Martina Schucan - kleines Porträt einer Riehener Musikerin

Klaus Schweizer

Nicht nur Politiker, historische Persönlichkeiten, bewährte Künstler und Schriftsteller lebten und leben in Riehen, sondern auch viele junge Menschen, die auf irgend einem Gebiet schon in jungen fahren eine erstaunliche Leistung erbringen, die mit neuen Ideen oder gestalterischem Willen ihr Leben formen wollen. In loser Folge möchte das Jahrbuch junge Riehener vorstellen, ihreti Werdegang, ihre Ideen, ihre Wünsche ans Leben.

Wir beginnen diese Reihe mit der Cellistin Martina Schucan, geboren 1965, die in Riehen aufgewachsen ist, hier die Schulen besuchte und von ihren Engagements in aller Welt immer wieder gerne ins Elternhaus zurückkehrt. Klaus Schweizer hat den Werdegang der jungen Musikerin aufgezeichnet. Die beigefügten Texte stammen aus einem Radio-Interview, in welchem Martina Schucan ihre persönlichen Gedanken über ihr Leben mit und für die Musik ausdrückt. 

Die Redaktion

 

«Berühmte Cellisten» heisst der Titel eines Buches aus der Feder des langjährigen Zürcher Tonhalle-Solocellisten Julius Bächi1). Liebevoll werden darin die grossen Kollegen des Faches porträtiert. Eine wahre Prominentengalerie tut sich bei der Lektüre auf. Sie reicht von Pablo Casais und Gaspar Cassadó, den Göttern, bis zu André Navarra und Mstislaw Rostropovitch, den Halbgöttern, und schliesst die mit Macht nach vorn drängenden Jüngeren und Jungen keineswegs aus. Doch beobachtet der sachkundige Autor keineswegs nur die ganz Grossen, denen die Konzertsäle der Welt gehören. Im Anhang des Bandes werden «Schweizer Cellisten von heute» vorgestellt. Und auf diese durchaus stattliche Reihe wohlvertrauter Namen bezieht sich Bächi, wenn er im Hinblick auf die 4. Auflage seines für Fachleute wie Musikliebhaber unentbehrlich gewordenen Handbuches ergänzt: «Immer wieder wird man durch herausragende neue Talente überrascht. Einen ausgezeichneten Ruf haben z.B. (...) unter den Schweizer Cellisten Markus Nyikos2), Patrick Demenga und Martina Schucan.»

Martina Schucan: der Name der jungen Riehener Musikerin hat seinen Klang. In aller Munde war er spätestens im Jahr 1984, als er auf dem Programmzettel zum Finalkonzert des zweiten Genfer Eurovisionswettbewerbes auftauchte und die Kameras das Bild einer ausserordentlich sicher und konzentriert musizierenden Neunzehnjährigen für die Bildschirme aller europäischen Länder festhielten. Horst Stein, der Martina Schucans künftige künstlerische Wege mit freundschaftlichem Rat begleiten wird, stand an diesem bedeutsamen Konzertabend am Pult des «Orchestre de la Suisse Romande». Weitere Wettbewerbserfolge stellen sich bald ein. In der jugoslawischen Hauptstadt wird der Riehener Musikerin noch im selben Jahr ein vierter Concours-Rang zuerkannt. In Florenz gar gelingt ihr zwei Jahre später beim schwierigen Wettbewerb «Gaspar Cassadó» sogar das kaum Erhoffte. Eine gestrenge Jury spricht ihr - und dies bei rund 30 Teilnehmern - den ersten Preis zu, nachdem sie mit dem Orchester des florentinischen «Maggio musicale» Schumanns a-moll-Cellokonzert vorgetragen hat. In seinem Bericht in der Tageszeitung «La Nazione» zeigt sich der Musikkritiker Giuseppe Rossi geradezu enthusiasmiert: «Ganz abgesehen von den enormen technischen Schwierigkeiten stellt das formal gewagte und komplexe Konzert von Schumann dem Solisten Interpretationsaufgaben von grösstem Anspruch. Martina Schucan meistert diese Anforderungen mit überraschender innerer Sicherheit und verfügt auch in Passagen evidenten Virtuosentums über klares Kantilenenspiel und einen mitreissenden Impetus.»

