Ich schaff z'Rieche

Michael Raith

Wenn das jemand sagt, so fällt er auf. In Riehen wohnen - ja, aber in Riehen arbeiten? Warum und wie haben sich Wohnen und Arbeiten in Riehen auseinanderentwickelt und welche Möglichkeiten gibt es, mehr Arbeitsplätze zu schaffen?

Was ist Arbeit?

Die Definition der selbstverständlichen Dinge ist oft besonders schwer. Die Dimensionen des Arbeitens berühren unterschiedlichste Facetten menschlicher Tätigkeiten. Dieses Tun kann geistige und körperliche Kräfte binden. Arbeiten geschieht auf ein Ziel hin, will Bedürfnisse befriedigen und erfolgt in der Regel nach einem bestimmten Plan. Selbstständige Arbeit unterscheidet sich von unselbstständiger. Oder man kann Arbeit neben Kapital und Boden als Produktionsfaktor sehen. Oft erscheint Arbeit aber auch negativ besetzt im Sinn von Leid oder mühevollem Dienst. Eine Brücke führt von der Arbeit zum Beruf und zur Erwerbstätigkeit. Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten wirken zusammen und gliedern den Menschen in die Volkswirtschaft ein. Aber nicht nur das: Von der Arbeitsmedizin bis zur Sozialethik beschäftigen sich ungezählte Disziplinen mit dem Thema. Sie sollen hier nicht weiterverfolgt werden. Bis auf die eine: Arbeit in Riehen.

Heute gerät die Lebendigkeit in Riehen oft in Konflikt mit der Ruhe. Viele wollen hier so ungestört wie möglich wohnen. Wohnen steht im Gegensatz zum Arbeiten - was nicht zwingend sein müsste. Waren früher Arbeitsort und Wohnort meist identisch und sogar im selben Haus angesiedelt, so fallen sie jetzt als Ergebnis einer relativ jungen Entwicklung in der Regel weit auseinander. Dass es Leute geben könnte, die in Riehen zwar wohnen, aber woanders arbeiten, und - umgekehrt - solche, die auswärts zu Hause sind, hier aber ihr Brot verdienen, wäre noch den Urgrosseltern sonderbar vorgekommen. Und in der Tat: Riehen bot während der ersten rund anderthalb Jahrtausende der Ortsgeschichte seiner Bevölkerung neben Obdach auch Brot.

Vom Selbstversorger...

Die ersten «Arbeiter» auf dem Gemeindegebiet waren nomadisierende Jäger und Sammler. Die sesshaften Römer betrieben wohl Landwirtschaft, bildeten aber vermutlich noch kein Dorf. Auch die alemannischen Siedlungsgründer der Völkerwanderungszeit zählten zum Stand der Bauern. Ihre Berufstätigkeit umfasste praktisch alle existenznotwendigen Gebiete: Viehzucht, Ackerbau, Rodung, Handwerk vom Brotbacken bis zum ölpressen und vom Hausbau bis zur Werkzeugherstellung, selbstverständlich auch Jagd und Fischfang, wobei es Arbeitsteilungen zwischen Jung und Alt sowie Mann und Frau gab. Seit dem Mittelalter entwickelten sich ursprünglich bäuerliche Tätigkeiten zu selbstständigen handwerklichen Berufen. Aber noch lange arbeitete der Schuhmacher und der Metzger - ja sogar der Lehrer und der Pfarrer - in erster Linie als Landwirt. Doch die Diversifikation war nicht aufzuhalten. Man kann in Riehen wie anderswo etwa seit dem Beginn der Neuzeit zwischen sich ausschliesslich dem Bauernberuf Widmenden und Handwerker-Bauern unterscheiden, wobei die Letzteren schon damals die Mehrheit gebildet haben dürften. Selbstversorger blieben sie aber noch lange. Eine Bevölkerungsuntersuchung von 1796 hielt dann auch ausdrücklich fest, wer sein Brot nicht selbst buk, sondern es kaufen musste: es waren wenige. Menschen definieren sich häufig durch ihren Beruf. In den alten Riehener Personenverzeichnissen des 15. bis 18. Jahrhunderts kommt die Bezeichnung «Bauer» allerdings selten vor, denn das verstand sich von selbst und musste nicht eigens gesagt werden. Allenfalls drückte man Arbeitsverhältnisse aus: Ein «Landmann» konnte ein Landwirt sein, sogar untertreibende Grossbauern verwendeten diesen Ausdruck für sich, oft aber meinte er in euphemistischem Gebrauch den abhängigen Kleinbauern, Knecht, Landarbeiter, Taglöhner oder «Tauner». Neben dem selbstständigen Bauern erschien der Pächter als Lehenmann oder Beständen Zu ihnen gesellte sich im 19. Jahrhundert der Herrschafts- und Anstaltsgärtner.

