Riehen einst und jetzt

Louise Vorster-Versteeg

Unter diesem Titel veröffentlichen wir in einer ersten Gruppe einige Erinnerungen an das alte Dorf Riehen, wie es noch viele ältere Riehener vor Augen haben, wenn sie an ihre Jugendzeit denken. Die zweite Folge von kurzen Artikeln bietet einen Einblick, wie verschiedene Persönlichkeiten, die sich seit einiger Zeit in Riehen niedergelassen haben, unsere heutige Siedlung sehen und erleben. Die Autoren sind vom Redaktor aufgefordert worden, ein kritisches Urteil abzugeben.

Juged-Erinnerige an mi alt, lieb Rieche!

Wenn i in die früehi Juged zrugg lueg, so isch es wiene Blick in e verlöre Paradies. Es isch no euser Wy- und Buredorf gsi! Mer hei no chönne über d'Stroß renne ohni müeße Angscht z'ha, vomme Auto überfahre zwärde, denn es hett dort z'Rieche no gar keini gä. S'erscht Auti woni gseh ha, isch das vom Bieder-Fritzi gsi, wo vo Amerika in de Ferie z'Rieche gsi isch. Das isch e groß Eraignis gsi. Will ich grad bim Jokeb Schmid an dr Choscht gsi bi, will mi Vatter gschtorben-isch, hani die ganzi Sach miterläbt. Im Dorf het me numme Grässerli Jokeb gsait. Dr Bieder Fritzi isch no verwandt gsi mit em Jokeb. Sälli Zyt ha-n-i bim Drösche oder Kurzfuetterschnide dr Stier müeße im Ring ummetriebe, dä am Göbbel agschpanne gsi isch. Dr Fritzi sait, das mache mir anderscht, er schruppt dr Motor usem Buik-Buik und stellt en ins Schüretenn und hänkt en miteme breite Rieme an d'Maschine. Für eus isch das e groß technisch Wunder gsi.

Die meischte Lüt hei bi eus e Dorfnamme gha. Dr alti Bammert isch dr Stümpli Sämi gsi, 's Schnyder Adams, dr Peiper Fritz, 's Draiers, 's Gysi Poppis, 's Hörne Meieli, dr Schnyder Fritzli, dr Löchlichlemmer, dr Katzemetzger usw. Bis Schnyder Adams hämmer als Buebe mämol 's Lädeli uff dr Mischthuffe keit, oder miteme lange Bohnestäcke die schöni Holzbigi näbe dr Chuchitüre zämmegschtupft, bis alles vor dr Türe gläge-n-isch. Derno hetts aber khaiße, renne, denn dr ärnschti vo's Schnyderadams hett eus verfolgt, bis ins Oberdorf ufe.

Dr offe Aubach isch eus Oberdörfler dr Sportsplatz gsi. Wenn mer miteme chrumme Räbstäcke drüber oder dri gumpet si. Im Herbscht hän d'Bure übere Aubach ihn Bücki, Büttene, Böcke und Züber zum verschwelle ane gschtellt. Das isch e Glägeheit gsi, dr übermuet und die überschüssigi Chraft uszloh.

Spöter bini bim Vögeli Lugger äne am Bach gsi, das isch no e ächte Wybur gsi. Wenn mer amme si in Schlipf go Räbe bäcke, hani mämol Dräne in de Auge kha, will i vo däm herte Lättebode fascht nütt ewägg brocht ha. E andermol isch me go maie, do het me 's Fueterfaß akhängt und d'Sägese uff e Buggel gno und hett mämol sälb zweut hinderenander d'Grasmade gschlage oder me hett d'Rütthaue gno und hett uff de Matte d'Scheidfürli zöge oder d'Wassergräbli, daß bim Wässere 's Wasser besser ine gloffe isch.

I bi ufgwachse in dr Wändelisgaß ins 's Wyssebärger-Friedis Hus im Ahängerli, wo fascht zmitts in dr Stroß inne gschtande-n-isch. Näbe dra am große Platz heis 's Wyssebärger-Davids gwohnt miteme Stall voll Vieh und zweu prächtige Roß, uff dr andere Sitte isch dr Munistall gsi, wo Gmai e paar mächtigi Simmetaler Muni khalte hett. Dr Brütsch Böbbi hett se müeße pfläge und fiere. Es isch mehr als eimol vorcho, daß e sone Kärli ihn in d'Fueterchrippe ine druckt hett und är grad no gnapp mitem Läbe dervo cho isch. öppis, wo eus Buebe immer azoge hett, isch d'Schmitti vom Rüsch und d'Wagnerei vom Grosshard gsi. Wenn dr Schmid und dr Wagner e Rad vomme Brütschi oder Leiterwage ufzoge hei, denn hän si mitem Schutzbrätt der Aubach gstaut und 's glüeig Rad ine gworfe zum Abchüele. Au d'Roß si dörte bschlage worde.

Arne schöne Dag isch im Dokter Bauma si Gaul mitem Zweispännerkütschli durebrennt und isch diräkt in Aubach drmit. Woni ha müeße am Hals operiert wärde, hett mir dr Dokter Bauma im Winter mit em Roßschlitte abgholt und noch dr Operation tief igmummelet wieder heimgfiert. Domols hetts no jede Winter bi eus tief Schnee gha.

E schöni Arbet isch sälli Zyt 's Drösche mitem Pflegel gsi. Wemme sälb zweit oder dritt im Takt in dr Schüre droscht hett. Denn 's Strau vom Rogge z. B. isch brucht worde, für d'Räbe ufzbinde, wo alli Johr Burefraue bsorgt hän. Nohär hett me d'Frucht in dr große Wanne usgwannet und e so 's Spreu und dr Dräck vo dr Frucht trennt. Au 's Heurupfe mit em Heurüpfel isch für mi e müehsami Arbet gsi. Durlips mahle und Kurzfuetter schnyde hett zue mine Arbete ghört. E äxtra Dag isch immer gsi, wenn e großi Sau gmetzget worde isch. Wenn dr Lauer Willi oder dr Kaufma-Christe oder dr Güetli vo Bettige mit em Armchorb und de Metzgermässer agruckt si, do hani gwüßt, wenn i heim chum, gits e große Fätze Kesselifleisch und e heerligi Fleischsuppe. Fürs Nachtässe hetts feini Bluet- und Läberwürscht gä in dicke Därm.

Wenn 's Sarasins dr großi Herbscht im Schlipf gha hän, do heisi d'Chrischonebrüeder zum Hälfe iglade und äm änd vom Herbschte hetts in ihrem Park e groß Fürwärk gä.

Euse Dorfwächter Schmid und spöter dr Dorfwächter Schultheiss sin markanti Gstalte im Dorf gsi. Wenn si mit dr Glogge in dr Hand an de-n-Egge stohblibe si und glüttet hei, do isch alles an d'Fänschter grennt go lose, was es in dr Gmei Neus git. Dr Schultheiss-Wächter hett johrelang in dr Muusig dr großi B-Baß blose bis in si hoch Alter. Au sini Brüedere, dr Hans als Dirigänt und dr Fritz und dr Bahnwächter Schultheiss si begeischtereti Blos-Musikante gsi. Das hett sich bis hütte zum Glück erhalte bi ihre Nochkomme.

Doch eusi Schutzmänner will i nit vergässe: Dr Schutzma Meier, dr Stump, dr Brueder vom Stump Chöbi hinderem Tramstübli. Me hettem nur dr Grundelemigger gsait. Wo's emol z'Nacht bis 's Wyssebärger-Friedis zur Schüre use gräuckt hett, do isch grad dr Grundelemigger mittem Bolizischt Pfäfferli verbi cho. Mir hei gruefe: Es brennt neume in dr Schüre. Die zwei hei d'Nase in d'Luft gschtreckt und gsait, mir schmöcke nüt und sin witter gange. Zum Glück si mir sälber gange go luege, und richtig, hett d'öpfelhurt under dr Schüre brennt.

E Paradies isch für eus Oberdörfler 's Audäli gsi. Dort hei mer die erschte Bachbummele, Schlüsselblueme und Veietli gholt. Im Schlipf äne hämmer die schöne Dulipa, die wilde Tulpe für in d'Stube gholt. Im Summer sinmer hie und da mit de Roß in d'Schwänki an Wilertich gritte, womer d'Roß mit Seifi abegwäsche hän. Oh jeh, jetz dänki an die schöni Chirsiallee, vo der lange-n-Erle bis zum Erleströßli. I chönnt grad brüele, wenn i an die Blüetepracht dank. Am Sunntig si mir Buebe uff de Bäum ghockt go Chirsi günne, denn es sin Schare vo Lütt us dr Schtadt cho, die erschte Riechemer Chirsi underem Baum cho z'chaufe. I glaub 's Kilo hett 10 Rappe kostet.

E groß Ereignis isch gsi, wos 's Vereinshuus am Erleströßli baue worde-n-isch. Do hänn viel jungi Lütt vom Dorf freiwillig ghulfe usgrabe. Spöter hänn einigi vo dene dr Posuunechor Riehe gründet, dr ärnscht Fischer, dr Hans Fischer, dr Feist ärnscht, Wagner Bärti, Gebr. Mory, Linder Migger, dr Bür-Eugen, Eger Kari, Bürgli Paul usw. Dr Jokeb Schmid hett mir als Bueb e große Ydruck gemacht.

Noch em ässe hett är immer si großi Bibel usegholt und e Tägscht gläse und au usglait. Wenn anderi im Heuet scho mit de Wäge furtgschprängt si, so hett är still sim Gott vertraut, wo ihm au immer zur rächte Zyt, das Sienigi gä het.

