Im Dienste der UNO

Victor Umbricht

Dr. Victor Umbricht wurde 1915 in Endingen, Kanton Aargau, geboren. Nach dem Studium der Jurisprudenz an den Universitäten von Bern, Paris und Lausanne und einer kurzen Tätigkeit als Gerichtsschreiber in Baden wirkte er ab 1941 im diplomatischen Dienst der Schweiz in Ankara, London und Washington. Seiner Tätigkeit bei der Weltbank in Washington von 1953 bis 1957 folgte die Rückkehr in die Schweiz, wo er drei Jahre lang als Direktor der Eidg. Finanzverwaltung wirkte. Im Jahre 1962 trat Dr. Umbricht in die CIBA AG ein, wo er seit 1964 als Delegierter des Verwaltungsrates der CIBA AG, bzw. Mitglied des Verwaltungsrates der CIBA-GEIGY AG tätig ist. Diese Tätigkeit führte ihn nicht nur nach Basel, sondern auch nach Riehen; seit zehn Jahren wohnt er mit seiner Familie in der historischen Landvogtei an der Kirchstrasse.

In den vergangenen 22 Jahren hat Dr. Victor Umbricht die verschiedensten Missionen für die UNO und die ihr angeschlossenen Organisationen übernommen, welche ihn in alle Welt führten. Im Jahre 1966 verlieh ihm die Universität Basel die Würde eines Ehrendoktors für die Erfüllung dieser hohen humanitären Aufgaben. Aus der Fülle seiner Erfahrungen vermittelt er unsern Lesern einige Eindrücke und Erlebnisse, die in keiner Weise eine Mini-Biographie darstellen wollen, die aber einen faszinierenden Einblick in die ungewöhnliche Tätigkeit dieses Riehener Weltbürgers geben.

Vor 22 Jahren Es fing im Winter 1952/53 an, als ich mit UNO-Organisationen erstmals in ein persönliches Verhältnis trat, — mit der Weltbank in Washington, welche nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen der UNO als «Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung» gegründet wurde. In diesem Winter 1952/53 tagte in Washington der internationale Weizenrat, um ein Abkommen zwischen den grossen Weizenländern und den Konsumentenstaaten auszuhandeln. Ich war dazumal an der schweizerischen Botschaft in London als Botschaftsrat tätig und wurde als schweizerischer Vertreter an diese Verhandlungen über Weizenlieferungen und -preise entsandt. Es war meine erste Reise nach Amerika. An den Verhandlungen waren rund 80 Staaten beteiligt und daneben auch Delegationen von UNO-Agenturen, darunter von der Weltbank, ausschliesslich Amerikaner. Deren Stellungnahmen im Laufe der Diskussionen haben mich dann allerdings sehr beschäftigt, denn sie waren einerseits von profundem Wissen und nüchterner Beurteilung der wirtschaftlichen Zusammenhänge getragen, aber gleichzeitig haftete ihnen ein Hauch von Einseitigkeit an, weil die Belange der Kleinstaaten nur am Rande vertreten wurden, fast nicht bemerkbar und nur in Moll. Dies veranlasste mich zu kritischen Bemerkungen im Plenum, zu welchen mich meine Unerfahrenheit in solchen Dingen ermutigte. Gottseidank! Dann passierte aber etwas Eigenartiges. Ein oder zwei Tage nach meiner Intervention wurde ich gebeten, den damaligen Präsidenten der Weltbank in Washington, Mr. E. Black, aufzusuchen «für eine Konversation». Eine Konversation worüber? Als ich ins Büro von Mr. Black trat, fand ich einen langen, hageren Mann mit freundlichen Augen, dessen Sekretärin Connie Ladue (den Namen lernte ich später kennen) mit Bleistift und Block neben ihm sass. Nun, die Konversation war kurz und bündig.

«Sie waren mit den Erklärungen der Weltbank-Delegation beim Weizenrat nicht ganz einverstanden, Mr. Umbricht?», fragte Herr Black.

«Nein. Nicht ganz einverstanden», antwortete ich.

«Ich ebenfalls nicht!» fuhr Mr. Black fort. «Ich brauche einen Mann, der die Interessen der Kleinstaaten vertritt und auch mit den ehemaligen Feind-Ländern ohne Ressentiments verhandeln kann. Hiefür sind wir noch nicht genügend vorbereitet, denn die Zeitspanne seit dem Zweiten Weltkrieg ist noch zu kurz. Treten Sie bei der Weltbank ein!» Und so geschah es. Nachdem der Bundesrat, dessen Zustimmung ich als Bundesbeamter brauchte, mir langfristigen Urlaub gewährt hatte, wechselten meine Frau und ich den Wohnsitz nach Washington — und ein neues Leben begann.

