Grösse ist kein Ziel

Gerhard Kaufmann

Das Jahrzehnt von 1950 bis 1960 brachte Riehen einen gewaltigen Wachstumsschub. Die Bevölkerung nahm in dieser Zeit um fast 50 Prozent zu. Gerhard Kaufmann, Architekt und langjähriger Gemeindepräsident, über Siedlungsplanung, bauliche Entwicklung und die Grenzen des Wachstums.

Gleich anderen Gemeinden in der Umgebung Basels reagierte auch Riehen zunächst recht hilflos auf den zu Beginn des 20. Jahrhunderts anschwellenden Zuzug, eine Folge neuer Verdienstmöglichkeiten und verbesserter Verkehrsverbindungen. Es gab nur wenig Möglichkeiten, die dadurch ausgelöste Bautätigkeit in geordnete Bahnen zu lenken oder man wusste sie nicht zu nutzen. Wohl hatte der damalige Stadtingenieur 1908 einen Bebauungs- und Strassen-Linienplan für Riehen vorgelegt, allein die Entwicklung nahm einen andern Verlauf. Gebaut wurde an den bestehenden Ortsverbindungsstrassen und entlang ausbaufähiger Feldwege. In einem Bericht von 1935, verfasst vom Technischen Arbeitsdienst (eine Arbeitsbcschaffungsmassnahme während der Krisenzeit) wird dies bedauert: «Die Bauentwicklung zeigt, dass die Bodenbeschaffenheit ausschlaggebend war für die Wahl der Bauplätze. Zuerst wurden die schönsten und aussichtsreichsten Punkte gewählt, somit liegt das Landhaus planlos auf der weiten Flur zerstreut. Von der Baselstrasse bis hinauf zur Waldgrenze stehen isolierte Landhäuser, von nicht baureifen Parzellen umgeben... In Riehen wird der erste Bebauungsplan vom Jahre 1908 zur Zeit (1934) revidiert, so dass zu hoffen ist, dass die Bebauung in neue gesundere Bahnen geleitet wird.»

Eine gewisse Steucrungsmöglichkeit hatte die Gemeinde mit dem Ausbau des Kanalisationsnetzes. Erste Ansätze für eine Zonenplanung gehen auf das Jahr 1904 zurück mit der Schaffung einer Villenzone für die Hanglagen. Das ganze Gemeindegebiet, also auch der Schlipf und die Weilmatten, waren eingezont und galten als überbaubar, ausgenommen das Grundwasserschutzgebiet zwischen Dorfrand und Wiese. Der Wald war und ist bis heute durch die eidgenössische Forstgesetzgebung geschützt. Riehen, überbaut von der Stadt- bis zur Landesgrenze, aus heutiger Sicht unvorstellbar.

Forderung nach Gesamtplanung Dass es nicht soweit kam, hat viele Gründe. In der Rückschau kann das Jahr 1960 als Wendepunkt in der ungestümen Entwicklung der vorangegangenen anderthalb Jahrzehnte bezeichnet werden. Erstmals wird in der Riehener Zeitung die Forderung nach einer Gesamtplanung laut. Als Ersatz für die nicht existierende Einfamilienhauszone werden vor allem für die Hanglagen «spezielle Bauvorschriften» erlassen. Der Grosse Rat beschäftigte sich mit der Ausscheidung von Grünzonen innerhalb und am Rande des Siedlungsgebietes. Auf dem Höhepunkt der Bautätigkeit begann man sich auch in Riehen zu fragen, wohin die Entwicklung noch führen würde und führen sollte. Es setzten Diskussionen ein über die Endlichkeit der auf unserem Planeten vorhandenen Ressourcen - in Riehen zählt dazu offensichtlich das Bau- land. Es sollte aber noch acht Jahre dauern bis der Club of Rome seine Arbeit aufnahm und mit seinen beklemmenden Zukunftsperspektiven für weltweites Aufsehen sorgte und damit ein Umdenken in Gang setzte. Das globale Unbehagen hat auch vor dem Mikrokosmos Riehen nicht Halt gemacht, die Steuerungsmöglichkeiten waren aber weiterhin sehr gering. Erst Ende der 50er-Jahre entstand in Riehen eine eigene Bauverwaltung. Bis dahin waren kantonale Organe für das kommunale Bauwesen, d.h. den Strassenbau und die Kanalisation zuständig.

