Im Dienst der Gesundheit

Dominik Heitz

Als erste Frau und erste Katholikin zog Madeleine von Wolff 1982 in den Gemeinderat ein. Als Kinderärztin behandelte sie während mehr als vierzig Jahren Hunderte von Riehener Mädchen und Buben. Dieses Jahr feierte sie ihren 90. Geburtstag.

Es hing eigentlich alles von einer Namensvetterin ab. Madeleine von Wolff wollte sich 1960 – damals 32 Jahre alt – als Kinderärztin in Riehen niederlassen. Doch da war ein Problem: Es gab in Riehen bereits eine Kinderärztin, die fast den gleichen Namen trug: Leni Wolff. Sie hatte ihre Praxis an der Kornfeldstrasse. Man kann aus so einer Namensähnlichkeit natürlich Nutzen ziehen, aber damit auch unnötig Verwirrung stiften. Für Madeleine von Wolff wäre das keine gute Ausgangslage gewesen. Also fragte sie ihre Berufskollegin Leni Wolff- Wiesinger, ob sie sich vorstellen könne, dass sie, Madeleine von Wolff, trotz ihres Namens in Riehen eine Praxis eröffne. Sollte sie nicht einverstanden sein, würde sie anderswo ihre Kinderarzttätigkeit fortsetzen. Leni Wolff war zum Glück einverstanden, und so eröffnete Madeleine von Wolff in Riehen ihre Praxis.

BEHANDELN
Madeleine von Wolff, die am 28. März dieses Jahres ihren 90. Geburtstag feiern konnte, ist als gebürtige Walliserin in der Stadt Luzern aufgewachsen. Nach der Matura begann sie in Fribourg Medizin zu studieren, erweiterte ihren fachlichen Horizont für ein Semester in Paris und zog für die Fortsetzung ihres Studiums Basel der Stadt Zürich vor. «Zürich war mir nicht so sympatisch; Basel ist offener», sagt sie. «Hier ist man schnell in Deutschland und Frankreich.» 1956 promovierte Madeleine von Wolff, trat ihre erste Assistenzstelle auf der chirurgischen Abteilung des Kantonsspitals Luzern an und schloss am Basler Universitätskinderspital ihre Fachausbildung als Kinderärztin ab. Zusätzlich bildete sie sich im Fach Kinderdiabetologie aus, was sie dazu befähigte, die Poliklinik für zuckerkranke Kinder am Kinderspital Basel zu führen, bevor sie sich zur Praxiseröffnung in Riehen entschloss. Damals kam in der Schweiz auf 10 000 Kinder ein Kinderarzt; auch in Riehen gab es Bedarf für eine zweite Praxis. 43 Jahre lang, weit über das ordentliche Pensionsalter hinaus, führte Madeleine von Wolff ihre Praxis, anfänglich an der Äusseren Baselstrasse, später an der Störklingasse 60, wo sie heute noch wohnt. Ihre Patientinnen und Patienten waren nicht nur Kinder aus Riehen, sondern – wenn es um Diabetes ging – aus dem ganzen Kanton Basel-Stadt.

