Museumsbesuch als Gesamterlebnis
Rolf Spriessler
Die Fondation Beyeler feiert 2022 ihr 25-jähriges Bestehen – und dies nicht nur als ein Kunstmuseum von Weltrang mit grossartigen Ausstellungen, sondern auch als Veranstalterin eines vielfältigen kulturellen Programms sowie als Aufenthalts- und Erholungsort für Besuchende und Einwohnende der Region.
Am 21. Oktober 1997 öffnete die Fondation Beyeler in Riehen erstmals ihre Tore für die Öffentlichkeit. Das ist jetzt 25 Jahre her. Dieses Jubiläum feierte die Fondation Beyeler mit einer grossen Retrospektive zu Georgia O’Keeffe und der Sommerausstellung ‹Mondrian Evolution›, gefolgt von der raumgreifenden Installation ‹Palimpsest› der kolumbianischen Künstlerin Doris Salcedo. Ende Oktober 2022 eröffnete dann die Jubiläumsausstellung zum 25-jährigen Bestehen. In dieser bisher grössten Sammlungsausstellung wurden rund 100 Werke aus den unterschiedlichsten Kunstgattungen auf nahezu der gesamten Ausstellungsfläche des Museums gezeigt und ausgewählten Werken des amerikanischen Künstlers Duane Hanson gegenübergestellt. Die Schau machte die Sammlung Beyeler auf neue Art in ihrer gesamten Fülle und Tiefe erlebbar. Die Sammlung Beyeler umfasst inzwischen rund 400 Werke bedeutender Künstlerinnen und Künstler des 19., 20. und 21. Jahrhunderts.
EINE BRÜCKE ZUR NÄCHSTEN GENERATION
Ein Teil der Jubiläumsfeierlichkeiten des Museums war auch die Veranstaltungsreihe ‹Friday Beyeler: I Hear a New World – 14 Miaows of the Future›. An 14 aufeinanderfolgenden Freitagen vom 16. September bis 16. Dezember 2022 verwandelten Studierende sowie lehrende Künstlerinnen und Künstler des Instituts Kunst Gender Natur der Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW in Basel das Museumsfoyer in eine kreative Plattform. Abends bis um 22 Uhr durften sie das Foyer optisch gestalten und mit einem Programm beleben. Es gab Live-Performances, Gespräche, Musik, Poesie und Tanz. So baute das Museum eine Brücke vom dokumentierten Kunstschaffen der klassischen Moderne und der zeitgenössischen Kunst, das es in seinen Sammlungs- und Wechselausstellungen zeigt, zur Kunst der zukünftigen Generationen. Und es tat dies, indem es einer jungen Künstlergeneration einen Ort gab, um ihr Schaffen und ihre Ideen zu zeigen und mit einer kunstinteressierten Öffentlichkeit in Dialog zu treten, wie es Ulrike Erbslöh, Kaufmännische Direktorin der Fondation Beyeler, formuliert.
Dass die Fondation Beyeler ihr 25-Jahr-Jubiläum auch in Form einer speziellen Veranstaltungsreihe feierte, kam nicht von ungefähr. Denn von Anfang an war dem Museum eine aktive Kunstvermittlung ein grosses Anliegen. Dabei wollte man ausdrücklich nicht nur ein ‹typisches Museumspublikum› ansprechen, sondern möglichst viele Menschen mit Kunst in Berührung bringen. Schon früh bot die Fondation Beyeler deshalb nicht nur klassische Museums- und Ausstellungsführungen an. Eingeführt wurden Bildbetrachtungen einzelner Werke über Mittag, Künstlergespräche, Kinderführungen mit Workshops, bald auch Konzerte und Performances mit Choreografinnen und Choreografen, Tänzerinnen und Tänzern, die sich speziell mit bildender Kunst beschäftigten oder mit ihrem Auftritt innerhalb eines Ausstellungsraums ganz direkt in Dialog mit einzelnen Kunstwerken traten. Es wurden Filmarbeiten in Ausstellungen integriert, zum Beispiel mit der Film-Installation ‹Two or three things I know about Edward Hopper› von Wim Wenders in der Hopper-Ausstellung von 2020 oder mit eigens geschaffenen Porträtfilmen über neun bedeutende Künstlerinnen der Moderne seit 1870, die man für die Ausstellung ‹Close-Up› (2021/22) mit namhaften Schauspielerinnen realisiert und zu einem Teil der Ausstellung gemacht hatte. Und man lud bekannte Schauspielerinnen und Schauspieler mit Berührungspunkten zur Kunstwelt zu Lesungen und Gesprächen ein, etwa Willem Dafoe, der in einem Spielfilm Vincent van Gogh verkörperte, Iris Berben, Ulrich Tukur oder Keanu Reeves.