Erschütteret hett mi als zwölfjährige Bueb d'General-Mobilmachig vo 1914. Wo dr überseht Heusser vo dr Taubstumme, die erschte Landsturmtruppe im Dorf in Empfang gno hett. Die Dütsche si in Schare nach Lörrach mit Hurra für Gott und Vaterland igruckt, doch bald isch vo dr Gränze här, Leid und Wehchlage cho. Die erschte Landsturmsoldate hänn teilwis e bitz übere Durscht drunke gha, aber das het bim Heusser e furchtbare Chrach gä. D'Roß hän müeße vom Pflueg ewäg in d'Muschterig, wo die meischte für's Militär bracht worde sin. Eusi Soldate hei dozemol no die blaue, schöne Uniforme gha. Bsunders begeischteret simer vo de Giede gsi, wo mit blitzblanke Säbel und Chäppi mit em wisse Büschel druf si cho d'schpränge mit ihre wiffe Gäul, dr Baier Hans, Migger und Mathys, dr Baumgartner Päuli, Muchebärger Kari und Ruedi, dr Sulzer Joggi und Dölfi. Mi Vatter isch Wachmaischter gsi bi de Tränsoldate. är hett bis an d'Knü kha und an de Stiefel chräftigi Spore.

Euseri Fraue in dere Zyt hei no müeße unglaublig schaffe. Mi Muetter z. B. isch vo fünf Kinder ewäg go butze und wäsche bi de Herrschafte, und zwar vo de morge am sächsi bis zobe öppe-n-am achti und hett erseht no gflickt und kocht drnäbe. Dort heimer am Afang no 's Wasser in de Chessel am Rößlibranne gholt. Vo Elektrisch kei Spur, d'Petrollampe isch uffem Tisch gschtande und 's Holz isch me in Wald go sammle. Go wäsche hän d'Fraue an Tych abe müeße am Wilströßli. Wenn öpper uffe Märt z'Basel isch, hett er dr Chorb uffem Chopf bis uf e Märt treit. Das si immer anderthalb Schtund Fueßwäg gsi. Dorum hett me die glungene Steibänkli gha, wo d'Fraue hän chönne zwüsche-n-ine ihri Lascht abstelle. Am Inzligerströßli obe-n-isch no ais am alte Blatz. I hoff, daß es dort als Erinnerig an die Zyt stoh blibt.

D'Inzliger si sälli Zyt amme z'Rieche cho 's ärdöl in de Säublotere cho hole. Mämol isch es au vorcho, wenn mer grad Chrach mit de Inzliger ka hei, daß mer ihne mittere lange Huetnodle in d'Saublotere gschtoche hei, daßene 's ärdöl usgloffe isch. In dr Schuel isch me sälli Zyt noni so zimperlig umgange mit eus. Dr Lehrer Deck, Eger, Blum, Schäubli hän nit lang gflunkeret und d'Ohrfiege sin denn präzis dort gsässe, wo si hei müeße. Au dr Hosebode isch bi mir nie staubig blibe, und d'Fingerspitze hän gwüßt, wiene Meerrohrstäcke usgseht. Doch, wenn i will ehrlig si, so hanis au redlig verdient. Es isch halt chum öppis bassiert, wo ich d'Finger nit drin kha ha, bsunders bi de Straich, wo mer de Lehrer agschtellt hei.

Es wer no viel z'verzelle, doch es grifft aim a, wemme so viel Alts und Liebs tuet usgrabe, e Zyt, wo nie me zrugg cha cho. Ais möchti mit mine Jugederinnerige: d'Liebi zue euserem vergangene und hüttige Rieche wecke, bi alle, wo's Vorrächt hei, in euserem schöne Dorf dehaime z'sy.

Emst Linder, geb. 5. Dezember 1902 Riehener Dorfgeschichten Riehen wurde erst im Jahre 1901 mit elektrischem Lichte versehen. 1907 folgte das Koch- und Leuchtgas. In den früheren Jahren mußte man sich mit Kerzen- und Petroleumlicht begnügen. In den fortschrittlichen Gasthäusern waren Kammern mit Karbidöfen angebracht, von wo aus Lichtleitungen in die verschiedenen Räume gelegt wurden. Die Straßenbeleuchtung bestand ausschließlich aus Petrollampen, die auf Kandelabern die Straßen schlecht und recht erhellten. Der Wächter mußte jeden Abend mit einer Leiter die Lampen herunterholen, die Dochten überprüfen, Petrol nachgießen und das Licht anzünden. Da letzteres einmal aufflackerte, ein anderes Mal beinahe erlöschte, warf es gespensterhafte Schatten, die den im Volke teilweise noch verwurzelten Aberglauben schürten. Kein Wunder, daß junge Burschen diese Situation ausnützten und ängstlichen Leuten, besonders aber den Mädchen manchen Streich spielten. In ein schwarz bemaltes Brett wurde zum Beispiel ein Loch gebohrt und ein Seil hindurchgezogen. Zu nächtlicher Stunde schwirrten die Burschen, mit weißen Tüchern umhüllt, durch die Gassen und schwangen die Seile mit den Brettern kräftig durch die Luft. Durch die Reibung ergab dies einen rätschenden Ton und großen Lärm. Die ängstlichen retteten sich nun mit Herzklopfen vor diesen vermeintlichen Gespenstern.

Schneidermeister Schlup am Webergäßchen, «Schnieder-Adem» genannt, wurde gar oft aus seiner Ruhe aufgeschreckt. Wiederholt wurde ein mit Wasser gefülltes «Bückti» an seine Küchentüre gestellt, das beim öffnen derselben krachend zu Boden stürzte und den Küchenboden überschwemmte. Bei den alten Häusern ging der Haupteingang durch die Küche, die vielfach tiefer als die Straße lag.

Auch dem «Fischer-Riggi» an der Schützengasse wurde oft arg mitgespielt. Zum Schlafzimmerfenster herein wurden in aller Stille Igel geworfen. Hierauf öffneten die «Nachtbuben» den unter dem Fenster angebrachten großen Kellerladen und ließen ihn wiederholt herunterschmettern. Durch den verursachten Lärm aufgeschreckt, lief «Fischer-Riggi» ans Fenster und trat in die Stacheln der Igel, was ihm die Verfolgung der übeltäter vereitelte.

Ein dankbares Opfer für die stets zu allen Taten und Untaten bereite Jugend war auch der «Steffi-Dölfi» und sein Meieli im Oberdorf. Wiederholt wurde das Paar nachts aus dem Schlafe geklopft. Sobald das Fenster geöffnet wurde, fiel ein Schwärm Grillen ins Schlafzimmer, die dann ein schönes Morgenkonzert zirpten und kaum mehr zu vertreiben waren.

Nächtliche Streiche wurden vielfach Vereinsmitgliedern gespielt, die den frühen Schlaf einem allzu späten Zubettegehen vorzogen; so z. B. dem «Lugger» an der obern Rößligasse, dem ein Mistkarren auf sein verhältnismäßig niederes Hausdach gestellt wurde. Der Karren wurde nun mit Mist beladen, ohne daß der Betreffende vom ganzen Vorgehen etwas gehört hätte. Erst am Morgen sah er die ganze Bescherung und mußte gute Miene zum bösen Spiel machen.

ähnlich ging es dem «Eger-Migger», mit dem Unterschied, daß er beim späten Nach-Hause-Kommen eine überraschung erlebte. Vor seinem Hause hatte er eine ansehnliche Menge «Holzspälten» aufgeschichtet. Währenddem er mit seinem «Huldi» an einem Sängerabend weilte, räumten seine Kollegen das Schlafzimmer aus und füllten es, soweit es ging, mit dem vor dem Hause liegenden Holze. In seiner Wut sprang er beim Heimkommen zum nahen Polizeiposten, doch konnte ihm nicht geholfen werden. Die Täter verschwanden unerkannt und «Migger» und «'s Huldi» mußten sich notdürftig für die noch verbleibende Nacht einrichten.

Metzgermeister George, ein gemütlicher Kumpane, versorgte seine geräucherten Fleischwaren im Keller, wo sie durch die Dorfjugend durchs Fenster neidisch bewundert wurden. Eines Tages gelangte ein wunderbarer Schinken der öffnung etwas zu nahe. Schon wurde er nachts herausgeangelt. Da es «zufällig» Freitag war, wurde im benachbarten Gambrinus auf Samstagabend ein «Schinkenfraß» veranstaltet, zu dem auch George eingeladen war. Darüber hoch erfreut, spendete er den Wein dazu. Erst am Montag früh bemerkte er den Verlust seines Spezialschinkens und mit dem Ausspruch: «Jetz hammer die Lauskerl den Schinke gstohle und i hab no mitgfr...» ging er darüber hinweg. Wahrscheinlich befürchtete er die bevorstehende «Fasnacht» !

Solchen und vielen ähnlichen Nachtbubenstreichen waren die drei Polizisten in Riehen nicht gewachsen. Die vielen winkligen Gäßchen und Hintertürchen durch die Häuser erschwerten ihre Aufgabe. Der etwas beleibte Polizist Pfefferli, dem der krumme Säbel, den die Diener der öffentlichen Ordnung damals noch trugen, beim Verfolgen der übeltäter allzu oft in die Quere kam, wurde in der Dunkelheit von einem Velofahrer angefahren. Aus Angst vor einem ähnlichen Unfall trug er von dieser Zeit an nun immer eine große rote Laterne mit sich. Dadurch wurde die Jugend schon von weitem auf die Patrouille aufmerksam und konnte sich rechtzeitig in Sicherheit begeben. Das Basler Polizeidepartement mußte dann gegen das Vorgehen seiner eigenen Organe einschreiten.

Mit dem Aufkommen der elektrischen Straßenbeleuchtung, gegen welche die heutige als Festbeleuchtung anzusprechen ist, verschwanden auch nach und nach die nächtlichen Streiche. Der junge, energische Sekundarlehrer H. Gasser erschien überdies beim Betzeitläuten auf dem «Chalbelimärt» und sorgte dann um sieben Uhr abends dafür, daß die schulpflichtige und die bereits schulentlassene reifere Jugend nach Hause ging. Bei Widerspenstigen verhandelte er mit den Eltern. So gerieten langsam auch alte Jugendspiele, die um den Dorfplatz herum ausgetragen wurden, in Vergessenheit. Die Entwicklung Riehens tat ein übriges zur Beseitigung aller heimeligen Winkel und Gäßchen, die der Jugend des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts manche frohe Stunden gebracht hatten.

