Klimawandel im Schlipf – Winzer Rinklin erzählt
Daniel Hernández
Willy Rinklin (*1945) hat sein ganzes Leben als Weinbauer im Schlipf verbracht. Schon sein Vater war Winzer im Schlipf und heute betreibt sein Sohn Urs das Riehener Weingut. Im Gespräch mit Daniel Hernández im Mai 2020 erzählt er von seiner Wahrnehmung der klimatischen Veränderungen auf lokaler Ebene.
DANIEL HERNÁNDEZ: Welche Auswirkungen des Klimawandels auf die Rebkulturen konnten Sie in Ihrer langen Zeit als Winzer feststellen?
WILLY RINKLIN: Es ist wie bei den Kirschbäumen – die Reben treiben immer früher aus. Mein Vater hatte das Rebgut 1939 übernommen und starb 1984. Er erzählte mir, dass er während seines ganzen Lebens zwei Mal im September herbsten musste. Heute müssen wir die Riesling-Silvaner- Trauben zum Teil schon im August abnehmen. Deshalb haben wir fast alle Riesling-Silvaner ausgerupft, weil es sich um eine frühreife Sorte handelt. Denn damit sich eine gute Aromatik entwickelt, brauchen sie warme Tage und kalte Nächte. Diese gibt es im August aber noch nicht. Auch in der ersten Hälfte des Septembers haben wir noch keine kalten Nächte. Wenn wir die Aromatik und damit die Qualität nicht mehr hinbekommen, schmeckt sogar ein Hallauer Riesling-Silvaner, der ein Billigwein ist, besser als unserer. Auf einen warmen Vorfrühling kann ein später Kälteeinbruch im April oder Mai folgen wie zum Beispiel 2018 und 2019. Jede Rebe hat ein Haupt- und ein Nebenauge. Friert das Hauptauge ab, folgt das Nebenauge. Beim Gutedel ist das Nebenauge nicht sehr fruchtbar, während es beim Blauburgunder auch mit dem Nebenauge noch recht gute Erträge gibt. Mein Sohn Urs hatte im Jahr 2018 nur 18 Prozent eines normalen Ertrags. Ein Klimawandel findet unbestritten statt. Das ist sicht- und fühlbar.
Welche Rebsorten profitieren vom Klimawandel und welche leiden darunter?
In unserer Gegend leidet der Riesling-Silvaner. Er ist zu früh reif und bringt die Qualität nicht. Der Gutedel profitiert. Er ist eine später reifende Sorte und bringt mittlerweile viel höhere Oechslegrade. Das heisst, der Zuckergehalt ist heute höher als früher. Mein Ziel war es immer, möglichst auf 72 Grad Oechsle zu kommen. Das ist für mich das Mass. Der Walliser Fendant zum Beispiel muss 72 Grad Oechsle haben, sonst darf er nicht Fendant genannt werden. Diese Oechslegrade erreicht man mit den heutigen Klimaverhältnissen eigentlich immer.
Welches sind die Spitzenwerte, die Sie in einem milden Herbst erzielen?
Wenn wir beim Gutedel auf 80 Grad Oechsle kommen, ist das sehr gut. Rein von den Oechslegraden her profitiert auch der Blauburgunder. Das ist aber zugleich ein Problem. Zu viele Oechslegrade ergeben einen alkohollastigen, schweren Wein. Im Jahrhundertsommer 2003 hatten wir Blauburgunder mit 17,5 Prozent Alkoholgehalt. Mit 0,5 Prozent mehr Alkohol wäre er ein Likör geworden [lacht]. Und dann hat man ein Problem, trinkt man nur schon zwei Gläser davon … Man versucht jetzt auch, auf andere Sorten auszuweichen und Cuvées zu machen. 1998 fingen wir an, Diolinoir zu pflanzen. Entstanden ist dieser aus den Walliser Rebsorten Rouge de Diolly und Pinot Noir. Man weiss mittlerweile, dass sein Ursprung im Rhonetal liegt. Die Walliser behaupten immer noch, diese Rebe wachse nur im Wallis. Wir pflanzten ihn trotzdem. In den ersten Jahren mussten wir ihn zwar etwas ‹bäschele›, aber mittlerweile wächst er tipptopp. Das verdanken wir der zunehmenden Wärme und damit einer längeren Vegetationsperiode. Das ergibt einen besseren Wein.
Wie sollte der ideale Wetterverlauf zum Beispiel für den Gutedel sein?
Natürlich viel Sonne und zwischendurch etwas nass. Lange Trockenperioden sind nicht gut. 2018 und 2019 hatten wir sehr trockene Sommer. Auch dieses Jahr ist unser Brunnen nach einem sehr trockenen März und April wieder ausgetrocknet. Der Mai hat das Niederschlagsdefizit aber etwas entschärft.
Welche Rolle spielt der Frost für die Reben?
Der Winter sollte kalt sein, aber nicht zu kalt. Das ist für die ganze Entwicklung wichtig. In den Tropen, wo es nie unter Null Grad ist, wird kein Wein angepflanzt. Es braucht einmal einen richtigen Frost.
