Private Gärten als Refugien der Sortenvielfalt


Brigitte Bartha 


Gemüse, Kräuter und Obst selber anzubauen, bedeutet nicht nur ein spezielles Geschmackserlebnis, sondern heisst auch, sich für eine bestimmte Sorte zu entscheiden. Dass Nutzpflanzen über den Gartenhag getauscht werden, kommt immer seltener vor. Private Gärten bleiben aber für den Erhalt von traditionellen Sorten und biologischer Vielfalt enorm wichtig.


Ein spezieller Geschmack und süss-saure, vollreife Früchte sind für viele Riehenerinnen und Riehener nicht das einzige Argument, um Tomaten im eigenen Garten anzubauen. Das zeigte die rege Teilnahme am ‹Stadt-Tomaten-Projekt› der Pro Specie Rara in diesem Jahr. 160 Riehenerinnen und Riehener engagierten sich im Rahmen dieses Projekts für die Sortenvielfalt: Sie pflanzten frei abblühende traditionelle Tomatensorten in ihrem Garten, in einem Topf auf der Terrasse oder dem Balkon, ernteten die Samen, schenkten einen Teil davon Freundinnen und Bekannten, tauschten sie gegen andere Sorten und teilten ihre Erlebnisse und Erfahrungen auf einer Internetplattform mit. Das Projekt macht auf die grosse Bedeutung des Saatguts und der Sortenvielfalt aufmerksam, für die sich die Schweizerische Stiftung für die kulturhistorische und genetische Vielfalt von Pflanzen und Tieren Pro Specie Rara einsetzt. Im Gegensatz zu den traditionellen Tomatensorten sind die meisten im Handel erhältlichen Sorten Hybride, aus deren Samen keine Pflanzen mit den gleichen Eigenschaften mehr gezogen werden können. Dadurch steigt die Abhängigkeit von den Saatgutproduzenten. Immer weniger Sorten werden von immer grösseren Konzernen produziert. Diese bestimmen letztlich darüber, was bei den Konsumentinnen und Konsumenten auf den Teller kommt. 


Die Herztomate Riehen 


Früher war es eine Selbstverständlichkeit, dass Gemüse-samen aus dem Küchengarten selbst gewonnen, getauscht und weitergegeben wurden. Dieser private Tausch von Saatgut hatte verschiedene Vorteile: Er förderte die genetische Vielfalt der Kulturpflanzen und sorgte dafür, dass Sorten, die sich für einen bestimmten Bodentyp an einem bestimmten Ort besonders gut eigneten, lokal verbreitet wurden. Durch die wiederholte Auslese und den darauf folgenden Anbau der Sorten kam es zu einer Anpassung der Sorten an die lokalen Gegebenheiten. 


Ein Rundgang durch Riehens Gärten zeigt, dass die Tradition des Gemüseanbaus, des Sortensammelns und -tauschens trotz grossem Zeitaufwand weitergeführt wird. So kam beispielsweise die Herztomate Riehen vor einigen Jahren durch einen Hausgärtner in Riehen zur Stiftung Pro Specie Rara, damit sie an andere Hausgärtnerinnen und -gärtner weitergegeben werden kann. Er schätzte diese Sorte, die sich von anderen Ochsenherz-ähnlichen Fleischtomaten durch ihre schmal und spitz zulaufende Form unterscheidet und ein ausgezeichnetes Aroma hat. 


Gemüse aus dem Küchengarten


Bis in die 1930er-Jahre gehörte der Küchengarten ganz selbstverständlich zu jedem Garten, auch in herrschaftlichen Anwesen. Ein schönes historisches Beispiel dafür ist in Riehen der ehemalige Küchengarten im Neuen Wenken der Alexander Clavel-Stiftung, damals ‹Potager› genannt. Heute findet man in den grossen Villengärten Riehens nur noch selten Gemüse. Gartengestalter Marcel Schweizer erklärt: «Gemüse braucht viel Zeit und Pflege und auch einige Kenntnisse. Schon wenn man im Sommer ein paar Wochen wegfährt, braucht das Gemüse Betreuung. Es gibt nur noch ganz wenige, die all das mitbringen und die Geduld haben, dies über Jahre weiterzuführen.» 


Franz Steiger war einer von ihnen. Jahrzehntelang hegte und pflegte er einen wunderschönen Gemüsegarten in einem 2000 Quadratmeter grossen Garten am Haldenweg, bis er letztes Jahr im Alter von 76 Jahren verstarb. Seine Frau Anita Steiger-Güdemann erinnert sich gerne an seine Freude am eigenen Garten: «Mein Mann liebte seinen Gemüsegarten. Früher hat er die Gemüsesetzlinge noch in der Gärtnerei Heimgartner in Riehen gekauft, dann bei den Diakonissen und in der Gärtnerei Meier. Sie haben alle mit der Produktion von Gemüsesetzlingen aufgehört. Jetzt gibt es in Riehen in der Gärtnerei am Hirzenweg welche zu kaufen. Mein Mann baute alles an: von Beerenobst über Kohl bis zu Tomaten. Besonders stolz war er auf seine schönen ‹Rüebli›, eine Herausforderung auf unseren schweren Böden.» 


Für Anita Steiger-Güdemann ist der Garten nun zu gross geworden. Sie hat sich entschlossen, das Anwesen zu verkaufen. Der Gemüsegarten ist vorerst stillgelegt – ob die neuen Besitzer ihn wieder zum Leben erwecken werden, steht noch in den Sternen.