Wellbank-Tätigkeit

Vorerst waren es die ehemaligen Feindesländer der Alliierten, mit deren Wiederaufbau und Entwicklung ich mich zu befassen hatte, und hernach als stellvertretender Leiter des Departementes mit sämtlichen Ländern von Europa, Afrika und Australasien, welchen die Weltbank Kredite für spezifische Projekte einräumte. Diese Darlehensverträge wurden vorbereitet durch Missionen ins betreffende Land, — durch technische, wirtschaftliche und finanzielle Studien an Ort, derweil die Schlussgespräche und die Unterzeichnung der Darlehensdokumente stets am Hauptsitz in Washington erfolgten. Von diesen Verhandlungen sind mir verschiedene in besonderer Erinnerung geblieben. So beispielsweise die ersten Gespräche zu Ende 1953 mit österreich, welches damals noch unter Viermächtebesetzung stand und keinerlei Staatsvertrag besass. Es war etwas Ungewöhnliches, einem Lande einen Kredit einzuräumen, welches durch vier Siegermächte besetzt war und seine volle Souveränität nicht wiedergewonnen hatte. Aber die Weltbank hatte die Vision und auch den Mut, diesen Schritt zu tun — 30 Millionen Dollars für den Bau eines Kraftwerkes im Drautal, genannt Reisseck-Kreuzeck. Unsere Gespräche mit der österreichischen Regierung flössen munter und erfreulich dahin, — aber was würde die Einstellung der Besatzungsmächte sein? Diese erwiesen sich ebenfalls als sehr positiv; mit den Vertretern von Frankreich, Grossbritannien und USA gab es keine Schwierigkeiten, sondern nur Ermutigung. Und die Russen? Sie hatten ihr Hauptquartier in Baden bei Wien, wohin meine Kollegen und ich zu einer Aussprache pilgerten, mit unsicherem Geist. Es war ein Sonntag, ein sonniger Tag. Die Russen zeigten eine ausgesprochene Höflichkeit und äusserten überhaupt keine Bedenken gegen unsere Verhandlungen, sondern wünschten uns guten Erfolg. Nicht einmal auf Einzelheiten traten sie ein, — «dies ist Sache der österreicher». Als wir diese gute Nachricht dem damaligen Aussenminister Figi überbrachten, lud er uns in seiner gastfreundlichen Unkompliziertheit auf der Stelle zu einem Heurigen nach Gumpoldskirchen ein — und Gott weiss, was noch alles passiert wäre, wenn wir keine Chauffeure bei uns gehabt hätten! Auch der heutige Bundeskanzler Kreisky war dabei, der damals noch als Staatssekretär im Aussenamt wirkte.

Eine Begebenheit ganz anderer Art spielte sich im afrikanischen Ruanda-Urundi ab, welches damals noch unter belgischer Verwaltung stand und nicht in zwei separate Staaten getrennt war. Die Weltbank hatte ein Darlehen verfügbar gemacht, um eine Strasse von Usumbura, Hauptstadt von Urundi, nach Kigali, Hauptort von Ruanda, zu bauen. Ich muss gestehen, dass ich vorerst selber auf der Karte nachsehen musste, um Gewissheit zu haben, wo sich diese Gegenden überhaupt auf dem Atlas befanden. Anlässlich eines Besuches daselbst kamen wir mit unserem Wagen auf den lehmigen Baustellen in Nöte und mussten zur Reparatur anhalten, was in diesem unwegsamen Dschungel kein eitel Vergnügen ist, zumal es bereits eindunkelte. Während der Chauffeur das Rad flickte, gingen wir etwas abseits gegen eine Lichtung zu, wo wir eine Markthütte von ferne entdecken konnten, einen sehr einfachen Bau mit einem Strohdach auf sechs Holzpfeilern; der Boden war ausgetrockneter, verhärteter Lehm, mit einigen zehn Watussi-Negern, wie schattenhafte Gestalten, die herumstanden. Wir befanden uns hier bei einem sogenannten «trading post», welcher den Eingeborenen dazu dient, ihre Kräuter, Felle, Leder, Pfeile, Mineralien und dergleichen anzubieten und als Gegenwert einige wichtige Lebensmittel in die Wildnis zurückzunehmen, so etwa Kaffee, Kakao, Zucker, Salz, aber auch Transistorradios und billige Armbanduhren. Daran war an sich nichts Aussergewöhnliches, wenn nicht ein älterer Mann mit einer verwelkten und verbrannten Haut und grauen Haaren, aber mit Gesichts- und Handzügen, die auf einen weissen Ursprung hindeuteten, dabei gewesen wäre. Wer war dieser Eigenbrötler? Sage und schreibe ein Mitbürger aus der Innerschweiz! Jawohl, ein Nidwaldner, der seit 45 Jahren dort vegetierte, einen Hausstaat gründete und bereits eine ganze Schar von Grosskindern hatte. Als wir ins Gespräch kamen, brachte er die Worte nur zögernd und in gebrochenem Schweizerdeutsch hervor und was er erzählte, tönte düster-geheimnisvoll. Er habe vor über 45 Jahren in der Schweiz einen Mord begangen und sei daher ausgezogen, ohne Ziel und ohne jegliche Kenntnis der Welt, per Schiff, zu Fuss, immer weiter, bis er in dieser verlorenen Gegend stecken geblieben sei. Er habe sich eingeordnet in die Sippe der Watussi und habe diesen «trading post» vom Sippenführer übernommen, dessen Tochter er nach Stammessitte zur Frau genommen habe. Ob er gelegentlich in die Schweiz zurückkehren möchte? Nein, er sei zufrieden in der Wildnis. Und zudem würde seine Familie eine derartige Verpflanzung nicht mitmachen. — Wir tranken noch einen Selbstgebrannten Schnaps miteinander und als ich wegging, blieb ein Mann zurück, der eine eigenartige Mischung von Ruhe und Frieden und Wunschlosigkeit in seinem Charakter ausstrahlte. Kein Riss ging durch seine Seele; ungewohnt für einen Verbrecher, nicht wahr? Ich habe ihn nicht wieder getroffen.

Die glücklichen Jahre bei der Weltbank kamen nach 5 Jahren zu einem frühen Ende, als ich vom Bundesrat ersucht wurde, eine neue Aufgabe zu übernehmen. Die Weltbank-Periode hat mich ausserordentlich bereichert, denn die Arbeit mit ihren manchen konstruktiven Seiten nahm mich voll in Anspruch, allem voran die Arbeit in internationalen Gruppen und dabei in jedem einzelnen Kollegen, ob Latino oder Chinese, Canadier oder Neger oder Australier, einem Mann von eigenem Wert und von eigener Prägung zu begegnen. Diese Zeitspanne hat mir auch manche Freundschaften vermittelt, welche mich bis zum heutigen Tage im Leben begleiten.

