Nikiaus Stoecklin zum Gedenken

Dorothea Christ

geboren 1896 in Basel

gestorben 1982 in Riehen

 

1928 hat Nikiaus Stoecklin sein Haus an der Morystrasse in Riehen gebaut. Mit Ausnahme von fünf Jahren, der ersten Zeit nach der Heirat mit Elisabeth Schnetzler, als das Ehepaar von 1922 bis 1927 in der St. Johannsvorstadt im Johanniterhaus Wohnung und Atelier fand, wo auch die Tochter Noemi die ersten Kinder jähre verbrachte, hat Stoecklin immer auf dem rechten Rheinufer gelebt. Sein Elternhaus stand an der Rheinfelderstrasse. Der Gaishof, eines der schönen, alten Kleinbasier Anwesen, Sitz der Familie mütterlicherseits, spielte für Nikiaus Stoecklin eine grosse Rolle. Er hat ihn auch mehrfach dargestellt. Im Areal des heutigen Kaufhauses Rheinbrücke gelegen, umfasste die Liegenschaft Haus, Handlungsräume, Kellereien und einen Hofgarten, in dem ein Vorfahre liebevoll und kundig ein wunderbares Stadtgärtlein kultivierte. Der Onkel Haiggi Müller wuchs dort auf, und Niklaus Stoecklin begegnete im Gaishof erstmals einem bewunderten Künstler in seinem Atelier, der ihn als durch die Verwandtschaft gegebener Patron als erster in die Geheimnisse der Malerei einweihte. Es war ein sehr loses Schülerverhältnis übrigens, dem sich Stoecklin dann bald entzog. Sein Start begann ja auf einer Stufe, die entschieden unter dem Berufsverständnis des sich in seiner Jugend etwas künstlerfürstlich gebenden Haiggi Müller lag: nach den obligaten Realschuljahren trat Niggi Stoecklin eine Lehre an in der Werkstatt des Flach-und Dekorationsmalers Franz Baur am Heuberg.

Dort begegnete Baurs Freund Burkhard Mangold dem Lehrling und erkannte rasch, dass ein bedeutendes Talent, wie es Stoecklin besass, sich niemals beim Streichen von Jalousieläden fruchtbar entwickeln würde. Burkhard Mangold konnte damals den jungen Stoecklin nicht zu sich in die Lehre nehmen, beriet und korrigierte ihn aber, leitete ihn zum Zeichnen im Zoologischen Garten an, empfahl auch den Eltern, ihren Sohn an einer Kunstschule ausbilden zu lassen. So ging Stoecklin 1914 nach München, wo er an der Kunstgewerbeschule auch den Basler Alexander Zschokke traf und wo er bei Professor Robert Engels viel lernte. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges trieb Stoecklin schon nach einem Vierteljahr wieder nach Basel zurück. Er nahm Kurse an der Basler Gewerbeschule und malte wiederum bei seinem Onkel; auch der ebenfalls nach Basel zurückgekehrte Zschokke arbeitete einige Wochen lang im Atelier von Heinrich Müller.

An der Weihnachtsausstellung 1914 trat Stoecklin erstmals mit Bildern vor die öffentlichkeit, die lobend aufgenommen wurden. Auch das erste Plakat entstand 1914 ( für eine Ruderregatta), Stoecklin begann als 18jähriger seinen Lebensunterhalt als Graphiker zu verdienen.

Aber nun kam auch die Zeit der Militärpflicht: Rekrutenschule als Gebirgsmitrailleur in Andermatt, anschliessend fast ein Jahr mit der Truppe im Tessin. Da war nun ein junger Künstler, der während des Wacheschiebens heimlich zeichnete, seine Bildpläne überdachte und dann bereits bei der ersten Ausstellung einer grösseren eigenen Werkgruppe 1917 in der Kunsthalle verblüffend reife und selbständige Werke zeigen konnte. Motive aus dem Kleinbasel und aus dem Tessin dominierten. Stoecklin hatte inzwischen im Café Spitz-Haus sein erstes eigenes Atelier gefunden. Dort muss die «Casa rossa» erarbeitet worden sein, die 1917 in der Kunsthalle hing und dann 1918 aus der schweizerischen Turnusausstellung vom Winterthurer Mäzen Georg Reinhart erworben wurde, was eine Auszeichnung ohnegleichen bedeutete.

