Naturschutzgebiet Am Eisweiher

Heinz Durrer

Am Riehenteich, wenig unterhalb der Verzweigung des alten und neuen Teichs, liegt ein kleines, nicht öffentlich zugängliches Naturschutzgebiet. Hier werden einheimische Tiere und Pflanzen in Weiherbiotopen gehegt, in der Hoffnung, dass sie sich den Gewässern folgend in Riehen wieder ausbreiten. Um gewisse Arten zu züchten, wurden Gehege aufgestellt. Hinter diesem Konzept «Arche Noah» steckt die Idee einer speziellen Form des Naturschutzes. Sie hat zum Ziel, dem Aussterben von einheimischen Lebewesen entgegenzuwirken und in der Region schon verschwundene Arten wieder anzusiedeln.

Es geht dabei nicht, wie bei ähnlichen Projekten, um spektakuläre Arten wie Weissstorch, Uhu, Steinbock oder Biber, sondern um die Erhaltung der Gesamtheit unscheinbarer Kleinlebewesen, die in unserer Landschaft heimisch sein sollten. Die besondere Hege kann sich dabei auf diejenigen Arten beschränken, die flugunfähig und somit nicht mehr in der Lage sind, sich auszubreiten und so einen günstigen Lebensraum wieder zu besiedeln.

Doch warum sind unsere Kleinlebewesen bedroht? Schon allein für die Kompensation der natürlichen Verluste in ihrem Lebensraum muss jährlich etwa ein Viertel der Population erneuert werden. Heute kommt aber dazu ein oft noch weit grösserer Verschleiss durch menschliche Eingriffe in die ökosysteme. Die technische Landwirtschaft mit ihren Maschinen und der Chemisierung der Umwelt, die Verschmutzung und überdüngung der Gewässer, die intensive Bewirtschaftung des gesamten Landes, aber auch der Kleingewässer mit z.B. Fischzuchten, machen für viele Lebewesen ein überleben unmöglich. Ohne dass wir es merken - beinahe unheimlich heimlich - verschwinden so viele Kleintiere aus unserer Heimat.

Was können wir dagegen tun? Was müssen wir jetzt tun, damit die nächste Generation - die vielleicht eine etwas andere Grundeinstellung zur Natur hat, vielleicht haben muss, um auch als menschlicher Organismus zu überleben - uns nicht berechtigte Vorwürfe machen kann? Denn es ist auch eine ethische Verpflichtung, die belebte Natur als Teil eines uns anvertrauten Erbes zu erhalten.

Das Beispiel des Wanderfalken soll verdeutlichen, wie dringend gewisse Tierarten der besonderen Hege durch den Menschen bedürfen, um zu überleben, bis die Bedingungen in der natürlichen Umwelt für sie wieder günstiger werden und die Zeit besonderer Gefahren vorbei ist. Durch den früher üblichen Flächeneinsatz von Insektiziden - insbesonders des DDT und anderer chlorierter Kohlenwasserstoffverbindungen - wurde unter anderem die Eischalendicke dieser Vögel derart reduziert, dass die Anzahl der noch überlebenden Jungtiere ein Fortbestehen der Art nicht mehr garantierte. Zudem bildeten Phantasiepreise, durch ausländische Falkner auf dem Schwarzmarkt angeboten, eine besondere zusätzliche Gefahr.

Biologen züchteten Wanderfalken unter Ausnützung der Nachgelege, und Naturschützer bewachten Tag und Nacht die letzten Horste vor Nesträubern. Heute, nach dem Verbot der chlorierten Kohlenwasserstoffe und der besseren Kontrolle des Artenschutzabkommens, breitet sich der elegante Greifvogel wieder aus. Soleben jetzt z.B. im Jura wieder aufgefüllte, gesicherte Bestände. Die Zeit der ökologischen und jagdbedingten «Sintflut» ist vorbei. Naturschützer haben durch Hege und Erarbeitung von Modellen zur Wiederansiedlung das überleben in einer für diese Art kritischen Zeit garantiert.