Congo

Keine Aktion der UNO hat so viel Konfusion und Missverständnis hervorgerufen wie die Congo-Operation, welche im Sommer 1960 startete, als die ehemals belgische Kolonie ihre Unabhängigkeit erlangte und das Schicksal des Landes in die eigenen Hände nahm. Hiefür war der Congo nicht genügend gerüstet; es fehlte an vielem, an einer qualifizierten staatlichen Verwaltung, an Führungskräften in der Wirtschaft und an politischer Reife. Dessen war sich auch die dortige Regierung unter Lumumba bewusst, welche bereits am 14. Juli 1960 — nachdem die Unabhängigkeit am 30. Juni vorher in Kraft getreten war — ein dringliches Gesuch an die UNO richtete, dem neuen Staatsgebilde sowohl in der Führung der Geschäfte wie zur Erhaltung der Einheit des Landes beizustehen. Es breiteten sich in der Tat innert Kürze bürgerkriegsähnliche Verhältnisse aus, die Armee rebellierte, der Katanga drohte mit Sezession, die Wirtschaft war brach gelegt, Stammesfehden führten zu grausigen Morden, die Versorgung mit Wasser, Lebensmitteln und Verkehr lag im Chaos — kurzum: ein Zusammenbruch von jeglicher Autorität und Ordnung. Auf Weisung des Sicherheitsrates organisierte Generalsekretär Hammarskjöld ohne Verzug die Entsendung von UNOTruppen, gegen 20 000, in den Congo, und er war auch dafür besorgt, dass die zivile Administration wieder in ein einigermassen geordnetes Geleise kam. Hiezu brauchte er Mitarbeiter. Er kannte mich von der Suezkanalkrise 1957 her, in welcher ich für die Weltbank einiges zu tun hatte, und rief mich telephonisch an, einer seiner Mitarbeiter werde mich innert 1—2 Tagen in Bern aufsuchen, um über eine dringende Mission zu sprechen. Am folgenden Tage bereits traf Henry Bloch, ein Amerikaner elsässischen Ursprungs (der erst noch ein lustiges Schweizerdeutsch sprach) in Gümligen ein und machte kurzes Spiel: Hammarskjöld möchte, dass ich im Congo die Leitung der Staatsfinanzen übernehme und eine Nationalbank daselbst gründe! Abreise möglichst umgehend! Meine Frau, welche nachgerade an solche überfälle gewohnt ist, war darüber nicht sehr glücklich, aber sie stimmte tapfer zu — und auch der Bundesrat gab seinen Segen. Also auf in den umbrandeten Congo, von wo die Greuelmähren und Moritaten nur so hereinschneiten. Damit begann wohl die abenteuerlichste Zeit, die das Schicksal in mein Leben flocht. Im Congo waren die Leidenschaften nach allen Richtungen entbrannt. Fürs erste konnte unser Flugzeug dort wegen Aufruhr nicht landen und wir mussten in Brazzaville niedergehen und dann mit einer Cessna-Maschine nach der Hauptstadt Leopoldville, heute Kinshasa, fliegen. Dort wurde ich von niemandem abgeholt und wusste anfangs überhaupt nicht, wohin gehen. Nach einer Stunde erspähte ich einen UNO-Lastwagen, den ich stoppte und den Führer, einen Indonesier, bat, mich ins UNO-Hauptquartier zu fahren. Dort regelte sich dann vieles — beileibe nicht alles — und der Chef (der eigentlich keiner war!) ersuchte mich, «mit der Regierung» (mit welcher?) in Kontakt zu treten und «die Finanzen des Landes zu ordnen». Ich suchte also am nächsten Morgen den congolesischen Finanzminister, aber es gab keinen solchen, lediglich einen Sekretär, der sich dann allerdings als recht tüchtig und entscheidungsfähig erwies. Albert Ndele war sein Name. Wir zwei versuchten nun unablässig, so gut es ging, den Haushalt des schönen Congo unter Kontrolle zu bringen und in erster Linie dafür Sorge zu tragen, dass an jedem Freitagnachmittag der Zahltag für Armee und Polizei fein säuberlich bereit lag; denn diese beiden Hüter der Ordnung besassen Waffen — und wer damals im Congo über Waffen verfügte, der hatte das Recht einfach auf seiner Seite. Wehe dem, welcher dies nicht anerkennen wollte! Die nötigen Geldbeträge zu beschaffen, Woche für Woche, dies war ein phantasievolles Unterfangen in einem Staate, in welchem wegen der herrschenden Wirrnis niemand Steuern zahlte und in welchem auch sonst keine Einkommensquellen für den Staatsapparat flössen. Die Haare würden allen klassischen Wirtschaftspropheten zu Berge stehen, wenn sie vernehmen würden, zu welchen dunklen Machenschaften wir Zuflucht nehmen mussten, um Geld zu produzieren — und damit unser Leben vor der Soldateska zu schützen. Wir mussten Löwen aus dem zoologischen Garten ins Ausland verkaufen, auf den Plantagen die Rohprodukte für den Export zusammenlesen, in Ruanda-Urundi und Uganda die dorthin verbrachten Hunderte von Millionen Banknoten in Kartoffelsäcke einpacken und durch Gefangene, welche an Ketten gingen, zu unserer DC-3 bringen und nach Leopoldville zurückfliegen; wir mussten aus einzelnen Zweigbanken im Lande die Finanzreserven herauslocken und unter Abgabe eines kleinen Teiles davon an allzu aufsässige Soldaten in Lastwagen, versteckt unter Mangokörben, nach der Hauptstadt verfrachten. Eine Notenpresse besassen wir nicht und waren daher auch nicht in der Lage, neue Banknoten zu drucken. Ich wurde zwar von der Regierung Lumumba zum ersten Präsidenten der neuen congolesischen Nationalbank ernannt, mit einem prächtigen Titel und vielen Kompetenzen, die höchst persönlich von Staatspräsident Kasavubu und von Ministerpräsident Lumumba unterschrieben waren, aber es stand nicht viel dahinter. Meine Hauptsorge bestand in der Improvisierung von stets neuen Schlichen, um jeden Freitagnachmittag zahlungsfähig zu sein. Es gelang mir nicht immer, und dafür landete ich dann jeweils im Gefängnis, besser ausgedrückt in einem Loch ohne den allergeringsten Komfort, nicht einmal ein Stuhl, geschweige denn andere Erleichterungen. Angenehm war es beileibe nicht, aber ich kam wenigstens wieder heil heraus, während es einigen meiner Kollegen schlechter erging, wie übrigens auch zahlreichen weissen Siedlern; man konnte tatsächlich weder Tag noch Stunde erahnen, da irgendein Schuss aus dem Dunkel abgegeben würde.

