Liebeswerben um die Musik


Sigfried Schibli



Vieles bleibt, manches ist im Wandel: Riehen hat eine stolze Musiktradition und ist als Musikstadt wieder in Bewegung. 


 

Riehen ist nicht nur der Ort, wo einst Adolf Busch und Rudolf Serkin lebten. Auch heute noch wohnen etliche Musikerinnen und Musiker sowie einige Musikveranstalter hier – und überhaupt steht die klassische Musik hoch im Kurs. 62 Jahre lang war die Konzertreihe ‹Kunst in Riehen› mit ihren Konzerten im Landgasthof ein Markenzeichen, und in den letzten Jahren sind Initiativen hinzugekommen, die das Gesicht der kleinen, feinen Musikstadt Riehen verändern. Rudolf und Elisabeth Geigy haben ihren Hirzen-Pavillon an der Bäumlihofstrasse zum Treffpunkt der jungen Klassik-Szene gemacht. Der Geiger Thomas Wicky-Stamm hat in der Dorfkirche mit ‹Connaissez-vous?› einen Konzertzyklus mit eigenem Profil etabliert. Im Wenkenhof finden im Sommer weitgehend privat finanzierte Opernaufführungen statt. Zuletzt haben Elke und Fee Peper in Verbindung mit der Riehener Musikerfamilie Uszynski das Festival ‹Vier Jahreszeiten› begründet. Nimmt man das Orgelfestival in der Franziskuskirche, Fridolin Uhlenhuts ‹Musica antiqua›, das Philharmonische Orchester Riehen, den Musikverein, die Aktivitäten der Musikschule, die Events im ‹Kunst Raum Riehen› und die Open-Air-Veranstaltung ‹Son et lumière› hinzu, so darf man mit Fug und Recht behaupten: Riehen ist ein fruchtbarer Boden für die Musik. 


 

Umstrittener Landgasthof


Aber es ist auch ein hart umkämpftes Pflaster. Die wachsende Zahl von Initiativen im Bereich der Klassik hat zu einer Verdichtung geführt, die das Spiel von Angebot und Nachfrage zum Kampf ums Überleben werden lässt. Zwar kann von einem «Aussterben der Klassikkultur» noch längst keine Rede sein, aber die immer zahlreicheren Veranstaltungen führen zu einem Verdrängungswettbewerb, der bereits erste Opfer fordert. Die wachsende Konkurrenz wurde für die ‹Kunst in Riehen› zum Problem. Nach 62 Jahren stand der Verein plötzlich ohne Subventionen da (bisher 45 000 Franken jährlich) und sah sich zur Einstellung seiner Tätigkeit gezwungen. Ein Konzert der Geigerin Viktoria Mullova mit dem Fortepianospieler Kristian Bezuidenhout in der Dorfkirche setzte im März 2012 einen Schlusspunkt unter die Aktivitäten des zuletzt vom Basler Pianisten und Physiker Oliver Fritz geleiteten Vereins. Ganz ohne verbalen Dissens ging das nicht ab: Während die für Bildung und Kultur zuständige Riehener Gemeinderätin Maria Iselin-Löffler davon sprach, der Vereinsvorstand habe «sich aufgegeben», beklagte dieser, er habe keineswegs resigniert, ihm sei schlicht die finanzielle Grundlage seiner Tätigkeit entzogen worden. Jedenfalls fühlte sich die ‹Kunst in Riehen› nicht mehr im gleichen Masse getragen und sah sich ausserstande, weiterhin im 500 Plätze zählenden Landgasthof-Saal zu spielen.


 

