Kinderbetreuung im Umbruch

Sibylle Meyrat

Tagesschulen, Mittagstische, Kindertagesstätten – das familienergänzende Betreuungsangebot wurde in den vergangenen Jahren auch in Riehen ausgebaut. Eine Spurensuche, wie Eltern den Balanceakt zwischen Familien- und Erwerbsarbeit organisieren.

Wer geht arbeiten und wer kümmert sich um die Kinder? Wie lässt sich das eine mit dem anderen verbinden? Diese Frage stellt sich spätestens dann, wenn Eltern ihr erstes Kind erwarten. Und sie stellt sich je nach Alter und Bildungsstand der Eltern anders. Einen Normalfall gibt es nicht mehr. Das war in der Schweiz bis in die 1990er-Jahre das bürgerlich-traditionelle Modell, bei dem sich die Mütter von Kindern im Vorschulalter ausschliesslich der Haus- und Familienarbeit widmeten. Lebten 1970 noch drei Viertel aller Paarhaushalte mit Kindern unter sieben Jahren mit dieser Arbeitsteilung, waren es im Jahr 2000 nur noch 37 Prozent.1

Im Kanton Basel-Stadt werden seit 1999 Familien befragt, wie sie ihre Arbeit und Freizeit gestalten und wie zufrieden sie mit ihrer Lebenssituation sind. Als Familie gelten ein oder zwei Elternteile, die mit mindestens einem eigenen Kind bis 18 Jahre an der gleichen Adresse leben. Dabei zeigte sich, dass in Riehen im Jahr 2009 drei Viertel aller Mütter und fast 90 Prozent der Väter erwerbstätig waren. Im Vergleich mit dem kantonalen Durchschnitt weisen die Mütter in Riehen und Bettingen einen sehr geringen Teilzeit-erwerbsumfang auf, während bei den Vätern eine überdurchschnittlich hohe Erwerbstätigkeit auffällt. Diese geht einher mit einem hohen Anteil von Vätern in Kaderfunktionen.2

Ein breites Angebot von familienergänzenden Tagesstrukturen fördert die Erwerbsarbeit der Eltern, vor allem der Mütter, wie der Vergleich mit skandinavischen Ländern zeigt. Seit einigen Jahren steht der Ausbau dieses Angebots auf der politischen Agenda des Bundes sowie vieler Kantone und Gemeinden. Im Kanton Basel-Stadt wurde das Recht der Eltern auf eine finanziell tragbare Tagesbetreuung ihrer Kinder 2003 gesetzlich geregelt und ist seit 2005 gar in der Verfassung festgeschrieben. Eine rasche Aufstockung von subventionierten Krippenplätzen sowie von Mittagstischen und Tagesschulen war auch in Riehen die Folge. Den Ausbau dieser Angebote hielt eine Mehrheit der 2009 in Riehen und Bettingen befragten Eltern für sinnvoll. Die Suche nach einem Betreuungsplatz beurteilten knapp 40 Prozent als schwierig.

Zufriedene Eltern und Kinder
Die Zufriedenheit von Familien hängt gemäss einer Befragung des Statistischen Amtes Basel-Stadt aus dem Jahr 2009 in hohem Mass mit dem Einkommen, dem Bildungsstand und der Sprache zusammen. Gemischt- oder fremdsprachige Familien und solche mit einem Einkommen von unter 7500 Franken pro Monat sind mit ihrer Lebenssituation (Arbeit, Kinderbetreuung, Wohnen, Freizeit) weniger zufrieden als solche mit der Muttersprache Deutsch oder Mundart, einem Einkommen über 7500 Franken und einer Tertiärausbildung. Familien aus Riehen und Bettingen, die überdurchschnittlich oft der letzteren Gruppe angehören, zählen statistisch gesehen zu den zufriedensten im Kanton Basel-Stadt. Im Vergleich etwa zu Kleinbasel haben die meisten Kinder in Riehen und Bettingen ein eigenes Zimmer und Zugang zu einem Garten oder Hof sowie sehr sichere Spielmöglichkeiten. Nur 15 Prozent der Familien leben auf engem Wohnraum, das heisst auf einer Wohnfläche von weniger als 81 Quadratmetern, in Kleinbasel sind es 42 Prozent.3

