Samariter-Verein Riehen 1917-1992

Claude Brügger

Ein Samariter aber, der unterwegs war, kam in seine Nähe, und als er ihn sah, hatte er Erbarmen mit ihm und trat hinzu, verband seine Wunden, indem er öl und Wem darauf goss, hob ihn auf sein Tier, brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. 

Lukas 10, 33-34

 

Schon längere Zeit hatte der Gedanke in der Luft gelegen, in Riehen einen Samariterkurs durchzuführen; aber erst die Sorgen des Ersten Weltkrieges gaben den Ausschlag zu diesem Unternehmen. Dank dem Wohlwollen von Gemeindepräsident Otto Wenk konnte der von den Behörden subventionierte Kurs im Gemeindehaus selber stattfinden (also in der heutigen Alten Kanzlei, wo der Samariter-Verein Riehen nach langen «Irrfahrten» seit 1983 wieder über ein ideales Zuhause verfügt). Der Initiant, Mathias Dürr, Präsident des Samariterverbandes Basel, begrüsste am 15. November 1916 mit einem engagierten Plädoyer 47 Damen zu diesem ersten Samariterkurs in Riehen: Die Ausdehnung des Samariterwesens wird namentlich in der jetzigen Zeit als ein dringendes Bedürfnis empfunden. Nicht immer ist gerade ein Arzt zur Stelle, wenn sich ein Unfall ereignet. Darum ist es von unschätzbarem Wert, wenn Personen, die mitten im täglichen Berufsleben stehen, wissen, was sie bis zum Eintreffen des Arztes zu tun haben.

Unter der Leitung von Dr. med. Hermann Christ und mehreren «Samariterhülfslehrerinnen und -lehrern» erwarben sich die «Kursistinnen» Erste-Hilfe-Kenntnisse, welche den Vergleich mit dem modernen Unterrichtsstoff nicht zu scheuen brauchen: Anatomie und Physiologie, Verletzungen und ihre Behandlung, «Hilfe bei plötzlichen Lebensgefahren»,Verbandlehre und «Transportübungen».

Nach den 20 Abendlektionen ging es dann Schlag auf Schlag: Am 4. April 1917 legten die nun noch 43 Kursbesucherinnen in der Turnhalle des Primarschulhauses unter den strengen Augen von viel Prominenz erfolgreich das Schlussexamen ab, und am Mittwoch, dem 11. April 1917, fanden sich 34 der frischgebackenen Samariterinnen zur Konstituierenden Versammlung des Samariter-Vereins Riehen (SVR) im Gemeindehaus ein. Bereits am 16. April traf sich der neugewählte elfköpfige Vorstand zu seiner ersten Sitzung; noch in derselben Woche hielt Dr. Emmanuel Veillon, Chefarzt des Diakonissenspitals und Präsident des Verkehrsvereins, zwei Vorträge über das Ohr (er sollte übrigens noch bis 1939 als Kursarzt, Beisitzer und treuer Berater dem SVR erhalten bleiben). Die erste Generalversammlung (25. April 1917) genehmigte die vom Vorstand entworfenen Statuten, und auf den 9. (nach anderen Angaben: 2.) Mai wurden die Samariterinnen zur ersten Vereinsübung eingeladen; Thema: «Verband-Repetitionen».

