Hans Sandreuters Haus Zur Mohrhalde
Rolf Brönnimann-Burckhardt
Es war kein Zufall, dass in den Jahren 1976 und 1977 in Riehen und Pratteln Ausstellungen mit Werken des Basler Malers Hans Sandreuter veranstaltet wurden; denn Sandreuter gilt als der bedeutendste Schüler Arnold Böcklins. Die letztjährige Ausstellung zum hundertfünfzigsten Geburtstag des Meisters im Basler Kunstmuseum ist noch in frischer Erinnerung. Zu ihrem Anlass wurde die 1897 zum siebzigsten Geburtstag Böcklins nach einem Entwurf von Sandreuter geschaffene Medaille neu geprägt.
Hans Sandreuter wurde 1850 in Basel geboren. Eine Begegnung mit Böcklins «Jagd der Diana» um die Mitte der sechziger Jahre beeindruckte den jungen Mann nachhaltig. Materieller Schwierigkeiten wegen konnte sich jedoch Sandreuter vorerst nicht dem Malerberuf zuwenden, sondern musste bei einem Lithographen in die Lehre eintreten. Um 1870 begannen die Wanderjahre. Würzburg, München, Verona, Mailand, Genua und Neapel waren die Stationen. Schliesslich verschlug es Sandreuter nochmals nach München, wo gleichzeitig auch Böcklin weilte. Eine schicksalshafte Begegnung fand statt. 1874 folgte Sandreuter seinem verehrten Meister nach Florenz. Von 1877 bis 1880 weilte er in Paris, dessen künstlerisches Klima ihm jedoch nicht behagte. Es folgten nochmals Reisen nach Italien. 1885 Hess sich Sandreuter endgültig in seiner Heimatstadt Basel nieder. 1901 starb er viel zu früh an einer schweren Krankheit.
Damals schon wie heute war es für einen Künstler in Basel schwierig, geeignete Atelierräumlichkeiten zu finden. Auch Sandreuter hatte mit diesen Schwierigkeiten zu kämpfen. Aus seinem schriftlichen Nachlass wissen wir, dass er von einem Provisorium zum andern ziehen musste. Als solche Stationen nannte er die Kaserne, die Kunsthalle und schliesslich eine Fabrik am Hirzbodenweg. In den neunziger Jahren musste sich seine materielle Lage so gebessert haben, dass er daran denken konnte, ein eigenes Wohnhaus mit Atelier bauen zu lassen. Zu diesem Zweck erwarb er in Riehen an der jetzigen Wenkenstrasse ein ansehnliches Grundstück. Fotografien aus der Zeit lassen erkennen, dass das Quartier damals fast unüberbaut war. Die erhöhte Lage des Geländes muss eine herrliche Aussicht auf die von Sandreuter so geliebten und oft dargestellten Landschaften des Juras, des Wiesentales und des Markgräflerlandes gewährt haben.
Entwurf und Bauleitung seines Hauses übertrug Sandreuter der renommierten Basler Firma La Roche und Stähelin. Da es ziemlich sicher ist, dass von den beiden Architekten Emanuel La Roche, jedenfalls was die Gestaltung der Fassaden anbelangt, der massgebende Teil war, soll hier auf diese interessante Persönlichkeit etwas näher eingegangen werden. Der 1863 in Ziefen geborene La Roche gehörte zur Architektengeneration, die das Basler Stadtbild im letzten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts entscheidend prägte. Zu dieser Generation sind Karl Moser, die Gebrüder Friedrich und Rudolf Linder, Wilhelm Bernoulli und Fritz Stehlin, mit dem La Roche zeitweilig zusammenarbeitete, zu zählen. Wie die meisten Architekten des Historismus hatte auch La Roche eine Vorliebe für einen bestimmten Stil, was ihm den Spitznamen Larococo eintrug. Bauten von La Roche, die bis heute das Stadtbild mitbestimmen, sind der Bundesbahnhof (in Zusammenarbeit mit E. Faesch), das De-Wette-Schulhaus (in Zusammenarbeit mit F. Stehlin), die Universitätsbibliothek, das ehemalige Grand Hôtel de l'Univers (bis vor kurzem BIZ) und der Geschäftsblock Marktplatz 17—19 (in Zusammenarbeit mit Flügel und Stähelin). Neben diesen grossen Projekten baute La Roche auch stilvolle Reiheneinfamilienhäuser und Villen im Geliertviertel.
