Riehen zwischen Unwetter, Politik und Volksfest

Rolf Spriessler

Das vergangene Jahr war geprägt von mehreren aussergewöhnlichen Ereignissen verschiedener Art, vom Unwetter bis zum grossen Jubiläumsfest und von der Gemeindewahl, die Riehens erste Gemeindepräsidentin hervorgebracht hat, bis zu brisanten politischen Themen. 

Am 17. August 2022 zog ein ungewöhnlich heftiges Gewitter über Riehen und Bettingen, das zu grösseren Überschwemmungen führte. Mehrere Tiefgaragen und Keller wurden geflutet, die Feuerwehr und die Rettung Basel waren stundenlang im Einsatz, die Aufräumarbeiten dauerten teils Wochen. Glücklicherweise blieb es bei Sachschäden. Menschen wurden keine verletzt.

An jenem Mittwochabend ab 16.50 Uhr fielen innert zwanzig Minuten 20 Millimeter Wasser (also 20 Liter pro Quadratmeter). Der Bettinger Meteorologe Daniel Hernandez registrierte bei seiner Messstation in Bettingen 51 Millimeter Niederschlag innert 24 Stunden. Im Durchschnitt gibt es im August normalerweise 50 Millimeter Niederschlag innerhalb von zwei Wochen. Der Riehener Dominik Sulzer mass am Moosweg zwischen 17 Uhr und 18.45 Uhr 42 Millimeter Niederschlag und ab 20 Uhr nochmals 15 Millimeter über längere Zeit.

Zu starken Regenfällen kam es in der Nacht vom 17. auf den 18. August in der ganzen Region. Das Auge der besonders kräftigen Gewitterzelle lag über Riehen Nord, weshalb es Riehen und Bettingen am heftigsten traf. Nach mehrwöchiger Trockenheit konnten die Böden praktisch kein Wasser aufnehmen, sodass das Wasser übers Gelände und über Strassen abfloss. Mit dem Wasser wurde ungewöhnlich viel Schlamm transportiert, der sich auf den Strassen ablagerte. Der Immenbach trat beim Rheintalweg, wo der Rechen verstopfte, über die Ufer und eine grosse Menge Wasser floss durch den Mohrhaldenweg in die Schmiedgasse. Ein weiterer Wasserstrom floss via Immenbachweg und Eisenbahnweg in die Bettingerstrasse und überschwemmte den ganzen Bushaltestellenbereich bei der Einmündung zur Baselstrasse. Auch drückte Wasser aus der Kanalisation herauf in die Strassen. In der Lörracherstrasse stand Wasser, und Wasser floss auch vom Ausserberg her bis in den Grenzacherweg.

Das Unwetter machte deutlich, wie dringend nötig die Hochwasserschutzmassnahmen sind, deren Planung bereits weit fortgeschritten war. Der Gemeinderat kündigte eine entsprechende Einwohnerratsvorlage an und teilte mit, die Erkenntnisse aus diesem ungewöhnlich heftigen Unwetter würden in die weitere Planung und Umsetzung von Massnahmen fliessen.

CHRISTINE KAUFMANN ERSTE GEMEINDEPRÄSIDENTIN
Die Gemeindewahl vom 6. Februar und 20. März 2022 brachte in doppelter Hinsicht ein historisches Ergebnis. Christine Kaufmann wurde nach acht Jahren im Gemeinderat als erste Frau ins Gemeindepräsidium gewählt, und mit dem bekannten Juristen und Grossrat Stefan Suter eroberte die SVP erstmals einen zweiten Gemeinderatssitz. Erst vier Jahre davor hatte Felix Wehrli als erstes SVP-Mitglied den Sprung in die Riehener Exekutive geschafft und wurde auch für eine zweite Amtszeit gewählt. Der zusätzliche SVP-Sitz ging auf Kosten keiner Partei, weil der nach acht Jahren im Amt zurückgetretene Gemeindepräsident Hansjörg Wilde zwar von der Bürgerlichen Allianz getragen, aber als Parteiloser gewählt worden war. Die als amtierende Gemeinderäte zur Wiederwahl angetretenen Daniel Hettich (LDP), Silvia Schweizer (FDP), Guido Vogel (SP) und Felix Wehrli (SVP) wurden alle im ersten Wahlgang wiedergewählt. Nach zwölf Jahren als Gemeinderat kandidierte Daniel Albietz (Die Mitte) exklusiv für das Präsidium, wozu er sich nach Bekanntwerden von Wildes Rücktritt entschlossen hatte. Im ersten Wahlgang holte Daniel Albietz als gemeinsamer Kandidat der Bürgerlichen Allianz vor Christine Kaufmann (EVP), die zugleich mit dem Spitzenresultat als Gemeinderätin bestätigt wurde, zwar die meisten Stimmen der fürs Präsidium Kandidierenden, im zweiten Wahlgang unterlag er dann aber Christine Kaufmann mit 3049 zu 3731 Stimmen überraschend deutlich. Zur Gemeinderats-Ersatzwahl, die mit der Wahl von Christine Kaufmann ins Präsidium nötig geworden war, trat Daniel Albietz dann nicht mehr an und die Bürgerliche Allianz nominierte stattdessen Einwohnerrat Patrick Huber (Mitte), der am 24. April 2022 den Sitz seiner Partei verteidigen konnte, indem er den gemeinsam von SP, Grünen und EVP portierten Daniele Agnolazza (EVP) mit 2906 zu 2320 Stimmen hinter sich liess. Damit blieb es bei fünf bürgerlichen Sitzen im siebenköpfigen Gemeinderat.

