Kontinuität als Herausforderung

Sibylle Meyrat

Seit Anfang 2008 leitet Sam Keller die Fondation Beyeler. Hauptziel des ehemaligen Art-Direktors ist es, das Lebenswerk von Ernst und Hildy Beyeler mit der bisherigen Ausrichtung in eine sichere Zukunft zu führen.

 

Die Kunstszene rieb sich im Juni 2006 verwundert die Augen, als bekannt wurde, dass Sam Keller seinen Job als Direktor der Art Basel verlassen und als Nachfolger von Christoph Vitali die Leitung der Fondation Beyeler antreten würde. Nicht dass jemand an der Bedeutung des Museums gezweifelt hätte. Aber der klassisch-elegante Bau von Renzo Piano, inmitten eines idyllischen Landschaftsparks gelegen, wird von Aussenstehenden primär assoziiert mit Ruhe, Kontemplation und Seriosität. Dagegen verbinden sich mit der Art Basel und ihrer Schwesterveranstaltung im amerikanischen Miami Schlagworte wie Glamour, milliardenschwere Geschäfte und rauschende Partys unter Palmen. Unter Kellers Leitung hatte sich die Art Basel der Gegenwartskunst geöffnet und, zusammen mit ihrem Pendant in Miami, zum wichtigsten Börsenplatz des zeitgenössischen Kunsthandels entwickelt. Die Medien wetteiferten mit Superlativen, betonten Kellers ausgeprägtes Gespür für Trends, sein ausgezeichnetes internationales Beziehungsnetz und seine Fähigkeit, bei allem Erfolg auf dem Boden zu bleiben.

 

Vom Rummel zur Ruhe?

 Dass dieser Mann, der fast jeden zweiten Tag in einem Flugzeug sass, um eine Sammlerin, ein Museum oder eine Messe zu besuchen, zur Fondation Beyeler wechseln würde, passte für viele nicht ins Bild, das sie sich von «Mister Art» gemacht hatten. über mögliche Gründe wurde spekuliert - ob er der vielen Reisen und Partys müde geworden sei, ob er sich in Riehen eine Verschnaufpause gönnen und bald wieder zum Sprung nach London, New York oder Tokio ansetzen würde - und vieles mehr.

 

Im Gespräch mit Sam Keller zeigt sich bald, dass derartige Ideen wenig mit der Realität und seinem beruflichen Selbstverständnis zu tun haben. Auch im zweiten Jahr seiner Tätigkeit in Riehen wiederholt er, was er lange vor seinem Amtsantritt als Direktor der Fondation auf die Frage nach seinen Beweggründen antwortete. Er wolle das Lebenswerk von Ernst Beyeler mit dem bisherigen Qualitätsanspruch in eine sichere Zukunft führen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Dass dies eine grosse Aufgabe ist, wird bei näherem Hinsehen schnell klar. Zwar weist das Haus im nationalen und internationalen Vergleich hohe Besucherzahlen und einen ebenso beachtlichen Grad an Eigen Finanzierung auf. Doch der Museumsbetrieb verschlingt immense Summen, die nicht so leicht einzuspielen sind. Mit dem neuen Direktor hat Ernst Beyeler einen Mann gewonnen, der dazu wie kaum ein anderer fähig sein dürfte. Bereits bei der Art Basel arbeitete er sehr erfolgreich mit Sponsoren zusammen. «Keller hat als Erster begriffen, dass der Kunsthandel die reinste Form der Marktwirtschaft ist», brachte die «Süddeutsche Zeitung» sein Erfolgsrezept auf den Punkt.

Begabter Netzwerker

Dass er sich in Fragen der Kunstgeschichte und Theorie keinen Namen gemacht hat, schmälert diesen Erfolg nicht. Das Studium an der Universität brach er nach ein paar Semestern ab, weil er dort nicht fand, was er suchte. Stattdessen sammelte er Erfahrungen in der Kommunikationsbranche und auf Reisen. Später stieg er als Pressesprecher bei der Messe Basel ein, wo er einen schnellen Weg nach oben nahm. Skepsis aus akademischen Fachkreisen begegnet er mit Gelassenheit. Er müsse kein Experte auf allen Gebieten sein. Hingegen müsse er die besten Fachleute finden und führen können. In der Fondation Beyeler habe er von Anfang an auf ein hoch motiviertes und sehr kompetentes Team zählen können.

Eine Fähigkeit, die Sam Kellers Karriere bei der Art Basel begünstigte und ihm in seiner jetzigen Tätigkeit zugute kommt, ist sein souveräner Umgang mit Menschen unterschiedlichster Herkunft. Ob es sich um eine exzentrische Künstlerin, einen milliardenschweren Sammler oder einen technischen Hilfsarbeiter handelt - er behandelt alle mit der gleichen Offenheit. «Es geht nicht darum, jedermanns Freund zu sein», betont er im Gespräch. «Das ist nicht möglich und nicht das Ziel.» Aber er könne zu allen freundlich und fair sein. Das betrifft ebenso das Neinsagen. Zu vielem müsse er Nein sagen, um höchste Qualität erreichen zu können. Aber auch das könne er freundlich tun. Dann sei es fast immer möglich, weiterhin eine gute Beziehung zu pflegen.

