Holzfiguren

Georges B. Ségal

 

erläutert von Dr. Georges B. Ségal

Photos: Walter Grunder

 

Stehende Maria mit Kind

Das Marienleben wird nicht in den Evangelien, sondern in der Legenda Aurea von Jacobus a Voragine geschildert. Als Mutter von Christus hat Maria zentrale Bedeutung in der kirchlichen Kunst. Sie ist die oberste Schutzpatronin unter den christlichen Heiligen überhaupt. Aus dem biblischen Geschehen gelöst, erscheint Maria mit dem Kind in zahllosen Bildwerken als Madonna schon im 2. Jahrhundert nach Christus, und dann später in der byzantinischen Kunst, welche die Haupttypen prägte: die Blacherniotissa in Orantenstellung mit zum Gebet erhobenen Armen, die Hodegetria (griech. die Wegführerin) mit dem Kind auf dem linken Arm, die Nikopoia (griech. Siegbringende), die sitzend das Kind vor sich auf dem Schoß hat, die Galaktotrophusa (griech. die Stillende), die dem Kinde die Brust reicht. Das Kind ist bis zum 13. Jahrhundert ganz bekleidet, im H.Jahrhundert halb und im 15. ganz nackt. Die Madonnen der romanischen Zeit sind starr und feierlich, werden um 1200 gelöster und menschlicher, bis im 14. und 15. Jahrhundert die Mutter mit dem Kinde spielt, wie in den böhmisch-schlesischen «Schönen Madonnen» und oft in den «Madonnen im Rosenhag».

Die zierlich aufgebaute Figur Mariens trägt über der ausgebogenen Hüfte das nackte Kind. Dieses sieht breit lächelnd den Betrachter an, den Apfel in der rechten Hand. Die Mutter neigt ganz leicht das mit der Krone bekränzte Haupt höfisch verhalten dem Kinde zu, von Spiel ist noch nicht die Rede. Der organische Aufbau der Figur ordnet sich ganz dem Konstruktionselement der spätgotischen S-Form unter, die von keiner Bewegung unterbrochen wird. Neben dem Gesicht und den feinen Händen galt das Interesse des Künstlers vorwiegend dem kunstvollen Faltenspiel des Mantels. Vom Kopf her, unter der Krone ansetzend, Gesicht und Hals rahmend, fällt oder rieselt der Schleier beinahe über die Schultern. In gleich anmutiger Weise übernimmt der Mantel diesen Rhythmus und umschließt den zierlichen Körper. Unterhalb der Hüfte legt sich ein Teil des Gewandes in sogenannte Schlüsselfalten, die, dem Gewicht des Stoffes folgend, sich nach unten hin in Spitzform legen. Danach fallen Mantel und darunterliegender Rock glatt bis zu den Füßen, die vom Rock in schweren Falten verdeckt werden.

Provenienz: Köln, 1. Viertel 15. Jahrhundert, zum Typus der «Schönen Madonnen» gehörend. Lindenholz, polychrome Fassung in prachtvoller Erhaltung, Höhe mit Sockel 78 cm.

Stehende Barbara mit Kelch

Nach einer Legende aus dem 10. Jahrhundert war Barbara die Tochter des kleinasiatischen Satrapen Dioscuros in Nikodemien, der im S.Jahrhundert nach Christus lebte. Um seine Tochter nicht mit dem sich ausbreitenden Christentum in Berührung zu bringen, sperrte er sie kurzerhand in einen Turm ein. Sie wurde aber dennoch bekehrt, und als Zeichen dessen erhielt der Turm ein drittes Fenster zu Ehren der Dreifaltigkeit. Da sie nicht von ihrem neuen Glauben abschwören wollte, übergab ihr Vater sie dem Scharfrichter, durch den sie nach vielen Torturen das Martyrium erlitt. Barbara wird meistens mit dem Turm dargestellt, neben dem sie steht oder den sie in der Hand hält. Sie ist die Schutzpatronin der Artilleristen, da die mittelalterlichen Künstler den Turm mit dem städtischen Pulverturm in Verbindung brachten. Barbara ist somit auch die Schutzheilige für alle diejenigen, die mit Pulver und Feuer arbeiten.

Im 15. Jahrhundert nimmt der Turm oft die Form jener Gefäße an, in welchen man für die Sterbenden das Sakrament aufbewahrte. Deshalb können auch an die Stelle des Turms Kelch und Hostie treten. Barbara wurde somit auch Patronin für die Sterbenden.

Das höfische Prachtskleid, das die Figur umhüllt, erregt zuerst die Aufmerksamkeit des Beobachters. Der sehr feingliedrige Körper wird von einem eng anliegenden Rock umfaßt, dessen Taille beinahe bis unter die Brust hochgegürtet ist. Von da an schmiegt sich der Rock in leichten parallelen Falten dem Körper an. über das Kleid, durch zwei ösen am Mieder festgehalten, legt sich die dicke Fülle des Mantels, der in reichen Quer-, Längs- und Schrägfalten den Körper umhüllt und kaum Bewegungen der Glieder erahnen läßt. Diese treten nur außerhalb des Gewandes zutage. Die Statue hält mit beiden Händen den Kelch und neigt den Kopf leicht in dessen Richtung.