Der Wahlkampf war in einem recht rüden Ton geführt worden. Die Bürgerliche Allianz von Mitte, FDP, LDP und SVP warnte vor einem «links-grünen Experiment», das grosse Risiken berge, malte schwarz, falls die bürgerliche Mehrheit in Gemeinderat und Einwohnerrat verloren ginge, und rief zu einem sorgsamen Umgang mit den Gemeindefinanzen auf. Die SP, die Grünen und die EVP traten an, um die «bürgerliche Blockade» der vergangenen Jahre zu brechen und sich für ein «zukunftsfähiges Riehen» einzusetzen, das sozial, ökologisch und finanziell nachhaltig agiere. Es ging vor allem um politische Blöcke und Machterhalt.

Auch im Einwohnerrat vermochte die Bürgerliche Allianz ihre absolute Mehrheit knapp zu halten. Zwar verlor die SVP einen ihrer acht Sitze und die SP legte von acht auf zehn Sitze zu, womit sie nun klar stärkste Partei ist, aber die Bürgerliche Allianz kommt mit den Sitzen der Mitte (3), FDP (5), LDP (6) und SVP (7) immer noch auf 21 der insgesamt 40 Parlamentssitze. Die EVP machte mit fünf Sitzen einen weniger als vier Jahre zuvor, war aber die letzten vier Jahre auch nur mit fünf Mitgliedern im Rat vertreten gewesen, weil der vor vier Jahren auf der EVP-Liste gewählte David Moor noch vor Legislaturbeginn 2018 die Partei verlassen und sich später der GLP angeschlossen hatte. Die GLP verlor ihren «Zusatz-Sitz» wieder und kam wie vier Jahre zuvor auf zwei Sitze. Das Grün-Alternative Bündnis blieb auf seinen zwei Sitzen stehen. (Die genauen Zahlen und die Namen der Gewählten finden sich im Chronikteil.)

500 JOOR ZÄMME – RIEHEN UND BASEL FEIERTEN ZUSAMMEN
Vom 2. bis 4. September fand auf der Bäumlihofstrasse zwischen Allmendstrasse und Rauracherstrasse, auf Basler und Riehener Boden, das grosse Fest ‹500 Joor Zämme› statt. Drei Tage lang gab es Musik, Unterhaltung, Essen, Trinken, gemütliches Beisammensein und einen Festakt, an welchem ein neuer Rastplatz, das ‹Drei Linden-Plätzli›, eingeweiht wurde. Die dortige Linde wurde durch das Setzen zweier weiterer, junger Linden zu einem Trio ergänzt. An einer Podiumsdiskussion sprachen Gemeindepräsidentin Christine Kaufmann, Regierungspräsident Beat Jans, Grossratspräsidentin Jo Vergeat und Einwohnerrats-Statthalter Christian Heim über die Partnerschaft zwischen Riehen und Basel. Weil wegen der Corona-Pandemie das für Anfang September 2021 geplante Dorffest Riehen hatte verschoben werden müssen und vom 24. bis 26. Juni 2022 stattfand, gingen 2022 innert kurzer Zeit zwei gros-se Volksfeste über die Bühne, die beide grossen Zulauf genossen. 

Das 500-Jahr-Jubiläum der Zugehörigkeit Riehens zu Basel bestimmte in Riehen den gesamten Jahresablauf. Im Jahr 1522 hatte die Stadt Basel vom Basler Bischof wesentliche Herrschaftsrechte über das Dorf Riehen gekauft und dafür 7000 Gulden bezahlt. Bereits 1513 hatte die Stadt Basel für 800 Gulden das Dorf Bettingen übernommen. Diese beiden Käufe hatten zur Folge, dass die rechtsrheinisch gelegenen Gemeinden Riehen und Bettingen zur Schweizerischen Eidgenossenschaft gelangten – sonst würden sie heute wahrscheinlich zu Deutschland gehören.