Schon in frühen Werken äussert sich, was fortan für Stoecklins ganzes Schaffen kennzeichnend blieb. Es ist ihm eine innige Liebe zur Natur eingeboren - aber ebenso der Sinn für die Schönheit einer über allem Zufälligen stehenden Ordnung. Tiefes Empfinden für Landschaftseindrücke und Stimmungen paart sich mit naturwissenschaftlich exakter Beobachtung des Einzelnen. Beides hat seine Wurzeln tief in der Kindheit. Mit dem Vater machte er Touren und Spaziergänge, wurde er auch - wie alle Geschwister - zu exakten zoologischen Studien angehalten. Die eigene Vorliebe galt später dann der Botanik. Neben dem lyrischen Naturempfinden, der Offenheit für Stimmungen und Gefühlseindrücke, neben der Befähigung zu exakter Gegenstandsbeobachtung und Darstellung, macht sich aber auch der Sinn fürs Erzählen, fürs Fabulose, für Witz und Ironie bemerkbar. Stoecklin sieht und erlebt. Er formuliert aber auch seine Motive im Sinn von Bilderfindungen. Er gibt die dumpfe, bedrückte Stimmung der Soldaten in ihrem verliesartigen Quartier wieder, die Verlorenheit der Internierten in Martigny. Er bringt das Leuchten der Abendlandschaft mit dem Lago Maggiore in ein Bild; er erfasst die strenge Poesie nüchterner Basler Fabrikgebäude ebenso wie die pittoreske Idylle der Kleinbasler Altstadt. Er findet für die Be gegnung mit dem Traumhaften, dem wundersam mit der Wirklichkeit verflochtenen Uberwirklichen seine Bildaussagen; er kann den menschlichen Alltag von Bedrängten und von Gesicherten in seine Bilder bannen - er kann auch karikieren und ironisch glossieren. Das Erscheinungsbild im Sinn der Impressionisten interessiert Stoecklin nicht. Mit Stilmitteln des Kubismus und Orphismus hat er sich in seinen Lehrjahren auseinandergesetzt. Seine Sache ist es, den Gegenstand genau und interpretierend zu beobachten, ihm auch in der Wiedergabe Gestalt und arteigene Materie mitzugeben.

Man kann es verstehen, dass Nikiaus Stoecklin sich immer vehement dagegen verwahrte, historisch einer verbindlichen Stilrichtung zugerechnet zu werden, obschon das natürlich bis zu einem gewissen Grad durchaus möglich ist. Ihm machte es aber absolut keine Freude, wenn man ihn als einen Vorläufer oder Mitschöpfer der Neuen Sachlichkeit, als Meister des magischen Realismus titulierte. Auch nicht als Chronist altmeisterlich gemalter Gegenstandswelt oder als liebenswürdiger Schilderer heimeliger oder poetischer Situationen mochte er gelten. Alles das steckt in seiner Kunst - vor allem aber die Kraft einer intensiven Persönlichkeit, die für das ganze Spektrum ihrer Lebenserfahrung bildlichen Ausdruck finden muss.

Im reifen und späteren Werk ist der Künstler scheinbar distanzierter, versiert in der Wirkung formaler Mittel, an seine Bildmotive herangetreten. Man spricht dann von Objektivität und Kühle. Aber äussert sich darin nicht auch die weise Disziplin des Gereiften, der seine Erfahrungen in dunklen und schattigen Lebensbezirken nicht preisgeben will, der in seiner Bildaussage nach Klarheit, Verständlichkeit und makelloser Ordnung sucht? Da werden Anekdote, elegant Dekoratives, kleinmeisterliches Schildern und witzige Ironie zur Schutzschicht, die den Kern der Aussage bergend umhüllt. Das ist schon in frühen Werken der Fall. Stoecklin ist in eine schwierige Zeit voll Gewaltsamkeiten und Veränderungen hineingewachsen, die jeden Empfindsamen schwer belastete: Krieg, Armut, Umschichtung der Werte, politisch, wirtschaftlich und sozial bewegte Entwicklungen, die dem Einzelnen seine Ohnmacht und seine Gebundenheit spürbar machten.