Trotz allen Schwierigkeiten ging es aber vorwärts im Congo. Viele der jüngeren Garde waren willig zu lernen und zu arbeiten, und wäre nicht die bedenkliche Auseinandersetzung mit dem Katanga dazwischengekommen, welche Provinz sich vom Congo lossagen wollte, so hätte das Land viel früher seine Ruhe und wirtschaftliche Erstarkung wiedergefunden. Die Katanga-Episode unter Moise Tschombe war eine unglückliche Auseinandersetzung, die mehr vom Ausland als von inländischen Kräften gefördert wurde. Sie hat, wie jeder Bürgerkrieg, viel Blut gekostet, aber schlussendlich wurde das abtrünnige Glied wieder in die Gemeinschaft des Landes zurückgeführt. — Mit Kasavubu und Lumumba waren meine Beziehungen recht freundlich, ebenfalls mit General Mobutu. Ja sogar mit dem Rebellen Tschombe! Ich führte zahlreiche Gespräche mit ihm wegen der Sezession, allerdings durchwegs fruchtlos, aber er zeigte sich stets als ein höflicher Mann, der in eher ruhiger Weise seinen Standpunkt darlegte und sich eigentlich auch bei ganz gegensätzlichen Auffassungen nie zu groben Ausfällen hinreissen liess. Ich möchte das Gleiche eigentlich von Lumumba sagen. Zugegeben, er war ein eher lärmiger Vielredner, aber bei weitem nicht der einzige. Es hat mich immer seltsam berührt, dass clas Urteil der Nachwelt über ihn so streng war. Dies kann nicht nur an seiner seiltänzerischen Politik gelegen haben; nein — im Grunde war er ein Mann der Missverständnisse, und auch sein gewaltsamer Tod beruhte noch auf einem letzten Missverständnis.

Wegen seines Todes muss ich noch eine kleine Geschichte erzählen, in der auch Tschombe auftritt. Damit hat es folgende Bewandtnis: Unser damaliger Bundesrat J. Bourgknecht, Chef des Finanzdepartements, hatte eine Schwägerin, Sr. Marie-Chantal, welche in einem belgischen Benediktiner-Orden als Schwester wirkte und im katangischen Urwald eine Haushaltschule für einheimische Mädchen leitete. Herr und Frau Bourgknecht hatten seit Monaten keine Nachrichten mehr von Sr. MarieChantal erhalten und befürchteten deshalb, dass ihr, wie so mancher anderen Schwester, Schlimmes widerfahren sei. Sie baten mich daher, wenn möglich irgendwelche Nachricht über ihr Schicksal zu ermitteln. Nach vielen Nachforschungen konnte der Ort dieser Haushaltschule im Katanga ausfindig gemacht werden, und anlässlich eines Besuches bei Tschombe sprach ich ihm davon, dass ich nun aufbrechen werde, diese Schwester Marie-Chantal zu finden. Ich führte den VW selbst, da der einheimische Chauffeur sich weigerte, in dieses unsichere Gelände mitzukommen. Die Fahrt ging vorerst etwa 150 km nach Jadotville auf guter Strasse und von dort auf Feld- und Waldwegen mit dem Kompass nach der Stelle, die mir auf die Karte eingezeichnet worden war. Und bei Gott!, nach weiteren zwei Stunden Fahrt erreichte ich eine saubere Hüttensiedlung, vor welcher eine Schwester mit einheimischen Mädchen Ringelreihen tanzte. Es war Sr. Marie-Chantal. Als ich mich identifizierte und ihr die Grüsse von Bundesrat Bourgknecht und Frau brachte, hat sie mich umarmt — und so lange geweint, bis sie keine Tränen mehr weinen konnte. Wir konnten lange nicht sprechen, sondern standen einfach dort, die Negermädchen fragend um uns herum, bis es wieder Zeit zum Aufbrechen war. Es tat mir leid, Sr. Marie-Chantal zurückzulassen — aber es war eine schicksalhafte Fügung. Denn dieser 19. Februar 1961, an dem ich sie besuchte, war der Tag, an welchem Lumumba in Jadotville von den Tschombe-Gardisten ermordet wurde; auf meiner Rückfahrt via Jadotville nach Elisabethville (Hauptort von Katanga) wurde ich von finsteren Brüdern in Uniform angehalten und wegen meiner blauen UNO-Armbinde «als Mörder von Lumumba» verhaftet. Während einer Nacht war ich im Gefängnis und böse Dinge zeichneten sich ab, aber dann hat Tschombe interveniert und meine Freilassung veranlasst. Wäre Sr. Marie-Chantal mit mir im Wagen gefahren, es wäre diesen furchtigen Gesellen mit Uristier-Blick alles zuzutrauen gewesen. (Später kam Sr. Marie-Chantal unversehrt aus dem Dschungel heraus und leitet heute eine ähnliche Haushaltschule in Brasilien.) Eine spannende Zeit, diese Congo-Periode, aber ein Abenteuer, das auch anders hätte ausgehen können. Von meinen zivilen Kollegen fanden 52 den Tod, während von den militärischen Einheiten insgesamt 127 Offiziere und Soldaten ihr Leben verloren; daneben beklagten wir 133 Schwerverletzte.