Die Jubiläumsaktivitäten umfassten noch verschiedene andere Aktivitäten. Bereits Ende 2021 war im Christoph Merian Verlag das von Stefan Hess herausgegebene Buch ‹Basel und Riehen – Eine gemeinsame Geschichte› erschienen, das die historischen Hintergründe aufarbeitet. Anfang 2022 wurde ein Ideenwettbewerb lanciert, aus dem zehn prämierte Projekte hervorgingen, die am 5. Mai im Rahmen einer Feier vorgestellt und mit finanzieller und zum Teil auch organisatorischer Unterstützung der Gemeinde in der Folge auch umgesetzt wurden. Am 26. März wurde im Landgasthof Riehen das ‹Gemeinde Lexikon Riehen› präsentiert, eine Online-Enzyklopädie, die die Gemeinde ihren Einwohnerinnen und Einwohnern anlässlich des Jubiläumsjahres zum Geschenk machte. Es fanden mehrere öffentliche Führungen zu historischen Themen rund um das Jubiläum statt. Das Ex/Ex Theater hatte im Auftrag der Gemeinde den Theaterspaziergang ‹7000 Gulden› geschaffen, der zwischen dem 10. August und dem 25. September im Dorfzentrum aufgeführt wurde mit Beginn im Museum Kultur & Spiel MUKS und Abschluss beim Diakonissenhaus.

GEMEINDE WEHRT SICH GEGEN S-BAHNTIEFERLEGUNG
Ein Thema, das im Jahr 2022 grosse Brisanz und Medienpräsenz erlangte, war ein möglicher Doppelspurausbau der S-Bahn-Linie S6 durch Riehen. Am 29. September 2021 hatte die Gemeinde Riehen zu einer Pressekonferenz eingeladen. Hauptaussage: Wenn die allgemein unbestrittene Taktverdichtung der Regio-S-Bahn von Basel ins Wiesental bedeuten sollte, dass ausgerechnet im Streckenabschnitt durch den Riehener Dorfkern ein Doppelspurausbau realisiert würde, dann mache Riehen da nicht mit. Diese Variante sei ins Spiel gebracht worden, als man festgestellt habe, dass das neue Klinikum in Lörrach eine eigene S-Bahn-Haltestelle bekommen solle, sagte der Gemeinderat. Allerdings blieb umstritten, ob dies zwingend eine Kreuzungsmöglichkeit im Dorfkernbereich von Riehen bedingen würde. Der Einwohnerrat forderte in seiner Oktobersitzung 2021 einstimmig Alternativen zum oberirdischen Doppelspurausbau durch Riehen. 

Schützenhilfe erhielt Riehen durch eine Interpellation der Basler Ständerätin Eva Herzog in Bern. In seiner Antwort vom 2. Februar 2022 schrieb der Bundesrat, Riehen sei im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung verzeichnet und deshalb solle dieser Ort ungeschmälert erhalten oder jedenfalls grösstmöglich geschont werden. Der Bundesrat sei bereit, Varianten anzuschauen, die das Riehener Ortsbild schonen würden, schloss Eva Herzog daraus.

Der Gemeinderat gab am 1. April 2022 bekannt, er habe juristische und planerische Abklärungen im Zusammenhang mit dem geplanten Ausbau der S-Bahnlinie S6 vorgenommen und zusätzliche Abklärungen in Auftrag gegeben, um zu prüfen, ob Alternativen bestünden, die zu geringeren Einwirkungen auf die Verkehrssituation und auf das Ortsbild Riehens führen würden. Ausserdem setze sich der Gemeinderat mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dafür ein, dass die Variante Tieflage mitgeplant werde. Eine oberirdische Doppelspur durch
den Dorfkern würde die Existenz mehrerer bahnnaher Liegenschaften infrage stellen und bahnnahe Verkehrswege wie das Spittlerwegli als wichtigen Fuss- und Veloweg gefährden, wie der Gemeinderat bereits an seiner Pressekonferenz feststellte. Ausserdem würde dies die Trennwirkung der Bahn durch noch längere Bahnschrankenschliesszeiten und eventuell zusätzlich benötigte Lärmschutzwände massiv erhöhen. Eine Tieferlegung der S-Bahn-Linie durchs Riehener Dorfzentrum wurde bisher vom Kanton als zu teuer und aufwendig erachtet und trotz Riehener Vorstösse und Studien nicht weiterverfolgt. Inzwischen hat der Kanton allerdings signalisiert, er werde die Gemeinde Riehen in dieser Sache unterstützen.