Auf die anfängliche Euphorie folgte, bedingt durch die wirtschaftliche Krisenlage, eine gewisse Erlahmung des Interesses - so stark, dass der Riehener Sekundarlehrer Ernst Blum, der von der ersten Stunde an als Aktuar dabei war und von 1918 bis 1921 als umsichtiger Präsident waltete, eine Vereinsauflösung erwog (April 1920). Jedoch hatte die Grippe-Epidemie vom Winter 1918/19 deutlich den Sinn und Nutzen eines Samaritervereins vor Augen geführt: Der zur selben Zeit im Singsaal des Sekundarschulhauses (Burgstrasse) angesetzte «Kurs für häusliche Krankenpflege» befähigte die Teilnehmerinnen, das Gelernte unmittelbar praktisch anzuwenden (eine von ihnen erlag bei der Pflege von Angehörigen gar selber der Grippe). Blum hält 1919, auf den Kurs zurückblickend, fest, ... dass wir Riehemer in der beneidenswerten Lage sind, einen vorzüglich eingerichteten und ebenso vorzüglich geleiteten Spital (des Diakonissenhauses) in unserer Mitte zu haben [...]. Indes hat die vorjährige Grippe-Epidemie zur Genüge gezeigt, dass die Existenz eines solchen Krankenhauses die häusliche Krankenpflege durchaus nicht überflüssig macht, sondern dass es ausserordentlich wünschbar ist, wenn sich in solchen Zeiten in jeder Familie eine mit den Haupterfordernissen der sachgemässen Pflege [...] vertraute Person befindet, durch deren hingebungs- und verständnisvolle Arbeit es dann möglich ist, den kranken Angehörigen Daheim zu behalten und so die ohnehin meistens voll besetzten Spitäler und deren bis aufs äusserste angestrengte Pflegepersonal zu entlasten.

Hier sehen wir geradezu die «Spitex» vorweggenommen. Neuerdings fasst dieser Gedanke im Schweizerischen Samariterbund unter dem (absichtlich allgemein formulierten) Stichwort «Freiwillige Soziale Hilfe» erneut Fuss, nachdem die Krankenpflegekurse in letzter Zeit sehr an Zuspruch verloren hatten.

Am Dreikönigstag 1918 feierte der Postendienst, diese nach wie vor unentbehrliche Tätigkeit des Samaritervereins, ihre Premiere, als der SVR im Auftrag des Verkehrsvereins seinen ersten Samariterposten stellte, und zwar auf der Eisbahn mit fünf Samariterinnen und Samaritern, einer Bahre sowie Verbandsmaterial. - Nichts zu tun, wie protokollarisch vermerkt ist, gab es für die Samariter anlässlich des Schlussturnens des Turnvereins am 25. August 1918; der Veranstalter überwies dem SVR ein nobles Honorar von fünf Franken. Heute verlangt der SVR zwar gewiss eine höhere Pauschale für einen Posteneinsatz, jedoch wird die Arbeit - abgesehen von einer Spesenvergütung immer noch ehrenamtlich verrichtet.

Neben den geplanten Postendiensten wappnete man sich auch für unvorhergesehene Ernstfälle. Man vereinbarte zunächst mit dem Polizeiposten, die dortige «Samariterkiste» benützen zu dürfen. Am 20. Oktober 1919 beschloss dann der Vorstand, ein eigenes «Sanitätskistcben» zu erwerben. Im Jahresbericht wird dies so gerechtfertigt: Eine [...] sehr hohe Ausgabe war die Anschaffung eines Sanitätskistchens aus Zinkblech, samt Material darin. Wir bedürfen ein solches durchaus, um bei Unfällen mit allem nötigen Verbandmaterial etc. sofort ausrücken zu können. Bei den heutigen hohen Materialpreisen mussten wir für alles zusammen nicht weniger als 128 Franken zahlen.

Dieses damals ungemein teure Sanitätskistchen kann seit kurzem im Dorfmuseum Riehen bewundert werden.

Die Zeit bis nach dem Zweiten Weltkrieg

Im Jahr 1921, am Ende von Blums Präsidium, wies der SVR die stattliche Zahl von 48 Aktiv- und 85 Passivmitgliedern auf. Diesen «Grundstock» übernahmen 1922 als Präsidentin Elisabeth Staenz (bis 1937) und als Vereinsarzt Dr. Hans Martz; von 1938 bis 1944 bekleidete dieser zudem das Amt des Vorsitzenden, worin ihm von 1945 bis 1947 Hans Flückiger-Löliger nachfolgte.