Auf Schwerpunktbildungen innerhalb der Landwirtschaft weisen Angaben wie «Ackermeister» oder «Rebmann» hin. Für Lohn arbeiteten Schäfer, Kuh- und Schweinehirten. Im Dienst der Gemeinde standen Bannwarte. Um Ernährung und Versorgung kümmerten sich aus dem Bauerntum hervorgegangene Berufe wie Müller, «Becken», Wirte oder «Keller», öler, Fischer und Metzger. Im waldreichen Riehen konnten die holzverarbeitenden Berufe wie Schreiner oder Drechsler und - etwas weiter gefasst - Zimmermann nicht fehlen. Den Wagner nannte man «Krummholz» oder «Felgenhauer» und den im Winzerdorf wichtigen «Kiefer» «Kübler» oder «Wannenmacher». Mit Leder befasste sich der Schuhmacher oder Schuster sowie der Sattler, mit Textilien der Leinen-, Zeug- oder Wollweber, der Schneider, der Hosen-«Lismer» und der Hutmacher. Ausschliesslich weiblich blieben Näherinnen und Spinnerinnen. Im Gegensatz zu anderen Baselbieter Dörfern vermochte sich aber das Posamenten in Riehen keine bleibende Bedeutung zu schaffen. Metall bearbeiteten Huf- und Nagelschmiede, Spengler, Schlosser, Kessler und - selten einmal - ein Uhrmacher. Mit Bau und Erde befassten sich Maurer, Steinmetz, Glaser, Flachmaler, Hafengiesser oder Hafner, Strohdachschneider und Ziegler. Dem Handel widmeten sich Krämer, später auch hausierende Juden. Mediziner kamen höchstens ausnahmsweise ins Dorf, für die Gesundheit sorgten Bader, Balbierer oder Barbierer, «Schärer», Steinoder Bruchschneider, unstudierte Chirurgen, Wund- und Hebärzte sowie natürlich Hebammen. Auch die Unterhaltung kam nicht zu kurz: Durchs Dorf zogen Geiger, Pfeifer, Spielleute und Kartenmacher, ortsansässig blieb der Organist. Dem Unterricht und der Seelsorge dienten der Schulmeister und der Pfarrer.

Damit sind wir bei den stadtbaslerischen und kommunalen ämtern von der Verwaltung und Regierung bis zu Polizei und Militär angelangt, was zwar auch mit Arbeit zu tun hat, trotzdem aber sinnvollerweise nicht hier abgehandelt wird.

Oft vererbten sich die Berufe während Generationen; sie gaben Familien und Strassen ihren Namen und Wappen ihre Zeichen. Viele sind verschwunden, einige erhalten geblieben und manche in veränderte Tätigkeitsgebiete aufgegangen. Manches gehörte typisch ins Dorf und unterschied sich vom in der Stadt üblichen. Allerdings trieben auch in Riehen Zünfte ihr Wesen, belegt sind (allerdings erst im 18. Jahrhundert) eine Küfer-, eine Schuhmacher- und eine Metzgerzunft: Sie standen mit Zünften in der Stadt in Verbindung, bemühten sich mit diesen um die Berufsbildung und stellten die ersten gewerblichen Organisationen des Dorfes dar. Bestimmte Riehener Gegebenheiten sind erhalten geblieben: Die verkehrsgünstige Lage an der Grenze liess zu Zeiten, als Pferde die wichtigsten Transportmittel waren, Hufschmiede reich und politisch bedeutend werden, man denke etwa an die 1608 eingebürgerte und dieses Handwerk über Jahrhunderte hinweg ausübende Sippe Wenk. Den Hufschmieden sind die vermutlich mehr vom grenzüberschreitenden als vom örtlichen Verkehr profitierenden Tankstellenbetreiber gefolgt.

...bis zum Dienstleistungserbringer

Die Bevölkerung Riehens blieb von rund 1730 bis 1830 konstant und zählte durchschnittlich etwa 1100 Köpfe. Von 1774 erfassten 216 erwachsenen Männern waren 16,7 Prozent Bauern, 50,5 Taglöhner, 28,2 Handwerker und 4,6 Fabrikarbeiter. Später wuchs die Einwohnerschaft langsam, aber stetig. Gründe für dieses Wachstum liegen auch in den veränderten Bedingungen der Arbeitswelt. In dieser ereignete sich die im 18. Jahrhundert einsetzende industrielle Wende. Zwar wurden in Riehen selbst kaum Fabriken gebaut, es entstanden aber solche in Basel und Lörrach. Sie beschäftigten neben anderen Kräfte aus Riehen.