UMSTRITTENE PARKPLATZFRAGE AN DER HÖRNLIALLEE
Als Affront empfunden wurde in Riehen der Beschluss des Grossen Rates, im Rahmen der Sanierung der Hörnliallee vor dem Haupteingang des Friedhofs auf Riehener Boden 48 öffentliche Parkplätze aufzuheben. In vorangegangenen Gesprächen hatten sich die Kantons- und Gemeindebehörden auf eine Lösung ohne Parkplatzabbau geeinigt, und die Vorlage des Regierungsrats hatte keinen Parkplatzabbau vorgesehen. Die Parkplatzreduktion war erst von der Umwelt-, Verkehrs- und Energiekommission UVEK ins Spiel gebracht und vom Kantonsparlament mit knappem Mehr gutgeheissen worden.

Der Gemeinderat stellte sich praktisch geschlossen gegen diesen Entscheid, sechs der sieben Gemeinderatsmitglieder schlossen sich einem entsprechenden Referendumskomitee an. Auch im Einwohnerrat wurden Proteste laut. Innert zwei Wochen waren die Unterschriften beisammen, die eine kantonale Volksabstimmung zur Folge hatten, die am 26. September 2021 entschieden wurde. Das Volk sagte mit 52,5 Prozent Nein zur Vorlage, wobei die Stadt, die mit 51,4 Prozent Ja gesagt hatte, aber durch Riehen (74,7 Prozent Nein) und Bettingen (77,1 Prozent Nein) überstimmt worden war. Mitverantwortlich für das deutliche Nein in Riehen und auch Bettingen war wohl nicht nur der nachträglich eingefügte Parkplatzabbau, sondern auch die Tatsache, dass die Gemeinde Riehen nicht auf offiziellem Weg in die überarbeitete Planung einbezogen worden war. Bereits im Februar 2022 beriet der Grosse Rat die Vorlage zur Sanierung nochmals und verabschiedete das Geschäft zur Sanierung und Umgestaltung der Hörnliallee sowie des Otto Wenk-Platzes und eines Teils des Kohlistiegs ohne Abbau der 48 fraglichen Parkplätze beinahe einstimmig.   

RÖSSLIGASSE ZWEIMAL VORS VOLK GEBRACHT
Jahrelang verzögert hat sich schliesslich das Sanierungsprojekt an der Rössligasse. Zuerst war dies als Teil der Neugestaltung des Dorfkerns vorgesehen gewesen, die am 13. April 2014 vom Riehener Stimmvolk mit 4136:3147 Stimmen angenommen worden war. Doch aus Koordinationsgründen mit anderen anstehenden Arbeiten liess sich die Rössligasse nicht gleichzeitig mit Dorfplatz, Schmiedgasse und Webergässchen sanieren und umgestalten, was einen zweiten Kreditantrag zur Folge hatte, den der Einwohnerrat am 25. Oktober 2017 guthiesss. Dagegen wurde das Referendum ergriffen, und das Projekt zur Teil-erneuerung und Neugestaltung der Rössligasse wurde am 10. Juni 2018 vom Stimmvolk mit 3058:3473 Stimmen abgelehnt. Daraufhin liess der Gemeinderat eine Basisvariante ohne Neugestaltung sowie eine Variante mit einer redimensionierten Neugestaltung erarbeiten, worauf sich der Einwohnerrat mit Beschluss vom 25. November 2020 für die Variante mit der redimensionierten Neugestaltung entschied, worauf abermals ein Referendum erfolgte. Die Volksabstimmung vom 13. Juni 2021 ergab wieder ein Nein, mit 3577:4728 Stimmen. Daraufhin legte der Gemeinderat dem Einwohnerrat am 24. November 2021 die vom Parlament im November 2020 noch abgelehnte Basisvariante nochmals vor, leicht ergänzt in drei Punkten, nämlich der Integration eines Buswartehäuschens, dem Verzicht auf eine Verschiebung des Brunnens schräg vis-à-vis des Schweizerhauses und dem Verzicht auf eine Umplatzierung des Behindertenparkplatzes. Dieser Beschluss wurde vom Einwohnerrat in der Folge einstimmig genehmigt, ein Referendum blieb aus und das Projekt dürfte nun 2023 umgesetzt werden. Gleich zwei Referenden gegen ein Projekt, das mit einem Hauptprojekt – nämlich der Dorfkernneugestaltung – eigentlich in der Sache bereits genehmigt war, ist beispiellos in der Riehener Geschichte und wirft Fragen auf bezüglich der Effizienz der politischen Entscheide in der Gemeinde.

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2022

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