Gewiss, Interpretationswettbewerbe erfassen nicht unbedingt alle Vorzüge, die ganze vielgestaltige Eigenart einer sich herausbildenden Persönlichkeit. Eines aber attestieren sie ganz sicher: das Vermögen des jungen Künstlers, in den allein entscheidenden Minuten des Programmvortrages enorme Selbstdisziplin zu üben, sämtliche Kräfte zu sammeln und alle Leidenschaft zu offenbaren, um auch den skeptischsten Juror, den passivsten Zuhörer von der absoluten Notwendigkeit des momentanen interpretatorischen Vorhabens zu überzeugen.

Wie lassen sich, selbst bei hoher Begabung, diese zusätzlichen Fähigkeiten im notwendigen Ausmass entfalten? Martina Schucan ist sich bewusst, dass ihre Ausbildung unter einem günstigen Stern stand. Mit sieben Jahren fand sie zu «ihrem» Instrument. Verständnisvolle Lehrer förderten ihre Talente nach bestem Vermögen. Auf Kursen wurde eine der profiliertesten Persönlichkeiten des Faches auf sie aufmerksam, André Navarra, der Südfranzose, als Pädagoge gleichermassen geschätzt wie als Solist und Kammermusiker. Für sechs Jahre begannen nun die allmonatlichen Viertage-Reisen ins norddeutsche Städtchen Detmold, Sitz einer renommierten Musikhochschule, wo Maitre Navarra im Turnus mit Paris und Wien seine Schülerschar unterrichtete. Jeder, der diesem Vorzugsunterricht jemals beiwohnen durfte, weiss, dass Navarra seine Schüler zu fordern, herauszufordern verstand. Martina Schucan, voll des Lobes über die pädagogischen, künstlerischen und auch menschlichen Fähigkeiten ihres Mentors, ist überzeugt, dass sie, die damals Vierzehnjährige, gerade im empfänglichsten Alter zu Navarra kam.

Was aber gab es bei diesem Grossen der Cellistenzunft zu erlernen? Julius Bächi erläutert in seinem Buch: «An der Cellotechnik Navarras ist die natürliche Unkompliziertheit auffallend. Seine von allen Cellisten bewunderte Bogentechnik erlaubt ihm, alle Staccato-, Spiccato- und Sautillé-Striche anzuwenden und selbst bei den schwierigsten Passagen eine maximale Tonstärke und Intensität zu erreichen. An der Technik seiner linken Hand fallen die <Geigen-Fingersätze> auf, mit denen er in der Klassik und bei Bach den in dieser Musik unerwünschten Glissandi und anderen Unsauberkeiten begegnet. Das mag davon herrühren, dass Navarra vieles den grossen Geigern abgeschaut hat. Wie Casais steigert er die Ausdruckskraft mit Hilfe der Intonation - hohe Leittöne, enge Halbtöne.»3) Besonders wichtig dürfte es für die angehende Solistin aber gewesen sein, dass sich Navarra als natürliche, unumstössliche Musikerautorität darstellte, als ein Lehrer, der seiner Klasse die reiche Erfahrung des Solisten vermitteln konnte, dessen Spiel in aller Welt gefragt war. Als wirkliche musikalische «Reifeprüfung» durfte Martina Schucan daher ihr 1984 absolviertes Konzertexamen betrachten, das seinen besonderen Glanz noch dadurch erhielt, dass es lediglich ein Jahr nach der gleichfalls erfolgreichen Basler Matur erworben wurde. «Ich war kein Wunderkind. Ich habe nie im Elfenbeinturm gesessen, jeden Entwicklungsschritt mitgemacht. Vielleicht ging alles etwas schneller. Aber übersprungen wurde nichts.»4) Basler Stadtcasino, im Künstlerzimmer des Grossen Musiksaals, Oktober 1988. Die Konzertpause ist vorüber. Von fern sind die energischen Eröffnungsklänge der Beethovenschen «Eroica» zu hören, ausgeführt vom Basler Sinfonie-Orchester unter seinem Chefdirigenten Horst Stein. Martina Schucan ist gesprächsbereit. Mit charmanter Offenheit geht sie auf die Fragen ein, die ihr - nur wenige Minuten nach ihrem anstrengenden Auftritt - eigentlich eher lästig sein müssten.

Ja, auch Navarra habe gemeint, das Schumann-Konzert müsse ihr ganz besonders liegen, da es ihrem Naturell, ihrem Ausdrucksempfinden so sehr entgegenkomme. Ist Schöneres, Poetischeres für ihr Instrument geschrieben worden als dieses Werk? Mit dem romantischen Repertoire wird sie sich auch in der Folgezeit viel befassen: SaintSaëns, Lalo, auch Elgar. Ja, auch mit dem e-moll-Konzert Edward Elgars, obwohl sich mit ihm unauslöschlich auch die Erinnerung an die im Vorjahr verstorbene Jacqueline du Pré verbindet, die gerade dieses Werk so unvergleichlich darzustellen verstand. Und dann natürlich Dvorak, für den Cellisten fraglos das Konzert aller Konzerte...