Bei der Betrachtung des 1898 für Hans Sandreuter an der Wenkenstrasse in Riehen erbauten Wohn- und Atelierhauses «Zur Mohrhalde» würde ein Kenner baslerischer Architektur der Jahrhundertwende kaum auf La Roche tippen. Der von alten Bäumen umgebene, allseitig freistehende, zweigeschossige Bau ist für seine Zeit von ungewöhnlicher Zurückhaltung. Umsonst sucht man nach Zierelementen, die eine Zuordnung zu einem der damals gängigen Neo-Stile gestatten würden. Die Verteilung der von rotem Sandstein eingefassten hochrechteckigen Fenster wird vom Grundriss diktiert. Der Eingang liegt fast versteckt auf der Nordseite. Alles weist auf eine neue Baugesinnung hin, wie sie sich dann zehn Jahre später unter dem Einfluss von Muthesius' Schriften durchzusetzen vermochte: also Verzicht auf Repräsentation zugunsten von Wohnlichkeit und Nützlichkeit. Anklänge an regionale ländliche Tradition, wie sie Muthesius forderte, wird man allerdings keine finden. Weder das flachgeneigte Walmdach noch die Loggia auf der Südseite ist typisch für unsere Gegend. Vielmehr scheinen hier Wünsche des Bauherrn, der etliche glückliche Jahre in Italien verlebt hatte, berücksichtigt worden zu sein. Es stellt sich überhaupt die Frage, wieweit Sandreuter beim Entwurf seines Hauses die Hand im Spiel hatte. Zog er vielleicht La Roche nur für die Bewältigung der bautechnischen Probleme zu und lieferte den Entwurf selbst? In diesem Zusammenhang ist die folgende Bemerkung aus Sandreuters schriftlichem Nachlass vom 7. März 1901 von Interesse: «Ich sehe an der Gerbergasse und am Hôtel Metropole zwei neue Häuser von Moser, die für meinen Geschmack einzig dastehen, nicht ein Zoll Unkünstlerisches, alles gediegen, einfach und geschmackvoll. Warum ward es mir nicht zuteil, diesen Architekten für mein Haus zu haben.» Karl Moser (1860—1936), den Sandreuter zitiert, war eine Architektenpersönlichkeit von schweizerischem Rang. Seine Frühwerke aus den späten neunziger Jahren sind noch ganz dem Historismus verpflichtet. Nach der Jahrhundertwende jedoch begann sich Moser einem gemässigten Jugendstil zuzuwenden. Die Basler Paulskirche zeigt den übergang von der historisch orientierten Architektur zum Jugendstil sehr schön. Der 1913 vollendete Badische Bahnhof kann als reifes und hervorragendes Werk aus Mosers Jugendstilphase betrachtet werden. Mit der 1927 erbauten Antoniuskirche bewies Moser seine erstaunliche Fähigkeit, auch im Alter als Architekt auf der Höhe seiner Zeit zu bleiben. Das von Sandreuter erwähnte Hôtel Metropole an der Gerbergasse 37 besitzt leider nicht mehr seine ursprüngliche Funktion und Gestalt. Bei einer Renovation wurden die beiden Jugendstilgiebel und -erker entfernt und so dem Bau seine Individualität genommen. Das obige Zitat von Sandreuter über den Bau bezeugt Aufgeschlossenheit dem Jugendstil gegenüber. Dies war für Basel nicht selbstverständlich, jedenfalls nicht was die Architektur anbelangte. Dem weitgereisten Künstler Sandreuter