Lustvoll-trotzig und authentisch

Urs Grether

Es beginnt mit einem Bild, das ziemlich lächerlich wirkt: Keine Lautsprechertürme, noch nicht einmal eine Bühne. Stattdessen die vergleichsweise winzigen Lautsprecherböxchen auf dem Rasen. Dazu vier, fünf Musiker in Aktion, ebenso auf dem notdürftig mit einer Plane abgedeckten Gras. Alles zusammen ergibt die Bühne - inklusive der paar Kollegen, die vor den Böxli abtanzen. Es ist ein kleiner Kreis. Noch ist man unter sich.

Zwei Monate vor dem 11. September 2001 haben sich Mitglieder der damaligen Band «Fort Wendy» mit Freunden und Bandkollegen aus Riehen eine Auftrittsplattform verschafft. Dort eben, wo sie selber leben und aufgewachsen sind. Vor einem niedlichen Hügelchen, am Rand des Riehener Sarasinparks. Den Anlass hat man kurzerhand und, der heutigen Event-Sprache Englisch gemäss, zum «Li'IHillChill» erklärt.

Fünf Jahre später gibt es die Band «Fort Wendy» nicht mehr, aber aus dem «Hill Chili» (wie es heute heisst) ist eines der wichtigsten und wenigen konstant eigenständigen Rockfestivals in der Region geworden. Es ist immer noch ein Gratisfestival. Federführend ist nach wie vor der Verein «Freunde des guten Tons». Nach wie vor agiert der Vereinsvorstand als Kern des Organisationskomitees. Und nach wie vor ist der heute 26-jährige «Fort Wendy»-Bassist Lukas Pfeifer Vereinspräsident und Open-Air-Gesamtkoordinator in einem. Das happige Stück Verantwortung wird jedes Jahr auf weitere Schultern verteilt. Die Fortsetzung des «HillChill» wird massgeblich davon abhängen, ob Nachrückende das Open-Air weitertragen. Pfeifer wird noch die nächsten zwei Jahre als Koordinator amtieren, dann will er sein Studium beendet haben.

 

Aus dem reinen Rock-Anlass ist schon bald ein Hip-HopTrieb gesprossen. Mit der Person des «bird's eye»-Tontechnikers, DJs und Musikproduzenten Michael Scherrer hat die «HillChill»-Leitung für 2005 erstmals ein Nicht-Vorstandsmitglied als Hip-Hop-Koch ins Team geholt. Für 2006 hätte Scherrer gerne ein bisschen mehr Zeit und möchte die beiden Blöcke ein bisschen weiter nach vorne in die «Prime Time» gelegt haben. Aber um 22 Uhr ist Schluss, da lassen die Behörden nicht mit sich reden. Und die Anwohner, die wiederholt, aber erfolglos Petitionen gegen das «HillChill» lancierten, stehen mit dem Telefon «bei Hand»: Als im 2004 die Headliner-Band «Whysome» um 22.03 Uhr vom «Krachmachen» noch immer nicht abliess, klingelte bei der Polizei das Telefon. Wieso soll es in Riehen anders zugehen als sonstwo im Stadtkanton?

Das Einvernehmen der Festivalmacher mit den Anwohnern wie den Behörden der Gemeinde war und ist nicht konfliktfrei. Noch in jedem folgenden «HillChill»-Jahr kam es zu einem Vorfall, der dem Open-Air dessen «rebellische» Grundverfasstheit (Jugendliche organisieren einen Anlass aus eigener Kraft für Jugendliche) bestätigte und damit das Prestige des Anlasses bei Regiobands wie Publikum stetig steigern half.