TANZ UND PERFORMANCE ALS WICHTIGER TEIL DES PROGRAMMS
Tanz und Performance haben sich inzwischen zu wichtigen Programmpunkten im Veranstaltungskalender des Museums herauskristallisiert, die man auch aktiv pflege und weiterentwickle, sagt Ulrike Erbslöh. So habe man zum Beispiel 2016 mit der niederländischen Tanz-Kompanie von Ed Wubbe gearbeitet, die es interessant fand, direkt in den Museumsräumen auf die Ausstellung ‹Marlene Dumas› zu reagieren. «Da wurde uns wieder deutlich bewusst, wie gut Tanz auch ausserhalb des Theaters funktioniert, und dass das Publikum sehr gut auf tänzerische Interventionen in den Museumsräumen reagiert. Im Museum haben die Tänzer ausserdem einen ganz anderen Raum zur Verfügung, und es bieten sich auch andere zeitliche Möglichkeiten an.»
Seit 2019 sei man in der Fondation Beyeler damit beschäftigt, Tanz und Performance im Sinne einer Reihe aufzubauen, mit den wichtigen internationalen zeitgenössischen Choreografinnen und Choreografen. Ulrike Erbslöh erwähnt die Zusammenarbeit mit dem englischen Choreografen Wayne McGregor anlässlich der Ausstellung ‹Resonating Spaces› 2019 oder der belgischen Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker mit ‹dark red› in der Ausstellung ‹Rodin/Arp› im Jahr 2021. «Die Aufführungen fanden in einem Museumssaal statt und es gab viele Besuchende, die erst durch die Ausstellung gingen und danach stundenlang im Saal blieben, um sich die Choreografie immer wieder anzuschauen», erzählt Erbslöh. «Wenn die Menschen so entrückt werden durch das, was sie im Museum erleben, dann ist das für uns ein echter Höhepunkt.»
Das bringt auf den Punkt, worum es den Veranstaltungsplanern bei der Fondation Beyeler in erster Linie geht, nämlich darum, den Besuchenden eine Begegnung mit Kunst zu ermöglichen, die über das blosse Betrachten einer Ausstellung hinausgeht. In diesem Zusammenhang denkt Ulrike Erbslöh auch an die Museumsnacht 2020, als verschiedene Basler Chöre und Vokalsolisten unter der Leitung der amerikanischen Choreografin Lynsey Peisinger singend durch die Ausstellungsräume schritten. Schauplatz dieser ungewöhnlichen Form des Konzerts – es gab sogar Besuchende, die in die Lieder mit einstimmten – war die Ausstellung ‹Resonating Spaces› mit den zeitgenössischen Künstlerinnen Leonor Antunes, Silvia Bächli, Toba Khedoori, Susan Philipsz und Rachel Whiteread, deren Werke sich stark auf den Raum, in welchem sie präsentiert werden, beziehen.
DIE LIEBE ZUR MUSIK
In der Fondation Beyeler gebe es auch eine spezielle Liebe zur Musik, sagt Ulrike Erbslöh. Und dazu gebe es ganz verschiedene Ansätze. Da wären zum einen Kunstschaffende, die sich sehr für Musik interessierten und sich auch in der Musik bewegten, wie zum Beispiel Wolfgang Tillmans, der auch als DJ auflegt. Dann gebe es Musikerinnen und Musiker, die sich stark mit Kunst beschäftigten oder enge Freundschaften mit Künstlerinnen und Künstlern pflegten. So kam es im Museum zu sehr intimen und persönlichen Auftritten von Stars wie Patti Smith, John Cale, Steve Hackett oder Bryan Ferry, der selbst Kunst studiert und zunächst eine Künstlerkarriere angestrebt hatte.