UNO und die Dritte Welt

Seit den 1960er Jahren bemüht sich die UNO, auch mit der Privatwirtschaft in einen Dialog zu kommen, um sie in die Entwicklungspolitik der Dritten Welt einzufügen. Dies war der Anlass, ein dreiteiliges Gremium zu schaffen, nämlich Vertreter der UNO, der Dritten Welt und der Privatwirtschaft, um in gemeinsamen Erörterungen diejenigen Lösungen zu erarbeiten, welche den verschiedenen Interessen möglichst gerecht werden. Im Jahre 1964 wurde ich als einer der Wirtschaftsvertreter in dieses Gremium ernannt, welches sich in regelmässigen Intervallen trifft und sich bemüht, eine vernünftige Politik mit den Sprechern der Regierungen von Entwicklungsländern zu erörtern, welche den Erfordernissen der privatwirtschaftlichen Verantwortung und Initiative ebenso entgegenkommt wie den berechtigten Plänen der Entwicklungswelt. Diese Konferenzen finden der Reihe nach in den verschiedenen Kontinenten statt — bis jetzt in Amsterdam, Tokyo, Medellin (Columbien) und Nairobi (Kenya). Das Erfrischende an diesen Aussprachen ist die direkte Kontroverse zwischen den Gesprächspartnern, wobei man stets von neuem wieder feststellen muss, dass Latinos, Asiaten und Afrikaner absolut vollwertige Diskutanten sind, die — wenigstens an unseren Konferenzen — wohlvorbereitet und wohldokumentiert antreten. Man muss diese Vertreter ernst nehmen, denn es geht ihnen um ernste Dinge und sie sind meistens von gutem Willen beseelt. Wenn man an Ort und Stelle sieht, wie armselig sich die Existenz der meisten ihrer Landsleute ausnimmt, so lässt sich dies nicht einfach mit ein paar Floskeln wegwischen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der eine oder andere dieser Vertreter aus den weniger entwickelten Kontinenten es an der nötigen Bescheidenheit fehlen lässt. Ist dies bei uns etwa anders?

Das Wertvolle an diesen Zusammenkünften liegt nicht nur im Sachlichen, sondern auch in den persönlichen Beziehungen, aus welchen eine gegenseitige Achtung erwächst, die sich auf die Dauer nur zum Guten wenden kann. Dass die praktischen Ergebnisse etwas mehr hintanhinken als erwartet, trifft zu. Die Aufbau-Arbeit ist mühselig und langwierig, aber dies stellt keinen überzeugenden Grund dar, sie etwa nicht zu unternehmen.

MEKONG-Rat

Bereits im Jahre 1957, als man an ein Ende des Indochina-Krieges glaubte, schuf die UNO die nötige organisatorische Infrastruktur, um den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Entwicklung in den Uferstaaten des gewaltigen Mekong-Flusses, nämlich in Kambodscha, Laos, Thailand und Vietnam in Angriff zu nehmen. Zwar dauerte der Krieg an, auch heute noch, aber die Mekong-Organisation griff trotzdem die ihr übertragenen Aufgaben mit Mut und überzeugung an und hat auch bereits eine Anzahl von nützlichen Projekten verwirklichen können, trotz aller Unsicherheit und aller politischen Wirren. Diese Projekte erstrecken sich vornehmlich auf Bewässerungsanlagen, Elektrizitätswerke, Staudämme, landwirtschaftliche Versuchsstationen, die Mekong-Schifffahrt, Klein-Industrien, Verkehrswege und Schulungszentren. Es ist im Grunde sehr eindrücklich, dass solche Pläne angesichts der kriegerischen Unruhen überhaupt weitergeführt werden konnten. In den 1960er Jahren wurde der Mekong-Organisation, welche von Regierungsvertretern der Mekong-Staaten geleitet wird, ein internationaler Rat beigefügt, um diese Regierungen in wirtschaftlicher, finanzieller und technischer Hinsicht bei der Erschliessung der wirtschaftlichen Möglichkeiten zu beraten. Ich wurde von der UNO anno 1968 in diesen Rat ernannt und amte als dessen Präsident seit Ende 1972. Diese Präsidentschaft wurde mir allerdings in erster Linie wegen meines Schweizer Passes und der damit verbundenen Neutralität zugesprochen, nicht etwa wegen besonderer Fachkenntnisse, welche meine Kollegen ebenso besitzen. Die übrigen sieben Mitglieder des Rates sind je ein Amerikaner, ein Inder, ein Japaner, ein Franzose, ein Chinese, ein Philippiner und ein Australier; wie es bei solchen internationalen Zusammensetzungen üblich ist, einigt man sich hinsichtlich der Präsidentschaft meistens auf einen Vertreter aus einem politisch ambitionslosen Lande, dessen Vorliebe für gerade Pfade siebenfach bewährt ist.

