Kind einer langen Tradition

Maria Iselin

Vor 20 Jahren in direkter Nachbarschaft zur Fondation Beyeler eröffnet, hat sich der Kunst Raum Riehen rasch als eigenständiger Ausstellungsort etabliert. Neben der Förderung von zeitgenössischem regionalem und internationalem Kunstschaffen gehört der Dialog verschiedener Kunstformen zu seinen Stärken.

Die Förderung zeitgenössischer bildender Kunst hat in Riehen eine lange Tradition. Ab 1948 begann die Gemeinde, Werke bekannter Basler Maler anzukaufen, die in Riehen wohnten und arbeiteten. Bei der Errichtung des neuen Gemeindehauses 1960 nach den Plänen von Architekt Giovanni Panozzo war Kunst am Bau ein wichtiges Thema. In vielen der grossartigen Riehener Parkanlagen stehen bemerkenswerte Skulpturen, die nicht nur von einem breiten bildnerischen Schaffen, sondern auch vom regen Interesse der Gemeinde an den verschiedenen Erscheinungsformen der zeitgenössischen Kunst Zeugnis ablegen. In Riehen entwickelte sich sogar eine Tradition der Bereitstellung von Atelierraum durch die öffentliche Hand. Das letzte derartige Atelier wurde 2008 eröffnet und damals von der mittlerweile international erfolgreichen Künstlerin Sabine Hertig bezogen. Die 1971 gegründete gemeinderätliche Kommission für bildende Kunst (KBK) veranstaltete zunächst im Gemeindehaus und von 1980 bis 1995 im Herrschaftshaus des Berowerguts Ausstellungen. Prominentestes Mitglied dieser Kommission war Ernst Beyeler. Er führte 1980 zusammen mit Reinhold Hohl und Martin Schwander im Wenkenpark die weltweit beachtete Ausstellung ‹Skulptur im 20. Jahrhundert› durch. Der Kunst Raum Riehen ist letztlich ein Kind dieser kommunalen Ausstellungstradition. Abgestützt auf einen Volksentscheid in Folge eines Referendums, konnte er 1998 eröffnet werden.

ANTWORT AUF DIE KULTURPOLITISCHE HERAUSFORDERUNG
Die Eröffnung der Fondation Beyeler 1997 stellte für Riehen eine kulturpolitische Herausforderung ersten Ranges dar. Wie sollte sie ihre bisherige Ausstellungstätigkeit neben diesem internationalen Leuchtturm positionieren? Die Gemeinde nahm diese Herausforderung an und errichtete in unmittelbarer Nähe zum Beyeler-Museum eine Plattform für die Präsentation neuer künstlerischer Positionen. Die Basis für diesen Ansatz bildete der im Reglement für die Kommission für bildende Kunst festgeschriebene Auftrag: «Die Gemeinde Riehen ist bestrebt, durch Ausstellungen und Ankauf von Werken der bildenden Kunst den Kontakt zwischen Öffentlichkeit und Künstlerinnen und Künstlern zu fördern, um so zu einem vertieften Verständnis auch gegenüber ungewohnten Erscheinungsformen des heutigen Kunstschaffens zu finden.» Seit der Eröffnung des Kunst Raums Riehen erfüllte die KBK diese Aufgabe mit einer regen Ausstellungstätigkeit. Insgesamt 113 Ausstellungen realisierte sie bis Ende 2018 in Eigenverantwortung. Voraussetzung dafür waren die hohe Qualifikation und eine gute Vernetzung ihrer ehrenamtlichen Mitglieder: Sie bringen sehr gute Kenntnisse des regionalen und internationalen zeitgenössischen Kunstgeschehens, Einblicke in die persönliche Entwicklung und die Sensibilität verschiedener Künstlerinnen und Künstler mit. Dazu kommt ihre Bereitschaft, regelmässig Ateliers, Galerien, Kunsthäuser und Museen zu besuchen.