Mit dem «Indiennedrucker»- Indienne ist ein Baumwollstoff - begegnet uns der erste Industriearbeiter aus dem Dorf. Auch er ging letztlich aus dem Bauernstand hervor. Doch reduzierten Realerbteilungen bei hoher Kinderzahl und durch wirtschaftliche Not erzwungene Landverkäufe in vielen Fällen die einer Familie zur Verfügung stehende Nutzfläche derart, dass man davon allein nicht leben konnte. Doch hielt sich der Arbeiter noch lang Gartenland und Kleinvieh. Die in Riehen in den 1920er-Jahren realisierte Gartenstadtidee entsprach noch diesem Denken. Der völlige Verzicht auf Gemüsebeet und Kaninchenstall setzte erst Mitte des 20. Jahrhunderts ein.

Aus der Textil- ging in Basel bekanntlich die chemische Industrie hervor und wurde zu einer der auch für Riehen wichtigsten Arbeitgeberinnen. Eine Erhebung aus dem Jahr 1970 ergab, dass ein Fünftel aller Berufstätigen der Gemeinde in der «Chemie» beschäftigt war. Doch arbeiteten nur gerade 1860 am meisten Menschen in der Industrie. Bis zum Ersten Weltkrieg blieb die Landwirtschaft häufigster Riehener Brotkorb. Ihr folgte der Bereich Handel, Verkehr und Dienstleistungen. Der Ausbau der «öffentlichen Hände» Bund (Schweizerische Eidgenossenschaft) und Staat (Kanton Basel-Stadt) zu modernen Staatswesen vor allem im 19. Jahrhundert schuf viele neue Arbeitsplätze etwa bei Post, Bahn und Zoll oder bei Polizei, Tram und Erziehungswesen. Für solche Stellen empfahlen sich die Leute aus dem Dorf, «galt» doch nach der Dorfgeschichte von 1923 «der Riehener Angestellte als zuverlässig, aufrichtig und ehrlich».

Als Folge dieser Entwicklung fielen nun Wohn- und Arbeitsort auseinander. Den manchmal stundenlangen Arbeitsweg legte man zu Fuss zurück, und das sogar noch nach der Einführung öffentlicher Verkehrsmittel, da diese anfänglich relativ teuer waren. Um die Distanzen abzukürzen, zogen aber viele Riehener auch in die Stadt. Die Eröffnung der Wiesentalbahn 1862 bremste diesen Trend nur geringfügig, vielleicht weil sie für Arbeitsplätze im Grossbasel oder Richtung Kleinhüningen zu unattraktiv lag. Erst der Bau des Trams 1908 sorgte für einen Trendwechsel: Die Riehener Arbeitskräfte wechselten nun nicht mehr nach Basel, sondern städtische nach Riehen. Und in die Stadt Gezogene kehrten in ihre ursprüngliche Heimat zurück. Ein enormes - durch den Zweiten Weltkrieg nur kurz unterbrochenes - Bevölkerungswachstum begann und dauerte bis Mitte der 1960er-Jahre. Da die Zahl der Einwohner stark wuchs, diejenige der Arbeitsplätze aber bestenfalls konstant blieb, sank letztere in relativen Zahlen bis etwa auf 17,6 Prozent Anno 1985 und rutschte damit weit unter den Landesdurchschnitt von damals 45,6 Prozent Arbeitsplätzen auf hundert Einwohner: Die Trennung von Arbeiten und Wohnen war weitgehend vollzogen, was der zunächst per Velo und nach 1950 je länger, desto mehr motorisiert abgewickelte Individualverkehr noch begünstigte.

Riehener Eigenheiten

Einerseits unterscheidet sich die Entwicklung Riehens vom Bauerndorf zum Wohnvorort kaum von derjenigen ande rer Agglomerationsgemeinden der Schweiz. Andererseits bestehen Individualitäten und Spezialitäten. Unter den Ersteren sind Personen, Firmen und Vereine zu verstehen, die Riehener Wirtschaftsgeschichte geschrieben haben. Das soll ein anderes Mal abgehandelt werden. Spezialitäten stellen etwa Bodenqualität und Grenznähe dar. Landwirtschaftsprodukte von überdurchschnittlicher Qualität wie Kirschen und Reben bildeten mit einen Grund für Niederlassung, Villenbau und Parkanlegung reicher Basler Herren in der Gemeinde. Landsitze und Herrschaftsgärten boten später den sozial-karitativen Gründungen der Erweckungsbewegung und den staatlichen Schulheimen Raum. Das jüngste Glied in dieser Traditionskette stellt die Fondation Beyeler dar.