Werner Schär 's Fasnachtsfüür Wie in jedem Dorf, so het's o z'Rieche no um d'Johrhundertwändi ume verschiedeni Ereignis gä, wo im Verlauf vom Johr d'Dorfbevölkerig bewegt und beansprucht hei. Eis vo de wichtigste isch's Fasnachtsfüür gsi. Es isch domols z'Rieche, wie im Südbadische und o im Baselbiet e alte Bruch gsi, dr Winter symbolisch z'verbrenne und glichzitig dr Friehlig z'mälde. Zu däm Zwäck het me uffere Ahöchi obe e möglichscht große Holzhufe verbrennt, Fürredli g'schlage und Fackle g'schwunge. Dr Riechemer Platz isch uf em «Humperg» gsi. Dort, wo me schpöter «Bischoffshöchi» gseit het. Vo do us het me e schöne überblick ka uf die Füür vo de badische Nochbergmeinde bis wit ins Wiesetal. Fürs Fasnachtsfüür hets o Vorarbeite bracht, die d'Schuelbuebe mit em Holzsammle igleitet hei. No dr Schuel isch me mit Stoß- und Leiterwägeli loszoge und het vo Hus zue Hus Holz bättlet, sis Wälle oder d'Abfäll vom Baumschniede gsi. Alles het me gno und wenn öpper nüt gä het, isch me mit entsprächende Bemerkige nit verläge gsi. Das, was gsammlet worde isch. het me bi-m-ene Bur im Hof zäme do und är hets derno mit sine Roß uf e «Humperg» gfiehrt.

Näbenem Holzsammle het me o mieße d'Fackle richte und do derzue hets e gwissi Fertigkeit bracht, daß si nit scho vor em Schwinge usenander keit isch. Me het deheime alti Brätter gno oder isch in d'Beckerei Wenk an dr Schmiedgaß oder Löliger an dr Rößligaß go Holz bättle. Das meterlang tannigi Beckeholz het sich bsunders guet geignet zum e so fingerdicki Sprisse abz'spalte. Die het me am einte ändi ganz dünn zuegspitzt, derno e Anzahl mit Droht zämmebunde, e so, daß me s'eint ändi in dr Hand het chöne hebe, wäret s'ander ändi mit Sprisse ufgspickt worde isch, bis es 20 bis 40 cm Durchmässer ka het, je nachdäm eine het chöne schwinge, 's dick ändi het me no im Petrol dunkt oder mit Päch agschtriche, daß es schnäller brennt het.

Für d'Fürredli het me vomene dicke Buechebängel öppe 2 Zentimeter dicki Redli abgsägt, in dr Mitti e Loch dri bohrt, daß si hei chöne mitere Haselruete agsteckt wärde. Isch dr Zitpunkt noche gsi, hei e parr Handfesch ti uf em «Humperg» e Stangegrüscht ufgstellt und alles gsammleti Holz druf ufe biege. Derno het e Wach derfür mieße sorge, daß nit e bar «Luscheibe» dr Hufe zfrieh azunde hei, e Vorsichtsmaßnahm wo — wie mer spöter erfahre — nid umesunscht gsi isch.

Am Dag druf, an dr Alte Fasnacht, am Sundig nonem Aschermittwuch, isch dr groß Momänt do gsi. Scho frieh am Nomidag isch me uf d'Höchi pilgeret und bis am Obe isch e größeri Volksversammlig zäme gsi, wo het welle bim Azünde vom Holzstoß derbi si, dä o gli lichterloh brennt het. O d'Füür vo Stette, Lörrach, Ober- und Undertüllige und anderi im Wiesetal hei ufglüchtet und hei e ganz bsunders schön Bild in Nachthimmel ergäh, wie mes hüt öppe no ame Fremdeort am 1. Auguscht erläbt. Isch's Holzgrüscht durebrennt gsi, isch alles uf e Bode keit und in de witerbrennende Gluete het me ringsum d'Fackle zum Abrenne igsteckt. O d'Fürredli si driglegt Wörde und wenn si glieig gsi si, hei si e bar wos hei chönne, mit de Haselruete agstoche und übere Böckli abgschlage, daß si wie Komete im große Boge dur d'Finsternis gsust si. Es isch e sältene Ablick gsi und het mit em Füür und em aschließende Fackleschwinge zäme e zauberhafti Stimmig verbreitet.

No-n-em scho erwähnte Abrenne het jede si Fackle gno und het sich zum Schwinge uf e Wäg gmacht. Groß und chlei si ime gwiese Abstand und in gmietlige Schritte dr Wäg ab und hei die brennende Fackle um dr eige Körper gschwunge, bis zum Bahnübergang an der Inzligerstroß unde. Vo do us het me e schöne überblick ka uf dr ganz magisch Zug, dä wie e großi Fürschlange vom «Humperg» abe cho isch. Do isch o die ganzi Bevölkerig als Zueschauer gstande, mängmol o dr Musigverein, dä e bar rassigi Märsch zum Beschte gä het. Uf's Wyssebärgers Acher het me usgschwunge und d'Räschte vo de Fackle zämme keit. Die junge «Heide» vo däm wichtige Obe si vo ihre Eitere in Obhuet gno worde und mängi Mueter het erseht deheime mit Schrecke abrennti Löcher oder Pächfläcke im Chleid vo ihrem Fackleschwinger gseh!

Eso isch normalerwis das Großereignis abgloffe. Aber emol hets e großi Ufregig gäh, wo de Stettemer ihre Holzhufe am heiterhelle Sundignomitag lichterloh brennt het. Sie heis underloh e Wach z'stelle und do mueß irgend e Bösewicht villicht si Wuet wäg öppisem usgloh ha! Churzum, dä Hufe isch abebrennt und das isch natürlig e großi Blamasch gsi. D'Stettemer hei aber d'Riechemer hinder däm böse Streich vermuetet, hei sich zämme grottet und hei welle go euse Riechemer Hufe go azünde. D'Riechemer-Wach het das alles vom «Humperg» obenabe beobachtet und dänkt es chön do öppis gäh. Si hei gli eine ins Dorf abe gschickt goh Versterkig hole und bis d'Stettemer übere Stettegrabe an «Humperg» ane cho si, isch o e Schaar Riechemer binenander gsi. Nit lang, und scho hei si agfange undenufe zgröhle und Stei und Grundschölle zbängle, was nadürlig d'Riechemer ume gäh hei. Schließlig isch me necher anenander grote und mit de Füscht und Bängel isch dä Agriff abgwehrt worde. Es het uf bede Site Büle gäh, doch hei d'Riechemer als Minderheit, dank e barne Oberdörfler-Haudäge, chönne d'Stettemer vertriebe. Die si heimzottlet, hei aber no dreut, mer chömme wieder! Und e so ischs gsi. Obscho 's Fasnachtsfüür verbi gsi isch, si d'Stettemer am nechschte Sunndig wieder an «Humperg» cho, es het wieder e Schlegerei gäh, in dere d'Riechemer die Herusforderig heimzahlt hei. Däwäg isch es jede Sunndig gange, bis me nimme über d'Fälder und Matte het dörfe. 's Johr druff, uf's Fasnachtsfüür ane, isch dr Rachegedanke bi de Stettemer wieder ufgflammt, wieder si si in Horde gege dr «Humperg» cho um dr Riechemer-Hufe a'z'zünde, was ene wieder nit glunge-n-isch. Die Schlegereie hei sich o Sunndig für Sunndig wiederholt und emol het sogar eine mi teme «Deschinli» im «Sure-Migger» dur d'Hand dure gschosse, grad im Momänt, wo är mit sim Bängel ufzoge ka het. Das isch zviel gsi und het am nechschte Sunndig mieße heimzahlt wärde. Zuefellig het dr «Baier-Migger», wo in dr Gavallerie-Regruteschuel gsi isch, Urlaub ka und dä isch uf sim Roß mit de Riechemer ins Stettefäld zöge. Noch em gwohnte Vorgeplänkel mit Stei und Grundscholle het d'Schlegerei wieder agfange und in däm Augeblick isch der «Migger» im Galopp in d'Stettemer Reihe gritte und het mit dr Rittpeutsche lings und rächts obenabe ghaue, daß es nimme gmietlig gsi isch. D'Stettemer hei rißus gno und si vo de Riechemer bis zu de erschte Hüser vo Stette verfolgt worde. Erseht do si d'Riechemer mit ere große Befriedigung umkehrt und wieder heim. Es het gheiße, es heige zwe Stettemer mieße ins Spital und uf dä Sunndig abe hei die bedsitige Gmeindibehörde die Schlegereie verböte und dermit isch wieder Rueh gsi.

Die wo ame derbi gsi si und hüt no's Läbe hei, wärde die Romantik mit und um's Fasnachtsfüür nie vergässe. E bar Johr spöter isch uf däm schönschte Platz vom «Humperg» die sogenannti «Bischoffshöh» baue worde und dermit isch dä schöni alti Bruch vom «Fasnachtsfüür mit em Fackleschwinge und Fürredlischloh leider ufgäh worde.