Unsere Sitzungen finden jährlich zwei- oder dreimal statt und zwar abwechselnd in Laos, Vietnam, Kambodscha und Thailand. Nordvietnam, obwohl technisch auch ein Mekong-Staat, nimmt an den Arbeiten noch nicht aktiv teil, aber wir unterhalten einen regelmässigen Dialog mit den Behörden des Landes über die einzelnen Projekte. Nach aussen mag es unglaubwürdig erscheinen, dass unser Rat in diesen Regionen überhaupt etwas Konstruktives tun kann, geschweige denn konkrete Projekte verwirklichen. Und doch ist es so. Alles geht beileibe nicht am Schnürchen und wir stolpern über unsäglich viele Hindernisse, aber am Schluss schaut eben doch etwas Nützliches heraus.

Ein kleines Intermezzo möchte ich im Zusammenhang mit Laos erwähnen. Im Frühjahr 1968 traf ich dort oben einen Schweizer, Herrn Schellenberg, welcher als Experte für die UNO daselbst tätig war. Nach einem gemeinsamen Nachtessen machten wir einen Spaziergang durch die Hauptstadt Vientiane und landeten um Mitternacht vor einer Bar, genannt «Le Bar du Mékong», ein verstaubtes, dunkles und rauchiges Lokal mit einem kleinen Fenster nach aussen, in welchem ein Genfer Fähnlein aufgehängt war. Ein leibhaftiges Genfer Fähnlein! — wir mussten also eintreten. Verschiedene Dschungel-Gestalten sassen am Bartisch und dahinter stand ein älterer, dicker Mann, zwischen 65 und 70 Jahren, mit angetrübten Augen, der sich sofort als Schweizer namens Henri Guignet aus Genf zu erkennen gab. Er habe über 40 Jahre in Indochina gelebt, wovon 30 Jahre in Hanoi; nachdem er von dort 1955 oder 1956 hinausspediert wurde, habe er sich in Vientiane niedergelassen und seine Bar eröffnet; seine Frau und seine Kinder seien Nordvietnamesen. Auf die Schweiz sei er unglaublich böse, denn er habe gehört, dass dort eine AHV eingerichtet worden sei, welche ihm nichts ausbezahle. Angeblich deshalb nicht, weil er sich nicht rechtzeitig angemeldet habe. Aber wie könne er in Hanoi oder in Vientiane, in diesen gottverlassenen Orten, von solchen schweizerischen Institutionen Kenntnis erhalten und sich erst noch anmelden? Ich solle ihm helfen, klönte er, sonst werde er «aus der Schweiz austreten» und den Pass mit Schimpf und Schande zurücksenden. Nun, alles stimmte nicht so genau hinsichtlich AHV, wie er es dargestellt hatte. Aber nach meiner Rückkehr in die Schweiz nahm ich die Angelegenheit mit der AHV-Verwaltung auf und glücklicherweise zeigten diese Instanzen genügend Flexibilität, um Herrn Guignet im Rahmen des Möglichen entgegenzukommen. Heute bezieht er eine kleine Rente und ein Schweizer Banner flattert wieder hinter dem schmutzigen Vorfenster seiner Spelunke; niemand trägt heute in Laos einen solchen Patriotismus für die Schweiz zur Schau wie unser lieber Henri Guignet, welcher sich bei mir dadurch zu bedanken wünschte, dass er mir beim nächsten Besuch in Vientiane eine Flasche mit einem ganz besonders liebevoll präparierten Schnaps lokaler Provenienz vermachen wollte. Als er meine Zurückhaltung bemerkte, wollte er mich beruhigen. «Nur keine Bedenken und keine Aufregung! Wir behandeln hier alles mit diesem Schnaps, alle Wünsche und alle Sorgen, selbst unsere Enttäuschungen und unsere Freuden über die schweizerische AHV.»

Sollte jemand nach Vientiane kommen, so möge er «Le Bar du Mékong» besuchen, die mitten in der Stadt gelegen ist und weiterhin von Henri Guignet aus Genf und Hanoi mit Zorn und Milde und derber Liebenswürdigkeit geführt wird. Aber er möge sich vorsehen, auf starkes Getränk geeicht zu sein.