Es sei ungemein beruhigend, unter einem so umsichtigen Dirigenten wie Horst Stein zu konzertieren. Skepsis bei der Frage, ob nicht gerade Dirigenten mit viel Opernerfahrung zum Begleiten von Instrumentalsolisten prädestiniert sein müssten. Martina Schucan bezweifelt es. Diese Dirigenten seien, so ihr Eindruck, zu sehr aufs Nachgeben, aufs Gewährenlassen eingestellt. Es fehle dann leicht der feste Rückhalt.

Kurz zuvor hatte sie auf einer Reise in die Sowjetunion Eindrücke sammeln können, wie an den dortigen Konservatorien gearbeitet wird. Weitschweifige Lehrer-Schüler-Diskussionen über gestalterische Probleme seien kaum üblich. Die Professoren erwarteten vielmehr, dass ihre Vorschläge widerspruchslos befolgt würden. Die angehenden Solisten hätten sich einem unglaublichen Drill zu unterwerfen.

Mit grossem Respekt spricht die Cellistin von den gestalterischen Fähigkeiten des russischen Bratschisten Yuri Bashmet, mit dem sie anlässlich des ersten St. Moritzer Musiktreffens im Jahre 1987 zusammenarbeiten konnte. Man habe hier, in arbeitsintensiver Klausur mit einer Reihe hervorragender Nachwuchsinterpreten, unter sachkundiger Anleitung ganz erstaunliche Kammermusikaufführungen erarbeiten können. Anlässlich des Davoser Musikfestivals «Young Artists in Concert», das im gleichen Jahr stattfand, führte der Kritiker der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» aus: «Stärkste Eindrücke vermittelte die Wiedergabe von Ravels Klaviertrio mit dem amerikanischen Geiger Frank Almond, Finalist des Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerbs, dem 19jährigen Alexandr Madzar am Klavier und der wenig älteren Schweizer Cellistin Martina Schucan.»5) Man braucht, wie es scheint, um die weitere künstlerische Zukunft Martina Schucans kaum zu bangen. Ihre Begabung steht ausser Zweifel. Dazu ist sie klug genug zu wissen, dass gewisse Kredite, die man der jugendlichen Musikerin vor Jahren vielleicht zugestand, nur eine ganz beschränkte Laufzeit hatten: sie benötigt derlei Hilfen nicht. Denn sie scheut keineswegs die harte Arbeit und die Risiken eines Berufes, der zu den schwersten, mit Sicherheit aber auch zu den schönsten überhaupt gehört. Erfreuliche Erfolge bieten weiteren Ansporn, so zum Beispiel bei Konzerten in Berlin, Hamburg, Mailand, Paris und Helsinki, und bei den Festivals von Schleswig-Holstein, Montpellier und Bratislava6). In diesem Sinne bleibt der sympathischen jungen Musikerin alles Gute bei der Verwirklichung ihrer weiteren Pläne zu wünschen.

 

Anmerkungen:

1) Zürich'1973 bzw. 41987

2) Markus Nyikos ( '' 1948), in Riehen aufgewachsen, Cellist, Akademieprofessor

3) Wie Anmerkung 1, S. 142

4) «Ich habe das Glück...». Ruth Werfel im Gespräch mit Martina Schucan. In «Musik und Theater», Dezember 1986/Januar 1987

5) Max Nyffeler in «Frankfurter Allgemeine Zeitung» vom 7. September 1987. Dieses Werk wird von denselben Solisten im Rahmen der Reihe «Kunst in Riehen» im Herbst 1990 in Riehen gespielt werden.

6) Auf breite Resonanz gestossen ist auch die 1987 von Martina Schucan und der Pianistin Marian Rosenfeld eingespielte Compact Disc mit Werken von Richard Strauss und Dmitri Schostakowitsch (Ex Libris CD 6081).

Der nachfolgende Text stammt aus einem Radio-Interview.