Auch das Ehepaar Geigy beendet sein privates Mäzenatentum per Ende Jahr, der Hirzen-Pavillon wird nicht mehr für öffentliche Konzerte oder Literaturveranstaltungen offenstehen. Dahinter stehen laut Rudolf Geigy private Gründe. Wie es mit dem Festival ‹Opera Riehen› nach dem Zerwürfnis zwischen Martin Grossmann und Jan Schultsz weitergeht, ist derzeit offen. Junge Initiativen wie die ‹Vier Jahreszeiten› und die mit Hilfe des Basler Geigers Egidius Streiff von der Gemeinde initiierten Musikevents im ‹Kunst Raum Riehen› genossen mehr Akzeptanz seitens der Gemeinde als die in ihrem Auftritt konservative ‹Kunst in Riehen›, die überdies ein Publikumsproblem hatte: Zuletzt gab es noch hundert Abonnenten und in der Regel nicht mehr als 250 Zuhörer – mehr als in vielen Konzerten in kleineren Räumen, aber gemessen an der Saalgrösse und am finanziellen Aufwand zu wenig. Nachdem die ‹Kunst in Riehen› schon ihren zweiten Spielort (‹Das kleine Konzert im Wenkenhof›) hatte aufgeben müssen, drohte erneut ein Kulturverlust.


 

Aber dass der 1951 erbaute Landgasthof gänzlich musikfrei bleiben sollte, konnte und wollte man sich dann doch nicht vorstellen. Mit diesem Raum – mag er auch ästhetisch nicht in jeder Hinsicht heutigen Ansprüchen genügen – verbindet sich das Bild einer grossen Tradition bürgerlicher Musikkultur. Hier sind zahlreiche Musikerpersönlichkeiten aufgetreten – vom Geiger Joseph Szigeti bis zum Emerson-Quartett, vom Flötisten Jean-Pierre Rampal bis zu den Sängern Elisabeth Schwarzkopf und Christoph Prégardien, vom lokalen Pianisten Peter 
Zeugin bis zu Tastenstars wie Krystian Zimerman und Rudolf Buchbinder. Die Konzerte fanden vor einem Publikum statt, das die ‹Kunst in Riehen› in einem Atemzug mit den Basler Solistenabenden und den Konzerten der Gesellschaft für Kammermusik im Stadtcasino nannte. Und mit dieser Form musikalischer Hochkultur sollte nun zugunsten lokaler Initiativen und der Neuen Musik plötzlich Schluss sein?


 

Internationales Flair


Im Frühling 2012 kristallisierte sich eine Nachfolge für die ‹Kunst in Riehen› heraus. Es ist keine ‹Riehener Lösung› im engeren Sinn, aber es ist eine Lösung, die den Landgasthof wieder zu einem musikalischen ‹Nebenzentrum› machen kann. Denn der Konzertveranstalter Christoph Müller, der sich um eine Fortsetzung der Konzertreihe bemüht hatte, ist im Musikbetrieb so gut vernetzt wie sonst kaum jemand, leitet er doch schon die Festivals in Gstaad, Interlaken, Olsberg und Rheinfelden sowie eine hochkarätige Konzertreihe in Luzern. Überdies ist er eng mit dem Kammerorchester Basel verbunden. Trotz fehlender Subventionen wagte er es, einen neuen Zyklus in den Fussstapfen der ‹Kunst in Riehen› zu begründen. Ende Oktober 2012 findet das erste Konzert im Rahmen der ‹Classiques!› genannten Reihe mit dem Pianisten Menahem Pressler und dem Leipziger Streichquartett statt. 


 

Bemerkenswert ist weiter eine Initiative auf der Schnittfläche von Nachwuchsförderung und Hochkultur. Elke und Fee Peper haben mit der Musikerfamilie Uszynski die Reihe ‹Vier Jahreszeiten› im Wenkenhof begründet, die nicht mit grossen Publikumszahlen, aber mit Namen wie dem Geiger Zakhar Bron und dem (sonst als Dirigent tätigen) Pianisten Dennis Russell Davies aufwarten kann. Speziell ist die Verbindung von Konzerten mit Meisterkursen, in denen das Publikum die Früchte der Probenarbeit ohne Zeitverzug geniessen kann.


 

Man braucht nicht dem Slogan «Nichts Neues unter der Sonne» zu folgen, um zum Schluss zu kommen: Die Klassikszene wandelt sich, aber unterm Strich bleibt vieles beim Alten. Man kann das klassische Konzert nicht ständig neu erfinden, so wenig man ein Streichquartett von Beethoven grundlegend neu spielen kann. Unter neuen Namen tauchen auch in Riehen bewährte Formen wieder auf – die kleinen, fast privat anmutenden Konzerte im Wenkenhof, die grösseren im Landgasthof.


 

 

 

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2012

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