Karl Flaig
Hans Krattiger
Umhüllt von Bäumen und Sträuchern wie von einem grünen Mantel steht das Atelierhaus im Schlipf, das der bekannte Basler Architekt Ernst Egeler 1938 für den Kunstmaler Karl Flaig gebaut hat: ein schlichter, doch durchdacht konzipierter Holzbau mit herrlichem Blick ins Wiesental, auf Riehen und Basel und zu den im Dunst verschwimmenden Hängen des Jura. Und seit ein paar Jahren hat Karl Flaig als Nachbarn die Rebberge der Gemeinde Riehen. Seit 44 Jahren haust der Künstler in seiner «Ermitage», und es verwundert nicht, dass er sie tagelang nicht verlässt, dass er selten im Dorf zu sehen und telephonisch schwer zu erreichen ist. In dieser Abgeschiedenheit - allein, doch nicht einsam - schafft Karl Flaig sein Werk, auch als 82-jähriger noch immer mit bewundernswerter Vitalität und nimmermüdem Einfallsreichtum. Doch so «ab der Welt» des Künstlers Klause auch ist, es ist ein gastfreundliches Haus, in dem ein Besucher nicht nur die musische, sondern auch die Kochkunst des Hausherrn zu gemessen Gelegenheit hat. Dass diese Welt im Grünen auch im Werk von Karl Flaig ihren Niederschlag finden musste, beweisen die meistens grossformatigen, wandbildhaft-flächig gestalteten Gartenbilder; sie sind Ausdruck der Freude und des Dankes für das gnädige Geschick, in diesem Arkadien reifer und älter geworden zu sein. «Orplid - mein Land», um es mit Eduard Mörike zu sagen.
Dabei ist Karl Flaig als waschechter Stadtbub aufgewachsen. Die Wiege, in die er am 21. September 1900 als Sohn des Joseph Flaig und der Marie, geborener Pümpin, gelegt wurde, stand zwar noch an der Hebelstrasse, doch von seinem zweiten Lebensjahr an verbrachte er seine Jugend an der Landskronstrasse im «Santihans», wo sein Vater eine Getränkehandlung führte. Da er schon in jungen Jahren gern zeichnete und malte, war Maler zu werden sein Traum; ein Traum jedoch, von dem er nicht zu hoffen wagte, dass er je in Erfüllung gehen könnte. Zeichnungen und Aquarelle aus der Zeit vor der Ausbildung zum Künstler, entstanden auf Wanderungen und Reisen durch die Schweiz, machen jedoch deutlich, dass ein Talent vorhanden war, das früher oder später zum Durchbruch gelangen musste. Bei Karl Flaig war es «später»; denn der nach der Schulzeit eingeschlagene Weg ging vorerst in ganz andere Richtung, nämlich ins Stachelschützenhaus am Petersplatz, in dem damals und bis zur Dislokation an die Kannenfeldstrasse das Laboratorium des Kantonschemikers untergebracht war. Während vier Jahren - von 1918 bis 1922 - verrichtete hier Karl Flaig eine eher amusische Arbeit, deren Eintönigkeit er mit Zeichnen und Malen in der Freizeit zu überbrücken versuchte. Bereits 22jährig geworden, begann er eine Lehre, die seinen künstlerischen Ambitionen schon eher entgegenkam, nämlich als Schaufensterdekorateur im «Globus». Mit Erfolg und Diplom schloss er die zweieinhalbj ährige Lehrzeit ab und übte fast ein Jahrzehnt lang den Beruf als Schaufensterdekorateur aus; nach der Lehrzeit im «Globus» in einer Tuch- und Wollwarenmanufaktur in der Steinenvorstadt, zu der auch ein Laden samt Schaufenster im alten «Küchlin» gehörte und wo Karl Flaig nicht nur das Schaufenster für die Passanten attraktiv machte, sondern nebenbei auch noch für den Geschäftsinhaber als Buchhalter tätig war. Doch jede Freizeit-Minute war dem Malen gewidmet, vermutlich mit den Aquarellfarben, die er noch von der Schulzeit her hatte.