So ist Stoecklins mitten im Ersten Weltkrieg entstandene Kohlezeichnung «Wiese in den Langen Erlen» (1916) kein liebliches Flüsschen in anmutiger Landschaft, sondern ein in kantigen Formen festgehaltenes korrigiertes Flussbett mit einer massiven Eisenbrücke und rauchenden Fabrikschloten. Diese kräftige Kohlezeichnung ist das Werk des Zwanzigjährigen. Nach dem Ersten Weltkrieg hat er seinen schönen, versponnenen, bewegend schwermütigen oder skurrilen Bildern etwas Neues hinzugefügt.

Den Winter 1919/20 verbrachte er arbeitend und um sich gesundheitlich zu erholen in Visp. Es entstand neben stark formulierten Walliser Schneelandschaften auch ein Selbstbildnis. In der kärglichen Schlafkammer des Visper Post-Hotels wendet sich im Lichtkegel der kahlen Deckenlampe ein Aufgeschreckter der offenen Tür zu. Wer hat sie geöffnet? Wer dringt aus dem Dunkel des Treppenhauses ins Réduit des Malers ein? Eine Erinnerung, eine Ahnung, ein geisterhafter Besucher, Furcht und Bedrohung? Es ist die Begegnung mit dem Unheimlichen, mit der andern Wirklichkeit, die nicht greifbar, aber um so spürbarer ist. In diesem kleinen Bild äussert sich das noch ergreifender als in der im selben Zeitraum entstandenen Komposition «Vorstellung», einem 140 x 130 cm grossen Leinwandgemälde, heute im Kunstmuseum Winterthur. Ein junger Krüppel mit Holzbein bestaunt durch ein Loch in der Hausmauer das engelhaft schlummernde Mädchen im Himmelbett seiner Kemenate. Auch dort mischt sich Unheimliches in den Frieden: die drängende Spannung des Ausgeschlossenen, ein putziges, unter dem Vorhang hervor züngelndes Drächlein zu Füssen des Bettes, ein schreckliches Streifentier, das über den Weg des ahnungslosen, einbeinigen Spielmanns schnürt. Das Anknüpfen an die bildhafte, allegorisierende Darstellungsweise spätmittelalterlicher Meister wird deutlich. Es öffnete für Stoecklin wie für manche seiner Zeitgenossen damals den Weg, sich aus postimpressionistischen und expressionistischen Strömungen zu lösen und ein neues Gleichgewicht zwischen Aussage, Handwerk und Bilderfindung zu suchen. In «Einsamkeit», einem Olbildchen von 1920 sucht die Rückenfigur eines Mädchens ihr Antlitz im Spiegel: aber alles versinkt im Dunkel, nur der Sprung im toten Glas zeichnet sich hell ab.

Stoecklin ist ein Maler von Allegorien. Seine Bildmotive bedeuten etwas, sind Chiffren für den thematischen Gehalt. Auch bei Stilleben führt die Art des Gegenstands über die dingliche Aussage hinaus: der Riss, die ausgelöschte Kerze, das angeschlagene Ei, die zerbrochene Weihnachtsbaumkugel, die abgeblühte Blume sind Vergänglichkeitszeichen. Auch Totentrompete und angenagter Pilzhut in Waldboden-Stilleben. Selbst bei scheinbar problemlosesten Stilleben und Dekorationsstücken weht oft ein Hauch von Unheimlichkeit, Dämonie oder Wehmut durchs Bild. Und sei dies Gefühl auch nur erweckt durch die gläserne Strenge der Komposition, die unerwartete Aspekte freilegt und die unbeirrbare Ordnung von Zahlen und Proportionsgesetzen deutlich macht. Nicht grundlos hat Stoecklin wohl ein Stilleben von 1927, das Kubus, Kegel und Kugel als reine Körper in einem Kästchen zeigte, später verändert, das Trompe-l'oeuil-Kästchen weggeschnitten und die Körper mit ihren Spiegelungen verabsolutiert.