Welche Beobachtungen haben Sie bei der Verteilung des Regens im Jahresverlauf gemacht?
Gibt es Verschiebungen im Vergleich zu früher? Ich mache keine Aufzeichnungen. Die Grundtendenz ist aber, dass wir ausgedehntere Trockenperioden haben. Es dauert immer länger, bis es wieder einmal regnet. Sonne braucht es, aber Regen zwischendurch ist ebenso wichtig. Mittlerweile haben wir alle Reben begrünt. Das Gras zwischen den Stöcken muss gemäht werden. Früher ging man im Frühling mit dem Pflug oder mit der Hacke durch, um die Erde frei zu halten. Mit dem Effekt, dass wir jeden Herbst mit dem ‹Chäreli› unten alle Erde aufsammelten und oben wieder hinkippten. Mit der Begrünung ist das viel besser. Das Gras schützt den Boden vor Austrocknung und Erosion. Die Grasdecke halten wir möglichst kurz, damit nicht zu viel Wasser verdunstet. In einem nassen Jahr kann das Gras aber auch etwas höher stehen. Reben vertrocknen nicht so schnell. Sie machen 10–15 Meter lange Wurzeln, gehen also tief in den Boden hinein, um Wasser zu saugen. Ein Problem mit der Trockenheit haben nur die Junganlagen. Mein Sohn Urs musste schon zwei Mal eine Anlage nachpflanzen beziehungsweise Wasser zuführen, weil es lange trocken war.
Mit dem Klimawandel wandern Schädlinge aus wärmeren Regionen ein. Sind die Reben auch davon betroffen?
Das hat nicht nur mit dem Klimawandel, sondern auch mit der Globalisierung zu tun. Was uns Sorgen macht, ist die japanische Kirschessigfliege. Wir waren die Ersten, die davon betroffen waren. Wir haben ein Stück Rebland im Tüllinger Berg, der genau in der Südwestströmung vom Rheinhafen her liegt. In Japan bereitet die Kirschessigfliege keine grossen Probleme, weil die Kirsche dort vor allem der Blüte wegen kultiviert wird, und da die Kirschessigfliege weder Hitze noch Kälte verträgt, gibt es in Japan nur einen schmalen Streifen, in dem sie sich wohlfühlt. Bei uns hingegen behagt es ihr, weil wir keine kalten Winter mehr haben. Das Problem der Kirschessigfliege kennen alle Betriebe, die dunkle Früchte produzieren – also Heidelbeeren, Kirschen, Zwetschgen oder eben auch rote Trauben. Weisse Früchte, auch weisse Trauben, interessieren die Kirschessigfliege nicht.
Eine letzte Frage, die weniger die Reben betrifft, sondern vor allem die Kinder interessieren dürfte: Wie verhält es sich mit Schnee, Eis und harten Wintern? Woran erinnern Sie sich? Wie haben sich die Winter im Laufe Ihres Lebens verändert?
Mit meiner ein Jahr jüngeren Schwester ging ich jeweils über die Lörracherstrasse zur Mühle, wo der Kindergarten war. Es hatte häufig Schnee und dann fuhr der Vögeli- Migger vorbei und pflügte den Weg. Links und rechts davon gab es dann grosse ‹Schneemaden›. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Uns Kindern fiel nichts Besseres ein, als die ‹Schneebölle› zurück auf die Strasse zu befördern. Mein Vater, der das beobachtet hatte, gab uns am Abend den Ranzen voll [lacht]. Der Vögeli-Migger war von der Gemeinde angestellt und kam jeweils mit Ross und Pflug und bahnte auch unsere Privatstrasse, obwohl er dies nicht hätte tun müssen. Da mein Vater ihm dafür jeweils einen Schnaps offerierte, tat er das aber sehr gerne. Wir hatten einen schönen Hügel auf deutschem Gebiet, auf dem wir schlitteln konnten. Als ich in der Burgstrasse in die Realschule ging, liefen wir Buben mit vier bis sechs Schlitten auch auf die St. Chrischona hinauf. Aneinandergehängt, fuhren wir dann den Krummen Weg bis nach Riehen hinunter. Heute wäre das nicht mehr erlaubt. Wir machten das oft und es war immer eine Riesengaudi! Der Eisweiher am Erlensträsschen war regelmässig gefroren. Wir liefen dort immer Schlittschuh. Man liess das Wasser vom ‹Alte Dyych› hineinlaufen. Es versickerte ins Grundwasser, bis die IWB ihr Veto einlegte, da der Eisweiher in der Grundwasser-Schutzzone liegt. Die Kanalisation kam erst in den 1950er-Jahren. Den Eisweiher durfte man nur noch füllen, wenn der Boden schon mindestens drei Tage lang gefroren war. Da das nie mehr vorkam, konnte man den Weiher nicht mehr gebrauchen. Anno 1956 war die Wiese im sehr kalten Februar gänzlich zugefroren. Man konnte vom einen Ufer zum anderen hinübergehen. Im Winter 1962/63 war die Wiese sogar während mehrerer Monate zugefroren. Das kann man sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen. Meine Enkelkinder wissen fast nicht mehr, was Schnee ist.