Us de Jugederinnerige um 1900 vom Hans Lengweiler Einkehr in Riehen Vor Jahren, als ich noch junger Dozent zu Münster in Westfalen war, kränkte ich eines Tages meine Freunde unter den Alteingesessenen schwer: es war uns der Tagebuchbericht des Johannes Rudolf Wettstein, weiland Bürgermeister von Basel und in den Jahren 1646 bis 1647 Gesandter der Eidgenossenschaft beim Westfälischen Friedenskongreß, über seine erbärmliche Unterkunft, sein «Losament» in Münster in die Hände gekommen, und ich nannte seine kernig-eindeutige Schilderung höchst amüsant und ergötzlich, ohne zu bedenken, daß sie den ahnenstolzen Münsteranern noch so peinlich ist wie eh und je. Damals konnte ich nicht wissen, daß ich einmal in jenem Orte Gastfreundschaft suchen und finden würde, in dem er lange tatkräftig gewirkt hatte: in Riehen. Freilich kannte ich von gelegentlichen Besuchen Basels her die neben der Theodorskirche stehende Brunnenfigur Wettsteins, die nach einem herzerwärmenden Einfall Meister Zschokkes die mit der Rechten gehaltene schicksalsgewichtige Unabhängigkeitsurkunde just auf dem getreuen Haupte seines Hundes verwahrt. Aber das Monument befindet sich eben im mindern Basel; Riehen und Wettstein — und damit auch meine münsteraner Kontroverse — kamen mir erst zusammen, als ich eines Abends vor ein winkeliges Eckhaus in Riehen geführt wurde, das mir in einer lieben Weise alt geworden zu sein schien und das einst Wettstein gehörte.

Wahrscheinlich hätte Riehen mir, dem Weithergereisten, bei der ersten Begegnung jene unsichtbare kalte Wand entgegengestellt, auf die man immer stößt, wenn man als Fremder eine Wohnstatt der Menschen betreten will, in der einem keine Seele bekannt ist. Es blieb mir jedoch dieses Erlebnis des Elends erspart, weil die mir vertrauteste Hand mich empfing. Da ich zudem in den darauffolgenden Wochen merkte, daß meine Existenz mit geradezu großstädtischer Gleichgültigkeit hingenommen wurde, streifte ich ungeniert umher und bald wußte ich mir vorzustellen, welches Häuserbild sich mir um die nächste Straßenbiegung herum bieten würde: jedesmal eine kleine Freude des räumlichen Bekanntwerdens. Als ich den verträumten Bahnhof entdeckte und sein drohendes Schicksal erfuhr, wollte ich unbedingt dort einmal aus dem Zuge steigen, ehe es für immer zu spät sein würde. Um dies zu können, mußte ich mit der Straßenbahn nach Lörrach fahren und dort einen Zug aussuchen, der in Riehen halten sollte. Ich stieg als einziger Fahrgast und in freudiger Erwartung der mißtrauischen Miene des Zöllners aus, aber ich wurde enttäuscht, denn — ich darf das wohl gar nicht verraten — der gestrenge Wächter war gar nicht da. Jedenfalls gehöre ich nun zu den wenigen, die in Riehen mit der Eisenbahn eingetroffen sind.

Es ist etwas Besonderes, wie diese Ortschaft es fertig gebracht hat, ein in den Hängen der östlich angrenzenden Berge festlich ausgebreiteter Villenvorort der nahen großen Stadt zu sein, den behäbig-gediegen gewachsenen Kern eines reichen Dorfes zu bewahren und überall eine liebliche Landschaft hereinzulassen. Da Riehen diese Vielfalt umfängt, steht ihm der Trotz wohl an, sich mit rund zwanzigtausend Einwohnern und einer respektablen Ausdehnung immer noch Dorf zu nennen. Dorf: das bedeutet gottseidank auch das Fernsein der Großindustrie, die mit ihrem Massensog und ihren Zwingburgen jede Stadt unentrinnbar tyrannisiert. Dorf: das bewahrt noch die letzte kleine Möglichkeit, den wildesten Dämon unserer Zeit, den Straßenverkehr, zur Ohnmacht zu zwingen. Ich habe es mehrmals glücklich miterlebt, wie in dem hektischen Strömen der Autos plötzlich ein Unterbruch von geradezu erhabener Zeitlosigkeit geschah — eine Herde prachtvoller Kühe trottete gemächlich durch den Engpaß zwischen der Bettingerstraße und dem Kirchplatz ihrem Hofe zu, ohne daß je aus dem nahen, hübsch mit einem roten Tschako gekennzeichneten Polizeiposten auch nur der Schimmer einer blauen Uniform erschienen wäre. Bäuerliches Selbstbewußtsein und gepflegte Tradition sprechen aus der Bestimmtheit, mit der Riehen sein Schaubild für Einheimische und Fremde gewählt hat. Es ist die kleine Häuserschar um die Dorfkirche, die als Gesicht Riehens gilt, nicht etwa — wie man meinen könnte — eine besonders reizvolle Häusergruppe in einem der neuzeitlichen Quartiere, ja nicht einmal solch ein altes Juwel wie der Wenkenhof. Diese repräsentative Kernansicht hält die bekannte, im Jahre 1923 entstandene Zeichnung von Willi Wenk fest, die der « Geschichte des Dorfes Riehen» von Emil Iselin vorangestellt ist. Es ist denn auch nirgendwo in dem heute so ausgedehnten Wohnbereich der Versuch einer zweiten Zentrumsbildung, die mit dem Kirchplatz konkurrieren könnte, zu erkennen. Nichts ist auch vom Ehrgeiz vieler Ortschaften, eine attraktive Flußansicht zu schaffen, spürbar: die kurze Rheinpartie Riehens ist bisher trotz der Anlage des Basler Ruderclubs architektonisch ungestaltet geblieben. Und noch eine weitere Eigenheit Riehens, die mir symbolhaft für Artung und Lage des Dorfes zu sein scheint, spricht aus der Wenkschen Zeichnung zum Beschauer: Die Blickrichtung des Künstlers ist vom Südosten her auf den Dorfkern gerichtet; dies führt nun dazu, daß Blick und Zeichenstift die dahinter erhobene sanft geschweifte Linie des Tüllinger Hügels — mit dem Häuserkrönchen Obertüllingens oben darauf — in das Bild hineinnehmen. Die Schönheit eines deutschen Berges — es ist ja nur der landschaftlich unauffällige Schlipf schweizerisch - und die feine, in dem luftigen Dachreiter der Dorfkirche gipfelnde Dächerkontur des schweizerischen Riehen verschmelzen hier zu einer wundervollen harmonischen Einheit. Wenn doch auch in anderen Begegnungen die Grenze mit so viel Charme und Gewinn überspielt werden könnte! Daß Riehen diese liebenswürdige Annexion schon immer (mit Recht) als unbedenklich empfand, bezeugt bereits die älteste erhaltene Vedute des Dorfes, die Georg Friedrich Meyer im Jahre 1672 fertigte (Jahrbuch 1962, Taf. 1) ; das Bild des Dorfes unter dem Tüllinger Hügel entspricht soweitgehend der genannten modernen Zeichnung von Wenk, daß dieser beim Skizzieren beinahe in den Fußstapfen des alten Malers oben in der Mohrhalde gestanden haben könnte. Neben diesem konservativen Verharren bemerkt man eine weite Offenheit für baukünstlerische Unternehmen. Mannigfaltig sind die Varianten in Stil und Typus der Landhäuser, aber klugerweise finden sich kraß gegensätzliche Bauformen nur selten nahe beieinander: das nur wenige hundert Meter von der Dorfkirche entfernte neue Gemeindehaus ist dieser im schlichten Ernste der Auffassung ähnlich, hingegen liegen die in ihrer Architektur ebenso neuartige wie imponierende Kornfeldkirche und das Kuben versammelnde Wasserstelzenschulhaus weitab und auch voneinander getrennt. Leider vermag ich das letztere nicht mit ruhigen Augen anzusehen — die eckigen Betonmassen erinnern mich, besonders wenn ich vom Niederholzrainweg auf sie hinunterschaue, beklemmend an die Zufluchtsbunker der deutschen Städte während des Krieges.

Nur einen Katzensprung abseits der lärmigen äußeren Baselstraße fand ich ein wohlfeiles Sanatorium für die stadtmüden Sinne, Nerven und Fußsohlen: die Langen Erlen mit den Vogelschutzteichen, wo einem die Meisen von der Hand fressen und die wilden Enten längst nicht mehr wild sind. Hier zwischen Büschen und Bäumen kann man froh die weiche mulmige Erde unter den Füßen spüren. Aber leider dringen die starren toten Wegbeläge immer tiefer in den Wald vor: müssen denn auch die letzten Pfade «zivilisiert» werden? Manche besinnliche Stunde habe ich mir hier gegönnt. Aber einmal hatte ich ein bitteres Erlebnis. Es war im ausgehenden harten Winter des vergangenen Jahres, an einem Sonntag. Von den Langen Erlen her klangen die Rhythmen der Trommeln, man übte für die Fasnacht. Ich finde das «Ruessen» sonst faszinierend, aber jetzt in der eisklaren Kälte peitschten die Trommelschläge wie Schüsse durch den Wald. Ich ging von der Tramhaltestelle Niederholz auf die Langen Erlen zu. Plötzlich brach dort, wo der Breitmattenweg den Waldrand erreicht, ein Reh durch das Unterholz, es raste kopflos vor Angst mitten auf der Straße und bog erst kurz vor mir in wilder Flucht in Richtung Grendelmatten ab — unglücklicherweise aber diesseits des damals ausgehobenen tiefen Grabens für eine neue Wasserrohrleitung; da dieser kilometerlange Erdspalt zu breit zum überspringen war und das Reh sicher nicht die wenigen brettschmalen Plankenstege benutzte: wo und wann hat dieses vom Geknatter im Walde über das freie Schneefeld gejagte arme Tier zum Schutzgebiet und zu seinem Rudel zurückgefunden? Möge man doch die Ruhe der Langen Erlen nicht so unbekümmert stören, sie tut ja nicht nur vielen Menschen wohl, sondern sie ist ein unerläßliches Lebenselement der Tiere, die dort eine letzte Zuflucht gefunden haben.