Wer sich bei Eltern in Riehen umhört, stellt fest, dass die Kinderbetreuung sehr individuell organisiert wird. Ein immer kleinerer Anteil wählt das traditionell-bürgerliche Modell, bei dem die Mutter zugunsten der Familien- und Hausarbeit vollständig auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet. Wenn beide Elternteile erwerbstätig bleiben, wählen sie unterschiedliche Betreuungsformen, je nach Grad der Erwerbstätigkeit, des Bildungsstandes, des Alters und der Anzahl Kinder. Die einen schwören auf Tagesschulen, wo die Kinder vom Frühstück über das Mittagessen bis zur Aufgabenhilfe in relativ frei wählbaren Modulen ihre Zeit verbringen können. Andere Eltern bevorzugen ein Tagesheim, weil dort auch die Ferienzeit abgedeckt ist. Wieder andere stellen zusätzlich eine Nanny ein oder greifen auf ein dichtes Netz an nachbarschaftlicher Hilfe sowie auf die Unterstützung von Grosseltern, Geschwistern, Paten und Freundinnen zurück.

Wenn drei Mütter aus Riehen im Jahrbuch berichten, wie ihr Familienalltag organisiert ist, ergibt das kein repräsentatives Bild. Doch es zeigt auf, wie der Balanceakt zwischen Beruf und Familie, zwischen verschiedensten Bedürfnissen und Ansprüchen im Alltag gelingt. Und es vermittelt einen Eindruck, wie breit das Spektrum an gelebten Familienmodellen im Jahr 2011 ist. Dass der Familienalltag aus Sicht der Mütter geschildert wird, schmälert die Bedeutung der Väter nicht. Es spiegelt lediglich die Tatsache wider, dass es in der Regel die Mütter sind, die den Hauptteil der Betreuungsaufgaben übernehmen. Sie teilen diese aber in viel stärkerem Mass als noch eine Generation zuvor mit ihren Partnern und mit externen Fachpersonen.

«Als wir unser erstes Kind erwarteten, arbeitete ich als Primarlehrerin und Benno schrieb seine Lizentiatsarbeit. Nach der Geburt arbeitete ich weiter mit einem 45-Prozent-Pensum, das sind drei Morgen pro Woche. Das lässt sich mit drei Kindern bewältigen, auch wenn es manchmal anstrengend ist, allen Ansprüchen gerecht zu werden.

Benno hatte sich nach Abschluss des Studiums zu einer Dissertation in Germanistik entschlossen und arbeitete während zwei Jahren mit einem 50-Prozent-Pensum als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Während ich unterrichtete, kümmerte sich Benno um unseren Sohn. Spätestens nach der Geburt des zweiten Kindes war klar, dass so zu wenig Zeit für die Dissertation blieb. Wir suchten dann eine externe Betreuung, was recht schwierig war. Damals wohnten wir noch in Basel und die subventionierten Krippen, die infrage kamen, waren wenig flexibel oder hatten lange Wartelisten. Schliesslich fanden wir eine gute Lösung mit einer privaten Spielgruppe.

Vor zwei Jahren zogen wir nach Riehen in ein Haus mit Garten. Es gehört einer Stiftung, die für Familien mit mindestens zwei Kindern günstigen Wohnraum anbietet. So günstig ist es zwar nicht mehr, aber immer noch billiger als auf dem offiziellen Wohnungsmarkt. Wir sind sehr froh um den Garten, wo die Kinder ohne Aufsicht spielen können. Die ganze Nachbarschaft besteht aus Familien mit Kindern. Das ist super, wir können uns aushelfen, wenn jemand mal für kurze Zeit weg muss. Die Kinder haben abgesehen von Schule und ‹Kindsgi› einen Freundeskreis im Quartier. Das Spielen auf der Strasse ist das Grösste für sie.