Diese zweieinhalb Jahrzehnte darf man wohl als Konsolidierungsphase bezeichnen. Regelmässig wurden öffentliche Kurse angeboten; vereinsintern gestalteten die Samariterlehrerinnen und -lehrer jährlich mehrere übungsabende und Vorträge (unter mehr oder minder starker Beteiligung der Aktiven), wobei in den Jahren kurz vor und während des Zweiten Weltkriegs ein markanter Anstieg der Vereinstätigkeiten festzustellen war. So zeichnete sich beispielsweise das Jahr 1943 aus durch zwölf übungsabende, einen Arztvortrag, eine Alarm- und drei Feldübungen; einen Samariterkurs mit 46 und einen Krankenpflegekurs mit 45 «examinierten» Teilnehmern und einen bisherigen Rekordmitgliederbestand von 222, worunter 78 Aktive sowie nicht weniger als vier «Hilfslehrerinnen» und «Hilfslehrer».

Wäre in jener Epoche schlimmeres Leid über Riehen hereingebrochen - der SVR wäre besonders dank der Förderung durch Hans Martz und der vorsorglichen Anschaffung von genügend Sanitätsmaterial zur raschen und zweckmässigen Hilfeleistung für Verwundete und Kranke bereitgestanden: Denken wir uns einmal unsere Samaritervereine weg. Wo sollten all die Vielen, die dafür Interesse zeigen, lernen, wie man einen Wickel macht, wie ein gebrochenes Bein in einem Notverband fixiert wird, wie ein Verletzter, der nicht mehr gehen kann, schonend herumgetragen und transportiert werden kann? (Martz im Jahresbericht von 1939)

 

Die Vereinstätigkeiten in der Ära Trudi Bolliger

Mit der Nachkriegszeit begann auch im SVR eine Auf- und Ausbauphase. Keine andere Person wäre dazu berufener gewesen, dieselbe mit sicherer, zielgerichteter und aufopfernder Hand zu lenken als Trudi Bolliger; 1938 dem Verein als 23jährige beigetreten, wurde sie schon 1939 zur Samariterlehrerin ausgebildet; 1941 ernannte sie die Generalversammlung zur Protokollführerin, drei Jahre später zur Vize-Präsidentin und Ersten Aktuarin und 1948 zur Präsidentin. Schon aus diesen rein statistischen Andeutungen spürt man ihr Lebensmotto heraus, mit dem sie auch die Samariterinnen und Samariter unermüdlich zur Hilfsbereitschaft im Geiste Henry Dunants ermunterte:

 

«Ich will!» Dies kleine Wort ist mächtig,

spricht's einer ernst und still.

Es reisst die Stern' vom Himmel,

dies kleine Wort: «Ich will!».

In ihrer 35jährigen Präsidialzeit (fachlich unterstützt durch die ärzte Ewald Lang 1947 bis 1967, Theodor Struller 1968 bis 1978 und Doris Segesser-Kernen 1979 bis 1991; seit 1989 - um die Reihe gleich zu vervollständigen - amtet Marcus Corneo als Vereinsarzt) stellten sich dem SVR neben dem gesellig-gemütlichen Teil des Vereinslebens (Ausflüge und ähnliches) so viele Aufgaben, dass sie hier nur überblicksweise gestreift werden können.

Das am 5. November 1920 gegründete Krankemnobilien-Magazin wurde seit Mitte 1941 in der Dorfapotheke beherbergt und von Dr. Willi Fischer verwaltet. Es erfreute sich reger Benutzung durch die Bevölkerung, zumal die Miettaxen für die Utensilien günstig gehalten wurden. Ein Verzeichnis von 1962 zählt 42 verschiedene Geräte auf, vom vielbegehrten Bronchitiskessel über Inhalatoren und Krücken bis hin zu Schröpfgläsern, Urinflaschen und Wasserkissen. So kletterte der Ertrag durch den Verleih 1970 auf über 4000 Franken! Nach gut 50jährigem Bestehen aber musste der SVR 1972 das Magazin aus Platzmangel leider auflösen (zugunsten des Krankenpflegevereins).

