Riehen, das ehemalige Grubendorf
Gerhard Kaufmann
Es ist noch keine hundert Jahre her, dass in Riehen gegen 20 Gruben, verstreut über das ganze Gemeindegebiet, ausgebeutet wurden. Sichtbare Spuren dieser Zeit sind aber kaum mehr erkennbar. Was zu Tage gefördert wurde, waren profane Materialien wie Steine, Kies, Sand oder Lehm. Solche Gruben gab es in Riehen schon lange. Einen Aufschwung erlebten sie zur Zeit der beginnenden Industrialisierung. Davon zeugen Strassen- und Flurnamen wie Steingrubenweg, Leimgrubenweg, Rotengrabenweg, Steinbrecherweg, Steinenweg, Im Sand, Ziegelhüttenwegli, Bei der Lehmgrube oder Horngrabenweg.
Schon lange vor der Zeit, als in Riehen Gruben zur Baumaterialgewinnung genutzt wurden, suchten die keltischen Siedler nach Bodenschätzen. Vorwiegend im Gebiet der Eisernen Hand sind kleine Bodenerhebungen und -vertiefungen zu beobachten, die darauf hindeuten, dass hier nach Bohnerz gegraben und dieses vielfach gleich an Ort und Stelle verhüttet wurde. Die Kelten beherrschten die Eisenbearbeitung bereits meisterhaft. Vermutlich steht die Bezeichnung ‹Eiserne Hand› mit der geschilderten Bohnerzgewinnung in einem Zusammenhang.
KIES- UND SANDGRUBEN
Die Ausbeutung der in unserer Gegend reichlich vorhandenen Kies- und Sandvorkommen setzte mit der beginnenden Industrialisierung ein. Vornehmlich die Verkehrsbauten verlangten Unmengen dieser leicht zu fördernden und fast unbeschränkt zur Verfügung stehenden Baumaterialien: Geleiseschotter für das Schienennetz der Eisenbahn und Kies-Sandgemische für sogenannte ‹Strassenkoffer›.
Mit der Entwicklung eines aus Kalk und Ton hergestellten, hydraulischen Bindemittels entstand Mitte des 19. Jahrhunderts ein Baustoff, der als Portlandzement bezeichnet wird und das Betonzeitalter einläuten half. Die Herstellung von Beton aus Zement und verschiedenen Zuschlagstoffen erforderte Kies mit einer Korngrösse bis zu 30 Millimetern. Die notwendige Sortierung und Aufbereitung erfolgte meist schon in der Grube. So entstanden zahlreiche Sand- und Kiesgruben unterschiedlicher Grös-se. Die grössten in Riehen sind die Gemeindegrube am Haselrain – heute der Standort des Werkhofs – und die Hupfergrube nördlich des Bluttrainwegs. Weitere Gruben befanden sich südlich des Bluttrainwegs – die sogenannte Landauergrube – und an der Niederholzstrasse am heutigen Standort des Niederholzschulhauses sowie in den Weilmatten rechts der Wiese.
Eine Besonderheit stellte die Karlingrube in den Weilmatten dar. Die Kiesaufbereitung befand sich an der Schweizer Grenze. Der Kiesabbau jedoch erfolgte auf deutschem Hoheitsgebiet in Weil. Das führte während den Kriegsjahren zu einigen Komplikationen, weil die Kiesgruben in Deutschland eingezäunt werden mussten. Ein der Kiesaufbereitung dienender Förderturm wurde zum willkommenen Beobachtungsposten für die schweizerische Grenzwache. 1959 veräusserte Fritz Karlin seine Grube samt Umschwung an die Firma Otto Hupfer und Söhne. Die aus Inzlingen stammende Firma hatte unmittelbar neben der Karlingrube ebenfalls eine Kies- und Sandgrube betrieben und dominierte während den folgenden Jahrzehnten auf dem Platz Basel, aber auch im Elsass das Kiesgeschäft.
