Paul Wenk-Löliger zum Gedenken

Michael Raith

Geschichtsforschung befasste sich seit jeher mit grossen Männern, Ereignissen und Staatswesen; für das Geschehen an der «Basis», wie es sich beispielsweise im Leben der Bauern auf den Dörfern äusserte, blieb kaum Raum. Heute ist das anders geworden: fast jede Gemeinde in unserer Region weist stolz auf das eigene Ortsgeschichtsbuch, auf renovierte Baudenkmäler und die neue Liebe zum alteinheimischen Wein hin. Diese Entwicklung erreicht aber keineswegs das Alter unseres Jahrhunderts. Für den heutigen Lokalforscher bleibt darum von unschätzbarem Wert, was Sammler und Chronisten aus der Zeit vor dem allgemeinen Ausbruch der Freude am Vergangenen uns hinterlassen haben.

In diesem Zusammenhang fällt allen Freunden der Riehener Geschichte zuerst der Name von Paul Wenk ein: einige Wochen nach seinem 82. Geburtstag legte er sich - um eine häufige Redewendung des biblischen Buches der Könige, die ihm wohl gefallen hätte, zu zitieren - zu seinen Vätern und wurde begraben bei seinen Vätern. Das geschah in der Karwoche des Jahres 1982. Bekanntlich übt das Jahrbuch «z'Rieche» Zurückhaltung in der Publikation von Nachrufen, und so soll auch hier nicht wiederholt werden, was nach dem Tode Paul Wenks in den Nekrologen auf ihn zu lesen stand. Sein Riehen gewidmetes Werk verdient aber Schilderung und Kommentar.

Paul Wenks Motiv für die Beschäftigung mit der Vergangenheit Riehens und seiner Umgebung bildete die Liebe zur Heimat und ihren Menschen. Diese Liebe wurzelte in einem fröhlichen Glauben. So trug er während Jahren Mitverantwortung im Kirchenvorstand der Reformierten Kirchgemeinde und im Brüderrat des Vereinshauses. Darüber hinaus hat er als Vater, als Patron, als Verwandter und Bekannter vielen vieles gegeben, auch kein Forscher klopfte vergeblich bei ihm an, immer wieder Hess er andere an seinen historischen Schätzen und seinem Wissen teilhaben.

Durch Herkommen und Anlage war er auf seine Aufgabe als Bewahrer der Riehener überlieferung vorbereitet. Er gehörte dem für die Dorfgeschichte bedeutsamen Untervogtszweig einer schon 1608 eingebürgerten Familie an. In ihr vererbten sich vergangenheitsträchtige Häuser und andere Liegenschaften, Möbel, Briefe, Bilderund viele andere Gegenstände. Auch die beiden ersten Dorfchronisten «aus eigenem Boden», der Weibel Hans Jakob Schultheiss (1730-1810) und der Untervogt Johannes Wenk (1752-1820), zählen zu den Ahnen Paul Wenks. (Er hat sich denn auch um den Druck ihrer Werke erfolgreich bemüht.) In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass er während Jahrzehnten dem seit 1805 bestehenden Familienbetrieb, der ältesten Riehener Firma übrigens, vorstand. Aber durchaus eigenen Stil verriet Paul Wenk, als er im Alter von 15 Jahren dem Basler Staatsarchiv erstmals einen Besuch abstattete und mit 17 Jahren das damals noch seltene Steckenpferd des Photographierens bestieg: ihm verdanken wir eine Fülle sonst nicht mehr vorhandener Bilder des verschwundenen Riehen.

Seine Sammlung alter Ansichten besteht neben eigenen Aufnahmen auch aus älteren Photographien, dann aus vielen Gemälden, Stichen, Zeichnungen und Ansichtskarten, sowie aus Rekonstruktionen (teilweise verfertigt auf Grund der Angaben von Zeitgenossen). Neben Bauten zeigen die Bilder auch viele Portraits. Als Künstler wirkten u.a. Adolf Glattacker (1878-1971) und Max Heuberger (* 1920) mit.

Paul Wenks Forschungsthemen wurzeln in Gegebenheiten seiner engeren Familie: Stammbäume verschiedener Riehener Familien, Hausgeschichten, kommentierte Listen von Pfarrern, Weibeln, Ober- und Untervögten, viele Ahnentafeln mit Verwandtschaftsnachweisen und Beiträgen zur allgemeinen Geschichte und besonders derjenigen von Adel und Pfarrerschaft auch der Stadt Basel sowie der Badischen Nachbarschaft, Zusammenstellungen über alte Güter- und Grenzsteine, Darstellungen der Entwicklung der Familienfirma und von Beziehungen der Sippe zum Handel, drei Veröffentlichungen unter dem Titel «Alt-Riehen im Bilde» (1945 ff.) und immer wieder der Dichter Johann Peter Hebel (1760-1826). Eine Liste der Arbeiten Paul Wenks fehlt, würde sie vorliegen, wäre der zur Verfügung stehende Platz für eine Veröffentlichung zu klein.