Oftmals wussten die verschiedenen ämter des Baudepartementes nicht zu unterscheiden, ob sie nun in hoheitlicher Funktion oder im Auftragsverhältnis für die Gemeinde tätig waren. Neben den städtischen Zielen fanden kommunale Interessen kaum Gehör. Der diskrete Draht zu den jeweiligen Vorstehern des Baudepartementes sorgte für einen gewissen Ausgleich. So wohnten Fritz Ebi (im Amt von 1935 bis 1956) und Max Wullschleger (im Amt von 1956 bis 1976) beide in Riehen und hatten vor ihrem Eintritt in die Basler Regierung dem hiesigen Gemeinderat bzw. dem Gemeindeparlament angehört. Lange vor Entwurf des ersten Leitbilds war es ein ungeschriebenes Ziel der Gemeinde, ihren Einwohnern ein angenehmes Wohnen in grüner Umgebung zu ermöglichen, fern von lärmiger und stinkender Industrie.

Einen Richtplan hat sich Riehen erst 1975 zugelegt, dies als Reaktion auf eine von kantonaler Seite verlasste Entwicklungsstudie, die Riehen und Bettingen für das Jahr 1990 eine Zahl von 50000 Einwohnern verpassen wollte.

Kleinteilige Parzellierung als Wachstumsbremse Bereits die ersten, auf einer exakten Vermessung basierenden Katasterpläne machen deutlich: Riehens Boden war und ist als Folge der praktizierten Erbteilung sehr kleinteilig parzelliert. Kaum ein Grundstück weist mehr als 5000 m2 auf. Auch der Umschwung der Basler Landgüter hielt sich in Grenzen. Ausnahmen sind der Bäumlihof, das Spittelmattgu( und der Wenkenhof. Letzterer verfügte bereits zur Zeit Zäslins, also im 18. Jahrhundert, über einen Umschwung von 29 Hektaren. Es fällt auf, dass die sonst im ländlichen Gebiet üblichen Allmenden, d.h. gemeinschaftlicher Grundbesitz, fehlen. Ob und bis wann in Riehen Allmendflächen bewirtschaftet wurden, ist nicht mehr feststellbar. Bei der baulichen Expansion des Dorfes waren die langen, schmalen äckerlein ein echtes Hindernis. Eine systematisch durchgeführte Landumlegung zur Formung baureifer Parzellen erfolgte erst 1937 in Zusammenhang mit dem Bau der Rudolf Wackernagel-Strasse. Noch heute sind innerhalb einzelner Strassenblöcke die ehemals der Landwirtschaft dienenden Parzellenstrukturen erkennbar. Es darf als sicher gelten: das Stettenfeld wäre längst überbaut, hätte die vorhandene Parzellierung die Planung nicht immer wieder auf den Ausgangspunkt zurückgeworfen.

Ab Beginn des 20. Jahrhunderts traten der Kanton BaselStadt und die von gleicher Hand regierte virtuelle Einwohnergemeinde der Stadt Basel in grossem Stil als Landkäufer auf den Plan. Sukzessive wurden unter Expropriationsdrohung Grundstücke aufgekauft. Dass diese für die Gewinnung von Trinkwasser, für den Zentralfriedhof am Hörnli, für Schulhäuser und Heime benötigt wurden, war für die meisten Riehener nachvollziehbar. Erbitterung machte sich aber breit, als die staatliche Liegenschaftsverwaltung damit begann, ohne Zweckbestimmung Grundstücke ausserhalb des Siedlungsgebietes zu kaufen. Der Einkäufer aus dem Finanzdepartement verfügte dabei immer über das grössere Portemonnaie als die dörflichen Mitbieter. An einer Liegenschaftsgant Ende der Vierzigerjahre kam es deswegen beinahe zu einer Prügelei wie Fritz Hünenberger (1897-1976) dem Autor berichtete.

