Riehen im Jubiläumsjahr der Eidgenossenschaft

Lukrezia Seiler-Spiess

Die 700 Jahr-Feier der Eidgenossenschaft geht dem Ende entgegen. Vergleicht man sie mit der 600 Jahr-Feier vom 1./2. August 1891 (siehe Seite 83), so ist sie in Riehen nicht zu einem «Fest, davon wird man noch reden in den spätesten Zeiten» geworden - zu fremd ist uns das Pathos der letzten Jahrhundertwende, zu kritisch unser Blick auf Unzulänglichkeiten unseres Landes, und zu fern vielleicht auch die Urschweiz, in der die Geschichte dieser Eidgenossenschaft ihren Anfang nahm, als Riehen noch nichts von ihr wusste.

Und trotzdem, der Beschluss des Einwohnerrates vom 27. Februar 1991, das Jubiläumsjahr würdig - oder wie die «Kommission zur Vorbereitung der Begehung des Bundesjubiläums 1991» es nannte: «Riehen-gemäss» - zu feiern, trug reiche, interessante und gehaltvolle Früchte.

 

Erster Höhepunkt des Jubeljahres war der Banngang vom 5. Mai. Die Bürgerinnenkorporation und die Bürgerkorporation Riehen luden im Rahmen der gesamtschweizerischen Aktion «Begegnung am Heimatort» alle Riehener Bürger, erstmals auch die auswärtigen, dazu ein. Und viele, sehr viele folgten der Einladung und besammelten sich an jenem Sonntagmorgen vor dem Friedhof «Hörnli». In Gruppen zogen die Banngänger der südlichen Gemeindegrenze entlang, durch kundige Begleiter auf Sehenswürdigkeiten aufmerksam gemacht, in eifrige Gespräche vertieft oder einfach den schönen Frühlingsmorgen im Wald geniessend. Im Wenkenhof trafen sie dann mit den Nicht-Fussgängern zusammen, so dass schliesslich gegen 1000 Menschen in und um die Reithalle sassen, sich mit dem guten Mittagessen verköstigten, plauderten, Reden hörten und sich von den Riehener Vereinen mit viel Musik unterhalten liessen. Es war wirklich ein Tag der Begegnung, einmal mit den etwa hundert auswärtigen Riehenern, die der Einladung gefolgt waren, dann aber auch mit alten Freunden und Bekannten.

Ein grosses, allgemeines Volksfest war für das Jubiläumsjahr nicht eingeplant worden, dafür aber viele kleine Strassenfeste an möglichst vielen Orten des Dorfes. Dazu stellte die Gemeinde die Infrastruktur - Bänke, Tische, Verkehrsabsperrungen - zur Verfügung, Initiative und Organisation aber mussten von der Bevölkerung ausgehen. Die Idee wurde mit Begeisterung aufgenommen: Auf über fünfzig Strassen, Anlagen oder Schulhöfen trafen sich die Anwohner zu fröhlichen Festen. Grilladendüfte durchzogen die üblicherweise lärmigen Strassen, Kinder spielten, Nachbarn lernten sich kennen, Freundschaften wurden geschlossen, und, begünstigt vom schönen Sommerwetter, spannte sich die fröhliche Stimmung an vielen Orten bis weit in die Nacht hinein.

Auch die 1. Augustfeier, veranstaltet vom Verkehrsverein Riehen beim Wenkenhof, stand im Zeichen des Jubiläumsjahres. Wie in allen Schweizer Gemeinden verlas ein Schüler die Botschaft, die er tags zuvor auf dem Rütli von Bundespräsident Flavio Cotti erhalten hatte, und den «Traum einer Schweiz von morgen» eines dreizehnjährigen Mädchens aus Alpnach Dorf: «Ich habe das Gefühl, dass man in der Schweiz sehr viel ändern könnte, man muss es nur richtig wollen. ... Die Schweiz ist nicht ein Land für sich, sondern gehört zu der ganzen Welt!»

Die offizielle Jubiläumsfeier der Gemeinde, der besinnliche Höhepunkt des Jahres, fand am 31. August statt. über 200 geladene Gäste und etwa gleich viel Riehenerinnen und Riehener versammelten sich in der Dorfkirche zum feierlichen Festakt. Dass neben Vertretern der Stadt und des Kantons auch solche der Nachbargemeinden Bettingen, Birsfelden, Grenzach-Wyhlen, Inzlingen, Lörrach und Weil und der Riehener Patengemeinden Mutten und Miercurea Ciuc geladen waren, erinnerte auf eindrückliche Weise an zwei alte Riehener Traditionen: Verbundenheit mit den Nachbarn jenseits der Grenze und Solidarität mit Menschen, die Hilfe brauchen.

Im Mittelpunkt des Festaktes stand die Rede von Jan Milic Lochman, Professor für Theologie an der Universität Basel; sie zeigte sehr schön die zwiespältigen Gefühle auf, welche die Schweiz durch dieses Jubiläumsjahr hindurch begleitet haben - das Idealisieren alter, tradierter Werte einerseits und das kritische, ja manchmal zerstörerische Hinterfragen dieser Werte andererseits. Lochmans Vision, aus diesen gegensätzlichen Strömungen neue Kräfte wachsen zu lassen, das unverbrauchte eidgenössische Erbe nicht aufzugeben, sondern in neuer Situation neu zu entfalten, berührte die Zuhörer tief. Wir möchten seine Rede deshalb als bleibende Erinnerung an das Jubiläumsjahr in dieses Buch integrieren.

Auch der ökumenische Bettagsgottesdienst, der am 15. September eine grosse Schar im Wenkenpark versammelte, wurde in den Rahmen des Jubiläumsjahres gestellt. Der Zufall aber wollte es, dass der allerletzte Akt des Jubeljahres den Jungen gehörte: Am 20. Oktober traf in Riehen die letzte Etappe der «Armbrust-Stafette 91» ein, einer Stafette, welche am 6. April auf dem Vierwaldstättersee gestartet und über zwölf verschiedene Routen zu zwölf Grenzorten der Schweiz geführt worden war. Die Ankunft der Stafette in Riehen wurde von den Riehener Sportvereinen als Beitrag zum Jubiläumsjahr festlich und phantasievoll gestaltet und mit einem grossen Sportprogramm, vor allem für die Jungen, auf der Grendelmatte verbunden.

Was bleibt von der 700 Jahr-Feier der Eidgenossenschaft in Riehen? Die Erinnerung an fröhliche, sommerliche Begegnungen mit Nachbarn und Mitbürgern, ein paar besinnliche Gedanken über ein neues, reiferes Verständnis dieser Eidgenossenschaft - und der Aufbruch der Jungen, hinein in eine offene, lebenswerte Zukunft unseres Landes.

Anmerkung

Das vom Gemeinderat Riehen zum Jubiläumsjahr herausgegebene Büchlein «Riehen 1291 » von Albin Kaspar, Christel Sitzler und Walter Ueckert zeigt auf anschauliche Weise, wie im Dorf Riehen des Jahres 1291 gelebt wurde und welche politischen und ökonomischen Umstände damals das Leben bestimmten.

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1991

zum Jahrbuch 1991