Ebenfalls dank günstigen geologischen Voraussetzungen liess sich ein geothermisch beheizter Wärmeverbund realisieren. Als eine Folge davon erhielt die Gemeinde Riehen 1998 das schweizerische Energielabel: So ist auch in den letzten zehn Jahren, auf alten Voraussetzungen gründend, Neues entstanden. All das weist manche Beziehungen zum Thema Arbeit auf. Museen, Schulen, Spitäler und Heime beschäftigen die Mehrheit der in Riehen Arbeitenden.

Von den knapp 9000 Riehener Erwerbstätigen pendeln gegen zwei Drittel aus, die meisten - um 85 Prozent nach Basel. Die verbleibenden 15 Prozent machen aber nur rund einen Viertel der gegen 4200 in Riehen Beschäftigten aus. Woher kommen die andern? Etwas über tausend pendeln von anderen Vororten und Basel ein. Daraus folgt, dass rund die Hälfte der heute bei uns Arbeitenden - vor allem das Verkaufspersonal der Grossverteiler - Grenzgänger sind. Die stellt aber keine zwingende und natürliche Folge der Grenznähe dar, gehen doch heute - im Gegensatz zur Zeit vor hundert und mehr Jahren - nur wenige Erwerbstätige aus Riehen im Ausland arbeiten.

Dass Lohn- und Preisdifferenzen zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz breite Konsumenten- und Berufspendlerströme lenken, weiss man auf der Jurasüdseite oft nicht. Sie bewirken ein hohes Individualverkehrsaufkommen, teilweise verursacht durch ungenügende Busund Bahnangebote im benachbarten Ausland. Prognosen, wie lange dieser Zustand noch anhalten wird, gehen auseinander. Aber auch wenn es scheint, dass die Differenzen eher ihrer Nivellierung entgegenstreben, so dürften sie uns noch lange Zeit beschäftigen.

Speziell für Riehen ist auch der hohe Altersdurchschnitt und damit Rentneranteil seiner Bevölkerung, was zu einer Mehrheit von 53,9 Prozent der Nichterwerbspersonen führt (1990). Frauen- und Teilzeitbeschäftigungen nehmen zu. Und es gibt - wenn auch auf niederem Niveau - eine durchaus ernst zu nehmende Arbeitslosigkeit.

Heute und morgen

Arbeit wird mit Beruf und dieser mit Gelderwerb in Zusammenhang gebracht. Die Einseitigkeit dieser Sicht zeigte 2001 das «Jahr der Freiwilligen» auf. Vermutlich umfasst das in Haushalten, Familien, Vereinen, Sozialbereichen, Jugendorganisationen, Parteien, Kirchgemeinden und verwandten Bereichen erbrachte ehrenamtliche Engagement das Gros der in Riehen geleisteten Arbeit und die Gemeinde kann dafür schlicht nur dankbar sein.

Dass Kultur-, Gesundheits- und Erziehungseinrichtungen die meisten Arbeitnehmenden in Riehen beschäftigen, wurde bereits dargelegt. Aber man darf auch qualifizieren: Die Hälfte der in der Gemeinde arbeitenden Erwerbstätigen tun dies in Mittel- und Kleinbetrieben von einem bis fünfzig Beschäftigten. In diesem Bereich finden sich vor allem gewerbliche Unternehmungen. Ihre mannigfachen Verflechtungen mit dem sozialen Leben der Gemeinde und vor allem ihre Versorgungsdienstleistungen für die Bevölkerung machen sie unverzichtbar. Im kleinen Markt der Landgemeinden und ohne Hinterland - von diesem trennen es die Landesgrenzen - gilt es, zu ihnen besondere Sorge zu tragen. Darum soll die Entwicklung von Gewerbeflächen «Auf dem Rüchlig» und im Stettenfeld vorangetrieben werden. Es liegt - auch aus ökologischen Gründen - im Gemeindeinteresse, wenn Arbeitsplätze in Riehen erhalten werden, ihre Zahl zu- und die der Pendelnden eher etwas abnimmt. Ein Riehen, in dem man nur wohnen und nicht mehr arbeiten würde, müsste an seinem Wohnwert Schaden erleiden.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2002

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