Leidenschaft in Bild und Ton

Liselotte Kurth, Luzius Müller

Am 18. April 2006 erhielten die Geigerin Malwina Sosnowska und der Filmemacher Tim Fehlbaum den Riehener Kulturpreis 2005 überreicht.

 

Eine geradlinige Entfaltung

Vom ersten Konzert mit sieben, den ersten Fernsehaufnahmen mit neun Jahren über viele Stationen im In- und Ausland hin zur Interpretation des Brahmsviolinkonzertes in D-Dur mit 15 Jahren.

 

Lassen Sie mich mit einem Blick auf die Biografie der jungen Künstlerin beginnen. Malwina Sosnowska wurde 1985 in Basel geboren und lebt mit ihren Eltern seit dem 8. Lebensjahr in Riehen. Sie ist von Musik umgeben aufgewachsen. Im musikalischen Elternhaus erfuhr sie beide Seiten der Musik, die beseligende und die fordernde. Ihre Mutter führte sie so klug in die Anfangsgründe des Geigenspiels ein, dass dieses in ihr Leben einwuchs, untrennbar von ihrer Persönlichkeit. Mit acht Jahren fand sie Aufnahme in die Förderklasse der Musikschule Basel. Studien führten sie nach Freiburg im Breisgau und nach Zürich. Mit 15 Jahren wurde sie Jungstudentin bei Prof. Rafael Oleg an der Musikakademie Basel und 19-jährig, nach bestandener Matur am Gymnasium Bäumlihof, begann sie ihr Studium in der Klasse von Prof. Michael Vaiman an der Hochschule für Musik Köln/Aachen.

 

Die junge Frau setzte ihre internationale Solistinnenlaufbahn fort auf der Konzertbühne und mit Radio- und Fernsehaufnahmen in der Schweiz, in Polen, Finnland, Frankreich, Deutschland, österreich, Italien, Kirgistan und in der Ukraine. Im Herbst 2004 fuhr sie mit dem Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von Marko Letonja nach China. Sie glänzte dort mit dem «Rondo capriccioso» von Camille Saint-Saëns und der «Tzigane» von Maurice Ravel, beides äusserst virtuose Stücke.

 

Wo immer sie auftrat, begeisterte sie mit ihrem Geigenspiel. Sie überzeugte zudem in einer Reihe von Wettbewerben kritische Jurymitglieder von ihrer ausserordentlichen Begabung und ihrem hohen Können.

2002 und 2004 erhielt sie den 1. Preis mit Auszeichnung am regionalen und nationalen Wettbewerb «Schweizer Jugend musiziert».

2003 trat sie als eine von vier ausgewählten Instrumentalistinnen und Instrumentalisten in einer Live-übertragung aller Schweizer Fernseh- und Radiosender auf.

2005 erfolgte eine Preisverleihung im Rahmen der Schule. Es wurde ihr der «Novartis Maturandenpreis» für besondere nebenschulische Leistungen in der Sparte Kunst zugesprochen.

2005 wurde ihr ausserdem der 1. Preis am Internationalen Geigenwettbewerb «Andrea Postacchini» in Fermo, Italien, verliehen, gekrönt durch den Spezialpreis für die beste BachInterpretation des gesamten Wettbewerbs.

Die Stationen und Erfolge einer bereits konzerterprobten jungen Künstlerin sind eindrücklich. Leise Skepsis könnte aufsteigen und die Frage, ob da nun eine rasante Reise durch die Welt der klassischen Geigenliteratur begonnen habe, ohne dass die Seele mitgekommen sei.

Es wird Zeit, dass ich von der Beschreibung der bisherigen Laufbahn abrücke und mich der jungen Künstlerin zuwende, die uns eben mit einer lebensprühenden Bach-Interpretation erfreut hat.

Eigentlich ist die Frage, ob sich denn parallel zur Perfektionierung auf dem Instrument auch die menschliche Reifung vollzogen habe, mit der Gestaltung dieses Werkes schon beantwortet. Musik übersteigt die Kraft der Worte, derer wir aber bedürfen, wenn wir uns verständigen und über die eigenen Gedanken und Empfindungen hinaus zu einer gemeinsamen Auffassung finden wollen. Die Preisverleihung beruht ja auf einer übereinstimmung in der Wahrnehmung und Einschätzung eines künstlerischen Potenzials.