war natürlich die neue Richtung längst bekannt. Wenn hier auch die Frage offen gelassen werden muss, wer den Entwurf zur «Mohrhalde» geliefert hat, so steht doch fest, dass die Dekorationsmalereien wie der aus stilisierten Pflanzenmotiven bestehende Fries unter dem Kranzgesimse und ähnliche Malereien an den Dachaufbauten sowie die aus bunten Ton- und Glasscherben bestehenden Mosaiken in den Brüstungen der Loggia von Sandreuters Hand stammen. Sandreuter hatte einen ausgeprägten Sinn für das Dekorative, was ihm zu seiner Zeit von gewissen Kritikern als künstlerischer Mangel vorgeworfen wurde. Sandreuter dekorierte ausser seinem Haus noch andere Bauten, so 1884 ein von den Architekten Müller und Linder erbautes Wohnhaus an der Leimenstrasse, das leider abgebrochen wurde, 1885 das Haus von Metzgermeister Fritz Weitnauer an der Freien Strasse, das ebenfalls nicht mehr existiert, 1889 das von Rudolf Friedrich für Sandreuters Bruder Emanuel entworfene Wohnhaus an der Sevogelstrasse 69 und schliesslich 1894 die von Leonhard Friedrich erbaute Bärenzunft an der Freien Strasse. Die Dekorationen an all diesen Bauten führte Sandreuter in Sgraffitotechnik aus, da diese den Witterungseinflüssen besser widersteht als Malerei.
Die innere Organisation des auf einer Grundfläche von etwa elf auf neunzehn Meter errichteten Hauses «Zur Mohrhalde» ist einfach und übersichtlich. Da das Haus auf leicht ansteigendem Gelände steht, konnte das zur Hälfte in den Hang hineingebaute Sockelgeschoss nicht für Wohnzwecke genutzt werden. Dieses enthält lediglich Küche, Speisekammer, Vorratskammer, Keller und Waschhaus. Ungefähr die Hälfte des gegen die Strasse gelegenen Teiles des Obergeschosses wird vom Treppenhaus und drei Wohnräumen beansprucht. Im hintern, gegen den Hang gelegenen Teil befinden sich das 63 Quadratmeter grosse Atelier und die Loggia. Der Grundriss des Obergeschosses wiederholt sich im Dachgeschoss, nur dass an die Stelle von Atelier und Loggia Estrich, Kammer, Badstube und Laube treten.
Entwurf und Ausführung des Innenausbaus stammen von Sandreuter. Die ganze reiche Ausstattung des Obergeschosses ist im Originalzustand erhalten. Jeder Gegenstand befindet sich noch an seinem Platz. Man hat den Eindruck, Sandreuter hätte bis vor kurzem in diesen Räumen gelebt. Hier verwirklichte ein Künstler seine Idealvorstellungen vom Wohnen bis ins Detail. Jeder Raum wurde auf einen farbigen Grundton abgestimmt. Möbel, Türen und Vertäferungen aus Tannenholz sind braun gebeizt, ihre Flachschnitzereien in bunten Farben hervorgehoben. Die Motive der Schnitzereien stammen aus Pflanzen- und Tierreich. So kommen Hechte, Schmetterlinge, Sonnenblumen, Löwenzahn, Tulpen, Rosen, Kapuziner und Klee vor. Sandreuter hatte die Idee, die Flachschnitzereien mit einer Walze auf Papier zu übertragen, um so billige Kunstblätter herzustellen. Die Ofenkacheln mit dem Eulenmotiv modellierte Sandreuter selbst. Jede Kachel trägt seine Initialen.