Ein weiterer Gedanke war, mit Musik den Museumspark zu beleben. Dies begann mit dem inzwischen als jährlichen Anlass etablierten Sommerfest. Hier ging es von Anfang an darum, der Bevölkerung zu vermitteln, dass das Museum mehr als nur ein Haus für die Kunst sei, nämlich ein Ort, um mit der Familie gemeinsam Freizeit zu verbringen – ein Ort der Begegnung und des Erlebens.
Sam Kellers Wunsch war es, moderne Kunst und elektronische Musik zu verbinden und das Museum einem jüngeren Publikum näher zu bringen. Gemeinsam mit dem Club Nordstern Basel wurde ein Konzept entwickelt, um dies möglich zu machen. So entstand die Reihe der ‹sun.set›-Konzerte. Auch hier ist die Idee, internationale Künstler auftreten zu lassen, die eine sehr enge Beziehung zu Kunst pflegen und sich in ihrer Musik von Kunst speziell beeinflussen lassen. «Bei der elektronischen Musik geht es unter anderem auch darum, einer jungen Generation über ein Medium, das zentral in ihrem Leben steht, einen Zugang zur Fondation Beyeler zu ermöglichen», ergänzt Erbslöh, «und das erweist sich als sehr erfolgreich. Junge Menschen erleben auf eine freudvolle Art, was es heisst, über ein Museumsgelände mit Aussenskulpturen in einem grosszügigen Park zu gehen und nach Wunsch einen Museumsbesuch anhängen zu können.» Viele kämen mittlerweile nicht nur an die Konzerte, sondern besuchten auch das Museum.
Die ‹sun.set›-Konzerte waren von Anfang an ein Publikumserfolg. Das Museum musste die Besucherzahl auf 3600 begrenzen. Zu Beginn gingen einige hundert Konzertgänger auch ins Museum, das an den ‹sun.set›-Abenden länger geöffnet bleibt. Mittlerweile sind es jeweils über 2500, die ihren Konzertbesuch mit einem Gang ins Museum verbinden. Solche Eventreihen führten nicht nur dazu, dass Menschen ins Museum kämen, die sonst vielleicht nie hierher finden würden, es führe auch dazu, dass Besuchende immer wieder zum Museum zurückkämen, nicht nur, wenn gerade ihre ‹Lieblingsausstellung› gezeigt werde.
Ein Kind der Pandemie sind die ‹Sound Garden›-Konzerte. Infolge der Covid-19-Krise gab es immer wieder neue behördliche Auflagen für den Museumsbetrieb, der mit der zweimaligen Schliessung zeitweise unterbrochen werden musste. Mit Gratiskonzerten im Museumspark wollte die Fondation Beyeler den Menschen, die den ganzen Tag zu Hause bleiben mussten, etwas schenken, das draussen stattfand, und gleichzeitig lokale Musikschaffende unterstützen, die wegen der fehlenden Auftrittsmöglichkeiten kein Geld mehr verdienen konnten. «Jetzt ist das Museum wieder normal geöffnet, aber unser Publikum umarmt diesen ‹Sound Garden› nach wie vor. Also führen wir ihn weiter», sagt Ulrike Erbslöh. Begonnen habe es mit etwa 50 Gästen pro Konzert, heute seien es etwa 300. «Es ist dabei nicht entscheidend, wer spielt. Die Leute kommen, weil sie sich auf ein schönes Erlebnis im Park freuen. Parallel zum Konzert kann man ins Museum – am Mittwochabend ist die Ausstellung bis um 20 Uhr geöffnet. So experimentieren wir mit dem Museum als Ort, an dem man nicht nur Kunst erlebt, sondern an dem auch verschiedene und neuartige Zugänge zur Kunst möglich werden.» Damit bietet sich das Museum auch ein Stückweit als Alltagsort an, an dem Besuchende und die lokale Bevölkerung ausspannen und sich erholen können.