Oft hat Stoecklin mit Himmelskörpern - natürlichen und künstlichen - Thema und Stimmung einer Bildaussage akzentuiert. Dem Mädchenbildnis «Erika» zollt Dr. Albert Baur in einer Ausstellungsbesprechung 1920 höchstes Lob: «Ich erinnere mich nicht, ein Bildnis gesehen zu haben, das uns seines seelischen Gehaltes wegen so sehr fesselt, das so voller Nachdenklichkeit ist.» Die sitzende Gestalt in dunklem Kleid, mit fülligem schwarzem Haar und grossen Augen unter dichten Brauen, ein Löwenzahnlichtchen in der rechten Hand, hebt sich vor nächtlicher Landschaft ab; es ist eine phantastische Landschaft mit bizarren Formen, belebt von winzigen Aktfigürchen, einer Schlafenden und einem fliehenden Jüngling. Uber dem schwach erhellten Horizont steigt der Nachthimmel auf, und sein Sternbild umfasst das Haupt des sinnenden Mädchens wie eine Aureole. Hier bilden Sterne ein zartes, aber sehr wirkungsvolles Bildelement. In der engen «Florentinergasse» von 1922, die wie ein harter Kanal sechs Menschen in merkwürdig starrer Choreographie scheinbarer Beziehungslosigkeit zusammenfasse tanzt hoch im Himmel über den Dächern über dem grazilen Mädchen ein zierliches Mondsichelchen.

Das Wunderbare, Unheimliche oder Verklärende kann Stoecklin aber auch mit «künstlichen» Himmelskörpern schaubar machen. Die Erscheinung des Zeppelins, der wie ein mächtiger Fisch den Luftraum durchmisst, hat ihn stark beschäftigt. In der straff und bis in die Gewächse geometrisierten «Landschaft bei Castello San Pietro» von 1928 dominiert der Zeppelin stumm die ganze Komposition. Im Phantasiebild des zu einer Rennbahn umfunktionierten Rheinknies bei Basel schwebte er noch, angestrahlt von der tiefstehenden Sonne, als schlankes Luftschiff über den Strom. Beim Dorf Castel San Pietro hingegen kommt er in verkürzter Sicht wie der bedrohliche, mächtige Bote einer fremden Welt auf die Häuser zu. Ein Bild, in dem das Objekt Eigenleben und Symbolwert gewinnt, Motiv und Bildgehalt prägt. In den bekannten Städtebildern «Fischmarkt in Basel», «Häuser über dem Rhein», «Aux soldes des trois soeurs» (Paris), tummeln sich etwa winzige Spielzeugdrachen, Ballons und modernes Flugzeug im Himmel wie zur Bekräftigung des geschäftigen Erdentreibens: auch im Himmel bewegt sich eine Welt.

Wieder andern Charakter haben die Kugeln und Sonnbälle, die über dem Bereich der Menschen im Raum schweben. Als wunderbare Quellen ganz besonderer Stimmung beherrschen sie das Bild. Kurz vor seinem Umzug nach Riehen malt Nikiaus Stoecklin in der St. Johannsvorstadt 1928 den Blick aus seinem Atelier über den Rhein, hinüber zum Turmhelm der Matthäuskirche und in die Weite auf den Tüllingerhügel. Die kleine Tochter zeichnet in ihr Heft auf dem Fensterbrett. Ganz oben vor dem Fenster kreuz hängt eine gläserne Kugel in der Leibung. In ihr sammelt sich wie in einer Schusterkugel das Licht und strahlt hoch über dem Kind wieder in den Raum aus. Es ist, wie wenn die gesammelte Atmosphäre der Malerwerkstatt, in der selbst das kleine Mädchen sich still seinem emsigen Zeichnen widmet, zusammengefasst würde in der Kugelgestalt.

Bald nach dem Bezug des Hauses an der Morystrasse hat Stoecklin den weiten Blick über die damals noch fast unbebaute Ebene gegen Basel gemalt. Der Künstler benannte das Bild «Abend vor meinem Garten». Das wunderbare Licht über der Rheinebene hat poetische Maler besonders angezogen; auch Gustava Iselin hielt zum Beispiel immer wieder von ihrem Haus am Hackberg den Blick gegen Westen auf die Vogesen oder die Stadt fest, erfüllt von den Licht- und Farbstimmungen über dem weiten Landschaftsraum. Nikiaus Stoecklin hat in seiner ganz anderen Ausdrucksweise mehrfach die Sicht in den Westen gemalt. Bei ihm ergeben sich keine impressionistischen Farbspiele, sondern ihm verzaubert sich die Welt in eine magische und sehr geordnete Landschaft, anschaulich und voller wunderbarer Geheimnisse zugleich. In diesem Sinn hat er ja auch 1928 seinen eigenen Garten angelegt: konzipiert nach einer strengen Ordnung mit klaren Achsen und erfüllt von vielen überraschungen - auch die Natur durfte selbständig mitgestalten.