1930 erfolgte die einschneidende Wende: einerseits durch die Heirat mit Margrit Ringwald, die von Beruf Schneiderin war und an der Oetlingerstrasse für lernbeflissene Frauen und Töchter Zuschnittkurse erteilte, andrerseits durch den Entschluss, Maler zu werden und statt Schaufenster zu dekorieren als Tagesschüler die verschiedenen Kurse der Kunstabteilung der Allgemeinen Gewerbeschule zu besuchen, die damals noch am Petersgraben war. Während drei Jahren erwarb sich Karl Flaig bei Lehrern wie Arnold Fiechter, Ernst Buchner, Albrecht Mayer, Walter Bodmer und Paul Kammüller, dem Schwager von Jean-Jacques Lüscher, ein solides Rüstzeug, mit dem sich eigenständig arbeiten liess und das der angeborenen Begabung eine massvolle, dem eigenen Wesen entsprechende Entfaltung ermöglichte. Und schon anfangs der dreissiger Jahre hatte Karl Flaig die glückliche Idee, im «Schlipf» also auf Riehener Boden - Land zu erwerben, um sich gelegentlich dort niederlassen zu können. Der Preis pro Qua dratmeter dürfte um einiges niedriger gewesen sein, als er es heute ist.
Wohl zogen drohende Gewitterwolken am politischen Himmel auf, als 1937/38 das Atelierwohnhaus im Schlipf erstellt wurde und Karl und Margrit Flaig nach Riehen hinauszogen. Aber die Freude, nun in eigenen vier Wänden das Leben gestalten und als frei schaffender Künstler arbeiten zu können, war grösser als die Furcht, so nahe der Grenze eines Landes, in dem ein Grössenwahnsinniger namens Hitler am Ruder war, leben zu müssen. Und kaum ein Jahr im neuen Heim, brach auch schon der Zweite Weltkrieg aus und versetzte das Ehepaar Flaig in die Gefahrenzone. Am 23. März 1941 kam das einzige Kind, die Tochter Rita, zur Welt; aber als es entlang der Grenze doch zu «brenzlig» wurde, übersiedelte 1942 die junge Familie nach Genf und fand Aufnahme bei Margrits Mutter und Bruder. Während dieses Genfer Aufenthalts 1942/43 durchstreifte Karl Flaig mit seinem Malkasten die Strassen und Gassen sowie die Umgebung von Genf und fand auf den Spuren Hodlers immer wieder Motive, die sein Malerauge faszinierten. Doch er sah sie nicht mit den Augen Hodlers: hell und farbenkräftig, sondern noch nach der Art der Basler Schule: dunkeltonig, aber doch ganz persönlich empfunden. Allerdings sehe ich ein Bild vor mir: spazierende und Siesta haltende Menschen auf der Seepromenade, das schon eine Abkehr von der dunkeltonigen zu einer farbenintensiveren Malerei verrät; Beginn einer Ausdrucksweise, die sich mehr und mehr im Schaffen von Karl Flaig durchsetzte, vor allem bedingt durch Aufenthalte in Paris und auf Studienreisen in den Mittelmeerraum: Italien, Jugoslawien, Griechenland (1958) und Aegypten (1962); zwischenhinein aber auch in nördliche Gefilde, nach Dänemark und Schweden.
Auf solchen Reisen, die oft kaum Zeit zum Malen übrigliessen, entstand jedoch eine Fülle von Zeichnungen. Und wenn es auch vielfach nur skizzenhaft eingefangene Eindrücke sind, die er unterwegs festhalten konnte, so bezeugen diese Blätter doch ein Doppeltes: zum einen Flaigs hervorragendes Können als Zeichner, zum andern sein ausgeprägtes Sensorium für das Charakteristische einer Landschaft. Sensibel, doch mit sicherer Hand gleitet der Stift über das Papier und beschränkt sich auf das Wesentliche, wobei nicht nur ein bestimmter Aspekt, sondern auch die der jeweiligen Landschaft eigene Atmosphäre eingefangen wird. Nicht nur Landschaften, Häusergruppen und Schiffe am Ufer, sondern auch die Menschen dieser Landschaft weckten sein Interesse, und wenn auch mit schnellem Zugriff zu Papier gebracht, zeugen diese Darstellungen doch von der untrüglichen Beobachtungsgabe des Künstlers. Aber nicht nur die Andersartigkeit fremdländischer Menschen, sondern der Mensch überhaupt, seine Gesichtszüge als Spiegel seelischer Zustände, fasziniert ihn. So selten er sich selber porträtiert hat, so oft umgekehrt seine Mitmenschen: seine Frau und hauptsächlich seine Tochter, deren Entwicklung vom Kleinkind zum Mädchen er malend mitverfolgt hat, aber auch Freunde und Fremde, die er beobachtet und sehr oft nicht nur geschaut, sondern durchschaut hat. Auch hier: Beschränkung auf Wesentliches und Charakteristisches, ob gezeichnet oder gemalt. Beispielhaft dafür ist die Komposition «Die Passiven», die anlässlich der Jubiläums-Ausstellung zum 80. Geburtstag des Künstlers - im Herbst 1980 im Berowergut - von der Gemeinde Riehen erworben wurde. Und Menschen sind es auch, die er im Wandbild für das Thomas-Platter-Schulhaus in Kleinbasel verewigt hat: Zirkusartisten im Balance-Akt; es war ein Kunstkredit-Wettbewerb des Jahres 1952, in dem Karl Flaigs Entwurf «Equilibre» mit dem ersten Preis ausgezeichnet und zur Ausführung empfohlen worden war.