Unser Jüngster wird an zwei Morgen pro Woche von seiner Gotte betreut, die einen Sohn im gleichen Alter hat. Mit dieser Unterstützung schaffen wir es auch ohne externe Betreuung. Leider wohnen unsere Eltern fast drei Zugstunden entfernt, so können wir nicht auf Grosseltern zurückgreifen, die kurzfristig mal einspringen. Anders in den Ferien: Da können wir die Kinder hin und wieder eine Woche den Grosseltern überlassen. Das ist super für mich, so kann ich mehrere Tage hintereinander in Ruhe für die Schule arbeiten.

Bennos Dissertation nähert sich nun dem Abschluss. Ich hoffe, dass er auch nachher zeitlich so flexibel ist, dass wir bei diesem Modell bleiben können. Sonst finden wir eine andere Lösung. Es gibt inzwischen ja ein gutes Angebot an Mittagstischen und Tagesschulen. Ich kenne einige Eltern, die das nutzen. Ich persönlich finde es schön, wenn die Kinder am Mittag nach Hause kommen können. So ist jeder Tag ein bisschen anders. Manchmal essen sie mit Benno, manchmal mit mir, an manchen Tagen sind wir alle hier. Diese wechselnden Konstellationen schätzen auch die Kinder. Für mich ist es ein Glück, dass wir uns die Verantwortung teilen und viel Zeit mit unseren Kindern verbringen können.»

«Bis ich 30 wurde, dachte ich überhaupt nicht an Kinder. Ich hatte sehr viel Spass an meinem Beruf und konnte mir nichts anderes vorstellen. Nach dem Medizinstudium arbeitete ich zwei Jahre als Assistenzärztin an der Uni-Klinik in Tübingen und später drei Jahre in der Unternehmensberatung. Seit sieben Jahren bin ich bei Novartis in einer Kaderposition tätig, ebenso mein Mann. Als wir uns für Kinder entschieden, war klar, dass wir beide Vollzeit weiterarbeiten würden. Das hängt sicher mit unserem Umfeld zusammen, das stark von Amerika und Frankreich geprägt ist. Dort käme es keiner Kaderfrau in den Sinn, ihr Arbeitspensum zu reduzieren oder gar aufzugeben, weil sie Kinder bekommt. Und einem Mann sowieso nicht. Es ist selbstverständlich, dass die Haus- und Betreuungsarbeit delegiert wird.

Ich selber wuchs völlig anders auf, ich war ein Einzelkind und meine Mutter widmete sich ganz der Familien- und Hausarbeit. Das stand für mich nie zur Diskussion. Aber natürlich ist mir eine enge Beziehung zu meinen Kindern wichtig. Obwohl ich beruflich sehr viel Verantwortung trage, habe ich mich so organisiert, dass ich Zeit für meine Kinder habe. Eine Stunde am Morgen und zwei am Abend. Seltsam – welchem Mann in der gleichen Position würde diese Frage gestellt?

Wir hatten von Anfang an ein ‹Mixed-Model›, das bedeutet ein Tagesheim und für den älteren Sohn seit Kurzem ein privater Kindergarten, dazu eine Nanny, die die Kinder am Nachmittag abholt, zu Hause mit ihnen spielt und das Essen zubereitet. So haben unsere Söhne tagsüber Kontakt zu anderen Kindern und gleichzeitig ist jemand da, der ganz auf ihre individuellen Bedürfnisse eingehen kann. Dieses Modell hat sich sehr bewährt.

Im Gegensatz zu Deutschland, wo ich mich als berufstätige Mutter stigmatisiert fühlte, war es in Riehen und Basel einfach, eine gute Betreuung zu finden. Das Angebot ist gut, aber teuer. Ich bezahle gern dafür, finde es aber absurd, dass ich einen Fünftel meines Einkommens für die Kinderbetreuung ausgebe und nur einen sehr geringen Betrag von den Steuern absetzen kann. Der Staat müsste doch ein Interesse daran haben, dass ich arbeite, dazu Kinder habe und mit der externen Betreuung mehrere Arbeitsplätze schaffe. Der Verwaltungsaufwand, den ich als private Arbeitgeberin habe, ist enorm. Trotzdem empfinde ich meine Wohngemeinde insgesamt als sehr kinderfreundlich.