Aber auch zwischen dem Gemeinderat und der Zentralstelle für staatlichen Liegenschaftsverkehr (ZLV) kam es in den Zeiten des grossen Baubooms immer wieder zu Reibereien. So war der Gemeinde zugesagt worden, dass sie für die geplante Freizeitanlage Landauer über das gesamte, zwischen Kohlistieg und Bluttrainweg gelegene Areal einer ehemaligen Kiesgrube verfügen könne, schliesslich wurde aber ein Teil davon der Ciba zur Verfügung gestellt, die dort einen Tennisplatz für ihren firmeneigenen Sportclub anlegte. Ausserdem wurde der auf Gemeindegebiet gelegene 150 Meter lange Rheinanstoss dem Basler Ruderclub zur Nutzung überlassen. Damit ging auf Riehener Gebiet der öffentliche Zugang zum Rhein verloren. Die für das Wasserstelzen-Schulhaus vorgesehenen staatlichen Parzellen wurden beschnitten, um an der Rainallee eine Wohnüberbauung unterzubringen. Bei vielen Riehenern entstand das Gefühl, vom Kanton wie eine Kolonie behandelt zu werden.

Eher entgegenkommend zeigte sich der Kanton in Fragen des sozialen Wohnungsbaus. Am Hirtenweg stellte er der Gemeinde das dazu notwendige Bauland zur Verfügung. Auch die gemeindeeigene Alterssiedlung an der Oberdorfstrasse kam teilweise auf Staatsland zu stehen. In beiden Fällen musste sich die Gemeinde aber mit einem Baurecht begnügen, mit dem Ergebnis, class die Wohnüberbauung am Hirtenweg im Jahr 2009 an den Kanton zurückgefallen ist. Es dürfte in der Schweiz keine zweite Gemeinde geben, die derart dominiert wird vom Grundbesitz einer Nachbargemeinde. Rund 30 Prozent des Gemeindegebietes gehören dem Kanton und der Einwohnergemeinde Basel, das sind drei Viertel des gesamten öffentlichen Grundbesitzes. Gerne wird übersehen, dass die Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit der Gemeinde Riehen nicht so sehr von fehlenden Planungskompetenzen als vielmehr vom dominanten Grundbesitz des grossen Nachbarn eingeschränkt wird.

Kein Bettenhaus im Park Zahlreiche der in Zeiten des Baubooms geplanten Projekte wurden aus verschiedenen Gründen nie realisiert. In der Rückschau macht sich darüber mehr Erleichterung als Bedauern breit. Erleichterung darüber, von Entwicklungen verschont geblieben zu sein, die unsere gebaute Umwelt und unsere ver traute Landschaft bis zur Unkenntlichkeit verändert hätten. Im Strassenbau sind die lange und die kurze Dorfumfahrung zu nennen. Die erste scheiterte 1969 an einer Volksabstimmung. Eine östliche Höhenstrasse, beginnend am Hellring, die quer durch das Moostal geführt, an der Langoldshalde wieder angestiegen wäre und beim Moosrain in die Schlossgasse gemündet hätte, blieb ebenso unausgeführt wie die «äussere Osttangente», welche die Langen Erlen gequert hätte, um beim Hirshalm Richtung Süden abzubiegen und beim Kraftwerk Birsfelden den Rhein zu überqueren. Letztere war ein Projekt aus der Steinzeit des Automobilverkehrs, Endstück der «Hafraba», der Autofernstrasse HamburgFrankfurt-Basel. Im Bereich des öffentlichen Verkehrs sind die Tiellegung der Wiesentalbahn, heute S-Bahn 6, und die Verlegung der Tramlinie 6 auf das Trassee der Wiesentalbahn zu Planungsleichen verkommen.