«Für mich ist die Musik, das Cello, einfach mein Ausdrucksmittel»

Martina Schucan im Gespräch Ausschnitte aus einem Interview von Radio DRS

 

«Das Cello ist relativ früh in mein Leben gekommen, denn bei mir zuhause wurde sehr viel Kammermusik gemacht. Meine Eltern sind zwar keine Musiker, aber mein Vater spielt sehr gut Klavier, und so habe ich von klein auf viel Musik und viele Instrumente gehört. Und anscheinend habe ich mich dann mit drei Jahren entschieden, dass das Cello mein Instrument sei und dass ich das nun lernen möchte. Aber meine Eltern fanden, das komme nicht in Frage, < Alles, nur kein Streichinstrument!», weil ich so unrein gesungen habe. So kämpfte ich, ich glaube bis ich sieben war, und dann gaben sie nach. Es war dann schnell eindeutig klar, dass dies mein Ausdrucksmittel sei. Ich lernte bei verschiedenen Lehrern in Zürich und Basel, und mit vierzehn hatte ich die wohl wichtigste Begegnung in meinem Leben: ich begegnete André Navarra an einem Meisterkurs in Osterreich und wurde von ihm eingeladen, bei ihm in Detmold zu studieren.»

«Für mich stellte sich nun die Frage, ob ich so mit vierzehn Jahren einfach nach Detmold ziehen und die Schule aufgeben sollte, oder ob es eine Möglichkeit gebe, beides zu verbinden. Glücklicherweise unterstützte Navarra mich im Versuch, die Schule doch zu beenden und die Matura zu machen. (...) Ich bin sehr froh, dass ich dies verbinden konnte; es hat mir viel bedeutet, dass ich neben dem internationalen Rahmen meiner Ausbildung - der mir sehr, sehr wichtig war - mit einem Kreis von Leuten meines Alters Zusammensein und mich mit Dingen beschäftigen konnte, die mit klassischer Musik nicht viel zu tun haben. Es war für mich sicher der ideale Weg; ich würde ihn nicht als Patentlösung anpreisen, es muss aus einem selber kommen. Ich hätte niemals geplant, es so zu machen, es hat sich einfach ergeben, und es setzt voraus, dass man beides mit grosser Leichtigkeit macht und dass man von seiner Umgebung sicher unterstützt wird. Aber - es war schon sehr viel, gleichzeitig!»

«Die Verbindung verschiedener Wettbewerbe hat es mir dann ermöglicht, im Ausland wichtige Konzertengagements zu bekommen. Das ist sehr wichtig, denn die Schweiz ist doch sehr klein, und als Cellistin ist man mit dem relativ kleinen Repertoire beschränkt - es ist einfach nötig, so früh und so schnell und so weit als möglich hinauszugehen. (...) Ich hoffe jetzt natürlich, dass sich aus diesen Konzerten weitere Auftrittsmöglichkeiten ergeben und dass es mir möglich wird, im Ausland Fuss zu fassen, denn mit dem Debüt ist es noch nicht gemacht.»

«Für mich ist die Musik, das Cello, einfach mein Ausdrucksmittel. Ich versuche, damit etwas zu sagen, und hoffe natürlich auch, dass es verstanden wird. Zuerst war das Wichtigste sicher der Klang, der mich an diesem Instrument angezogen, der mich fasziniert hat, und das lässt natürlich sofort auf die Romantik schliessen. Aber lustigerweise merkte ich dann sehr schnell, dass ich den natürlichsten Zugang finde zu der Musik vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Das ist eine Musik, die vielleicht noch nicht so traditionsbeladen ist, in der man sich persönlich sogar irgendwie kennenlernen kann, gerade in den vielen verschiedenen Stilarten, von de Falla über Schostakowitsch zu Debussy. Das hilft einem, einen ganz grossen Farbenreichtum zu entdecken und viele Ausdrucksformen. Und es scheint nun mein Weg zu sein, dass ich von dieser Zeit wieder zurück in die Romantik komme und all dies dort verwenden kann und dadurch eine viel grössere Palette finde und auch einen viel natürlicheren Ausdruck. Irgendwelche pathetische Aussagen sind sicher nicht in meinem Naturell; man muss einfach selber herausfinden, wie man diese Musik reproduzieren und nachfühlen kann. So gehe ich jetzt Schritt für Schritt zurück über die Romantik zur Klassik und jetzt, zum ersten Mal seit vier Jahren, auch wieder zu Bach. Und ich hoffe einfach, dass ich diese Natürlichkeit auch in die alten Formen hineinbringe. Das ist für mich eine aktuelle Art, Musik zu machen, und ich hoffe auch, dass dies die Art ist, die die Leute anspricht, die auch junge Leute anspricht.»

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1989

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