Bangladesh 1972—1973

Eine Tätigkeit ganz anderer Art führte ich für die UNO in Bangladesh aus, welches durch das Jahr 1971 hindurch in einen Bürger- und Freiheitskrieg mit Pakistan verwickelt war. Bereits während dieses Krieges 1971 war ich zweimal dort für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, um IKRK-Delegationen installieren zu können. Nach Kriegsende, zu Beginn 1972, war das neu geschaffene Bangladesh dermassen zerstört und von Hunger, Epidemien, Unordnung und Abwesenheit einer Verwaltung bedroht, dass die Weltöffentlichkeit eine eigentliche überlebensaktion in die Wege leitete, welche der UNO übertragen wurde. Von Generalsekretär Dr. Waldheim bin ich mit der Leitung dieser gesamten Notstandsaktion in Bangladesh beauftragt worden, welche an Elend und Verzweiflung alles übertraf, was ich bislang in anderen Regionen gesehen hatte. Nichts funktionierte im Lande, weder der Verkehr noch die Schiffahrt noch die Gesundheitspflege noch der Nachschub an Nahrungsmitteln noch das Telephon noch Elektrizität, nichts. Die einzelnen Regierungen haben in dieser Notlage via UNO oder auf bilateralem Wege ganz gewaltige Hilfsleistungen erbracht, um das Volk der Bengalen vor einer schaurigen Hungersnot und damit vor einer zweiten unsäglichen Katastrophe zu bewahren. Insgesamt wurden uns beinahe Fr. 6 Milliarden, grösstenteils in Lieferungen von Gütern, zur Verfügung gestellt. Darunter beinahe 100 Schiffe, 2000 Camions, 2000 Jeeps, 13 Flugzeuge und 5 Helikopter, Tausende von Tonnen Zement und Wellblech für Häuserbau, Medikamente und vor allem Fachleute wie ärzte, Krankenschwestern, Ingenieure, Brückenbauer, und viele andere, ohne deren vorbehaltlosen Einsatz die unbeschreibliche Misere nicht hätte gelöst werden können. Unsere Hauptsorge war die Ernährung des Volkes, gegen 80 Millionen an der Zahl, wobei wir vor allem Reis und Weizen von der übrigen Welt erhielten, aber wir tätigten auch zahlreiche Käufe in Burma, Thailand und Japan, wobei wir auch die Schiffe für den Transport verfügbar zu machen hatten. Benzin und Oel besassen wir nicht, weil die einzige Raffinerie in Chittagong zerstört worden war. Wir mussten daher einen Pendeldienst mit vier Oeltankern zwischen Chittagong und Singapur einrichten, damit wir unsere Flugzeuge, Schiffe und Camions überhaupt betreiben konnten.

Meine Mission in Bangladesh endete im Mai 1973 und als wir unsere Büros schlössen, hatten wir doch die Gewissheit, dass das Land zwar noch für lange Zeit ein schweres Dasein fristen müsse, aber dass die schlimmste Periode hinter uns war. «Es liegt ein eigentliches Unglück, etwas Schweres über den Bengalis», habe ich irgendwo gelesen. Und dies ist wahr. Aber sie haben auch ihre Stärke, und diese liegt in ihrer Genügsamkeit und in ihrer Versöhnlichkeit.

Dass die Unglückstage für Bangladesh noch nicht vorüber sind, hat sich übrigens bereits wieder zu Ende Juli, anfangs August 1974 gezeigt, als neuerdings gewaltige überschwemmungen das Land heimsuchten, welche zu Schäden von über $ 500 Mio. geführt haben; über 10 Mio. Menschen wurden von den Fluten betroffen und aus ihren Behausungen vertrieben, ca. 700 000 Tonnen Reis wurden vernichtet, über 2 000 Personen ertranken, rund 7000 Stück Vieh kamen um und über 1 Million Hütten wurden entweder weggeschwemmt oder beschädigt. Diese neuerliche Katastrophe traf das Land in einem Zeitpunkt, da es ohnehin wieder mit allergrössten wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, weil nämlich die Steigerung der Oelpreise um 400% und die ebenso schwerwiegende Verteuerung von Reis- und Weizen-Importen die finanzielle Kapazität des Landes zur Bezahlung der Güter über alle Massen übersteigt. Bangladesh, ein Muselmanenland, gehört zu den schlimmsten Opfern der Oelkrise; sofern das Land wegen mangelnder Zahlungsfähigkeit die Oel- und Reis-Importe nicht mehr erhalten kann, so wird nicht nur die ohnehin auf schwachen Füssen stehende industrielle Tätigkeit zum Erliegen kommen, sondern die hungrigen Massen werden auch politisch kaum im Zügel gehalten werden können — und was dies für die unstabile Lage im indischen Subkontinent bedeutet, muss jedem Beobachter tiefe Sorgen einflössen. Die UNO sowie Weltbank und Internationaler Währungsfonds hatten mich angesichts dieser Notlage gebeten, sogleich Besprechungen mit der Bangladesh-Regierung aufzunehmen, um nach dringlichen Hilfsaktionen zu suchen. Solche können nur in der sofortigen Schaffung eines internationalen Konsortiums bestehen, welches sich aus UNO, Weltbank, einigen Großstaaten und oelproduzierenden Ländern zusammensetzt, welche eine Sofort-Aktion zur Verhütung des Schlimmsten einleiten können. In den Monaten Juli und August verbrachte ich daher mehr Zeit in den Flugzeugen als auf der Erde, um von Ort zu Ort zu fliegen und mitzuhelfen, dieses Konsortium zu organisieren, wobei sowohl UNO-Generalsekretär Waldheim wie alle seine engeren und weiteren Mitarbeiter grossartige Unterstützung gewährten. Wie immer bei solchen Geschehnissen, ist auch mir ein kleines Malheur passiert, und zwar gerade am 1. August in Dacca, wo mir meine Koffer abhanden kamen, in denen ich überhaupt alles, was ich nicht gerade auf dem Leibe trug, verstaut hatte. Sie kamen nicht wieder zum Vorschein. Da man in diesem verarmten Dacca keinerlei Einkäufe von Kleidern oder Wäsche usw. tätigen kann, haben mir einige Kollegen mit Hemden und Hosen, Zahnpasta, Rasierapparat und dergleichen ausgeholfen. Gerade schön sah ich in diesen geborgten Kleidern nicht aus, aber allzu viel gelitten habe ich dabei auch nicht.

Wie die Hilfsaktion nun weitergeht, wird sich in Kürze erweisen.