Nun: es ist inzwischen schon einige Zeit verflossen, daß ich in Riehen bin. Das alte Holz hat unversehens ein paar stille Wurzeln ins Riehener Erdreich geschickt. Mag auch mancher gebürtige Bürger gelegentlich darüber murren, daß viele «Zuzüger» in seinem Dorfe leben, er sollte sich seinen Unmut noch einmal überlegen. Hat er doch deswegen noch nicht seine Heimat verloren; auch könnte er eigentlich etwas stolz darauf sein, daß Fremde hier verweilen — kommen doch sogar die Basler, wenn sie ihren Weg vollendet haben, alle nach Riehen und ruhen auf dem Hörnli-Friedhof aus.

Kurt Gerhardt Wenn ein Geißhirt nach Riehen kommt Ja, wenn ein ehemaliger Geißhirt nach Riehen verschlagen wird, darf dies wohl ein historisches Ereignis genannt werden, nicht? Freilich muß die Betonung auf «ehemalig» gelegt werden, ansonst der geneigte Leser meinen möchte, er sei hierhergezogen, um die Hut der Riehener Geißenschar zu übernehmen!

Nun habe ich aber nicht im Sinne, hier eine wissenschaftliche Abhandlung über Riehens oder andere Ziegen zu verfassen, sondern vielmehr eine Plauderei zu halten über die in der neuen Heimat gewonnenen Eindrücke. Und wem erginge es bei einer gleichen Aufgabe nicht ähnlich wie mir, daß er nämlich die neue Umgebung vielfach aus der Sicht der verlassenen heimatlichen Penaten beschaut? Weil ich gewissermaßen von der ländlichen und bäuerlichen Scholle weg mich in die Stadt verpflanzte, kann es niemanden verwundern, daß meine Vergleiche nicht etwa biblische Gleichnisse, wohl aber ein Abmessen und Abwägen «mit Augen vom Lande» sein werden.

Und da nehmen halt auch die Geißen ihren Platz ein! Wie es so unter den kleinen Verhältnissen in der engen Welt der Bergtäler geht, sogar die Bewohner eines jeden Dörfleins werden von den holden Nachbarn mit einem liebenswürdigen übernamen bedacht. Meine Mitbürger und ich sind diesbezüglich mit einer besonderen Auszeichnung versehen worden. Unser Ehren- und Adelstitel: die Geißen. Und so etwas geht mit einem auch in die weite Welt hinaus mit! So habe ich es in den ersten Tagen meines hiesigen Aufenthalts einfach nicht übers Herz bringen können, an der beim Restaurant Niederholz angeketteten «Verwandten» vorbeizugehen, ohne ihr liebevoll den Hals zu kraulen. Und jetzt meinst Du sicher, ich könne von einer rührenden Wiedersehensfreude berichten! Lache laut, leichtfertiger Leser! Einen Anlauf hat das Biest genommen, und wie aus der Kanone geschossen ist es auf mich zugekommen, um einen Volltreffer mitten in meinen Bauch zu landen! Eine solche Perfidität und erst noch unter Verwandten!

Nun, so kam ich also eines Frühlingstages nach dem lieben Riehen — wie heißt schon das berühmte Zitat für eine solche wichtige Begegnung historischen Ausmaßes: er kam, sah und — war sprachlos! Eine Stadt suchte ich und fand ein Dorf; ich erwartete ein Dorf und fand eine Stadt! Und an dieser sollte ich also weiterbauen helfen! Ja, ja, bitte wörtlich nehmen! Hatte man mich denn nicht als Volksbildhauer angestellt? Zum Bildhauer aber gehören Hammer und Meißel, genau wie Schwanz und Hörner zur Kuh. Und wo es am nötigsten war, bei meinen neuen Schülern diesen Meißel anzusetzen, das erkannte ich gar bald: um die scheinbar typische und angeborene baslerische Schwäche wegzumeißeln, die sich darin äußert, daß so viele nicht zu unterscheiden vermögen zwischen B und P, G und K, D und T! Allerdings, solange keiner meiner Schützlinge mit unmöglichen Verballhornungen wie «Pasler Peppi, Tummer Deufel» aufkreuzt, mag diese allzumenschliche Schwäche zum landesüblichen Esprit gehören!

Sagte ich es schon? Er kam, sah und — verglich! Schließlich hat man hiezu gewiß ein Urrecht, besonders wenn man sich «herabläßt», aus den paradiesischen Gefilden und Firnen des Bündnerlandes in diese nördlichste Depressionsecke herabzusteigen! Ja, es liegt sicher auf der Hand, daß der Einwanderer zuallererst die alte mit der neuerworbenen Heimat vergleicht. Aber was gab es schon mit diesem Riehen zu vergleichen? Nun ja, Vergleiche drücken sich gewöhnlich mathematisch genau in Zahlen aus, und meine Verhältniszahl war 15. Beide Heimatorte zählten bei meiner übersiedlung 15 Einwohner, nur waren es bei der angestammten Heimat deren 150, bei der Wahlheimat 15 000 Köpfe. Kleinigkeit des Unterschiedes, wirst Du denken!

Und was mir im Zuge der Vergleiche und bei meiner Volksbildhauerarbeit alsogleich auffiel: daß so viele meiner betreuten Opfer Linkshänder waren! Zahlenmäßig ein offen in die Augen springender Unterschied. Waren also meine Bündner wirklich lauter «rechtere» Leute? Wie kann ein tapferes rechtsrheinisches Völklein, das zudem auf der Seite jener ehemals vollkommenen Arier wohnt! - wie kann es mit einem solchen widernatürlichen Fehler behaftet sein, und zwar in so hohem Prozentsatz? Es gibt nur eine Lösung des Rätsels: Riehen ist, wie sein großer Bruder Basel, ein Schmelztiegel der Schweizer Völkerschaften. Weil der gute, alte, große und breite Vater Rhein halt abwärts fließt und gewissermaßen den Auspuff des Ländchens bildet, sammelt sich hier also aller von weiter oben heruntergetriebener Unrat an. Hm! Dies also war meine philosophische Erklärung des Phänomens, bis ich einen schon lange hier ansässigen Landsmann antraf und er mich herzlich bewillkommnete: «Was, auch du hier? Treibt sich denn alles Ostschweizer Gesindel in dieser Ecke zusammen?»

Ja, ja, allerlei Entdeckungen gelangen mir im Zuge der ersten Vergleiche. Wer das freie, lautere Landleben verläßt, sucht es halt unwillkürlich wieder. Aber von den langen Fassaden noch längerer Reihenhäuser spiegelte sich wenig von dieser verlorenen wildnishaften Schönheit, und noch so schöne und gepflegte Grünanlagen zwischen städtischen Kasernen bleiben eben doch nur kümmerliche Reste einer uneingeschränkten Landschaft! Nun, auch andere haben sich daran gewöhnen müssen, in einem Käfig gefangen zu sein und ihren Blick statt in unendliche Fernen nur bis zur nächsten Hauswand schweifen lassen zu können! Aber Natur strebt zu Natur, und ein ehemaliger Geißbub läßt sich nicht so leicht in die Enge einer Dorfgasse sperren. Weite wollte er, wenn auch nur scheinbare. Wo anders hätte ich mich deshalb seßhaft machen können als dort, wo sich wenigstens die Namen der neuangelegten Straßen mit der verlassenen Heimat vergleichen ließen! Schon immer haben Flurnamen eine magische Wirkung auf meine Seele ausgeübt. Hinter Lokalnamen wittert der Geschichtsfreudige stets Geschichte, schwere, trächtige Geschichte. Wie gesagt, Weite und Natur wollte und mußte ich um mich haben. Und war sie nicht am besten dort zu finden, wo sich unendliche Matten ausdehnten — früher allerdings, früher! Herrliche Namen: In den Neumatten, In den Habermatten! Man spürte geradezu sinnlich die grenzenlose ehemalige Ausdehnung dieser Felder, an denen Johann Peter auf seinen Wanderungen vorüberzog. Und nicht weit davon das erhöhte Plateau inmitten von Kleingehölz; und die Ureinwohner tauften es sinnig: Niederholzboden. Mein geistiges Auge erspähte geradezu noch die zierlichen schwanzfedernden Vögel, die man mit dem Wasserstelzenweg verewigt hat. Die erste der Wasserstelzen, derer ich ansichtig wurde, war allerdings nur ein kurzröckiges, auf Stöckelschuhen trippelndes, geschminktes, halbwüchsiges Wesen. So mag es wohl diese ernüchternde Begegnung gewesen sein, die eine arge Enttäuschung verhinderte, als ich belehrt wurde, der Name habe keine Beziehung zu den Vögeln, den stelzenden, sondern rühre vielmehr von einem ehemals hier ansässigen Feudalherrn her. Ja, ja, die Geschichte!

Nun, in dieser Gegend schlug der Ziegenhirte seine Zelte auf. Und schon zeigte die Stadt und ihr Ausdehnungsdrang die Zähne. Als man mir schon nach kaum einjähriger Anpassungsfrist vor der Nase das bißchen freie Sicht verbaute, da konnte ich laut Urtrieb wieder nichts anderes, als mich inmitten der prächtigsten Landwirtschaft eine Siedlung zu suchen, in der ägyptischen Kornkammer Riehens: inmitten der Kornfelder, der ehemaligen natürlich! Kornfeldstraße ist das Museumswort. Hier erst recht roch mein sechster Sinn ersehnte Weite, träumte von ährenschweren äckern, die es zu meinem Erstaunen sogar noch gab, «en miniature» allerdings, wenn auch umrahmt und eingezäunt von langen Häuserreihen. Meinem Hochgefühl, inmitten freier, schöner Natur wohnen zu dürfen, tat es auch keinen Abbruch, und meinen Stolz verletzte es keineswegs, als bald von auswärtigen Bekannten Post anlangte mit sinnigen und phantasievollen Abwandlungen der Anschrift. Die einen glaubten mich an der «Feldblumenstraße», andere an einem «Kornblumenweg», und meine Heimatstraße wurde degradiert bis hinunter zu einer «Feldwegstraße» ! Solches konnte mich nicht ergrimmen, vielmehr aber die Dreistigkeit der hiesigen Ureinwohner, womit sie örtlichkeiten in meiner Nähe einen «Schellen&erg» und «Hackberg» zu taufen gewagt hatten; und dabei hätte der von echten Bergen heruntergekommene Teilensohn sich ja nur auf die Hinterbeine zu stellen brauchen, um mühelos über diese Maulwurfshügel hinwegspucken zu können! Doch halt! — früher wohl, damals, wäre das möglich gewesen, heute nicht mehr, nachdem die neueste Zeit an diesen Berghängen ein tibetanisches Klosterviertel hingepflastert hat!

