Hier wohnt der Mensch 1250 Jahre Wenkenhof

Kiki Seiler-Michalitsi

Der aktuelle Anlass, 1250 Jahre Wenkenhof, hat die Alexander-Clavel-Stiftung dazu bewogen, den diesjährigen Kulturförderpreis thematisch einem visionären Schweizer zu widmen: Gilbert Clavel.

Gilbert Clavel (Basel, Kleinhüningen, 1883-1927), Sohn eines 1838 aus Lyon nach Basel übersiedelten Seidenfärbers, der wegen seines körperlichen Gebrechens sein Leben in südlichen Ländern verbrachte, hat sich mit obsessioneller Intensität und einem Hang zum Umfassenden als visionärer Gesamtkunstwerker hervorgetan. Sein schriftstellerisches Schaffen, die Revolutionierung des Theaters in Zusammenarbeit mit dem futuristischen Künstler Fortunato Depero nach dem Erlebnis der «Ballets russes» von Sergey Diaghilew in Rom, 1917, sowie der Ausbau eines alten Wachturmes gegen die Sarazenen mit der Sprengung des Felsens von St. Angelo in Positano sind Hauptaktivitäten seines von Triebbedürfnissen diktierten Einzelgängertums.

Die Vision einer universalen Memoria in seiner Novelle «Istituto per Suicidi», die Begeisterung für die Kunst seiner Zeit, das Träumen von einer magischen Erfahrung und die Zusammenarbeit mit Depero führten zur Vision einer «wünschenswerten Union der Künste», führten zum Unternehmen «Plastisches Theater» (Balli Plastici), das nach der Choreographie Clavels und der Musik unter anderen von Béla Bartók in Rom 1918 grosse Erfolge feierte. Gilbert Clavel, Schriftsteller, ägyptologe, Futurist, Choreograph, Formgestalter, Architekt in einer Person, setzte Geist und schöpferischen Willen gegen den kranken Körper, um in erbittertem Kampf gegen die Elemente aus einem unbeugsamen Naturfelsen ein ambitiöses Menschenwerk entstehen zu lassen, das zur Behausung der erträumten, vereinten Künste, zum «Felsenwahn in Positano» (Siegfried Kracauer, 1925), werden sollte.

Die Preisträger, fünf Kunstschaffende aus Tanz-Performance, Literatur, Installationskunst, Neue Medien und Musik, wurden eingeladen, sich mit Werk und Geist von Gilbert Clavel auseinander zu setzen, auf ihr eigenes Schaffen einwirken zu lassen und ihn damit gleichzeitig einer grösseren öffentlichkeit seiner Heimatstadt bekannt zu machen.

Das Projekt, dem sie den Titel «Hier wohnt der Mensch» gegeben haben, darf als Hommage an Gilbert Clavel verstanden werden. Die Tanzperformerin Silvia Buoi hat die installative Performance «Petites-maisons» choreographiert und inszeniert, inspiriert vom Gedanken der Futuristen über die Neukonstruktion des Universums und von der Revolutionierung des Theaters durch die Zusammenarbeit Clavels und Deperos einerseits, von der Vision Clavels von einer universalen Memoria, vom Mysterium des Seins und der ewigen Wiederkehr, vom unsterblichen Sein und der magischen Dingerfahrung andererseits.

Birgit Kempker (Literatur/Kunst) und Sylwia Zytynska (Neue Musik, Komposition) präsentierten das gemeinsame Projekt «Es ist Norden und Süden» nach einem Zitat von Gilbert Clavel. Sie haben die Felsenanlage und den Turm Clavels in Positano besichtigt und vor Ort eine Komposition entworfen. Durch die litaneiartige Répétition ausgewählter Textfragmente Clavels, laut ins Polnische übersetzt und repetiert, Stimmen diskutierender Einheimischer im Hintergrund, das Plätschern des Regens, das Säuseln des Windes und das Rauschen des Meeres ist Collagemusik entstanden, die zusammen mit der von Sylwia Zytynska komponierten Musik aus Sirenenlauten und Metallklängen an die Kraft- und Geräuschmusik des futuristischen Bruitismus erinnerte. In Videofilmen beziehungsweise auf Tonbändern festgehalten wurden Klang und Stimmung des Ortes akustisch und visuell in den Neuen Wenken übertragen.

Aus der Ambivalenz zwischen Geist und prunkvoller Ausstattung des Neuen Wenken und der archaischen Verbindung von Natur und Architektur des Positanos Gilbert Clavels entstand Christof Röschs Installation «ECHO».

Im barocken Garten hatte der Künstler kleine architekturale Skulpturen, abstrakte, optisch begehbare Innenräume installiert, die, obwohl auf metallenen Stielen aus dem Gartengrün hochspriessend, durch ihre Miniaturisierung, aus unmittelbarer Nähe oder durch das im Haus installierte Fernrohr betrachtet, auf Distanz blieben - eine Reaktion auf die nicht leicht erreichbare Persönlichkeit Clavels.