DAS PUBLIKUM SOLL LÄNGER IN RIEHEN BLEIBEN
Mit der Museumserweiterung, die derzeit nach den Plänen von Architekt Peter Zumthor realisiert wird, macht die Fondation Beyeler einen weiteren Schritt in diese Richtung. Neben den neuen Ausstellungsräumen auf der linken Seite des Bachtelenwegs entsteht gleich gegenüber ein Veranstaltungspavillon. Im Museumsbau von Renzo Piano gab es noch keinen eigentlichen Veranstaltungssaal – auch weil es zur Zeit, als das Museum geplant wurde, noch keine Veranstaltungskultur gab, wie sie inzwischen auch viele andere Museen pflegen. Dass Museen Konzerte organisieren und andere Events, ist keine Exklusivität der Fondation Beyeler. Speziell am Riehener Museum ist jedoch die Vielfalt der Veranstaltungen, der gezielte Einbezug eines jungen Publikums und dass versucht wird, die Menschen anzusprechen, für die ein Museumsbesuch nicht zum etablierten Freizeitprogramm gehört.
Bisher fanden Veranstaltungen in einem Ausstellungsraum im Untergeschoss statt. Mit dem Pavillon werden aber demnächst Räumlichkeiten zur Verfügung stehen, die auf Konzerte, Lesungen, Vorträge und weitere Veranstaltungen zugeschnitten sind. Und tagsüber, wenn keine Veranstaltungen stattfinden, soll der Pavillon frei zugänglich sein. Denn der Museumspark soll ein Ort zum Verweilen sein, an dem man sich auch ohne Konsumzwang aufhalten kann.
Noch bedeutender wird der Aussenbereich mit der bevorstehenden Öffnung des Iselin-Weber-Parks, in welchem das neue Museumsgebäude zu stehen kommt, das vor allem dazu dienen soll, mehr Werke der hauseigenen Sammlung sowie Dauerleihgaben und Schenkungen zu präsentieren. Die Fondation Beyeler zielt dabei nicht auf mehr Besucherinnen und Besucher ab, sondern vielmehr darauf, dass diese länger in Riehen bleiben, weil es ganz einfach mehr zu sehen und zu erleben gibt. Vielleicht planen sie neben dem Besuch der Sonderausstellung am Vormittag noch ein gemütliches Essen, einen Spaziergang im Park und am Abend vielleicht noch eine Lesung oder ein Konzert. Auf dem Weg eines gesamtheitlicheren Museumserlebnisses hat die Fondation Beyeler auch schon einiges erreicht. Die Verweildauer der Besuchenden ist im Vergleich mit anderen Museum überdurchschnittlich hoch.
Durchaus bewusst ist sich die Museumsleitung auch der Bedeutung des Betriebs für die Standortgemeinde Riehen. Zwischen 350 000 und 480 000 Museumsgäste kommen in einem Jahr. Natürlich liege es in erster Linie an den Riehener Unternehmen, das Museumspublikum für ihre Dienstleistungen zu interessieren, aber das Museum biete auch gerne Hand, dies wo möglich zu unterstützen. Zu diesem Zweck sei man auch in regelmässigem Austausch mit Gemeinde und Wirtschaft und freue sich über gute Ideen. Und nicht zuletzt sei die Fondation Beyeler als zweitgrösste Arbeitgeberin in Riehen mit rund 200 Mitarbeitenden auch wirtschaftlich ein bedeutender Faktor, zumal auch viele Dienstleistungen und Handwerksarbeiten an lokale und regionale Unternehmen vergeben würden. Die Fondation Beyeler sei nun – nach 25 Jahren und anfänglicher Skepsis – in der Riehener Bevölkerung gut akzeptiert und sie fühle sich hier auch ausgesprochen wohl. Die Zusammenarbeit mit der Gemeinde Riehen funktioniere auf allen Ebenen sehr gut und lasse das Museum auch im Hinblick auf den Museumsneubau optimistisch in die Zukunft blicken.