Im Gemälde von 1930 ist der Garten noch jung. Erst das «Gerüst», die klare Konzeption ist da - im Lauf der Jahrzehnte wird es hier wuchern und wachsen. Die Landschaft gegen Kleinriehen und Basel zeigt in winterlicher Kahlheit eine anders rhythmisierte Ordnung - aber auch hier spielen vom Menschen geprägte Elemente eine ebenso starke Rolle wie die naturgeformten Linien der Hügelzüge. Den wichtigsten Akzent bildet das Halbrund des sinkenden Sonnenballs, sein Licht verzaubert Himmel und Erde. In einem weiteren Motiv, dem Eisweiher bei Kleinriehen, hat Stoecklin drei Jahre später wiederum das Thema des Winterabends formuliert. Jetzt schwebt in der Mittelachse des trapezförmig verkürzten rechteckigen Stauweihers genau über dem Bauernhof die rote Wintersonne, ein magischer Ball, im Winterdunst als klar umgrenzte Kugel alles dominierend. Die Bewegung der spielenden Kinder, des Güllengespanns und der Vögel nimmt sich nur wie ein Wispern in der grossen winterlichen Ruhe aus. Der Himmelskörper lässt die Weite des Luftraums über der kalten Winterebene sichtbar werden, sein majestätisches Schweben verweist das Tummeln der Menschlein in seine Grenzen. Es gibt ein Gemälde von 1931, das Stoecklin sehr liebte, auch wenn er es künstlerisch nicht unbedingt zu seinen bedeutendsten Leistungen rechnete: «Zwischen zwei Welten» zeigt eine im Luftraum traumhaft Schwebende zwischen Sonne und Mond. Sie ist das Sinnbild für das wie im Traum von Schwere und Erdverhaftung gelöste Geschöpf, das sich in der Nähe der Gestirne bewegen darf.

Noch eine andere Bildformulierung hat Stoecklin für dies sich im Bereich des Himmels schwerelose Bewegen gefunden. Jetzt sind es nicht mehr ein fliegendes Objekt, schwebende Gestirne, Traumflug von Menschen, an dünnem Faden aufgehängte magische Kugel. Jetzt sind es Artisten hoch im Luftraum über den Dächern. Ein Zirkus im Kleinbasel gab das Motiv. Der Spitzhelm der Matthäuskirche ragt wieder als ein Wahrzeichen in die Luft. Hoch über den Dächern auf dem Seil balanciert der Artist auf seinem Einrad; das durchsichtige Netz könnte ihn notfalls wie eine gnädige Muschel auffangen. Die wundersame Lichterscheinung eines letzten Glanzes über der Stadt fängt sich in der Wölbung des Netzes und hebt die Konturlinien von Konstruktion und Hauskörpern zart und scharf hervor. Wie fragil ist diese Welt - wie gefährdet der Mensch in dieser Kriegssommernacht. Es ist die Vision einer dunklen Welt, in der Mut, Geschick und Präzision den Menschen halten, ihm sogar Bereiche erobern, von denen der Bodenständige nur träumt.

Das ist die Komponente, die Nikiaus Stoecklins Werk letztlich auch prägt. Er findet das Wunderbare, Gefährliche, Zauber und Schutz der Ordnung auch in den Stilleben, in Naturmotiven und Veduten. Seinen Bildnissen eignet eine durchdringende Objektivität, voller Respekt für die Subjektivität des Modells. Er hat als ein meisterhafter Künstler die Bildsprache finden können, die das alles anschaulich macht. Die Spannweite seiner Persönlichkeit reicht weit; er hat es vermocht, sie seinen Werken mitzuteilen.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1983

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