Im 2002 brachten die rasend schnellen Hardcore-Rocker «Speck» einen vorbeiguckenden freikirchlichen Pfarrer in Harnisch: Die herausgegurgelten Textstummel wollte der Mann als rechtsextreme Parolen aufgefasst haben, dabei wären sie als das exakt Entgegengesetzte zu verstehen gewesen. Keineswegs hilfreich war, dass der «Speck»-Sänger ein Lied ankündigte «für alle, die ihre Lehrer hassen». Die Politik durfte die Sache nach einem Leserbrief in der «Riehener Zeitung» nicht auf sich beruhen lassen. Darum mussten alle Bands des nächsten Jahrgangs einen (in Deutschland durchaus bekannten) Zusatzvertrag unterschreiben und bekunden, auf das Freisetzen von rassistischen und zur Gewalt auffordernden Parolen im Sarasinpark zu verzichten.

Daniel Wölfle von der «Mobilen Jugendarbeit Riehen», der in allen Jahren die Festivalcrew stützte und als Troubleshooter in Aktion trat, hätte bei Verletzung des Vertrags den Stecker ausziehen müssen. Dazu kam es bisher nicht. Die einzige Band, die den Zusatzvertrag nicht unterschrieben hatte, hiess - richtig «Speck»; Es wurde versäumt, der Band das entsprechende Schriftstück rechtzeitig vorzulegen. «Speck» war die Sache aber bekannt, man hätte das Schriftstück indessen nicht unterschrieben. Das Quartett spielte dann einen unerhört energiegeladenen Auftritt und hielt sich in den Pausen mit wunderbarer Situationskomik schadlos an den Verwerfungen der Dorfpolitik.

Kein Jahr ohne «Speck» schien die Festivaldevise zu lauten. Im 2004 blieben von der Stammformation noch Bassist Marlon McNeill und Drummer Niels Werdenberg übrig, die mit einem fabelhaften Gitarristen und Sänger Sami Abdel Aziz zu einer schrillen Variante mit bösen Elektronik-Samples aufwartete. Dieses Nebenprojekt namens «Schorf» hatte das Open-Air zu eröffnen: Als Sänger Sami mit seinen markerschütternden Schreien loslegte und die Band auf den bisher so friedlichen Freitagnachmittag einprügelte, wackelte das Kassenhäuschen der gegenüberliegenden «Fondation Beyeler» derart bedrohlich, dass die verängstigte Angestellte den «Fondation»-Leiter Christoph Vitali auf den Plan rief.

Unvergesslich ist das Bild, wie Vitali unmittelbar vor der Bühne zu stehen kam und das Treiben der Band mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Zorn verfolgte. Es entspann sich nach dem zweiten oder dritten Stück ein kurzer Wortwechsel. Ein Anruf bei der Polizei blieb frachtlos, der (zuvor in der Umgebung per Flyer kommunizierte) Anlass hatte schliesslich eine Bewilligung mit entsprechenden Dezibelwerten. Niels Werdenberg schrieb Christoph Vitali einen längeren Brief, in dem er das Format der Band in den avantgardistischen Kunstzusammenhang der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts einordnete. Die kurze Antwort Vitalis fiel anerkennend und bewundernswert selbstkritisch aus. Sie soll darum, mit freundlicher Genehmigung Vitalis, im vollen Wortlaut abgedruckt werden (siehe Textende). Sie liefert ein leider viel zu seltenes Beispiel dafür, wie die «Fronten» zwischen alteingesessener «E»-Kultur und jugendlichem «Lärm» überbrückt werden könnten.

Noch im 2005 tat sich die Gemeinde schwer mit dem «Hill Chili»: Die Open-Air-Macher wollten, nach den üblichen gesetzlichen Regeln, erstmals auch hartalkoholische Getränke ausschenken. Mit dem Anlass ist schliesslich auch dessen Stammpublikum ein Stück älter geworden. Die studentische Kundschaft hätte mit dem Kauf von teureren Drinks das tiefe Budget ein wenig entlastet. Die Gemeinde setzte mit dem Zückerchen eines zusätzlichen Tausenders (Defizitgarantie) die hart-Alk-freie Zone durch. Man sei «ausgekauft» worden, kommentierte Festival-Präsi Pfeifer die Sachlage trocken.