Heute sind bei uns etwa die Hälfte aller Kleintiere, darunter viele Amphibien und Reptilien, regional vom Aussterben bedroht. So ist z.B. der beliebte Laubfrosch in unserm Kanton schon ausgestorben und andere Arten werden ihm in Kürze folgen. Zerstreut leben noch Restpopulationen, ohne geographischen Zusammenhang mit Artgenossen, und so ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis diese Bestände erlöschen.

Das wichtigste Ziel des Naturschutzes bleibt die Erhaltung geeigneter Lebensräume - der Biotopschutz. Doch schon dabei ist der nur bewahrende Schutz noch vorhandener Resträume nicht mehr ausreichend. Dort wo schon viel zerstört ist, gilt es auch, wenn immer möglich, Biotope zu restaurieren. So könnten Teile der Auenlandschaften, z.B. der Wiese in den Langen Erlen, mit Altwässern und Weihern wiederhergestellt werden. Der Mensch ersetzt dabei als gestaltende Kraft den bei Hochwasser über die Ufer tretenden Fluss. Das kleine Reservat beim Eisweiher ist nur ein Anfang, und leicht liesse sich das Konzept mit der Trinkwasseraufbereitung und insbesondere auch der Aufwertung der Region als Erholungsgebiet kombinieren. Was angestrebt werden muss, sind zusammenhängende, durch Gewässer verbundene Biotope, in denen überlebensfähige Populationen von Tieren wandern können.

Doch woher kommen Tiere und Pflanzen in solche neu geschaffene Biotope, und wie können sie dort isoliert langfristig überleben? Wie überdauern «unsere» Pflanzen und Tiere die Zeit, bis endlich für sie wieder die nötigen Freiräume zur Verfügung gestellt werden? Wo können sie überleben, bis das Umdenken des Menschen, das dazu nötig ist, auch durchgesetzt werden kann? Die Antworten auf solche Fragen gibt das Projekt «Arche Noah»; eine seiner Aussenstationen befindet sich im Reservat «Eisweiher» in Riehen.

Unter der Leitung der Abteilung «Medizinische Biologie» der Universität Basel mit zwei freiwilligen wissenschaftlichen Mitarbeitern und einem technischen Assistenten, unterstützt durch die mühevolle Pflege- und Hegearbeiten von Herrn Leo Doser, Mitarbeiter der IWB Lange Erlen, wurde die Station aufgebaut und betreut. Viele einheimischen Amphibienarten - zur Zeit im Vordergrund der Laubfrosch -, Reptilien wie die Zauneidechse und die erfolgreich gehegte Ringelnatter, haben dank diesem intensiv betreuten Kleinreservat ihre überlebenschance. Aber auch Fische, wie der sehr selten gewordene Bitterling und der Stichling, konnten schon wiederholt an zielverwandte Projekte weitergegeben werden. Daneben werden z.B. die Zwergmaus, das kleinste Nagetier unserer Region, und unter den Insekten die Tigerspinne speziell vermehrt. Das Sortiment der einheimischen Sumpf- und Wasserpflanzen dient schon seit langer Zeit für die Besiedlung von neu erstellten Biotopen, so z.B. auch für das Naturschutzgebiet «im Autäli» in Riehen.

Doch die Ziele des Projektes «Arche Noah» müssen vielseitiger sein:

 

Hege und Zucht gefährdeter Tierarten

Nach der Erhaltung und Restaurierung von geeigneten Biotopen gilt es, durch spezielle Hege und Zucht die gefährdeten Tierarten unserer Region zu erhalten. Dabei kann in Zuchtgehegen und im Labor das gesamte grosse Fortpflanzungspotential einer Art ausgenützt werden. Es gilt primär, das Uberleben der besonders gefährdeten Arten zu garantieren, damit bei Wiederansiedlungen nicht auf Tiere aus entfernten Regionen zurückgegriffen werden muss. über haupt ist es fragwürdig und tierschützerisch problematisch, für Biotopbesiedlungen - auch kleiner Gartenweiher - geschützte Tiere anderen Biotopen zu entnehmen!

