Im Spital

Simone Burgherr

Wie sieht der Spitalalltag aus der Sicht der Patienten aus? Eine persönliche Schilderung, einfach, lapidar und gerade dadurch so überzeugend. Andreas F. Voegelin hat mit einer Fotoreportage den Alltag im Spital in eindrücklichen Bildern festgehalten.

Es ist schon ein leicht mulmiges Gefühl. Heute um viertel nach zehn muss ich ins Gemeindespital Riehen eintreten, morgen soll ich am Fuss operiert werden. Es ist zwar nur ein kleiner Eingriff, trotzdem bin ich nervös.

Nachdem die Formalitäten erledigt sind, wird mir mein Zimmer gezeigt. Vier Betten stehen drin. Es ist das einzige Viererzimmer im Spital. Noch sind wir nur zu zweit, doch im Laufe des Tages sollten alle Betten belegt werden. Meine Zimmernachbarin ist 89 Jahre alt. Seit sieben Monaten liegt sie im Spital, sie kann nicht mehr allein leben und muss auf einen Platz im Alters- und Pflegeheim «Zum Wendelin» warten. Dass jemand so lange hier bleibt, ist die Ausnahme und für alle nicht einfach. Manchmal spürt man die leise Ungeduld der Schwestern, wenn die alte Dame einmal mehr nicht tun will, was sie sollte, aber auch den ärger der Patientin, weil sie sich ungerecht behandelt oder übergangen fühlt.

Noch vor dem Mittag habe ich das Gespräch mit einem Assistenzarzt. Mit der Untersuchung steigt meine Angst. Kriege beim Mittagessen keinen Bissen runter. Dafür tischt mir die alte Dame ihre ganze Lebensgeschichte auf. Sie muss sich sehr einsam fühlen. Später darf ich einer Schwester nochmals in etwa dasselbe erzählen wie dem Arzt. Das werde ich heute wohl noch einige Male tun müssen, meint sie. Doch es ist wichtig, dass alle Bescheid wissen.

Der Nachmittag besteht aus schier endlosem Warten. Nach den abendlichen Vorbereitungen für die Operation Bein rasieren, mit einer Desinfektionslotion duschen, Fuss bandagieren, die erste der nun täglichen Thrombosespritzen - kommen die Narkoseärztin und der behandelnde Chirurg, um noch einmal das morgige Geschehen durchzusprechen. Das beruhigt ungemein.

Mittlerweile sind die beiden andern Zimmernachbarinnen eingetroffen. Die eine hat einen Leistenbruch, die andere eine kaputte Hüfte. Ihr scheint es sehr schlecht zu gehen. Blass liegt sie im viel zu grossen Spitalbett, Gitter auf beiden Seiten. Sie kam von der Medizin herunter auf die Chirurgie. Im Gemeindespital Riehen gibt es drei Abteilungen: Medizin, Chirurgie und Geriatrie. Es bietet ausserdem weitere Dienste an wie ein Ambulatorium, Röntgen/Ultraschall, Physiotherapie / Physikalische Therapie, Laboratorien, Endoskopie und EKG.

Am nächsten Morgen werde ich um halb sieben geweckt: Nachthemd anziehen, auf den Schrägen liegen, eine Tablette zur Beruhigung, mit dem Lift runter in die OP-Vorbereitung, Schrägen wechseln - nun ist alles grün. Irgendwo ist mir jetzt alles gleichgültig, fühle mich wie in Watte gepackt. Die Narkoseärztin spricht von weit weg zu mir, reibt mir das Handgelenk, steckt die Infusion, lässt das Narkosemittel hinein, ein Ring aus Schaumgummi legt sich von innen um meinen Kopf, und ich bin weg. Anderthalb Stunden später erwache ich das erste Mal, und gegen Mittag bin ich bereits wieder auf dem Zimmer. Immer wieder schaut die Schwester nach mir. Um zwei bekomme ich einen Kaffee und eine Caramelcreme - so gut hat mir lange nichts mehr geschmeckt.

Gegen Abend ist auch die Dame mit der kaputten Hüfte wieder im Zimmer. Sie ist sehr geschwächt, aus einem Beutel tropft Blut. Sie wird noch tagelang im Bett bleiben müssen, darf nicht einmal aufsitzen. Regelmässig schauen die Schwestern und Pfleger nach ihr, helfen ihr beim Trinken und Essen, waschen sie und lagern sie um, wechseln den Verband und die Infusionen, geben ihr Mittel gegen die Schmerzen. Der Alltag fürs Pflegepersonal ist stressig, doch davon spüren die Patienten nie etwas.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1998

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