Neue Modelle für grosse alte Gärten 


Man muss aber nicht immer den Garten aufgeben, wenn er einem selbst zu gross geworden ist. Ein alternatives Modell, um die Tradition des Gemüsegartens aufrechtzuerhalten, hat eine Einwohnerin in Riehen gefunden, die in einem Haus mit grossem Garten in der Nähe des Moostals lebt. Seit den 1930er-Jahren ist der Garten in Familienbesitz. Da sie selbst gern reist und nicht so viel Zeit mit dem Gärtnern verbringen will, überlässt sie einen Teil des grossen Gartens seit Jahren anderen zur Nutzung und Pflege. Begonnen hat sie dies mit ihr gut bekannten, gartenbegeisterten Kollegen, die fast zwanzig Jahre lang mit Freude hier gärtnerten und ihr eigenes Gemüse anbauten. Danach suchte sie mithilfe der Warteliste des Familiengartenvereins in Riehen neue Interessenten als Nachfolger. Seit diesem Jahr hat ein junges Paar, Holger und Eveline, die selbst in einer Wohnung ohne Garten wohnen, hier ihren eigenen Gemüsegarten angelegt. Als Gegenleistung halten sie den Garten in Ordnung, schneiden Hecken und mähen das Gras. Für beide Seiten ist dies eine ideale Lösung. Das junge Paar bringt nicht nur Kenntnisse, Lust und Leidenschaft fürs Gärtnern mit, es hat auch traditionelle, frei abblühende Tomatensorten aus 
ihrer ursprünglichen Heimat in Potsdam hierher gebracht. Die Eltern von Holger, selbst passionierte Gärtner – der Vater war Gartenbaulehrer, die Mutter Hobbygärtnerin – gaben ihnen die Tomatensamen mit. Nun warten alle gespannt, welche Sorten in den hiesigen Verhältnissen erfolgreich sein werden. So war es früher immer üblich: Mit den Menschen wandern die Gemüsesorten und Sortenvielfalt entsteht.


Gartenbesitzerinnen und -besitzer der jüngeren Generation, die unter neuen Vorzeichen die Tradition des ‹Potagers› selbst fortführen, gibt es in Riehen auch. Sylvia Martinez ist eine von ihnen. Sie ist selbst Biologin, Expertin für Biodiversität und arbeitet am Botanischen Institut Basel. Sie und ihr Mann haben in ihrem etwa 1500 Quadratmeter grossen Garten an der Rebenstrasse versteckt hinter alten Bäumen ein kleines Paradies geschaffen. Auch hier gedeihen seltene Gemüsesorten, ausserdem Reben, Feigen, Kirschen, Äpfel, Kakis und allerlei Beerenobst. Die Gemüsesetzlinge holt Sylvia Martinez auf Setzlingsmärkten von Pro Specie Rara, sie zieht aber auch eigene Setzlinge aus Samen und tauscht mit Freunden ihre Pflanzenschätze aus. Zahlreiche Trockensteinmauern bilden kleine Terrassen für die Gemüsebeete. «Ich liebe die Vielfalt in meinem Garten und auf meinem Speiseplan. Zunehmend Freude habe ich auch an den blühenden Gästen in meinem Gemüsebeet. Nachtkerzenblüten, die Knospen der Tagetes, Blüten der Kapuzinerkresse, Kürbisblüten, Borretschblüten, Blütenblätter der Ringelblumen, Eibischblüten und viele andere haben ein ganz besonderes Aroma. Zudem sind sie dank ihrer Inhaltsstoffe Medizin aus der Natur und sehen wunderschön auf dem Teller aus.» 


Biodiversität in Familiengärten 


Nicht nur grosse Villengärten, auch eine beträchtliche 
Anzahl von Klein- und Familiengärten sind in Riehen zu finden. In den Familiengärten wird der Gemüseanbau nach wie vor hochgehalten. Wenn hier auch der Bedarf an Aufklärung bezüglich Pestizid- und Düngemittelein-
satz immer noch gross ist, gibt es doch wunderbare Beispiele für Arten- und Sortenvielfalt. Hans-Peter Kekeis 
bewirtschaftet gemeinsam mit seinem Sohn Nicola einen ‹Mehrgenerationengarten› im Brühl. Zusammen mit den Enkelkindern geniesst er dort seine freie Zeit inmitten eines Mosaiks verschiedener Lebensräume, die sie gemeinsam angelegt haben, hegen und pflegen: trockene Standorte auf Steinen, ein Tümpel mit Wasserpflanzen, stehendes Totholz eines alten Kirschbaums und natürlich das Gemüsebeet mit vielen verschiedenen, teils traditionellen Gemüsesorten. Die Stangenbohnen ziehen sie selbst in Töpfen an. Kohlrabi, Salat und Zucchetti – für alles gibt es einen Platz. Sogar Pilze hat Hans-Peter Kekeis nun angepflanzt, um seine Speisekarte zu bereichern. Der Garten beherbergt eine so grosse biologische Vielfalt, dass er dem neuen Schaugarten der Gemeinde Riehen gleich nebenan kaum nachsteht.


Anders als in einer hoch technisierten Landwirtschaft, die zur Verarmung der Sortenvielfalt führt, können traditionelle und alte Gemüse- und Obstsorten beim privaten Gärtnern bewusst erhalten werden. Die Anforderungen an Uniformität, Transportfähigkeit und gleichzeitigem Erntezeitpunkt von Obst und Gemüse fallen weg. Viele schätzen das Ungewöhnliche und Besondere aus dem eigenen Garten. Belohnt wird dieser ökologische Beitrag für die Vielfalt von Obst- und Gemüsesorten mit geschmacklichem Reichtum und aussergewöhnlichen kulinarischen Genüssen auf unseren Tellern.


 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2015

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