliegen des Umwelt schutzes und öffentlichen Verkehrs sind immer mehr in den Vordergrund gerückt.

Ich selbst bin «nur» 16 Jahre mit ihm zusammen im Gemeinderat gesessen. Das sind immerhin 760 Gemeinderatssitzungen mit rund 12 000 Traktanden; Sitzungen, die er in seiner souveränen Art und immer protokollarisch korrekt präsidiert hat. Ich mag mich nicht an ein Zuspätkommen unseres Präsidenten erinnern. 760 Mal - jeden Dienstag punkt zwei Uhr - hat er mit der Bemerkung: «S isch zwai - macht öpper d Düüre zue?» begonnen. Als Vizepräsident hatte ich auch kaum Gelegenheit - ausser in den Ferien -, ihn zu vertreten. Er hat den Gemeinderat geführt und gelenkt.

Ich wurde - meine Kollegin und Kollegen wohl auch oft gefragt: Wie macht es Gerhard Kaufmann, dass er seine Anliegen im Gemeinderat durchzusetzen vermag? Ich will nicht alles verraten - einige Tricks von ihm möchte ich noch für mich aufbewahren -, aber ein Instrument, das er in Perfektion eingesetzt hat, verrate ich Ihnen gerne. Das Rezept heisst: 100 Prozent Sitzungsvorbereitung und hundertprozentiges Einsetzen der Möglichkeiten der Sitzungsführung mit frühzeitigem Erkennen der Mehrheitsverhältnisse. Im Zweifelsfall einen Augenschein veranlassen.

Gerhard Kaufmann hat nie für den Grossen Rat kandidiert und somit diese ämterkumulierung nie angestrebt. Er hat aber anderseits betont, dass der Riehener Vertretung im Grossen Rat enorme Bedeutung zukommt. Auch ohne dieses Mandat hat er sich in Basels Amtsstuben Gehör verschafft. Seine Anliegen wurden ernst genommen, weil sie von ihm immer perfekt - gesetzlich abgesichert - vorbereitet wurden. Es wäre aber falsch, bei seinen Erfolgen nur die Beziehungen zum Kanton zu erwähnen. Riehen hat sich unter seiner Leitung gewaltig verändert. Nicht nur die vielen Aufgaben und damit der Verwaltungsaufwand sind grösser geworden. Man denke nur an den Anstieg des Personalbestandes von 70 auf heute 165 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem Budget von 80 Millionen Franken. Denken wir nur an die vielen Neuerungen, welche in seine 28 Jahre Regierungstätigkeit fallen.

Hier fällt es schwer, einige herauszugreifen. Aus meiner Sicht betrachte ich die Verwaltungsreform, den langen Weg zum Wärmeverbund mit der in der Schweiz grössten Geothermieanlage, das Riehener Spielzeug-, Dorf- und Rebbau-Museum, das Riehener Gemeindespital, die übernahme des Fürsorgewesens, der Beihilfen und Ergänzungsleistungen, der Kindergärten und des Kanalisationswesens und nicht zuletzt auch das Zustandekommen des Vertrages mit der Fondation Beyeler als einige der Höhepunkte seines Wirkens.

Auch betrachte ich sein Engagement zur Erhaltung der Beziehungen zu unseren Nachbargemeinden, insbesondere zu Bettingen, Weil am Rhein, Lörrach und Inzlingen, als besonders wertvoll und bin überzeugt, dass auch dieser von ihm eingeschlagene Weg weitergeführt wird.

Besonders ans Herz gewachsen sind Gerhard Kaufmann die Patenschaften. Auch wenn unser «Göttikind», die Gemeinde Mutten, heute schon als erwachsen betrachtet werden kann, haben die Begegnungen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern einer Berggemeinde der Gemeinde Riehen nicht nur sehr viel Image gebracht, sondern auch wertvolle menschliche Kontakte, ja sogar Freundschaften.

Etwas komplizierter ist das Verhältnis zu Csikszereda. Da sind die ersten Kontakte in eine Zeit gefallen, da menschliche Begegnungen aus den bekannten politischen Gründen gar nicht möglich waren. Es war vorerst eine rein moralische Unterstützung eines politisch unterdrückten Volkes. Erst durch die öffnung im Osten konnten die Besuche beginnen, die schliesslich aus der Patenschaft eine Partnerschaft gemacht haben.

Gerhard Kaufmann hat immer auch zur Presse eine offene - aber nie anbiedernde - Beziehung gehabt. So war ihm die Erhaltung der Riehener-Zeitung stets ein Anliegen.

Es bleibt uns, Gerhard Kaufmann für seine langjährige - 28 Jahre sind für eine Tätigkeit im Nebenamt eine sehr lange Zeit - Amtsausführung als Riehener Gemeindepräsident zu danken: im Namen des Gemeinderates, des Einwohnerrates, der Verwaltung, vor allem auch im Namen der Riehener Bevölkerung, die ohne Zweifel von den Leistungen ihres Gemeindepräsidenten, bewusst oder unbewusst, profitiert hat und noch lange profitieren wird.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1998

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