POLITISIEREN
Öffentlich bekannt wurde Madeleine von Wolff in Riehen als Politikerin. «Politik hat mich immer interessiert», sagt sie. In der Familie sei über politische Themen diskutiert worden und ihr Vater habe in der katholischen Luzerner Tageszeitung ‹Vaterland› gelegentlich Leitartikel geschrieben. Als Parteilose liess sich Madeleine von Wolff zunächst auf die FDP-Liste setzen und wurde erste Nachrückende. Dann trat sie mit der CVP in Kontakt und wurde 1971 als Parteilose in den Einwohnerrat gewählt. Als es elf Jahre später darum ging, für den abtretenden CVP-Gemeinderat Rolf Soiron einen Nachfolger zu finden, trat von Wolff der CVP bei. «Die CVP war auf mich zugekommen», sagt Madeleine von Wolff. «Denn die Partei war auf mich angewiesen, nicht ich auf sie.» 1982 kandidierte von Wolff für das Exekutivamt – und wurde gewählt: als erste Frau und erste Katholikin, die im Riehener Gemeinderat Einsitz hatte. Zwölf Jahre bekleidete sie dieses Amt. Sinnvollerweise wurde die Kinderärztin mit dem Ressort ‹Gesundheit und Soziales› betraut. Über die Zusammenarbeit mit den anderen Gemeinderäten kann sie heute nur sagen: «Es ging sehr gut. – Gut, ich habe auch nie etwas ‹hintenrum› gemacht.» Der damalige Gemeindepräsident Gerhard Kaufmann erinnert sich: «Man empfand es eigentlich als überfällig, dass nun endlich eine Frau in der Exekutive war. Denn wir hatten ja damals bereits eine Einwohnerratspräsidentin.» Gleichzeitig sei es natürlich auch neu gewesen, eine Frau im Gemeinderat zu haben, gerade für die Verwaltung, die zu jener Zeit nur mit Männern besetzt war. «Der Umgang mit Madeleine von Wolff war sehr angenehm. Ich erinnere mich, dass sie ein Rauchverbot in den Gemeinderatssitzungen durchsetzte. Bis dahin zirkulierte oft eine Zigarrenschachtel.» Fragt man Madeleine von Wolff nach politischen Ereignissen aus jener Zeit, die ihr noch gut in Erinnerung geblieben sind, kommt ihr eine Gemeinderatssitzung in den Sinn, in der es um den Kunsthändler Ernst Beyeler ging, der mit seiner Sammlung nach Riehen kommen wollte. «Ich hielt damals ein flammendes Plädoyer für Beyeler – die Kollegen waren erstaunt, denn sie hatten wenig Ahnung.» Sie aber schon. Madeleine von Wolff ist kunstinteressiert und ging häufig an die Bäumleingasse, um die Ausstellungen in der Galerie Beyeler zu besuchen. Gut erinnert sie sich auch daran, wie sie als Gemeinderätin eine Partnerschaft zwischen Riehen und der rumänischen Stadt Miercurea Ciuc initiierte, die auf ungarisch Csíkszereda und auf deutsch Szeklerburg heisst. Grund für die Partnerschaft war der Umstand, dass der damalige rumänische Diktator Nicolae Ceaus¸escu einen Teil der alten Dörfer des Landes zerstören und die Bevölkerung umsiedeln wollte. Zur Rettung der vom Untergang bedrohten Dörfer wurden in vielen Ländern Patenschaften errichtet. Auch Riehen bemühte sich um eine solche und erhielt durch die Vermittlung des Rates der Gemeinden Europas in Brüssel eine Liste mit verschiedenen rumänischen Gemeinden. Riehen entschied sich für Miercurea Ciuc. Mehr als einmal reiste Madeleine von Wolff dorthin: «Und jedes Mal, wenn ich von dort zurückkam, fühlte ich mich in der Schweiz wie im Paradies.» Blass und mager hätten die Leute ausgesehen. «Sie haben damals nur leise gesprochen – aus Angst, von Spitzeln abgehört zu werden.» Die Infrastruktur sei sehr mangelhaft gewesen. «Im Spital gab es nur eine Stunde täglich warmes Wasser. Es fehlte an allem: keine Spritzen, keine Nadeln, wenig Verbandsmaterial, keine Medikamente. Heute ist vieles besser.»

REISEN
Die Zeit als Gemeinderätin hatte Madeleine von Wolff Spass gemacht. «Doch zwölf Jahre waren genug», sagt sie. Auch ihr Privatleben hatte sich in dieser Zeit verändert. Zwar hatte sie schon als sehr junge Frau beschlossen, nie zu heiraten. Zu stark war ihr Wunsch gewesen, als Ärztin zu arbeiten. Und zu deutlich zeigte ihr der genaue Blick auf das Leben der verheirateten Frauen in ihrem Umfeld, dass dies nicht ihr Weg sein würde. Da sie trotzdem gerne Kinder um sich hatte, lag es nahe, die Kinder von anderen als Ärztin zu begleiten. Doch eine Begegnung mit René Buri, ihrem ehemaligen Schulkollegen am Gymnasium in Luzern, veränderte alles. Er war ebenfalls beruflich nach Basel gekommen und wandte sich an seine Kollegin aus Jugendzeiten, als er nach einer Operation zweimal pro Woche eine Spritze brauchte. Dabei wuchs die gegenseitige Zuneigung. 1996 heirateten die beiden. Während ihrer Berufstätigkeit konnte Madeleine von Wolff keine längeren Reisen unternehmen, war aber glückliche Mitbesitzerin eines Hauses auf Elba, wo sie während dreissig Jahren regelmässig Zeit verbrachte. Nach der Pensionierung gab sie die Beteiligung an diesem Haus auf und unternahm gemeinsam mit ihrem Mann mehrere Reisen innerhalb von Europa und über den Atlantik. Sein Tod vor einem Jahr bedeutete für sie einen schmerzlichen Einschnitt. Trost findet sie unter anderem in den vielen Begegnungen beim Einkaufen im Dorf. Oft sprechen sie Leute an, die vor dreissig oder vierzig Jahren bei ihr in der Praxis waren. Auch das Lesen von Biografien, Romanen oder Kunstkatalogen nimmt seit dem Abschluss ihrer Berufstätigkeit wieder mehr Raum ein und bereitet ihr Freude. Zurzeit liest sie gerade ein Buch über den Basler Kunsthistoriker Jacob Burckhardt, dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum 200. Mal jährt.

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2018

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