Eine Spezialität unter den Kies- und Sandgruben bildeten die Giessereisandgruben. Das in diesen Gruben gewonnene Produkt, ein feinkörniger Quarzsand, diente der Herstellung von Giessereiformen. Solche Gruben befanden sich am Stettengraben am Ort der heutigen Freizeitgärten, am Hohlweg bei der Verzweigung Inzlingerstrasse und an der Schlossgasse.
STEINBRÜCHE
Mit den Römern hatte der Steinbau hierzulande Einzug gehalten. Anders als die Kelten, begnügten sich die germanischen Alemannen nicht mit Wohngruben und einfachen Fachwerkbauten, sondern errichteten ihre Häuser aus lokal gebrochenen Steinen, vielfach in Kombination mit Fachwerkkonstruktionen. Das dazu benötigte Material war nicht schwer zu finden, auch wenn der Fels, ausser am Grenzacher Horn, nicht zutage trat. Mit den damaligen Transportmitteln war ein kurzer Weg zwischen Grube und Bauobjekt zwingend. So finden wir an den Ausläufern des Dinkelbergs und über das ganze Gemeindegebiet verstreut mehr als zehn meist im Wald gelegene Steinbrüche, in denen ein gelblich-grauer Kalkstein abgebaut wurde. Der grösste dieser Steinbrüche war die Dannachergrube oberhalb des Bierkellerwegs.
Eine Besonderheit bildeten die Gruben im Maienbühl. Dort wurde ein roter, feinkörniger Sandstein gewonnen, der sich leicht bearbeiten liess und vor allem für Architekturelemente wie Tür- und Fenstereinfassungen, Treppen und Bodenbeläge Verwendung fand. Auch im Basler Münster wurde roter Riehener Sandstein verbaut.
Im Lauf des 19. Jahrhunderts hielt im Strassenbau das in der Strassenmitte leicht überhöhte Steinbett Einzug, was zu einer Nachfrage nach gebrochenen Kalksteinen führte. Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts wurde im Hochbau das Bruchsteinmauerwerk durch den handlichen Backstein abgelöst und im Strassenbau verschwand das bisherige Steinbett mit dem Aufkommen schwerer Dampfwalzen. Diese waren in der Lage, den Strassenkoffer aus Kies derart zu verdichten, dass sich ein Steinbett erübrigte. Damit war das Ende der Steingruben und Steinbrüche gekommen.
LEHMGRUBEN
Der in Riehen reichlich vorhandene Lehm fand schon früh Verwendung als Baumaterial. Er diente zur Ausfachung von Fachwerkbauten in Verbindung mit Astwerk, das eine Art Armierung bildete. Auch im Gebäudeinnern kam Lehm in Form von gestampften Böden zum Einsatz. Die Verdrängung des Bruchsteins durch gebrannten Lehm in Form von Backsteinen erfolgte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Backsteine wiesen eine erheblich höhere Wärmedämmung auf, erforderten keine Bearbeitung und vereinfachten die Ausmörtelung der Fugen. Wie die aus Bruchsteinen erstellten Fassaden wurden auch die Backsteinmauern in Riehen ausnahmslos verputzt.
Die aus Binningen zugezogene Familie Mory betrieb zunächst am Grenzacher Horn, dann bis 1912 an der Baselstrasse 1–5 eine Ziegelbrennerei. Ziegel ist der Sammelbegriff für Backsteine zur Erstellung von tragendem Mauerwerk und für Dachziegel zur Eindeckung von Dächern ab 20 Grad Neigung. Das Rohmaterial wurde zunächst aus einer Grube oberhalb des Hörnlifriedhofs (Bei der Lehmgrube), dann oben am Leimgrubenweg gewonnen. Der Abstich der dortigen Lehmgrube ist heute noch im Wald sichtbar. Eine zweite Ziegelei etablierte sich oben am Steingrubenweg (Ziegelhüttenwegli).