Erforschung der Lebensbedingungen

Wer Tierarten hält und züchten will für Wiederansiedlungen, muss die Lebensbedingungen dieser Formen genau kennen. Dazu sind sorgfältige Erforschungen der Minimumfaktoren, die für ein Uberleben nötig sind, entscheidend. So gilt es zu erfassen, wie klein eine fortpflanzungsfähige Population noch sein darf, oder wie gross bei Amphibien die Anzahl der rufenden Männchen sein muss, ferner welches Gewicht ein Jungtier bis zum Winterbeginn erreichen muss, um in der Kältestarre zu überdauern, welche Bedingungen, z.B. Wärmeansprüche, für das Ablaichen nötig sind und nicht zuletzt auch welches Nahrungsangebot nötig ist, um ein Wachstum und das Ablaichen zu garantieren. Andererseits können Biotop-Konkurrenten das Aufkommen der Nachkommen ausschliessen. Dies sind nur einige wenige der viele Fragen, auf die wir bei den meisten Arten noch keine Antworten kennen.

Wiederansiedlung

Schliesslich gilt es, Methoden auszuarbeiten, wie eine Wiederansiedlung in einem geeigneten Biotop möglich ist. Ein Freisetzen von ausgewachsenen Tieren führt bei Amphibien praktisch nie zum Erfolg und bedeutet leider nur einen sinnlosen Verschleiss gesetzlich geschützter Tiere.

In Kleingehegen oder in mit Amphibienzäunen abgegrenzten Regionen werden die Stammtiere unter den gleichen klimatischen Bedingungen wie im Biotop gezüchtet.

Dabei ist bei rufenden Amphibienarten das Konzert wichtig, um die entlassenen Jungtiere an den Ort zu locken und zu binden. Wenn dies gelingt, kann mit den Jahren eine Aussenpopulation im Biotop aufgebaut und durch stete Aufstockung gefördert und erhalten werden.

Gefährdete Arten erhalten

Doch auch die isolierten Bestände in den Restbiotopen sind alle langfristig bedroht und benötigen eine spezielle Hege. Regelmässige Kontrollen der Bestände zeigen, wann eine Aufstockung nötig wird. Dadurch wird auch die dringend notwendige genetische Auffrischung erreicht. Nur so können in unserer zersiedelten und durch Strassenbau zerschnittenen Landschaften die Brücken zwischen den geographisch getrennten Populationen geschlagen werden. Diese «Blutauffrischung» kann langfristig eine Degeneration und ein zufälliges Verlöschen der Arten verhindern.

Wenn es nicht gelingt, durch diese Form des «WildlifeManagement» in unserer Region den vielen gefährdeten Tierarten ein überleben zu garantieren, hat der Naturschutz versagt!

Das Projekt «Arche Noah» mit seiner Station beim Eisweiher hilft Zeit zu gewinnen, bis die «Sintflut» des egoistischen Denkens des Menschen vorbei ist und auch für unsere Kleintierwelt wieder die nötigen Lebenräume ausgeschieden werden. Es bietet aber auch die Methoden an, um jederzeit erfolgreich Biotope wieder zu besiedeln.

Vieles kann getan werden, sowohl von Politikern und Raumplanern als auch von jedem Stimmbürger und Einwohner. Das Projekt «Arche Noah» ist nur ein Mosaiksteinchen zur dringend nötigen wissenschaftlichen Vorarbeit im Bereich des Naturschutzes.

Die geglückte Wiederansiedlung des Laubfrosches und die Zuchterfolge bei den anderen Arten machen uns voller Hoffnung, dass vom «Eisweiher» aus diese Arten in der «Auenlandschaft» der Langen Erlen erhalten bleiben und sich wieder ausbreiten werden.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1986

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