Nachdem mein Mann eine Beziehung zu einer anderen Frau eingegangen ist, leben wir seit einem halben Jahr getrennt. Es war eine grosse Veränderung für uns alle. Obwohl die Kinder regelmässig Zeit mit ihrem Papa verbringen, sind die Betreuungsaufgaben für mich intensiver geworden. In dieser schwierigen Zeit gibt mir der Beruf viel Kraft und Bestätigung. Es ist gut zu wissen, dass ich finanziell auf eigenen Beinen stehe. Und für die Kinder ist in dieser Situation die Stabilität wichtig, die sie bei der Nanny, im Tagesheim und im Kindergarten erfahren.»

«Bevor wir eine Familie gründeten, lebten Kurt und ich sieben Jahre zusammen. Er arbeitete als Ingenieur und ich als Dekorationsgestalterin. Mein Beruf erfüllte mich sehr, mir wurde rasch viel Verantwortung übertragen und ich konnte viele meiner Ideen verwirklichen. Im Gegensatz zu Freundinnen, die studierten, hatte ich als 30-Jährige schon mehr als zehn Jahre Berufserfahrung. Als wir uns für Kinder entschieden, war für mich klar, dass ich meine 100-Prozent-Stelle künden und offen für Neues sein wollte.

In den ersten zwei Jahren als Mutter fand ich immer wieder Zeit, um Konzeptarbeiten und Schulungen durchzuführen. Ich merkte aber bald, dass die Familie immer mehr Engagement forderte und mir meine gewohnte Kreativität und Energie im Beruf nicht mehr zur Verfügung standen. Beruf und Familie schienen mir nicht vereinbar. Es fiel mir leicht, mich für die Kinder zu entscheiden.

Zur Zeit der Geburt unseres ersten Sohnes hatte Kurt ein Pensum von 80 Prozent. Inzwischen hat sich seine Karriere so entwickelt, dass er zwei- bis dreimal im Monat geschäftlich im Ausland weilt. Das Wochenende ist für ihn ein wichtiger Ausgleich zur Arbeit. Am Samstag, wenn die Kinder in der Pfadi sind, hat er Zeit für sich. Für mich bedeutet das Wochenende kaum Freizeit. Meine Freizeit sind die Morgen unter der Woche. Seit die Kinder in der Schule sind, kehrt auch meine Lust auf kreative Tätigkeiten wieder. Ich bilde mich an der Schule für Gestaltung in Basel weiter und verbringe morgens oft Zeit in meinem Atelier, das ich mit einer Freundin gemietet habe. Auch ehrenamtliche Engagements in Vereinen gehören zu meinem Wochenpensum. Meine Aufgabe sehe ich vor allem darin, mich um die Aufs und Abs der Kinder zu kümmern, die sozialen Kontakte der Familie zu pflegen und tausend kleine Sachen zu erledigen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Natürlich hat das Modell, das wir wählten, auch Nachteile. Der Wiedereinstieg in den Beruf ist ein Thema. Ich war immer überzeugt, dass sich etwas findet, wenn es so weit ist, aber es zeigt sich nun, dass es schwieriger ist als erwartet. Seit der Geburt des ersten Kindes gestalte ich hin und wieder ein Schaufenster. Das ist wichtig als Bestätigung, aber Geld verdiene ich damit kaum. Trotzdem würde ich es wieder so machen. Ich orientiere mich bei wichtigen Entscheidungen nie daran, was alles schief gehen könnte. Jede muss das Modell finden, das zu ihr passt, und bereit sein, es zu ändern, wenn es nicht mehr trägt.»
 

1 Bundesamt für Statistik, Frauen- und Gleichstellungsatlas Schweiz, www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/regionen/thematische_karten/gleichstellungsatlas/vereinbarkeit_von_familie_und_erwerbsarbeit.html, Zugriff vom
12. Juli 2011.
2 Statistisches Amt des Kantons Basel-Stadt: Schlussbericht Familienbefragung 2009, Basel 2010. Die Detailangaben für Riehen/Bettingen verdanke ich Michèle Thommen, Statistisches Amt Basel-Stadt.
Statistisches Amt des Kantons Basel-Stadt: Schlussbericht Familienbefragung 2009,
Basel 2010.

* Namen auf Wunsch geändert.

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2011

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