Mit dem Aufkommen der mechanischen Ziegeleien in Allschwil, Oberwil und Frick war der Niedergang der in Handarbeit betriebenen Riehener Ziegeleien nicht mehr aufzuhalten.
DAS ENDE DER GRUBENHERRLICHKEIT
Der einsetzende Wandel bei der Beschaffung und dem Einsatz von Baumaterial, aber auch die ausserörtliche Konkurrenz führten nach und nach zu einer Stilllegung der zahlreichen Riehener Gruben. Es dauerte nicht lange, bis sich die Kehrichtabfuhr und ganz allgemein ein wachsender Deponiebedarf der leeren Gruben bemächtigten. Dieser meist unkontrollierte Vorgang hatte problematische Folgen. Dies zeigt sich am Beispiel der Maienbühlgrube, die zum Teil in das Gebiet der Gemeinde Inzlingen hineinragt. Heute dient das entsprechend hergerichtete Areal als Kompostieranlage, wo das aus Riehener Gärten anfallende Schnittmaterial zu Humus aufbereitet wird. Zuvor wurde die sogenannte ‹Grümpeligrube› über Jahrzehnte mit
Abfällen der verschiedensten Art aufgefüllt, auch mit Chemie-Rückständen. Die im Untergrund ruhenden Materialien verunreinigen seither die Quellwasserfassungen im Autal (siehe separaten Beitrag). Als Folge musste die Hintere Gemeindequelle, ein Teil der Riehener Notwasserversorgung, stillgelegt werden. Noch sträubt sich die Gemeinde aus Kostengründen, die Grube vollständig auszuräumen und so zu sanieren.
Eine vollständige Sanierung hat der südliche Teil der Landauergrube erfahren, bevor dort anstelle der ehemaligen Tennisplätze Wohnbauten errichtet wurden. Der nördliche Teil der Landauergrube entlang des Bluttrainwegs ist noch nicht saniert. Für die dort stehende Freizeitanlage Landauer scheint das kein Problem darzustellen. Dasselbe gilt für das Bezirksmagazin Bluttrainweg, das auf Betonpfählen ruht, die bis auf den gewachsenen Boden hinabreichen.
Positiv hat sich die Nutzung der ehemaligen Kiesgruben an der Niederholzstrasse und am Brünnlirain entwickelt. Die eine nahm den Keller des Niederholzschulhauses auf, in der anderen hatten die vier Untergeschosse des Werkhofs Platz, wodurch sich die Aushubarbeiten auf ein Minimum beschränkten. Nicht aufgefüllt wurden die Steinbrüche am Mittelberg und am Ausserbergweg (Rütigrube). Sie dienen heute als beliebte Rastplätze mit Feuerstellen. Auch die ehemalige Hupfergrube am Bluttrainweg konnte einer sinnvollen Verwendung zugeführt werden. Nach abgeschlossener Auffüllung diente sie dem Baugeschäft Wenk – später Züblin-Wenk – als Werkhof. Schliesslich wurde das Areal von der Gemeinde erworben und dem hiesigen Gewerbe für mannigfache Aktivitäten zur Verfügung gestellt: eine Erfolgsgeschichte.
QUELLEN
Paul Meyer-Maurer: Eisenerzabbau in Riehen?,
in: z’Rieche 1986, S. 86–96.
Stefan Suter: Kein Stein blieb auf dem andern,
in: z’Rieche 1994, S. 85–97.
Ich danke Magda Hürlimann-Sturm, Enkelin
des letzten Besitzers Adolf Karth (1867–1939),
für Auskünfte zu den Sandsteingruben im
Maienbühl, und Beatrice Wäckerlin-Karlin, Tochter
des Kiesgrubenbesitzers Fritz Karlin-Löliger
(1902–1969), für Auskünfte und Dokumente zu
der in den Weilmatten gelegenen Karlingrube