Provenienz: Burgund, Mitte 15. Jahrhundert. Lindenholz, Reste polychromer Fassung, Höhe mit Sockel 80 cm.

Agnes mit dem Lamm

Agnes war eine römische Heilige, die bei einer großen Christenverfolgung im 2. Jahrhundert nach Christus als 13jähriges Mädchen den Märtyrertod erlitt. Ihr gewöhnliches Attribut ist das weiße Lamm, welches auf die Legende hinweist, daß die Heilige acht Tage nach ihrem Tod den Eltern, die ihr Grab besuchten, erschienen ist. Dabei war sie von einer Schar Jungfrauen umgeben und von einem weißen Lamm, dem Lamm Gottes, begleitet. In der mittelalterlichen Kunst trägt sie das Lamm meistens.

Die Figur steht etwas breitbeinig und von einem mächtigen Mantel umhüllt da. Sie hält in der Linken das Lämmchen, auf welches sie mit zwei Fingern der Rechten zeigt. Das Haupt, besetzt mit der großen Blattkrone, neigt sie nach rechts, blickt jedoch nicht das Lämmchen an. Das Gesicht ist jugendlich voll und glatt und bildet so einen gewissen Kontrast zu den überreichen Falten des Mantels. Dieser, am Halse der Statue beginnend, fällt in immer schwerern Würfen dem Körper entlang und verdeckt seine Bewegungen. In der Mittelpartie der Figur wirken die breiten Schlüsselfalten wie öffnungen im Mantel, während zu beiden Seiten die Gewandfalten parallel dem Körper herunterfallen. Auch hier bleibt das Konstruktionselement noch die spätgotische S-Kurve.

Provenienz: Niederrhein, Mitte 15. Jahrhundert. Lindenholz, polychrome Fassung, Höhe mit Sockel 67 cm.

Stehender Johannes als Evangelist

Johannes der Evangelist ist der jüngere Bruder des Apostels Jakob des älteren. Zusammen mit Petrus und Jacobus war er Zeuge der Verklärung Christi am ölberg. Später wirkte Johannes in Kleinasien, vor allem in Ephesus, einem bedeutenden geistigen Zentrum. Unter Kaiser Domitian wurde er auf die Insel Patmos, wo er die Apokalypse schrieb, verbannt. Unter Kaiser Nerva ging er nach Ephesus zurück: dort schrieb er das vierte Evangelium und die Briefe. Als Evangelist wird Johannes mit dem Adler dargestellt, als Apostel und als Prophet mit Kelch und Schlange, was mit seinem Aufenthalt in Patmos zusammenhängt.

Die breit aufgebaute Figur wird im wesentlichen durch das Gewand geprägt. Dieses beginnt großflächig über der rechten Schulter, setzt sich in kleinteiligen Fältchen über den rechten Arm fort und schwingt sich in einer großen Biegung faltend auf den linken Arm hinüber. Von dort begrenzt der Mantel glatt herunterfallend die Figur, einen weiten Halbkreis bildend, während in der Mitte der Statue der Mantel sich mehrmals faltend keilförmig nach unten bewegt. Der Gegensatz von großflächigen Gewandteilen zu faltig kleinteiligen gibt der Figur Spannung und Monumentalität zugleich. Dieser Kontrast wiederholt sich in gemildertem Maße beim Kopf, wo die glatten Stellen des Gesichtes in einem lebendigen Gegensatz zum stark gelockten und wilden Haar stehen.

Provenienz: Burgund, Mitte 15. Jahrhundert. Lindenholz, Reste polychromer Fassung, Höhe mit Sockel 85 cm.

Gott Vater

Die ersten drei Jahrhunderte befolgten das Verbot des Alten Testamentes, sich von Gott kein Bild zu machen. Nach dem 6. Jahrhundert wird er durch eine aus den Wolken gestreckte Hand angedeutet, seit dem 13. Jahrhundert erscheint er als bärtiger Greis. In der Darstellung der Dreifaltigkeit wird Gott meist als bärtiger Mann mit Krone und Weltkugel dargestellt.

Die Figur, die sicher aus einer Dreifaltigkeitsdarstellung stammt, zeigt Gott als bärtigen Mann. Er hält seine Linke schützend auf die Erdkugel. Der Mantel überdeckt den Oberkörper und wird unterhalb des Bartes durch eine Prunkschnalle zusammengehalten. Die Gewandfaltung ist ruhig und tritt zu Gunsten der sehr expressiven Gesichtszüge und des wallenden Bartes zurück. Vom Haupt geht die ganze Intensität aus, die Augen liegen unter starken Brauen, die Nase ist akzentuiert, und der halbgeöffnete Mund verrät die innere Bewegung dieser barocken Figur.

Provenienz: Süddeutschland (München), Ende 17. Jahrhundert. Lindenholz, polychrome Fassung, Corpus rückseitig ausgehöhlt, Höhe 58 cm. Breite 50 cm.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1969

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