Weder Sam Keller noch Ernst Beyeler wurde der Umgang mit Kunst in die Wiege gelegt. Mag sein, dass diese Gemeinsamkeit das Vertrauen zwischen ihnen gestärkt hat. Sam Keller ist in Bettingen in einer Familie aufgewachsen, in der Kunst keine Rolle spielte. Sein Vater arbeitete als technischer Leiter auf St. Chrischona, seine Mutter als Krankenschwester. Sein Erweckungserlebnis in Sachen Kunst hatte er im Alter von elf Jahren, als er mit seiner Schulklasse im Basler Kunstmuseum eine Ausstellung mit Werken von Jean Tinguely und Daniel Spoerry besuchte. Die Faszination, die ihn dort packte, hat ihn bis heute nicht losgelassen. Auch Ernst Beyeler, Sohn eines Bahnbeamten, wurde über Umwege zum Kunstsammler und Museumsgründer. Als Vierundzwanzigjähriger hatte er ein Antiquariat in Basel übernommen und es allmählich zur weltbekannten Galerie ausgebaut. Indem er gewisse Werke zur Seite legte, die ihm und seiner im vergangenen Jahr verstorbenen Frau Hildy besonders lieb waren, wuchs über die Jahrzehnte hinweg die inzwischen weltbekannte Sammlung.

Wie bereits Ernst Beyeler bezeichnet auch Sam Keller den persönlichen Austausch mit Kunstschaffenden als wichtigen und schönen Teil seiner Arbeit. Während er früher eher selbst auf Reisen war, kommen ihn heute Künstler und Sammler aus aller Welt in Riehen besuchen. Das geniesst er sichtlich. «Es gibt mehr Zeit für den Einzelnen, man kann mehr in die Tiefe gehen. Während ich früher jeden Tag neue Kunst gesehen habe, sehe ich im Museum die Werke über eine längere Zeitdauer, lerne mehr über die einzelnen Bilder und über ihre Geschichte.»

Die Bande der Fondation Beyeler zur zeitgenössischen Kunst wurden unter Kellers Leitung verstärkt. So wurden Künstler wie John Armleder, Sarah Morris und Frank West eingeladen, während der Sonderausstellungen ihre Werke im Untergeschoss zu präsentieren. Mit einer Sonderausstellung zu Jenny Holzer wird eine der wichtigsten Künstlerinnen der Gegenwart gewürdigt. Die permanente Sammlung soll darüber nicht vergessen gehen, sondern aus immer wieder neuen Perspektiven zugänglich gemacht werden. Mindestens zwei Mal pro Jahr werden die Werke neu gehängt und gruppiert. Da nur etwa ein Drittel gleichzeitig ausgestellt werden kann, sind dies Gelegenheiten, länger nicht mehr gezeigte Werke aus dem Keller ans Licht zu holen.

Unzählige Lieblingswerke

Die Frage nach seinem Lieblingswerk bringt Keller in Verlegenheit. Früher sei es die «Nu bleu» von Matisse gewesen. Doch seit er in Riehen arbeite, seien laufend neue Lieblingswerke hinzugekommen. Ein spezielles Erlebnis war für ihn die Ausstellung, welche die Fondation Beyeler dieses Jahr in Russland realisierte: Im Puschkin-Museum in Moskau und in der Staatlichen Eremitage in St. Petersburg wurden in Zusammenarbeit mit der Giacometti-Stiftung Zürich Werke der Schweizer Künstlerfamilie Giacometti gezeigt. Dass das Museum einen derart grossen und wichtigen Teil seiner Sammlung ins Ausland ausgeliehen hat, war eine Premiere. «Es fühlte sich für uns ein bisschen an wie für Eltern, deren Kinder zum ersten Mal auf eine weite Reise gehen. Wenn sie zurückkommen, ist die Freude umso grösser.»

Die Liste der Aktivitäten der Fondation Beyeler war auch dieses Jahr lang und umfasst viele bekannte Namen. Sie reicht von Kooperationen mit dem Kulturbüro Riehen über Lesungen und Künstlergespräche bis zu zahlreichen Sponsorenanlässen. Auch der FCB fand auf Sam Kellers Einladung hin den Weg nach Riehen, für viele Spieler war es der erste Besuch in der Fondation Beyeler.

Ob es bei dieser Betriebsamkeit in seinem Leben noch Platz für etwas gibt, das nicht direkt mit Kunst zu tun hat? Fragen wie diese behandelt Sam Keller mit freundlich-entschiedener Zurückhaltung. Von seinem Privatleben weiss die öffentlichkeit nicht viel mehr, als dass er seit neunzehn Jahren verheiratet und Vater eines siebzehnjährigen Sohnes ist. Zu seinen engen persönlichen Freunden zählt er auch Menschen, die mit Kunst gar nichts am Hut haben. Und schliesslich kann ihn ein FCB-Match ebenso fesseln wie ein Rundgang durch sein Museum. «Wenn ich dann Grün sehe, denke ich nicht an den Seerosenteich von Monet, sondern hoffe nur, dass der FCB das nächste Tor schiesst.»

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2009

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