In Worten also werde ich die Annäherung an Sie, liebe Malwina Sosnowska, versuchen. Mit Blick auf Kindertage sagte ich: Die Geige wuchs in Ihr Leben hinein. Ich sagte nicht, die Geige wurde Ihr Leben. Sie spielen seit Kurzem eine kostbare Geige, eine Guarneri del Gesù, die Ihnen von der Familie Senn aus Basel zur Verfügung gestellt wird. Sie sind überglücklich mit dem Instrument, können sich aber auch vorstellen, Ihr Leben nicht einzig der Geige zu verschreiben. Sie sehen junge Musiker, die sich aus der Vielfalt des Lebens zurückziehen, um sich nur noch mit ihrem Instrument zu befassen und ahnen darin die Gefahr des Zerbrechens, sollten sich Vorstellungen einer Künstlerlaufbahn nicht erfüllen. Das Lachen, das Sie als Kind auch bei strengem üben nie verloren, steht Ihnen noch heute im Gesicht. «Ambitioniert: ja! - verbissen: nein!», heisst Ihr Leitspruch. Um gut zu spielen, müssen Sie sich wohl fühlen. Unter «gut» verstehen Sie das äusserste an Fertigkeiten und Musikalität, das Sie realisieren können. Für richtig gut aber halten Sie eine Interpretation erst dann, wenn sich in den Gesichtern der Zuhörenden Bewegung zeigt. Ihr unerbittlicher Anspruch besteht denn auch darin zu merken, wenn Lebensfreude und Echtheit in Gefahr geraten. Den Fragen nach der Karriere begegnen Sie trotz grosser Konkurrenz mit einem Lächeln. Auch andere Wege stehen offen: mit dem Mikroskop arbeiten, Tiere beobachten - eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen, wenn Sie sich denn dafür entscheiden würden. Halbheiten gibt es keine.

Nach einem Vorbild befragt, nannten Sie den grossen Geiger Henryk Szering, der von sich sagte: «Ich bin Archäologe.» Es beeindruckt Sie, wenn die Sicht auf das Leben über die Konzertlaufbahn hinaus reicht.

Zur Frage nach den Lieblingswerken wollten Sie sich nicht festlegen. Dies stünde im Widerspruch zu Ihrer gegenwärti gen Schaffensphase, die durch Neugier gekennzeichnet ist, in der Sie aber auch noch nicht ganz auf sich selber gestellt entscheiden. Ein Schlüsselerlebnis aber ist die Begegnung mit «Polyptyque» von Frank Martin, sechs Bilder der Passionsgeschichte für Violine solo und zwei Streichorchester. Das Werk ist untrennbar verbunden mit dem verehrten Konzertmeister des Zürcher Kammerorchesters, der für ein kurzes aber unvergessliches Jahr Ihr Lehrer war.

Ihre Liebe zur bildhaften Musik rückt Sie dem Filmkünstler Tim Fehlbaum näher, mit dem zusammen Sie heute ausgezeichnet werden. «L'Histoire du Soldat», «Die Geschichte vom Soldaten» - zu lesen, zu spielen und zu tanzen - fasziniert Sie. Das Werk von Igor Strawinsky mit dem Text von Charles Ferdinand Ramuz wurde 1918 in der Dekoration von René Auberjonois in Lausanne uraufgeführt. In seinen Erinnerungen sagt der Komponist: «Ich habe immer einen Abscheu davor gehabt, Musik mit geschlossenen Augen zu hören, also ohne dass das Auge aktiv teilnimmt. Wenn man Musik in ihrem vollen Umfange begreifen will, ist es notwendig, auch die Gesten und Bewegungen des menschlichen Körpers zu sehen, durch die sie hervorgebracht wird.» Solche überlegungen bewogen ihn, die drei wesentlichen Elemente des Stücks zu einem Ensemble zu vereinen, das kleine Orchester sichtbar neben der Bühne, auf der anderen Seite der Vorleser und in der Mitte die Schauspieler: Die Kunst als Ganzheit des menschlichen Ausdrucks in Wort, Musik und Bewegung. Diese Auffassung entspricht Ihrem Kultur- und Bildungsverständnis.

Sie lesen viel, nicht um in Träume zu versinken, sondern um die heiteren und traurigen Merkwürdigkeiten des Lebens besser zu begreifen. Wie in der Musik finden Sie in der Literatur Klänge, Farben, Stimmungen, Struktur, Formen und Bewegung. Besonders gerne haben Sie Dostojewski, Tschechov aber auch den irischen Schriftsteller James Joyce mit seiner bildhaften Sprache. Sie lieben Gedichte und Essays und heben diejenigen von Beuys hervor, der unter jeder künstlerischen Arbeit einen Energieschub versteht, um ausgetretene Wege eines einseitigen Denkens zu verlassen und neue Zusammenhänge zu erkennen.