Wie sagte ich schon? Er kam, sah und — staunte! Ja, freilich, mich überkam bald ein großes Staunen. Eine Stadt nämlich wähnte ich zu finden, und ich fand ein Dorf, ein großes allerdings; aber es trug die unverkennbaren Zeichen eines lieben, trauten Dorfes. Nicht etwa so, wie Du, verschmitzt lächelnder Leser, es Dir vorstellst: das mich Beeindruckende war, ein Dorf zu finden, das sich wohl aus höheren politischen Zielsetzungen an die starke Nachbarschaft verkauft, ach nein, angeschlossen hatte, vermutlich eingedenk des Schillerschen Wortes: «An einen Mächtigen schließ dich an!»

Doch dieses stadtgewordene Dorf hat es sage und schreibe fertiggebracht, sich trotzdem ein gut Teil von Eigenständigkeit zu bewahren! Wahrlich, ein staunenswerte Ehe muß da zwischen Stadt und Landort eingegangen worden sein. Ich kann fast nicht anders, als mir die boshafte Frage zu erlauben — ein ungebildeter Geißhirt wird entschuldigt! — wer dabei wohl wen über die Ohren gehauen hat? Dieses großzügige Bild des Selbständigkeitstraumes begann allerdings bei genauerem Zusehen grammweise an Farbe einzubüßen, aber was tut's schon, daß es in undeutliches Grau ausmündete, ja, mehr in ein trübes Licht des trüben Spruches «Wer zahlt...» — Nun, die Tatsachen scheinen nackt zu sein, und das Gemeindewesen Riehen blüht unter seinem scheinbar selbständigen, volksdemokratischen Regime nicht minder als die Kirschbäume, die leider bald nur mehr auf dem Aussterbeetat figurieren und in kühnen Geschichtswerken geschildert werden. Ich jedenfalls staunte nicht nur, sondern freute mich richtig, in meiner Wohnheimat nicht so ein wesensloses Staatswesen mit unsichtbarer, geisterhafter, sich nur in patrouillierenden Polizeistreifen verdeutlichender Führung anzutreffen; nein, hier begegnest Du noch den lieben Dorfvätern aus dem Gemeinderat auf dem gleichen Trottoir, Du spürst geradezu ihre dirigierende, ordnende, waltende Hand an nicht brennenden Straßenlampen, aufgerissenen Straßen, Neuanlagen, neuestens am prächtigen Gemeindehaus und selbstverständlich an der Steuerrechnung!

Mensch, hat mich der Beamte auf dem Steuerbüro überraschen können mit seiner Eröffnung, als Bewohner und Nutznießer seines gewaltigen Dörfchens hätte ich nur die Hälfte der Staatssteuer zu berappen! Und bald hat mir eine einfache Einmaleinsrechnung bewiesen, daß ich hier regelrecht ins Steuern-Schlaraffenland hineingeraten sein müsse; war mir doch früher für die Hälfte des jetzigen Lohnes ein gleich hoher Steuerbetrag abgezwackt worden. Mein ungereimtes Gehirn hat sich ausgemalt, es müsse wahrscheinlich wohl so sein auf der Welt, daß halt die Steuern proportional zur Höhe über Meer zunehmen!

Verriet ich schon, daß ich staunte? Ja, diese Bewahrung einer solchen dörflichen Oberhoheit trotz Anschluß an die Stadt, das war ein toller Jugendstreich Riehens. Eigenes Parlament, eigene Gemeindeverwaltung mit König und Vizekönigen, neuestens sogar halbautonome Schulverwaltung! Hatte man damals etwa mit bestimmten Hintergedanken z. B. die dörfliche Steuerhoheit bewahrt? Mir fiel das nur so ein, als anläßlich einer Abstimmung die (mir bisher unbekannten) hier heimischen PdA-ler eine Flugblatt-Hetzkampagne ins Volk warfen, worin von 27 Riehener-Millionären die Rede war! Wohl, wohl, da war ich also in die rechte fette Wiese geraten, um meinen Klee zu mähen! Seither rechne ich unermüdlich aus, wann es mir wohl beschieden sein werde, diese Siebenundzwanzig mit «Kollegen» anreden zu dürfen. Erreichbar wird das vermutlich nur sein mit Hilfe der sozialistischen Partei, den hitzigen Vorkämpfern für allgemeinen Wohlstand. O je, Sozialisten! Zum ersten Mal im Leben habe ich solche auf Du und Du angetroffen. Bisher spukten diese nur so in der Phantasie herum als marxistische Ungeheuer, Katholikenfresser oder Totengräber des Staates. Und nun, welch angenehme Entdeckung, daß auch sie tapfer und ehrlich mitstreiten in der Gestaltung des vaterländischen Gartens!

Ja, ja, Riehens gewahrte romantische Selbständigkeit von der nahen Stadtmacht erschien mir lange noch als kleines Wunder. Und dabei kommt mir diese Stadt immer wieder als so etwas wie die RiehenerSabinerberge vor. In diesen gebirgigen Landschaften raubten bekanntlich die Römer den Etruskern ihre Frauen weg — in der Stadt haben wohl die meisten Riehener Futterkrippe und Milchkuh, die ihr Portemonnaie füllen.

Brachte ich den berühmten Spruch schon einmal vor? Er kam, sah und — freute sich! Nein, ich freute mich gar nicht bei der Entdeckung, mit welcher Herzlosigkeit hier ganze prächtige Grundstücke durch Jahre hindurch ungepflegt, ungemäht, ungeerntet, verstoppelt und brach gelassen werden! Was nützte da die Erklärung, das sei halt von Architekten aufgekaufter Boden, wo nächstens---. Das nicht zu verleugnende geerbte Bauernherz in mir krampfte sich zusammen bei diesem Anblick, und Bilder erwachten dabei in mir, Bilder aus entschwundenen Tagen der Jugend zogen an meinem geistigen Auge vorbei: Ich sah unsere ganze Familie auf den mageren Bergwiesen am Heuen und Vater und Onkel hinter jedem Stäudelein und Steine das allerletzte Gräslein hervormähen, weil nicht ein einziges ungenutzt wachsen und noch weniger verloren gehen durfte. Und hier, diese Mißachtung der Naturgaben, diese Verachtung der Fruchtbarkeit der Erde! Diese Entdeckung hat mich regelrecht erschlagen! Erschlagen!

Und doch freute ich mich, nämlich beim Anblick der auf eben diesen verschupften Grundstücken himmelwärts schießenden vielen stilgerechten Villen! Ein eigener, würdevoller Landstil, fürwahr, begegnete mir da. Und im geheimen empfand ich echte Genugtuung, daß es noch vermögendere Leute gibt als mich, deren Mittel es erlauben, uns allen die Augenweide solch prächtiger Bauten zu bieten!

Fast gleichzeitig mit der Feststellung dieser Verachtung für die «Mutter Erde» machte ich eine entgegengesetzte Entdeckung. Sie zeigt, wie sich bäuerliche Kultur zäh und unbeirrt über böse Zeiten hinweg retten kann, wo die Umstände es erheischen. Zieht da also immer noch ein wohldurchdachtes und gehegtes System von Bewässerungskanälen durch das Riehener Tiefland, mit praktischen überbrückungen und sinnvoll konstruierten Schleusen und Sperren, alles fußend auf jahrhundertelange und ebenso alte Erfahrung mit gewiß ebenso alten Erfolgen, dank dieser Bewässerungseinrichtung. Demgegenüber hat meine alte Heimat diese nützliche, erprobte Befeuchtungsmethode schon vor achtzig Jahren ganz aufgegeben. Das Wieso ist keinem noch lebenden Mitbürger bekannt, nur die Folgen: ehemals üppige Wiesen sanken bald wieder zurück in ihre ursprüngliche Dornröschen-Trockenheit eines unnützen Magerbodens. Auge und Fuß folgen in den Ferien nur gedankenschwer den Spuren zugeschütteter, verwachsener, teils kaum erkennbarer ehemaliger Bewässerungsgräben, und das «geistige» Ohr vermeint sehnsüchtig, es müsse noch das heimelige Gegluckse und Geplätscher durchschießender oder rieselnder Bächlein wahrnehmen.

Verblüffende Entdeckung um Riehens Eisenbahn! Sicher etwas Einmaliges, daß eine deutsche Bahn in aller Gemütlichkeit, pardon, Geschwindigkeit! Riehener Hoheitsgebiet über zwei Linien durchziehen kann. Sie stückeln das Stadtdorf gewissermaßen mit zwei gewaltigen Dämmen und Gräben in erzwungene Quartiere auf und können von den Einwohnern kaum benutzt werden. Unglaublich, so etwas, auch wenn ein Blick auf die Karte mich belehrt, daß das Wiesental keinen natürlicheren Ausgang und Endpunkt haben kann als eben Basel! Tja, noch heute lache ich über meine erste Begegnung mit dem Bahnhof Riehen! Hatte ich doch tapfer und gläubig einige schwere Kisten voller Bücherweisheit an die «Bahnstation Riehen» beordert, in der nicht übertriebenen Annahme, ein zivilisierter Ort vor Basels Nase müsse ganz selbstverständlich am Lebensnerv einer Bahnlinie angeschlossen sein. Nun, bei der nicht minder tapfer vorgebrachten Erkundigung am nicht gerade das Modernste darstellenden Bahnhof der neuen Heimat setzte es unerklärlich große Aufregung, Suchen, Rückfragen ab. Von einer solchen Sendung nicht die Spur! Ein tiffiger, barmherziger Bähnler fand heraus, daß nach Riehen adressierte Bahngüter samt und sonders in die Gepäckannahme des Badischen Bahnhofes eingewiesen werden. Rechnet man das liebe Riehen also doch schon halb zum kleindeutschen Reich gehörend?