Ähnlich erging es mehreren Projekten des Hochbaus, angefangen mit einem Schlachthaus auf dem Areal, das heute von der Essiganlage eingenommen wird, einem 7-geschossigen Bettenhaus im Sarasinpark, Satellitensiedlungen im Hinter Engeli, im Moos und auf dem Land, welches heute Standort der Fondation Beyeler ist.

Bemühen um ein einheitliches Ortsbild

Solange Riehen ein Bauern- und Winzerdorf war, dominierte das Dreisässenhaus. Unter einem Steildach vereinigte es Wohnteil, Scheune und Stall, und bestimmte so, als Behausung der hablicheren Bauern, das Dorfbild. Die Landsitze folgten andern Regeln und wurden in einem zurückhaltenden Barock oder in einem klassizistischen Stil gebaut. Mit der den Rahmen des alten Dorfes sprengenden Bautätigkeit machte sich ab 1890 allmählich ein Stilpluralismus breit. An der Lörracherstrasse entstanden mehrgeschossige Wohnhäuser, die als ortsfremd empfunden und abschätzig als Mietskasernen bezeichnet wurden. An Hanglagen wurden auf weiter Flur einzelstehende Villen unterschiedlichster Stilrichtungen gebaut.

Nach Ende des Ersten Weltkriegs drängten auch weniger gut betuchte Bevölkerungsschichten aufs Land. Es entstanden die ersten genossenschaftlichen Siedlungen im Gebiet Römerfeldstrasse/Schäferstrasse, Morystrassc/Kornfeldstrasse und in den Habermatten, meist in Form von Doppel- oder Reiheneinfamilienhäusern, von den Eingesessenen despektierlich als «Negerdörfli» bezeichnet.

Bald einmal hielt auch das «Neue Bauen» Einzug, in Riehen mit einigen hervorragenden Beispielen vertreten. Die Hochschule für Gestaltung in Dessau, Wiege dieses Architekturstils, war bereits 1932, also vor der nationalsozialistischen Machtergreifung am Ende. Die neuen Machthaber hatten für die klaren kubischen Formen der Dessauer Schule nichts übrig und sahen darin die Nähe zur «entarteten Kunst». Ganz sicher trifft die Formel Neues Bauen = Marxismus, traditionelles Bauen = Nationalsozialismus für die damalige Schweiz nicht zu. Allerdings hatte der an der schweizerischen Landesausstellung 1939 im Landidörfli zelebrierte Heimatstil ein zähes Leben und mitunter einen Geruch von «Blut und Boden».

Die während der Zeit des Zweiten Weltkrieges einsetzende Ortskernplanung - für einmal hatte der Gemeinderat das Heft selber in die Hand genommen - ging von der Prämisse aus, die geplanten Gemeindebauten mit dem traditionellen Steildach auszustatten. Dieses finden wir beim 1951 eröffneten Landgasthof, beim 1961 in Betrieb genommenen Gemeindehaus, beim Ochsen, dem Wohn- und Geschäftshaus mit Polizeiposten Ecke Baselstrasse/Erlensträsschen. Auch private Bauherren hielten sich an diese Vorgabe, so bei der «neuen» Post Ecke Bettingerstrasse/Baselstrasse, beim Geschäftshaus Wenk gegenüber dem alten Gemeindehaus, beim Wohn- und Geschäftshaus Stump Baselstrasse 70 und schliesslich bei der vom Landpfrundhaus errichteten Alterssiedlung an der Oberdorfstrasse. Die gesetzliche Grundlage, um die Forderung nach einem Steildach durchzusetzen, wurde 1960 mit der Errichtung einer Altstadtzone geschaffen, also zu einem Zeitpunkt da ein Grossteil dieser Bauten bereits errichtet war. Da man schon einmal am Planen war, sollte auch das Restaurant Winter, Ecke Schmiedgasse/Baselstrasse, also an sehr prominenter Stelle gelegen, auf dörfliche Dimensionen zurückgestutzt werden. Das mit einem turmartigen Mansardendach bekrönte Gebäude bildete schon lange ein ärgernis und da Umbauabsichten bekannt waren, ergriff der Gemeinderat die Initiative, um die Bauherrschaft durch einen namhaften Gemeindebeitrag für einen Rückbau zu gewinnen. Das erzielte Ergebnis ist, vor allem wegen des mit Dachgauben überladenen Satteldachs, eher zwiespältig.