Zu unvollständig aber wäre unser Porträt von Karl Flaig, würden wir nicht auch des musikalisch begabten und musikbegeisterten Künstlers gedenken. Seit vielen Jahren Abonnent der Konzerte des Basler Kammerorchesters, das unter der Stabführung von Dr. h. c. Paul Sacher so mancher zeitgenössischen Komposition zur Uraufführung verholfen hat, freut sich Karl Flaig nicht nur an klassischer und romantischer Musik, sondern findet auch den Zugang zu Werken der Moderne, vertreten etwa durch Ravel, Webern, Orff, Britten, Honeggeru.a. Und beeindruckt von einer Komposition, die in seinem Innern nachklingt, übersetzt er Töne und Rhythmen in Formen und Farben, womit unwillkürlich der Weg zur ungegenständlichen Malerei geebnet wurde. Eine der jüngsten Arbeiten ist ein vierteiliger Zyklus, in zarten Farbtönen gehalten und inspiriert durch die vier Sätze von Robert Schumanns Frühlings-Symphonie. Abstraktes findet und empfindet Flaig aber nicht nur in der Musik, sondern auch im Ornament, und die zahlrei chen Zeichnungen und Gemälde, die in den letzten Jahren entstanden sind und in denen er eine Symbiose von Vegetativem und Ornamentalem anstrebt, haben - so will mir scheinen - ihren Ursprung in der vor 20 Jahren erfolgten Begegnung mit dem Orient, wie er ihn vor allem in Aegypten erlebt hat. Auch in der ungegenständlichen Malerei geht es ihm nicht um l'art pour l'art, um rein intellektualistische Kompositionen, sondern um die Nachgestaltung von Erlebtem und Empfundenem, auch wenn es dem Betrachter schwerfallen mag, dieses Erlebte und Empfundene nachzuempfinden. Spürbar ist auf alle Fälle die Echtheit der Empfindung und dass es nicht einfach ein Spiel mit Formen und Farben ist.
So sehr sich Karl Flaig in seinem Schlipfer Tusculum eine «heile Welt» aufgebaut hat, so blieben ihm doch Schicksalsschläge nicht erspart. Und es war ein schwerer Verlust, als ihm 1951 seine Lebensgefährtin durch den Tod entrissen wurde. Rita war damals erst 10 Jahre alt, und mit rührender Hingabe widmete sich der Witwer der Erziehung seiner Tochter, verzichtete auf Studienreisen und manches, wozu es ihn als Künstler hätte gelüsten können. Und auch das, was er in jenen Jahren psyschisch erlebte, fand in seiner Kunst beredten Niederschlag, vorab in den Bildern, in denen er Hintergründiges und Skurriles, Surreales und Gespenstisches in seinen Bildern auszudrücken versuchte. Auch diese, eher pessimistisch anmutenden Werke gehören zu Karl Flaigs OEuvre, wenn sie auch nicht aufkommen gegen die überwiegende Mehrzahl von Bildern, die von einer positiven Lebenseinstellung, von gesunder Sinnlichkeit und Lebensfreude zeugen - von Kräften und Gaben, die sich Karl Flaig bis ins patriarchalische Alter erhalten hat und die es ihm erlauben, noch immer mit bewundernswert jugendlichem Elan zu Pinsel und Palette zu greifen, um die Geheimnisse seines «Orplid» stets neu zu ergründen und sie wie stumme Gebete Bild werden zu lassen.