AUSSTELLUNGEN SEIT 1998
Der Kunst Raum Riehen konnte sich in den 20 Jahren seines Bestehens als ein von Künstlerinnen und Künstlern geschätzter und begehrter Ausstellungsort etablieren. Für die jungen unter ihnen gilt er als Sprungbrett. Angesichts der im Raum Basel angesiedelten wichtigen und anerkannten Ausbildungsstätten für Kunstschaffende ist eine derartige Plattform für die Präsentation und den Austausch sowie für den Dialog mit dem Publikum von unschätzbarem Wert. Bei der Vorbereitung der Ausstellungen werden die Kunstschaffenden häufig angeregt, neue Werke zu schaffen, die auf die spezifischen Merkmale des Ausstellungsorts reagieren. Jede Ausstellung ist von einem Rahmenprogramm begleitet, das sich mit Führungen, Gesprächen mit Persönlichkeiten aus den verschiedensten Bereichen, musikalischen Intermezzi und Performances an ein breites Publikum wendet. Die intensive Beschäftigung mit bildender Kunst ist ein zentrales Element der Identität unserer Region. Mit dem Kunst Raum leistet Riehen seinen bescheidenen, aber unverzichtbaren Beitrag zur Entwicklung des kulturellen Wertschöpfungs-Clusters. Neben ihrem Fokus auf zeitgenössische Kunst organisierte die KBK auch immer wieder Ausstellungen zu bekannten verstorbenen Künstlerinnen und Künstlern der Region. Auch die Themenbereiche Architektur und Fotografie wurden geschickt in die Programme eingewoben. Eine Übersicht der Ausstellungen seit 1998 zeigt die Vielfalt der gewählten Themen und der präsentierten Personen und Positionen und das intensive kuratorische Engagement der Mitglieder der KBK auf. Im Folgenden seien ein paar Höhepunkte herausgegriffen. Grosse Beachtung fanden die Eröffnungsausstellung mit Werken der 2018 verstorbenen Malerin Dorette Huegin und im selben Jahr die erste Ausstellung des Gesamtwerks von Kurt Fahrner, die gleichzeitig im Kunst Raum und in der Kirche St. Martin durchgeführt wurde. 2000 konnte Riehen einen Blick in die weltberühmte Fotosammlung von Ruth und Peter Herzog werfen. 2001 löste die Ausstellung über Wolf Barth beim Künstler selbst eine solche Begeisterung aus, dass die Gattin der Gemeinde nach seinem Tod ein grosses Werk (‹Die Himmelsleiter›) schenkte. Auch die Ausstellung ‹pacte floral› im Kunst Raum und in den stillgelegten Treibhäusern des Berowerguts wurde vom Publikum und von den Medien stark beachtet. Für Gabriella Gerosa markierten ihre Video-Installationen 2002 den Karrierestart als Künstlerin. Seit der zweiten Ausgabe der ‹Regionale› 2001 war der Kunst Raum Riehen ohne Unterbruch ein vielbeachteter Fixpunkt im ‹Dreieckland der Kunst› mit zahlreichen Ankäufen durch öffentliche Sammlungen (Kunstkredit Baselland und Basel-Stadt).
Besucherrekorde erzielte der Kunst Raum Riehen 2003 mit der Lateinamerika-Sammlung Valentin Jacquet und 2004 mit den Teppichbildern aus der Sammlung Richard Hersberger. Überaus erfolgreich war auch die Ausstellung ‹Aus Ton› 2006 (Sammlung Ceramica). Die Ausstellung ‹Riehener Salon› 2007 mit Beständen aus der Sammlung der Gemeinde entzückte nicht nur durch die reiche Auswahl an Exponaten, sondern auch durch die spezielle Farbgebung der Wände. Das zehnjährige Jubiläum 2008 wurde einer grossen Gruppe junger Künstlerinnen und Künstler gewidmet und mit der Ausstellung ‹Young and Beautiful› gefeiert. Als Begleitprojekt zur grossen Ausstellung ‹Blütenzeit› im Wenkenhof verwandelten Muda Mathis / Sus Zwick und ihre Gäste Regula Hügli, Regula Hurter und Uri Urech den Kunst Raum in einen Zauberwald mit der über drei Stockwerke reichenden, an Üppigkeit kaum zu überbietenden Video-Installation ‹Blume wie ein Haus gedacht› und ihren Performances. Sehr grosses Echo hatte 2008 auch die erste Ausstellung des Gesamtwerks von Heiri Strub mitsamt der Buchvernissage seiner Biografie. Die grösste internationale Beachtung fand 2011 das ‹Disaster Relief Project› des japanischen Architekten Shigeru Ban mit seinen gut besuchten Workshops. Die Ausstellung zeigte eindrücklich, wie künstlerische Kreativität und soziales Engagement eine glückliche Verbindung eingehen können. Im Folgejahr nutzte ein Kommissionsmitglied sein weitgespanntes Netzwerk, um Niku Alex Mucaj und Elian Stefa Gelegenheit zu einer beeindruckenden und bedrückenden künstlerischen Aufarbeitung der Diktatur in Albanien zu bieten: ‹Concrete in Common – Albania’s Bunker Legacy›. Die Ausstellung ‹Whispering Tree› mit Diane Dodson und Reto Leibundgut 2012 nahm intensiv Bezug zur räumlichen Struktur des Kunst Raums. Das Jahr 2017 sah eine vielbeachtete Hommage an den bekannten Basler Fotografen Kurt Wyss mit dem Titel ‹Augenzeuge›. Das Jubiläumsjahr 2018 wurde mit neuen Werken von Werner von Mutzenbecher eröffnet. Es folgten Louise Clement und Tim Berresheim, die sich beide auf unterschiedliche Weise mit digitaler Kunst auseinandersetzen und ein ganz neues Publikum anziehen. Abgeschlossen wurde das Jahr 2018 mit einer von Kiki Seiler kuratierten, erfolgreichen Jubiläumsausstellung von 20 Künstlerinnen und Künstlern, die bereits einmal im Kunst Raum Riehen vorgestellt worden waren.