Jahrzehntelang bestand ein Konsens zwischen Gemeinderat und Heimatschutzkommission, in dem von Inzlingerstrasse und Bettingerstrasse begrenzten Gebiet, identisch mit dem ehemaligen Dorfetter, keine Flachdachbauten zuzulassen, eine Praxis die erst mit dem Bau des Alters- und Pflegeheims Wendelin 1986 bis 1988 eine Aufweichung erfahren hat. Die 1987 für Ein- und Zweifamilienhäuser erlassenen speziellen Bauvorschriften einer Dachneigung von mindestens 25 Grad entsprach dem Bestreben, in die als chaotisch empfundene Stilvielfalt etwas Ruhe zu bringen. Das angestrebte Ziel ist nicht erreicht worden. Mit grosszügig erteilten Ausnahmebewilligungen wurde diese von der jungen Architektengeneration als schikanös empfundene Bauvorschrift seit Beginn des 21. Jahrhunderts praktisch ausser Kraft gesetzt.

Zu Beginn der 60er-Jahre wurde auch in Riehen über Hochhäuser debattiert. Dem bereits publizierten Vorhaben für ein Wohnhochhaus im Gebiet des Hirshalm blieb die Bewilligung versagt, dies vor allem auf Betreiben des Gemeinderates. Um Nachahmungstätern einen Riegel zu schieben, wurden 1962 durch eine entsprechende Ergänzung des Hochbautengesetzes die Gemeinden Riehen und Bettingen (ausgenommen das Stettenfeld) zur hochhausfreien Zone erklärt. Sicher hat bei dieser Entwicklung mitgespielt, dass in jenen Jahren auf dem Gebiet der Stadt Lörrach, nur wenige hundert Meter von der Grenze entfernt, ein Hochhaus unter dem Namen «Bijou» errichtet wurde, in dem unter anderem ein Night Club untergebracht war. Wolfgang Wenk, Architekt und Gemeindepräsident (von 1945 bis 1970, seit 1936 Gemeinderat) wurde nicht müde, darauf hinzuweisen, wie sehr mit diesem Bau der Beweis erbracht sei, dass das liebliche und kleinräumige Wiesental nicht der Ort für derartige bauliche Eskapaden sei.

Unbeeindruckt durch das gesetzlich verankerte Hochhausverbot lancierte 1963 eine Investorengruppe das bereits erwähnte Projekt mit 13-geschossigen Hochhäusern im Gebiet Hinter Engeli. Das forsche Vorgehen der Promotoren war ein Indiz dafür, dass die im Umfeld der ZLV agierende Seilschaft ihrer Sache sicher war und das, je nach Standpunkt, bis zum bitteren oder glücklichen Ende. Schliesslich bliesen die dringlichen Bundesbeschlüsse auf dem Gebiet der Raumplanung dem Projekt das Lebenslicht aus, die vom Gemeinderat praktizierte Verzögerungstaktik hatte das ihre dazu beigetragen.

Grenzen des Wachstums

Am 19. November 1965 feierte das offizielle Richen seinen 20000. Einwohner. Seither meldet uns die Statistik nur noch kleine Ausschläge in der Fortschreibung der Bcwohnerzah- len. Das Jahr 1965 markiert somit das Ende einer stürmischen Entwicklung. Obwohl die Einwohnerzahlen seit 1965 sta- gnieren, ging die Bautätigkeit weiter. Gebaut wird für den steigenden Flächenbedarf pro Einwohner, ein Zeichen des Wohlstandes und eine Entwicklung, die zu hinterfragen ist.