Sie halten sich aber nicht einzig an den Ernst der grossen Namen und Werke. Der Umgang mit Musik und Buch darf vergnüglich und ausschweifend sein. Wer sich in der Definition von Kultur mit einer Abgrenzung behelfen will, soll dies tun gegenüber Uninspiriertem im Griff des dumpfen Kommerzes.

Als Beispiel für einen Ausflug in die leichte Lektüre nannten Sie «Die Säulen der Erde» von Ken Follett. Mit der ausdrücklichen Erwähnung der Architektur ist der Bogen über der Vielfalt menschlicher Gestaltungskraft nun geschlossen. Wie solche sich zur Kunst erhebt, sagt die folgende kleine Geschichte: Zwei Steinhauer führen dieselbe Arbeit aus. Nach dieser Arbeit befragt, erklärt der eine: «Ich spalte einen Stein», der andere entgegnet: «Ich baue an einer Kathedrale.» Dieses Bild gilt auch für Ihre Haltung, liebe Malwina. Sie arbeiten nicht mühevoll verstrickt ins Detail, sondern mit der künstlerischen Erfüllung vor Augen, dem Himmel voller Geigen - diese Anspielung auf Ihre Visitenkarte sei erlaubt. Während Ihrer Schulzeit blieben Sie mit dem Geigenspiel eher im Hintergrund. Es war leichter, gleich zu sein wie die anderen. Im jetzigen Lebensabschnitt entfaltet sich die Einzigartigkeit in Ihrem Spiel, mit dem Sie uns erfreuen und überzeugen.

Und neue Türen stehen offen Vor kurzer Zeit reisten Sie in die USA zur Aufnahmeprüfung am «Curtis Institute of Music» in Philadelphia. 80 Geiger aus aller Welt bewarben sich um einen Studienplatz mit Vollstipendium. Sie gehören zu den sechs neu Aufgenommenen - herzliche Gratulation! Ab September werden Sie an einem neuen Baustein Ihrer Laufbahn arbeiten.

Europa werden Sie aber nicht ganz fern bleiben. Jüngstes Beispiel dafür ist die Verpflichtung für ein Konzert in der Tonhalle mit dem Zürcher Sinfonieorchester.

Für Ihren weiteren Werdegang wünsche ich Ihnen, liebe Preisträgerin, und natürlich auch Ihnen, lieber Preisträger interessante Wirkungsfelder, Erfolg - und Glück.

Der Filmemacher Tim Fehlbaum Tim Fehlbaum wurde 1982 In Basel geboren und ist in Riehen aufgewachsen.

Er kam in seiner elterlichen Umgebung schon früh mit Kunst und schöpferischer Gestaltung in Berührung. Seine Familie unterhält unter anderem das «Vitra Design Museum» in Weil. Eine wertvolle Vorraussetzung für eine künstlerische Laulbahn, die aber alleine nicht genügt. Denn der Keim, der auf solch fruchtbaren Boden fällt, muss auch sein eigenes kreatives Potenzial in sich tragen. Tim Fehlbaum bewies schon zu Schulzeiten, dass er dieses hatte. Anstatt ein Schülertheater aufzuführen, drehte seine Klasse einen Film - mit Tim als Regisseur.

Nach der Matura am Humanistischen Gymnasium Basel konzentrierte sich Tim vollends auf das Filmemachen, lernte viel über das Handwerk bei seinem Praktikum in einer Film- und Werbeagentur in Wien und realisierte seine ersten konkreten Filmprojekte in Eigenregie.

Seit 3V2 Jahren absolviert er die «Hochschule für Fernsehen und Film» in München und bereitet sich dort allmählich auf seine Abschlussarbeit vor. Mit dem Kurzfilm «Für Julian», den er im Rahmen dieser Schule drehte, gewann er 2004 den «Shocking Shorts Award», eine Auszeichnung des Fernsehsenders «13th Street» von NBC Universal Deutschland. Diese Auszeichnung brachte ihm einen offiziellen Besuch bei einem der grossen Filmstudios in Hollywood ein.

Nebst seinem Engagement an der Filmschule arbeitet Tim bis heute für die Agentur in Wien und dreht Werbefilme im Auftrag. Als Kameramann arbeitete er zuletzt für einen Dokumentarfilm in Moskau und wird demnächst in L. A. filmen. Die Berufung - die er schon sehr früh in seinem Leben verspürte - war und ist es aber, seine eigenen Filme zu verwirklichen.