NEUSTE ENTWICKLUNGEN – UND DIE ZUKUNFT?
Mit dem überarbeiteten Leistungsauftrag 2017–2020 fand ein Paradigmenwechsel statt. Die Programmverantwortung für den Kunst Raum wurde der KBK entzogen und zur Verwaltung verlagert. Mit einer detaillierten Festlegung des Programms für den Kunst Raum im Leistungsauftrag wird nun eine Verpolitisierung der Ausstellungstätigkeit und ein öffentliches Gerangel um Inhalte riskiert. Denn die Festlegung von Inhalten durch die politischen Behörden ist mit der Funktionsweise eines Kunsthauses nicht vereinbar. Seit dem Beginn der Ausstellungstätigkeit in Riehen wurden die Verantwortung der KBK für die Ausstellungen und ihre diesbezügliche Gestaltungsfreiheit immer respektiert. Die Stärke einer gemeinderätlichen Fachkommission wie der KBK liegt letztlich in der hohen persönlichen Motivation der ehrenamtlichen Mitglieder, ihrer intensiven Teamarbeit sowie der guten Kooperation mit dem verantwortlichen Gemeinderatsmitglied und der Die grösste internationale Beachtung fand 2011 das ‹Disaster Relief Project› des japanischen Architekten Shigeru Ban mit seinen gut besuchten Workshops. Die Ausstellung zeigte eindrücklich, wie künstlerische Kreativität und soziales Engagement eine glückliche Verbindung eingehen können. Im Folgejahr nutzte ein Kommissionsmitglied sein weitgespanntes Netzwerk, um Niku Alex Mucaj und Elian Stefa Gelegenheit zu einer beeindruckenden und bedrückenden künstlerischen Aufarbeitung der Diktatur in Albanien zu bieten: ‹Concrete in Common – Albania’s Bunker Legacy›. Die Ausstellung ‹Whispering Tree› mit Diane Dodson und Reto Leibundgut 2012 nahm intensiv Bezug zur räumlichen Struktur des Kunst Raums. Das Jahr 2017 sah eine vielbeachtete Hommage an den bekannten Basler Fotografen Kurt Wyss mit dem Titel ‹Augenzeuge›. Das Jubiläumsjahr 2018 wurde mit neuen Werken von Werner von Mutzenbecher eröffnet. Es folgten Louise Clement und Tim Berresheim, die sich beide auf unterschiedliche Weise mit digitaler Kunst auseinandersetzen und ein ganz neues Publikum anziehen. Abgeschlossen wurde das Jahr 2018 mit einer von Kiki Seiler kuratierten, erfolgreichen Verwaltung. Zudem war und ist die KBK nicht nur programmatisch und kuratorisch tätig, sondern hat auch ein Vorschlagsrecht für neue Mitglieder. Eine Rückbindung dieser Kommission, wie sie der aktuelle Leistungsauftrag festschreibt, kann sich mittelfristig negativ auf die Qualität der Ausstellungen auswirken. Eine offene politische Diskussion über die Konsequenzen des neuen Leistungsauftrags fand bisher nicht statt. Eine jahrzehntelang bewährte Tradition wurde so – unbemerkt von der Öffentlichkeit – zu Grabe getragen. Das könnte für die Gemeinde gravierende Konsequenzen haben, auch finanzielle, wenn zum Beispiel die Rekrutierung von profilierten Mitgliedern wegen der Kompetenzeinschränkung der ehrenamtlichen Kommission erschwert würde und deshalb fremde Kuratorinnen und Kuratoren im Mandatsverhältnis beauftragt werden müssten, die Riehen und seine Kultur nicht kennen. Die neue Situation bedeutet sicher eine Herausforderung für die politisch Verantwortlichen, ihre Klugheit, ihren Weitblick und ihre Sensibilität für die Kultur unter Beweis zu stellen, indem sie das Korsett für den Kunst Raum Riehen nicht zu eng schnüren.

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2018

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