Seit zehn Jahren präsentiert sich Riehen unter dem Label «Das grosse grüne Dorf», eine durchaus zutreffende Kürzest- formel für das Dorf, das nicht Stadt sein will, obwohl es von der Einwohnerzahl her längst Stadtgrösse erreicht hat. In der Tat, Riehen lässt zahlreiche Attribute vermissen, die hierzulande eine Stadt ausmachen: Wohn- oder Bürohoch- häuser fehlen, ein Super-Einkaufsmarkt mit dito Parkplatz ist nirgends auszumachen, das Nachtleben in Schwung bringende Etablissements müssten erst noch erfunden werden und eine Ansammlung von mehr als zwanzig Personen erregt bereits Aufsehen. Todlangweilig für die einen, super für die anderen.

Das gebaute Riehen ist das Ergebnis der verschiedensten Faktoren: bewusste Planung, Selbstbeschränkung, Zufälligkeiten, Glücksfälle, Nischenlage im nordwestlichsten Zipfel der Schweiz. Am wenigsten sind wirtschaftliche Zwänge auszumachen. Wolfgang Wenk, Architekt, Baumeister und Gemeindepräsident von 1945 bis 1970, war in einer Zeitspanne, da sich die Bevölkerungszahl des Dorfes praktisch verdreifachte, zweifellos die wegweisende Autorität in Bauund Planungsfragen soweit sich Richen überhaupt artikulieren konnte. Für bauliche Experimente war ihm Riehen zu schade, unflätige Kontrastarchitektur war ihm ein Greuel. Diese Zurückhaltung wurde auch von der öffentlichkeit mitgetragen und honoriert.

Bis in die jüngste Zeit hat das Gemeindeparlament über Jahrzehnte hinweg Ja gesagt zu grossflächigen Auszonungen: beim Bäumlihof, beim Wenkenpark, beim Sarasinpark, beim nördlichen Rand des Stettenfeldes und im Mittelfeld, um nur die grössten Flächen zu nennen. Die Stimmbürgerschaft hat diese Reduktion der überbaubaren Fläche stillschweigend gutgeheissen. Gegen die Kreditbeschlüsse des Gemeindeparlamentes ist nie das Referendum ergriffen worden.

Riehens Bau- und Bodenpolitik hat sich aber nicht im Restriktiven erschöpft. So sind im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts einige qualitativ hochstehende Genossenschaftssiedlungen entstanden, zum grossen Teil auf gemeindeeigenem Land. Weit über die Grenzen der Gemeinde hinaus haben die Gesamtüberbauungen Glögglihof und Gehrhalde Beachtung gefunden. Beispielhaft bei beiden Siedlungen ist die Verkehrserschliessung. Die internen Verbindungswege bilden einen erweiterten Lebensraum. Motorfahrzeuge tauchen am Siedlungsrand ab in den Untergrund.

1978 ist an der Rauracherstrasse ein Subzentrum entstanden. Dieses erfährt zur Zeit durch die neu geschaffene S-Bahnstation Niederholz eine Aufwertung. Ein gutes Beispiel dafür, wie sich Privatinitiative und Investitionen der öffentlichen Hand auf sinnvolle Weise ergänzen. Die Bevölkerungsprognosen lassen einen wachsenden Druck auf die noch nicht überbaute Landschaft erwarten. Parallel dazu wächst die Einsicht, dass die baulich nicht genutzten Flächen in einer dicht besiedelten Agglomeration ein immer wertvolleres Gut darstellen. Diese Spannung gilt es auch in Riehen auszuhalten. Nicht eine Ausweitung des Siedlungsgebietes ist die Lösung, sondern die bessere Nutzung des vorhandenen Raumes muss das Ziel sein.

Literatur und Quellen:

Kaufmann, Gerhard: Nicht ausgeführte Riehener Bauprojekte, in: z'Rieehe, Jg. 23, 1983, S. 35-57.

Kaufmann, Gerhard: Die Heimstätte-Genossenschaft Niederholz 1921-1933, in: z'Rieche, Jg. 20, 1980, S. 86-100.

Riehener Zeitung, Jahrgänge 1959-1961.

Schwab, Hans: Riehen seit 1825, Basel 1935.

Raith, Michael: Gemeindekunde Riehen, 2. Auflage, Riehen 1988.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2010

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