Wohl in erster Linie war Paul Wenk Sammler. Alles, was in Beziehung zur Geschichte der Familie und des Dorfes stand, fand Aufnahme: ein kleines Museum zu Riehens Historie und Volkskunde. Bekannt geworden ist die vom Sohn Johannes Wenk fortgesetzte Kollektion von Hebelausgaben. Was der Wissbegierige in vielen Bibliotheken und Archiven vergeblich sucht, es findet sich in Paul Wenks Nachlass.

Fortlaufende Texte veröffentlichte Paul Wenk nur wenige, beispielsweise 1935 «Die Sigristen von Riehen» und später zwei Auflagen der Firmengeschichte (zuletzt 1955). Ungezählte Artikel verschiedener Lokalhistoriker hätten aber ohne den Beistand Paul Wenks nicht geschrieben wer den können. Schon allein das reiche, von ihm etwa der «Riehener-Zeitung», dem Jahrbuch «z'Rieche», dem Geschichtswerk «Riehen - Geschichte eines Dorfes» (1972) und der «Gemeindekunde Riehen» (1980) zur Verfügung gestellte Bildmaterial weist auf seine Bedeutung hin: alle genannten Publikationen wären zumindest im historischen Bereich ohne das Wirken Paul Wenks arm.

Mit besonderer Begabung pflegte Paul Wenk und der ihm kongeniale Heraldiker Hans Lengweiler (1892-1968) die Kunst des historischen Schaubildes. Dazu gehören zunächst Stammbäume und Ahnentafeln, sie enthalten Namen, Fakten, Wappen, Abbildungen familiengeschichtlich bedeutsamer Häuser und weitere Hinweise und gehören zum Besten, was es auf diesem Gebiet zu sehen gibt. Auch andere Darstellungen - etwa zur Dorf- und Kirchengeschichte sowie zur Vergangenheit von Häusern - nennen den genealogischen Zusammenhang, weisen heraldische und andere Symbole auf, zeigen die betreffenden Bauwerke und Portraits von Persönlichkeiten, selbst historische Ansichten von Burgen, Dörfern und Städten sind nicht selten. Urkunden werden auszugsweise oft im Wortlaut zitiert und das Ganze mit einem Bibel- oder Dichterspruch - manchmal auch mit einem Sprichwort - abgerundet.

Was veröffentlicht wurde, bildet jedoch nur einen kleinen Teil der gesamten Lebensarbeit. Paul Wenk trug viel Material auch aus entfernten Staats- und Kirchenarchiven zusammen. Was das in einer Zeit, die noch keine Photokopierautomaten und alphabetisch verkartete Pfarregister kannte, bedeutete, können wir uns heute kaum mehr vorstellen. Forschungshindernisse bildeten auch Kriege und Wege. Am meisten beeindruckt jedoch die unermüdliche Treue gegenüber dem Thema «Riehen». Historiker, die sich vor ihm auch dieser Aufgabe gestellt hatten, schrieben - um es etwas verkürzt und böse zu sagen - meistens über «Die Basler in Riehen», wozu ihnen Johann Rudolf Wettstein und die vielen Landsitze reichlich Gelegenheit boten. Sogar Emil Iselins vortreffliche Dorfgeschichte (1923) atmet noch etwas von diesem Geist aus. Für Paul Wenk war Riehen vor allem das Riehen seiner Familie, in Anbetracht der gegenseitigen Verwandtschaft aller alten Dorfsippen gehörte aber die ganze historisch gewachsene Gemeinde dazu.

Paul Wenks Werk für die Riehener Geschichte ist unschätzbar und unersetzlich. In ihm lebt er weiter. Uns bleibt Dank und Achtung. Der Gedanke, dass Liebe Motiv selbst für historische Forschung bilden kann, wird uns begleiten.

Literatur:

Niklaus und Johannes Wenk: «N. & J. Wenk Riehen Jubiläumsschrift 1805-1980», Riehen 1980 Lukrezia Seiler: «Von Riehener Dokumenten zu J. P. Hebels Werken - Die Sammlung Johannes Wenk», in: «z'Rieche Ein heimatliches Jahrbuch» 1978, Riehen 1978, S. 95-106 Werke Paul Wenks (Auswahl): Stammbäume der Familien Basler, Löliger, Schmid, Stump, Unholz, Wenk Schaubilder: Güter- und Grenzsteine in und um Riehen, 1941 Die Nachfahren des Untervogtes Hans Fuchs, welche bis heute Mitglieder der Gemeinschaft Riehen waren, 1941 Die drei Gasthäuser Riehens, 1942 Die Handeltreibenden, zu Safran, zu Gärtnern und zum Schlüssel zünftigen Vorfahren, 1947 ötlinger Pfarrherren und ihre Nachkommen in Riehen, 1958 Untervögte und Weibel von Riehen, 1958 Die Kirchgemeinde Riehen-Bettingen im Wandel der Jahrhunderte, 1959 Die baslerischen Obervögte oder Landvögte von Riehen, 1960 Röttier Pfarrherren, Landschreiber u. Burgvögte und ihre Nachkommen in Riehen, 1961 Die Reformation am Ober-Rhein, 1963 Der letzte offizielle Kaiserbesuch in Basel 1563,1963 Der Sieglinhof, 1965 Der Meyerhof, 1965 Husbym Kilchhof, 1967 Hus by der Dorflinde, 1967

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1982

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