Seine Filme vereinnahmen sofort. Ihre Dynamik, die Präzision des Schnittes und die Unmittelbarkeit ihrer Bilder zeugen von seinem grossen Talent. Aufmerksam wurde die Jury auf Tim Fehlbaum durch seinen Kurzfilm «Stereotyped» aus dem Jahr 2001. Der Film entstand komplett in Eigenregie und wurde mehrfach ausgezeichnet. Unter anderem mit dem «Prix Jeunesse» der UNICA in Luxemburg und dem Spezialpreis für hervorragende Umsetzung an den Schweizer Jugendfilmtagen 2002, sowie mit dessen Publikumspreis.

Mit «Stereotyped» haben sich Tim Fehlbaum über Nacht internationale Türen geöffnet. Der Film hat auch mich von der ersten Sekunde an vereinnahmt. Das perfekte Timing der Schnitte und das Gefühl für die Dynamik in dem äusserst schnellen Film haben eine Resonanz in meinem musikalischen Gehör erzeugt. Eine Melodie ohne Töne. Ein Beat aus Bildern. Der Takt eines Tages. Auf wenige Minuten komprimiert - mit der Kompromisslosigkeit eines Könners. Von jemandem, der sich ganz sicher ist, was er ausdrücken will, der seine formalen Vorstellungen zielsicher umsetzt.

Diese Gedanken waren mir damals lose durch den Kopf gegangen. Eher unbewusst. Meine neuerliche Auseinandersetzung mit Tims Filmen hat sie mir wieder ins Bewusstsein gerückt und mich diesen Blick wieder schärfen lassen. Ich bin mir heute sicher, dass diese konsequente Haltung, die ich hinter diesen Bildern gesehen hatte, einer der Schlüssel zu erfolgreichem kreativem Schaffen ist. Unabhängig von der Kunstform oder dem Genre.

Tims Arbeit hat sich seit «Stereotyped» in den letzten vier Jahren auf eindrückliche Weise weiter entwickelt. Seine neueren Filme haben noch an Direktheit gewonnen. Ihre Bildsprache hat etwas von der Verspieltheit von früheren Arbeiten abgestreift und eine ernsthaftere Ausstrahlung angenommen. Sie zielt mit ihrer Unmittelbarkeit noch direkter auf unsere Wahrnehmung. Die Distanzlosigkeit, mit der wir seinen Protagonisten begegnen, schafft dabei manchmal eine Nähe, die beklemmend ist - und der wir uns nicht entziehen können. Bilder von hoher ästhetik transportieren den teilweise schweren Stoff und lassen uns noch tiefer eintauchen. Einmal in diesen Bann gebracht, lassen die Filme die Zuschauer nicht mehr los und führen sie konsequent dem Kern ihrer Geschichten zu.

Die manchmal recht düsteren Bilder und Motive seiner Filme scheinen nicht so recht zu Tims Wesen zu passen, strahlt er selbst doch eine gewisse Zartheit, ja gar Unbescholtenheit aus. Tim sagt dazu, dass er als eher ängstlicher Mensch selber von unheimlichen und unbehaglichen Filmen fasziniert ist - und immer schon war.

So zählen David Lynch, Roman Polanski und Michael Haneke zu seinen liebsten Regisseuren, aber auch der Meister des klassischen Thrillers, Alfred Hitchcock.

Tim begegnet seiner Umwelt, aber auch sich selber mit einem offenen und kritischen Auge. Eine gewisse Bescheidenheit, aber auch eine gewandte Ausstrahlung begleiten ihn. Seine selbstkritische Haltung paart er mit einem gesunden Selbstvertrauen. Mit dem Mut, sich auch einmal einen Fehltritt zu leisten, hat er die Voraussetzungen, in seinem schwierigen Betätigungsfeld zu bestehen.

Ich möchte Tim Fehlbaum an dieser Stelle ganz herzlich zum Förderpreis der Jury für den Kulturpreis Riehen gratulieren. Ich wünsche ihm eine von spannenden und erfolgreichen Projekten begleitete Reise in seine schöpferische Zukunft.

Tim liebt das Spiel mit vertauschten Betrachtungswinkeln. Er führt die Zuschauer entlang eines unsicheren Pfades zwischen Wahrheit und Fiktion und spielt damit eine der Stärken des Mediums Film voll aus. Er versteht es blendend, die Objektivität, in der wir uns vermeintlich bewegen, als eine von beliebig vielen Subjektivitäten darzustellen.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2006

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