Zu Beginn des Jahres 1955 übertrug das Gesundheitsamt Basel-Stadt dem SVR unverhofft die - heute veraltete - Sanitätshilfsstelle Niederholz (im dortigen Schulhaus), damit er sie im Katastrophenfall mit einem speziell ausgebildeten Kader betreibe. Damit bekam die in den 40er Jahren zur raschen Aufbietung der Mitglieder eingerichtete Alarmorganisation des SVR einen neuen Anwendungsbereich. Zum Glück haben sich die jeweiligen Alarmierungen stets als übungsalarme mit bloss supponiertem «Grossereignis» herausgestellt. (Zur Zeit lässt eine end gültige Etablierung des sogenannten «Koordinierten Sanitätsdienstes» [KSD| in unserem Kanton leider auf sich warten.) Einen ausserordentlich schönen Dienst darf der SVR seit 1964 für sporttreibende Behinderte versehen. In Turn- und Schwimmstunden sind ihnen Samariterinnen und Samariter behilflich bei allem, was sie nicht selber erledigen können. Das gegenseitige Geben und Nehmen erfüllt Helfer und Behinderte mit Freude und Befriedigung, so dass sich ganz enge Bande zum Behinderten-Sport Basel geknüpft haben.

Eine fruchtbare Zusammenarbeit spielt ebenfalls zwischen dem SVR und dem Blutspendezentrum beider Basel: Seit 1973 haben die Samariter über 3000 Blutspenderinnen und -spender an den alljährlichen Blut spende-Aktionen in Riehen betreut. Die kleine Gabe an Blut kann für Verletzte, Kranke und Operierte ein grosses Geschenk sein.

Neben dem Samariter-, Krankenpflege- und Säuglingspflege-Kurs trat 1966 der nur zehnstündige Nothilfekurs zum Angebot des SVR hinzu. Seit seiner Einführung stiess er auf reges Interesse; 1976 wurde er vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement für angehende Autofahrer als obligatorisch erklärt, weswegen jedes Jahr mehrere solcher Kurse durchwegs ausgebucht sind.

Nicht zu vergessen sind endlich alle die unzähligen Po stendienste, die der SVR geleistet hat und weiterhin leistet: An durchschnittlich 50 Einsatztagen pro Jahr wird das Wissen und Können seiner Mitglieder auf eine harte Probe gestellt. Den klaren Rekord hält dabei die Saison 1989 inne: 1632 Mann- beziehungsweise Fraustunden mit total 610 Erste-Hilfe-Leistungen!

Dieses erfreuliche Gedeihen hat der SVR wesentlich seiner heutigen Ehrenpräsidentin Trudi Bolliger und ihrem selbstlosen Engagement zu verdanken; ein halbes Jahrhundert Vereinsgeschichte ist von ihr mit echtem Samaritergeist geprägt worden.

75 ]ahre Samariter-Verein Rieben

Seit Trudi Bolligers Rücktritt vom Vorsitz an der Generalversammlung 1983 haben es ihr Nachfolger Max Brügger sowie die Samariterlehrer und das gesamte Vorstandsteam einerseits, die Hundertschaft der einsatzfreudigen Aktivmitglieder anderseits (wovon ein Viertel 30 Jahre und weniger zählt!) verstanden, den Aufschwung weiterzutragen und einen lebendigen, jungen und (attr)aktiven SamariterVerein Riehen erfolgreich ins 75. Vereinsjahr zu führen.

Quellen

Jahresberichte, Protokolle, Mitgliederverzeichnisse und Kassabücher des SVR (1917-1992) Weitere Akten des SVR verschiedener Art Trudi Bolliger: «50 Jahre Samariter-Verein Riehen, Jubiläumsbericht», Typoskript, Riehen 1967 Martha Wälchli: «Jubiläumsschrift 100 Jahre Samariterverband Basel und Umgebung 1886-1986», Basel 1986

 

Personen

(soweit nicht schon in der GKR, im RRJ oder in RJ 1986 ff. vorgestellt)

Gertrud Bolliger {* 1915), Kaufmännische Angestellte

Max Brügger ("' 1936), Schreiner, Kaufmann

Hermann Christ (1868-1949), Dr. med., Arzt

Marcus Corneo (* 1954), Dr. med., Arzt

Mathias Dürr (1864-1953), Zollbeamter

Ewald Lang (1909-1976), Dr. med., Arzt

Doris Segesser-Kernen (* 1947), Dr. med., Ärztin

Elisabeth Staenz (1884-1947), Geschäftsteilhaberin

Theodor Struller (* 1922), Dr. med., Arzt

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1992

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