Indien-Pakistan-Mission Herbst 1973

Im Spätsommer 1973 wurde Pakistan von gewaltigen überschwemmungen heimgesucht, welche unermesslichen Schaden an Ernten, Häusern, Deichen, öffentlichen Diensten, Schulen und Tieren anrichtete; die Kraft des Landes reichte auch bei grösstem Einsatz nicht für den Wiederaufbau. Um das Unglück voll zu machen, wurden auch die zum Auffangen der aus Indien heimkehrenden Kriegsgefangenen sowie der grossen Masse von Zivilbevölkerungen, welche zwischen Pakistan und Bangladesh zum Austausch vereinbart waren, errichteten Lager und provisorischen Unterkünfte arg in Mitleidenschaft gezogen, gar nicht zu sprechen von den misslichen Finanzfolgen und Bürden, welche die Katastrophe übers Land brachte. Hier galt es, das Ausmass des Unheils abzuklären und diejenigen Unterstützungsmassnahmen zu empfehlen, welche der Dringlichkeit der Stunde entsprachen. Die UNO entsandte daher im Herbst 1973 eine unter meiner Führung stehende Delegation nach Pakistan, um diese Abschätzung vorzunehmen und Empfehlungen zur Behebung der Not zu unterbreiten. Da die überschwemmungen in erster Linie durch den Indus-Fluss aus dem Kaschmir-Gebiet verursacht wurden, kam auch Indien ins Spiel unserer Arbeit. Der Bericht wurde im November 1973 an die UNO abgeliefert und mündlich erläutert, und in Kopie an die zur Katastrophenhilfe bereiten Regierungen weitergeleitet. Dank der Bereitschaft dieser Staaten konnten die bedenklichen Folgen der Unwasser-Verheerungen bis 1974 weitgehend aufgefangen werden, was sich vor allem auf die ungestörte und willkommene Weiterführung der Gefangenenheimschaffung und des Bevölkerungsaustausches hilfreich auswirkte.

Tätigkeit für andere UNO-Organisationen

Da sind vorerst die Weltbank und ADB (Asian Development Bank in Manila) zu erwähnen, mit welchen ich in verschiedenen UNO-Delegationen eng zusammengearbeitet habe und dies auch weiterhin tue. Vor wenigen Wochen kehrte ich von einer Mission nach Washington, Saigon und Manila zurück, wo ich mit Weltbank und Asiatischer Entwicklungsbank die technische und finanzielle Betreuung von Grossprojekten in Südostasien besprach, an welchen möglicherweise, neben andern, auch Nordvietnam und China ein Interesse bekunden könnten. Hoffentlich steht uns ein guter Geist bei — es wäre so ermutigend, endlich einen echten Fortschritt in der Zusammenarbeit zu erzielen.

Eine andere Organisation, für welche ich fallweise tätig bin, ist die UNIDO in Wien (United Nations Organisation for Industriai Development). Vom UNO-Generalsekretär bin ich in die «Study Group for Longterm Strategy» (langfristige Strategie für Industrialisierung) ernannt worden.

Endlich gehört noch die FAO (Organisation für Landwirtschaft und Ernährung, in Rom) zu den Institutionen, welchen ich von Zeit zu Zeit dienlich bin, so etwa als Komitee-Mitglied für den World Food Congress anno 1970 im Haag; auch in der vorbereitenden Gruppe für die Welternährungskonferenz, welche für November 1974 in Rom angesetzt ist, bin ich zur Mitarbeit eingeladen worden.

Das leitende Komitee für diese UNO-Konferenz hat sich bereits wiederholt versammelt; die letzte Zusammenkunft vor der eigentlichen Hauptkonferenz fand zu Beginn September in Toronto statt, wo die letzten Vorbereitungen besprochen und die einzelnen Rollen für die Führang der Haupttagung verteilt wurden. Mir ist die Verantwortung für den industriellen Komplex angetragen worden, vor allem für die Beurteilung der Beiträge, welche die Industrie zur Erhöhung der Lebensmittelproduktion, der Behandlung der Ernten, der besseren Verteilung und der langfristigen Planung agrochemischer Investitionen in der Dritten Welt leisten kann. Sicherlich wird die Römer Konferenz vom kommenden November eine ernste Sache werden, weil die missliche Ernährungslage, welcher die Menschheit in den kommenden Jahren gemäss allen Anzeichen ausgesetzt sein wird, allen Industrieländern eine schwere Bürde von Verantwortung auferlegt.

Die Behandlung aller dieser Aufgaben hat zahlreiche weitere Fahrten in die Dritte Welt zur Folge; aber darüber zu berichten, würde wirklich zu weit führen. Daher sei hier meinem Bericht ein Punkt gesetzt.

Es ist offensichtlich, dass diese verschiedenen UNO-Mandate teilweise recht tief in meine angestammte Funktion bei CIBA-GEIGY eingreifen, wo ich mich mit der Koordination der Aussenbeziehungen befasse, denn sie beanspruchen viel Zeit, vor allem bei längeren Abwesenheiten. Unser Verwaltungsrat und voran sein Präsidium haben jedoch Mal für Mal der übernahme dieser humanitären Aufgaben zugestimmt, und zwar aus einer eindrücklichen sozialen Verantwortung heraus, wonach die schweizerische Wirtschaft auch dort ihre Leistung zu erbringen hat, wo unser Land aus humanitären Gründen angesprochen ist und zur Verfügungstellung von einzelnen Mitbürgern aufgerufen wird. Wenn unsere schweizerische Solidarität ihre internationale Glaubwürdigkeit behalten soll, so muss sich dies, nebst andern Aktionen, auch darin ausdrücken, dass Mitarbeiter in vertretbarem Rahmen ad hoc abgegeben werden. Dies kann die öffentliche Verwaltung allein nicht tun, auch die Privatwirtschaft hat ihren Anteil zu übernehmen. Dass dies in CIBAGEIGY so grosszügig gehandhabt wird, dafür möchte ich meine Anerkennung und meinen Dank aussprechen.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1974

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