Die Begegnung mit der Biographie von Gilbert Clavel hat Renatus Zürcher (Neue Medien) angeregt, über Bedeutung und Einfluss des persönlichen Umfelds auf künstlerisches Schaffen nachzudenken. Daraus kristallisierte sich die Idee eines kleinen Nachtprogrammes, «quasi-mezzanotte», das im Hause, im Französischen Garten und im Englischen Park stattfand. Die dabei präsentierten Arbeiten von Künstlern und Künstlerinnen aus verschiedenen Disziplinen (Performance, Installation, Film, Video) suchten Bezüge und Verbindungen sowohl untereinander, zu Gilbert Clavel als auch zur Arbeit Renatus Zürchers. Dass der Künstler und Moderator Renatus Zürcher als «tableau vivant» sein kleines Nachtprogramm selber moderierte, war Absicht und zugleich wichtiger Teil seines Beitrages.

Auszüge aus der Rede von Michael Raith anlässlich des Festaktes «1250 Jahre Wenkenhof»

Grund unserer heutigen Feier bildet die erstmalige schriftliche Erwähnung des Wenkenhofs vor 1250 Jahren. Als ältesten Beleg nennt Staatsarchivar Rudolf Wackernagel 1881 eine Urkunde aus dem Jahr 1113. Wir kennen dieses Dokument auch deswegen, weil es den Ortsnamen Riehen zum ersten Mal nennt. Nach der 1972 vorgetragenen Meinung des Experten Albert Bruckner beruht diese relativ späte Erwähnung auf purem Zufall. Riehen hat einfach Pech gehabt, dass ältere Belege verloren gegangen sind. Vielleicht kommt doch einmal etwas bis jetzt noch nicht Bekanntes zum Vorschein, was ich erhoffe und mir wünsche. Das Fehlen älterer Quellen kann aber verschmerzt werden, weil mit dem Schriftstück von 751 der Wenken und damit ein wichtiger Teil unseres Dorfes festgehalten bleibt. Wackernagel wusste das 1881 noch nicht. Zwar erschien schon 1863 in Zürich der «Theil I» von Hermann Wartmanns «Urkundenbuch der Abtei Sanct Gallen» und in ihm unser Schriftstück, datiert «Wahinkofen, 751. September 7.», doch vermerkt der Kommentar fälschlicherweise und unter Berufung auf eine ältere unrichtige Identifizierung, dieser Ort sei ein abgegangener Weiler beim Markgräfler Dorf Haltingen. Es blieb dann auch wieder Wackernagel vorbehalten, Wahinkofen als Wenkenhof zu deuten, was 1888 geschah und zwei Jahre später Aufnahme fand im ersten Band des durch ihn mitbearbeiteten «Urkundenbuch(s) der Stadt Basel».

Das Ausstellen von Dokumenten über güterrechtliche Vorgänge entsprach zwar antikem Vorbild, trotzdem stellt der Text von 751 eine Sensation dar, ist er doch das älteste erhaltene Dokument aus dem Breisgau um Basel. Das Original existiert leider nicht mehr, aber die vorhandene Abschrift geht auch schon ins 9. Jahrhundert zurück. Lange Zeit lag diese St.-Galler Urkunde in der Staatsbibliothek Bremen, von wo sie 1948 an ihren ursprünglichen Standort in der Ostschweiz zurückkehrte. Die ursprüngliche Sprachgestalt lässt sich erschliessen, weil der Verfasser des Originals, der Presbyter oder Priester Landarius von Rötteln, in späteren Jahren noch zwei weitere und erhaltene Urkundentexte schrieb. Sie verwenden gleiche Formulierungen in spätmerowingischem Latein. Das Königshaus der Merowinger herrschte vom 4. Jahrhundert bis 751 im Frankenreich. Obwohl der Bericht von 751 bekannt war und oft behandelt wurde, fehlte bis heute eine vollständige und vor allem eine korrekte übersetzung. Professor Martin Steinmann, Extraordinarius für Historische Hilfswissenschaften an der Universität Basel, hat für uns heute in verdankenswerter Weise einen deutschen Text besorgt.

Nach der Schlacht von Cannstatt im Jahre 746 unterdrückten die Franken das Selbstständigkeitsstreben der Alemannen, diese mussten definitiv die überlegenheit ihrer Nachbarn respektieren. Mit Kirchen- und Klosterbauten betrieben die Franken nun kulturelle Missionie rang und Kolonisierung der Alemannen. Diese zogen sich in einer gegenläufigen Bewegung in ihre Réduits zurück. Ein solcher alemannischer Zufluchtsort fand sich in der 740 offiziell gegründeten und auf einen Kirchenbau von 612 zurückgehenden Benediktinerabtei St. Gallen. Alemannische Landbesitzer schenkten Ländereien, wohl aus Furcht, diese sonst an die Franken zu verlieren, ihrem Kloster beziehungsweise - personifiziert ausgedrückt dem Heiligen Gallus. Die Urkunde von 751 bezeugt eine solche Schenkung durch Ebo und dessen Frau Odalsinda; dass dies nur fünf Jahre nach der Cannstatter Niederlage der Alemannen geschieht, beruht damit sicher nicht auf Zufall. Nun handelt es sich aber nicht um definitive Vermögensübertragungen, sondern um so genannte Prekarien. Das lateinische «precarius» bedeutet etwa «auf Widerruf gewährt» und man verstand im Mittelalter darunter die Schenkung eines Grundstückes an Kirche oder Kloster, das der Schenkende als Lehen oder Leihgabe wieder zurückerhielt. Aber - wie im vorliegenden Fall - die Franken konnten es nun nicht mehr wegnehmen. Dies war der Grund zur Abfassung unserer Urkunde.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2001

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