Nimmt man die 1500 Franken Defizitgarantie des Regionalen Rockfördervereins dazu, ergaben sich mit insgesamt 5500 «staatlichen» Franken etwas mehr als zehn Prozent jener Summe, die sich die Gemeinde Riehen im gleichen Jahr die Beteiligung am regionalen «Stimmen»-Festival kosten liess, für das um einen dritten Abend erweiterte Gastspiel im Wenkenpark.

Das «HillChill» - Gesamtbudget hatte man für 2005 um 5000 auf 25000 Franken erhöht, wovon als grösste Posten 9000 Franken für die gesamte Bühnentechnik und 4500 an die Security-Firma gingen. Letztere hatte hinter einer losen Umzäunung zu kontrollieren, dass keine Alu-Büchsen und Glasflaschen auf das Gelände gelangten. Vorbildlich, aber ziemlich aufwendig hat man bis hin zum Essbesteck von der Gemeinde empfohlenes Mehrweggeschirr verwendet.

Mit den 3500 Besuchern im 2004 dürfte der Sarasinpark in Sachen Attraktivität den «Stimmen»-Festivitäten im Wenkenpark den Rang abgelaufen haben. «Es ist im Interesse der Bands, hier zu spielen», darf Lukas Pfeifer, den sie wegen seines zweiten Vornamens (Samuel) alle «Shmu» nennen, mit berechtigtem Stolz sagen. Bescheiden fügt er hinzu: «Wir können nicht mehr als eine Plattform bieten.» Damals, in den besten Momenten, war Pfeifers Band «Fort Wendy» ein Gefäss, in dem für vieles Platz sein sollte. «Wir waren nie gut», sagt Pfeifer heute, «aber wir hatten Power.»

Und die Power hat sich schliesslich auf das Festival im Park übertragen, auf die auftretenden Bands und auf das Publikum, das zum «Chilien» hierher kommt und den Anlass als Kontaktbörse der gesamten regionalen Musikszene nutzt. Nach wie vor arbeiten das OK und die Helfer unentgeltlich. Und immer noch kommt man ohne Sponsoren aus, ohne «ideelle Organisationen», die mit dem Anlass «jugendkulturelle» Werbung für sich machen. Das Sponsoring-Angebot der evangelisch-reformierten Kirche, einzige diesbezügliche Anfrage bisher, schlug man aus. Auch wird, wie im Fall des Antirassismus-Festivals «Imagine» auf dem Basler Barfüsserplatz, keine spezielle «Message» verbraten.

Was macht also den eigentlichen Erfolg des «Li'IHillChill» aus? Lukas Pfeifer überlegt kurz, bevor er mit der ihm eigenen Bedächtigkeit sagt: «Eine gewisse Authentizität. Es wird einem nichts verkauft. Wir machen das, weil wir Spass daran haben und das auch so rüberkommt.» Das sei definitiv kein Anlass «um des Anlasses willen». Und so weist dieses Open-Air durchaus auch über sich hinaus - als ein Stück Lebensqualität in der Landgemeinde. Und als lustvoll-trotzige Verankerung dieser «guten Töne» innerhalb einer immer noch jugendlichen Biographie.

Riehen, 13. Juli 2004 Lieber Herr Werdenberg, Ihre Reaktion ist so reizend, dass ich mich fast schämen muss. Ich habe am vorvergangenen Freitag versucht, die Musiker im Sarasinpark zu einer etwas weniger lautstarken Wiedergabe zu veranlassen, was mir allerdings gründlich misslungen ist. Das Problem war einfach, dass namentlich an unserer Kasse die Kassierer ihr eigenes Wort nicht mehr verstehen konnten. Natürlich nehme ich Ihr liebenswürdiges Angebot eines Auftritts Ihrer Gruppe bei uns gerne wahr. Eine Gelegenheit dafür wird sich sicher früher oder später ergeben.

Gut und herzlich Ihr Christoph Vitali

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2005

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