Staunen über Staunen! Und des Staunens Gipfelpunkt verursachte wohl die unglaubliche geographische Tatsache, daß ein Bach, und dazu noch von der Rangordnung eines Flusses, den Namen «Wiese» tragen kann! Besonders für einen einstigen Geißbuben ist eine Wiese wirklich etwas ganz anderes, hat es doch in jener glücklichen Zeit so oft unendlich viel Mühe gekostet, meiner Geißenschar die Versuchung auszutreiben, ihre Köpfe in die Zaunlücken zu stecken, um dort links und rechts der täglichen Marschroute die saftigen Wiesenkräuter zu stehlen!

Das Staunen wurde von mitgehender Freude überwogen, daß meine Wahlheimat ihre Eigenständigkeit in betonter Entwicklung festigen zu suchen scheint, und das vor allem auch in einem eigenwilligen kulturellen Leben. Ich rede nicht von meinem lieben Namensvetter und verehrten Dichter Johann Peter Hebel, dem es erst nach harten Mühen gelang, hier einem Schulhaus die Ehre seines Namens zu verleihen und der halb exotischen Benamsung «Schulhaus Langenlängeweg» den Rang abzulaufen.

Dieser Dichter hat Riehen wohl tausendmal durchwandert, hier aber kaum Wurzeln geschlagen! Nein, was mich noch mehr freute, war die Erkenntnis über so viele offensichtliche Bestrebungen in der Förderung echten Kulturlebens, eigenen Kulturlebens, was am Rande einer Stadt ungleich schwerere Bemühung ist. Wohl die wertvollste Schützenhilfe leistet das eigenständige, originelle Dorfblättli. Und bald nach meiner Ankunft sah man sich veranlaßt, mit einem nigelnagelneuen Kino die Kultur auf Hochglanz zu polieren. Doch Größeres zog mich an: «Kunst in Riehen» fördert und veranstaltet gute Konzerte; verschiedene Chöre wetteifern miteinander in guten Darbietungen; einheimische Maler und Bildhauer fallen in Ausstellungen auf, und die selbständige Gemeinde führt ein eigenes Gasthaus! — wo es (damals) auch eines Bündners brauchte, um Dank guter Geschäftsführung den Gemeindefinanzen unter die Arme zu greifen, oder?

Erspare mir, lieber gelangweilter Leser, ein heißes Eisen anzurühren; von einem aus den Bergen heruntergekommenen Geißhirten kann die Fasnacht als Teil der «Kunst in Riehen» nicht kommentiert werden. In dieser Beziehung ist er kulturlos.

Gion Peder Thöni Obschon ich weiß, daß erste Eindrücke Gefahr laufen, gelegentlich revidiert zu werden, will ich doch versuchen, meine damals empfundenen Gedanken, wenn auch unvollständig, so doch in möglichst unverfälschter Form wiederzugeben.

Riehen begegnete mir als mächtiges, aber stilles Dorf von «kleinen» Häusern inmitten großer Gärten, sonntäglich herausgeputzt, mit einem vorbildlich im Stande gehaltenen Straßennetz.

Ungewohnt waren die fehlenden Begleiterscheinungen bei meinem Wohnungswechsel von Basel nach Riehen. Weder Heimatschein noch sonst ein Papier galt es auf dem verwinkelten Gemeindehaus aubzugeben oder vorzuweisen; selbst die Schule, diese von den Gemeinden wohlgehütete Domäne, wurde vom Rektorat auf dem Münsterplatz ferngesteuert. War dieses Gemeinwesen etwa nur begrenzt autonom? War mein Einzug überhaupt vermerkt worden? Nun, ich überließ die Antwort vertrauensvoll der Zukunft, die Steuererklärung würde mindestens über das letztere Aufschluß geben.

Gleichzeitig hatte ich den Eindruck, als säßen die « Eingeborenen » wohlverwahrt in ihren Höhlen beim Dorfkern und hüteten sich sehr, den eindringenden Barbaren willkommen zu heißen, geschweige denn, ihm ihre Schätze zu zeigen. Wohlverstanden, die Aufnahme war nicht unfreundlich — nur demonstrativ gleichgültig.

Die Tierliebe allerdings schien mir geradezu überdimensioniert entwickelt. Vorab Hunde und Hündchen begegneten einem in allen Varianten. Das Angebot war überwältigend. Vom Appenzellerbernhardiner über den rassenreinen Superhund bis hinunter zum Pekinesenpudel war ganz einfach alles vertreten. Zu meinem Vergnügen übrigens, denn diese Fülle ermöglichte es mir, ganz unauffällig meiner Neigung zu frönen, die Physiognomien der Herren und ihrer Hunde «ein wenig» miteinander zu vergleichen. Ich nahm diese ergötzlichen Beobachtungen als Entschädigung dafür, daß ich fortan auf meinen Spaziergängen mit den Kindern die immer spärlicher werdenden Wiesenränder tunlichst zu meiden trachtete.

Einfach unglaublich berührte mich die einmalig kleine Zahl von Wirtschaften. Zugegeben, ich stamme aus einer «feuchten» Gegend, aber so etwas war mir ganz einfach in der Schweiz noch nicht begegnet. Gleichzeitig stimmte mich diese Beobachtung nachdenklich. War ich da in eine musterhaft solide Dorfgemeinschaft hineingeraten? Lebten die vielen Riehener anderswo, in der Stadt vielleicht, im Schwarzwald oder im Elsaß, und kamen sie nur hierher, um zu schlafen, bzw. um sich vom wirklichen Leben zu erholen? Führte dieses Dorf überhaupt ein Eigenleben, oder war es nur eine Dépendance der Stadt?

So machte ich mich denn bald einmal auf, das Phänomen Riehen etwas zu erforschen. Und siehe da — aber eben, das waren dann nicht mehr die ersten Eindrücke. Richard Beglinger Mein Mann und ich sind vor 15 Jahren aus der Stadt Zürich nach Riehen gezogen, wo wir seither leben. Von Anfang an haben wir uns hier sehr wohl gefühlt. Das Wohnen in ländlicher Umgebung und die Nähe der Stadt mit ihren höheren Schulen und dem kulturellen Leben scheinen mir eine ideale Verbindung. Als Wohnquartier hat Riehen seinen besondern Reiz, da es nicht ein in der Hochkonjunktur entstandenes, neues Quartier ist. Der gut erhaltene Dorfkern und die schönen, alten Landgüter verbinden uns noch mit der Vergangenheit. Allerdings hat leider in den letzten zehn Jahren eine zum Teil massive und uneinheitliche überbauung ganzer Straßenzüge eingesetzt, so daß der ländliche Charakter hier zum großen Teil verloren geht.

Riehen, eingebettet zwischen den Langen Erlen, dem weithin sichtbaren, markanten Tüllinger Hügel und den sanften, waldigen Höhen der Chrischona bietet eine Fülle von Spaziergängen, die durch eine abwechslungsreiche, liebliche Landschaft führen. Besonders schön empfinde ich den Frühling in Riehen mit seiner frühen Kirschblüte und den blumenreichen Gärten. Durch das milde Klima gedeiht hier manch südliche Pflanze und die Magnolienbäume blühen so schön wie im Tessin.

Wir schätzen auch, daß die Kinder in Verbindung mit der Natur aufwachsen dürfen. Es hat noch da und dort einen Bauernhof, wo sie einmal einen Blick in den Stall werfen können. Leider verschwinden diese Höfe im Dorfkern aber immer mehr. Auch die Tierwelt ist in unserer Umgebung sehr mannigfaltig, nisten doch viele Vogelarten in den Gärten, den Langen Erlen und den benachbarten Wäldern. Noch vor wenigen Jahren kamen in strengen Wintern auch die Rehe bis an die Häuser.

Wir haben bald netten Kontakt mit den Einwohnern der Gemeinde bekommen. Obwohl in Riehen, wegen der nahen chemischen Industrie Basels, Leute aus der ganzen Schweiz wohnen, geben doch die eigentlichen Riehener und Basler der Gemeinschaft eine gewisse Prägung. Anderseits gibt die verschiedenartige Zusammensetzung der Gesellschaft der Gemeinde einen aufgeschlossenen Charakter, so daß der Kontakt mit den Mitmenschen erleichtert wird. Allmählich bildet sich ein persönliches Verhältnis zu vielen Dorfbewohnern. Dies ist in einer Zeit, in der das Materielle und Unpersönliche immer mehr überhand nimmt, besonders wohltuend. Wir hoffen deshalb, daß Riehen seine Individualität auch in Zukunft erhalten könne und vor einer Verstädterung bewahrt bleiben möge. Liselotte Pletscher Das wohltuende Gefühl des Zuhauseseins, der Geborgenheit, das dem Menschen so sehr zu seinem Wohlbefinden nottut, diese beruhigende Gewißheit, daheim zu sein an einem Ort, durfte ich als Neuzugezogener in Riehen vom ersten Tag an empfinden. War das darin begründet, weil das Dorf wohlbehütet zwischen Tüllinger Hügel und Dinkelberg in die liebliche Sanftheit des ausmündenden Wiesentals eingebettet liegt? Lag es daran, daß ich durch das liebwerte Werklein «Unser Riehen», das mir bei meiner Anmeldung auf der Gemeindekanzlei als freundlicher Willkomm überreicht wurde, gleich zu Beginn meines Hierseins eine lebendige Beziehung gewann zu dem Ort, in dem ich mich niedergelassen, so daß ich bei meiner ersten Begegnung mit Dorfkirche, Wettsteinhaus, Landvogtei, alten Häusern und Landsitzen nicht als Fremder, sondern als bereits Eingeweihter vor diesen für Riehen typischen Dorfakzent stand? Oder war die tiefere Ursache, daß ich auf meinen ersten Rundgängen durchs Dorf auf Schritt und Tritt sah und spürte, mit welcher Liebe alte Grenzsteine in neuen, gediegenen Anlagen in Ehren gehalten, mit was für einer Anhänglichkeit ans Althergebrachte alte Brunnen gehegt, mit wieviel Hingabe eine alte Mauer um den Meierhof oder eine jahrhundertealte Inschrift an einem Haus neugestaltet werden und mit welch inniger Sorgfalt die Gemeindeväter dem Dorfkern sein charakteristisches Bild bewahrt haben, wie behutsam und beflissen sich das Dorf bemüht, traute Heimstatt zu bleiben und nicht zum gesichtslosen Vorort der großen Stadt zu werden? All dies wirkte zusammen, daß ich mich gleich in meiner neuen Wahlheimat wohl und zu Hause fühlte.