Obschon diese ganze Innenarchitektur von Sandreuters Geschmack geprägt ist, muss sie im Zusammenhang mit der damaligen Kunstauffassung gesehen werden. Der Jugendstil als bewusste Gegenbewegung zum Historismus strebte seinem Höhepunkt zu. Dass allerdings auch er gelegentlich Anleihen bei den traditionellen Stilen machte, illustriert in unserm Fall die gemütliche, fast gotisch wirkende Sitzecke am Kamin mit ihrem spiralförmigen Säulchen und der bemalten Bälkchendecke darüber. Auch ist die Form der Möbel eher konservativ, ja fast bäurisch-biedermeierlich. Und dies sicher mit Absicht. Die Betonung des Handwerklichen und das Zeigen der Materialstrukturen sowie der Bearbeitungsspuren sind typisch für eine Zeit, die der überladenen Salons mit ihren goldumrahmten Spiegeln, ihrem Plüsch und Stuck überdrüssig war.
Das Bäurisch-Einfache der Einrichtung der «Mohrhalde» darf einem jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sandreuter auch imstande war, hochelegante Jugendstilmöbel zu entwerfen. Die Abbildung einer von ihm entworfenen Salonmöbelgruppe in der Zeitschrift «Deutsche Kunst und Dekoration» aus dem Jahre 1901 belegt dies. Dass sich ein Künstler noch als Entwerfer von Möbeln, Keramik, Stoffmustern und anderem betätigte, war um die Jahrhundertwende nichts Aussergewöhnliches, sondern galt sogar als ideal. Die Wurzeln dieser Auffassung sind in der von William Morris um 1860 in England ins Leben gerufenen Arts-and-Crafts-Bewegung zu suchen, die den geschmacklosen historisierenden Maschinenerzeugnissen den Kampf ansagte. Morris und seine Anhänger glaubten, das Heil in der mittelalterlichen Handwerkskultur gefunden zu haben, was sich bald einmal als Irrtum herausstellte. Trotzdem befruchtete die Arts-and-Crafts-Bewegung das ganze europäische Kunstgewerbe aufs beste und führte schliesslich zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zur Gründung der Werkbünde.
Das Atelier- und Wohnhaus «Zur Mohrhalde» stellt mit seiner original erhaltenen Innenausstattung ein bedeutendes Zeitdokument des Jugendstils dar, das unbedingt der Nachwelt erhalten bleiben muss. Allein schon das Andenken an Hans Sandreuter würde eine Unterschutzstellung der «Mohrhalde» rechtfertigen. Ein würdigeres Denkmal für den grossen Böcklin-Schüler kann man sich nicht vorstellen. Die Idee von einem Sandreuter-Museum drängt sich einem unwillkürlich auf. Auch könnten andere Kunstausstellungen in diesem Haus durchgeführt werden. Riehen wäre damit um eine echte Attraktion reicher.
Literaturverzeichnis
Othmar Birkner, Bauen und Wohnen in der Schweiz, 1850—1920, Artemis-Verlag, Zürich 1975.
Rolf Brönnimann, Architekt Fritz Stehlin, 1861 —1923, Kommissionsverlag Helbing & Lichtenhahn, Basel 1974.
Basler Bauten 1860—1910, Verlag Helbing & Lichtenhahn, Basel und Stuttgart 1973. Wilhelm Christ, Erinnerungen an Hans Sandreuter, Frobenius-Verlag, Basel 1920.
Hans Sandreuter, Deutsche Kunst und Dekoration, Heft 5, V. Jahrgang, Febr. 1902, Verlag Alex Koch, Darmstadt.
Hans Eppens, Werke öffentlicher Kunst der Jahrhundertwende in Basel, Basler Nachrichten, 15. Juli, Nr. 298 und 18. Juli, Nr. 301, 1960.
Alexander Heilmeyer, Hans Sandreuter, Die Kunst unserer Zeit, XV.3.4., Franz Hanfstaengl, München.
Hans Sandreuters schriftlicher Nachlass, Jahresbericht des Basler Kunstvereins, 1915, 1916.