Nach etlichen Jahren, die ich jetzt hier wohne, hat nun eigenartigerweise dies Gefühl des Daheimseins in keiner Weise zugenommen, wie ich dies doch selbstverständlich erwartet hatte. Es wurde mir mit der Zeit immer deutlicher bewußt, daß der Riehener den nahen Kontakt mit dem Neuzugezogenen hinter einem Schild kühler Freundlichkeit und höflicher Korrektheit meidet, so wie sich das Dorf mit der bewußt dörflichen Eigenart gegen den Einfluß der nahen Stadt abschirmt. Ich fühle mich angenommen, aber nicht aufgenommen von Herzen. Es fehlt die Herzlichkeit, die Wärme - und so tröste ich mich mit den niedrigen Gemeindesteuern. Xaver Hungerbühler «Wenn schon Basel — dann Riehen»

Man hat mich - als ehemalige Ausländerin - gebeten, in diesem Jahrbuch einige Bemerkungen über meine Eindrücke vom Riehener Leben zu machen. Erzählen könnte ich darüber zwar viel, aber ausgerechnet schreiben... Nun, ich will's versuchen! Selbst finde ich es höchst amüsant, aber der geneigte Leser wird seine Mühe damit haben!

Bei meiner Heirat im Jahre 1954 habe ich mir ausbedungen, nicht in der «Großstadt» Basel leben zu müssen, und — allen boshaften Berichten über die Unart der schweizerischen Ehemänner zum Trotz —: mein Familienoberhaupt hat sich dieser Bedingung bereitwilligst unterzogen. Jetzt lebe ich also in Riehen, das — so sagt man wenigstens — noch immer ein Dorf ist. An der Einwohnerzahl merkt man das nicht, auch an der Anzahl der Wirtschaften nicht, denn nach gut schweizerischen Begriffen sollte ein Dorf von solchem Ausmaß mindestens über zwei Dutzend derartiger Einrichtungen verfügen! Aber es gibt ein anderes, untrügliches Kriterium: Wenn man ungewollt salopp — im Pulli und genieteten Hosen — daherkommt, wird man garantiert von jedem besseren Ladenfräulein mit «Frau Doktor» angeredet.

Im Unterschied zu meinem Heimatland Holland hat man es hier schwer, mit seinen Nachbarn in Kontakt zu kommen. Wenn ich zu Hause wissen wollte, was Jan Dijkstra zu Nacht ißt, mußte ich nur zum Fenster hineinschauen. (Vorhänge gibt es zwar auch in Holland, aber man benützt sie nicht.) Hier hätte ich unsägliche Mühe, das gleiche zu tun, denn unsere Nachbarn umzäunen ihre Domäne entweder mit Betonmauern oder mit einem Lebhag. Und darum sehen wir sie nur im Straßenanzug, wenn sie zur Arbeit gehen. (Auch in Holland wird gearbeitet, aber man nimmt es nicht so ernst!) Werden unsere Nachbarn einmal frivol, so zeigen sie sich im Badeanzug, womit man sich ins Bettinger Bädlein versetzt wähnt, wo man schließlich vor lauter Bäuchen auch keine Menschen mehr sieht.

Riehen hat ausgesprochen demokratische Sitten! Man darf getrost an der «Goldküste» wohnen und bleibt doch Mensch dabei. Diese Erkenntnis stammt nicht von mir, sondern von unserm «Pöschtler» (wir nennen ihn «Onkel Poscht»), der seiner Frau das Wesen der Demokratie in folgenden kernigen Worten erklärt hat: «Die da oben sehen in Unterhosen und Sockenhaltern genau so aus wie ein gewöhnlicher Bürger!» Recht hat er.

Demokratie ist nur denkbar, wenn ein Minimum an Ordnung herrscht. Das stammt auch nicht von mir, sondern von einem jener Politiker, vor denen ich — als stimmloses Wesen zweiten Ranges — die gebührende Hochachtung habe. Und für die Ordnung braucht es eine Polizei. Kein Wort gegen die Polizei; aber hüten Sie sich, je einmal ein Kind zu verlieren: Es bleibt verloren, auch wenn es auf dem Polizeiposten seinen vollen Namen angibt, obwohl auch hier die Kinder normalerweise heißen wie ihre Eltern! Da lobe ich mir die Diakonissen: die wissen mindestens, wo die verlorenen Schäflein hingehören, auch wenn sie nicht dafür angestellt sind.

Zu einem Dorf gehört ein gutes Kino. Am Anfang war es auch gut! Aber in der Zwischenzeit hat sich im Kinoprogramm so vieles geändert, daß man beinahe meinen könnte, Riehen sei zum Vorort der Stadt degradiert worden. Meiner Meinung nach kann sich Riehen durchaus eine gute Reprise leisten, denn schließlich wird mit gutem Publikum gerechnet; wenn aber die ausgesucht schlechten Doppelprogramme überhand nehmen sollten, geht für mich ein Stück Dorfkultur verloren.

Kultur ist ein gutes Stichwort! Weil ich selbst in der musikalischen Sparte nebenamtlich tätig bin, bewundere ich den Mut und die Ausdauer der Initianten von «Kunst in Riehen». Wer weiß, ob nicht mit dieser Institution das verlorene Musik-Prestige der stolzen Stadt am Rhein wieder zurückerobert werden kann. Nötig hätten sie's jedenfalls — die Basler!

Überhaupt die Basler. Was wären sie ohne Riehen? Man spricht und liest immer vom «Basler» Bürgermeister Wettstein, dabei hat er in Riehen gewohnt. Wie er ausgerechnet als Riehener ein direkter Vorfahre meines Basler Ehegemahls sein kann, entzieht sich meiner Kenntnis, aber die Tatsache an sich gefällt mir: Welches holländische Mädchen hätte sich schließlich träumen lassen, dereinst mit einem direkten Nachkommen des Begründers der helvetischen Souveränität verheiratet zu sein!

Ich bin, glaube ich, mit Basel etwas zu «ungattig» umgesprungen und muß deshalb wieder ein bißchen gut Wetter machen: Basel sieht aus der Ferne, und besonders nachts, sehr malerisch aus. Sogar das schlechte Wetter hat für unsere Aussicht seine guten Seiten. Dann sehen wir nämlich klar und deutlich die Rheinebene und die Vogesen, was mir jeweils Gelegenheit gibt, meinen Kindern zu sagen: «Dort hinter den Bergen liegt Holland — es ist nur noch ein kleines Stückchen Frankreich dazwischen. Da rechts liegt Deutschland, und der Tüllinger Hügel gehört schon halb zu Riehen. Da links schließlich liegt Basel; da wohnen die Großeltern und der Eisbär im Zolli.» Was ich den Kindern nicht sage, aber bei mir selbst denke: «Da in Basel haben sie einen Höhenweg (ein «Schyßgäßli» beim Viadukt — für den Ausdruck lehne ich jede Verantwortung ab, den habe ich hier gelernt!), und deshalb müssen wir an der Höhen Straße wohnen. Das klingt so pretentiös. Den Binningern mag ich ihren Höhenweg gönnen, aber die Basler sollten solche Namen denen überlassen, die tatsächlich in der Höhe wohnen.

Doch zurück zu Riehen, dessen Name — mit dem waschechten «ch» ausgesprochen — meine holländischen Freunde immer wieder in Begeisterung versetzt, weil sie ihn auf Anhieb richtig aussprechen können.

Man soll nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen, sagt das Sprichwort; es ist auch nicht von mir. Aber es hat für mich eine doppelte Bedeutung. Sie können das nicht wissen, darum will ich es Ihnen sagen: Mein Mann besitzt, weil wir so nahe beim finstern Wald wohnen, einen richtigen Revolver. Man kann schließlich nie wissen! Ich Habe das Ding zweimal gesehen, und zwar schußbereit, und, wie ein rechter schweizerischer Milizsoldat sagen würde, Druckpunkt gefaßt. Das erstemal bei einer Nachtübung der Pfadfinder und zum zweitenmal bei einer gleichen übung der — sage und schreibe — Securitas, die an 365 Tagen im Jahr unser Haus vor bösen Dieben beschützt! Das wäre der Schuß. Die Spatzen kommen mir deshalb in den Sinn, weil sie zu ihrem großen Vergnügen alle Kirschbäume ausplündern, die zur Erntezeit vergessen wurden. Ich wollte, meine Kinder wären Spatzen, denn dann dürften sie mindestens ohne Strafandrohung seitens der Obrigkeit und ohne schlechtes Gewissen auf dem Heimweg auch einmal eine Kirsche vom Baum herunterholen. Im Paradies war es der Apfel — in Riehen ist es die Kirsche!

Nach all diesen — mit Erlaubnis der Redaktion auch kritischen Bemerkungen — noch das: Wenn Erasmus, der Holländer, nochmals in die Schweiz kommen sollte, würde er bestimmt, wie ich vor zehn Jahren, sagen: «Wenn schon Basel — dann Riehen.»

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1964

zum Jahrbuch 1964