Tafeln in der ältesten Riehener Wirtschaft


Felix Ackermann, Therese Wollmann


Bis zur Französischen Revolution gab es in Riehen drei Schildwirtschaften. Zwei sind heute aus dem Ortsbild verschwunden, das Gebäude der dritten ist in veränderter Form und Funktion erhalten geblieben.


Ein Gasthaus zu betreiben, bedurfte einer Bewilligung der Landesherrschaft. In Riehen war dies zunächst der Bischof, dann nach dem Kauf des Dorfes 1522 die Stadt Basel. Der Betrieb einer Gaststätte war mit Abgaben verbunden, dem sogenannten Un- oder Umgeld: Auf den ausgeschenkten Wein und das verkaufte Fleisch wurde eine Steuer erhoben.


Die Schildwirtschaft oder Taverne war durch ein Wirtschaftsschild gekennzeichnet, das ihr eine erhöhte Sichtbarkeit verlieh. Hier wurden warme Speisen und Fleisch serviert und es gab Gastzimmer, in denen Reisende übernachten konnten. In der Pinte oder Meienwirtschaft, wie sie in den Riehener Quellen genannt wird, gab es keine Gastzimmer und es wurden zum Wein nur kalte Speisen wie Brot und Käse gereicht. Ausserdem gab es sogenannte Nebenwirte, die saisonal ihre eigenen Weine ausschenkten.


Wirtshaus ‹Zum Ochsen›


1443 wird in Riehen erstmals ein Wirtshaus erwähnt.1 Es handelt sich um den ‹Ochsen›, wobei dieser Name erst ein Jahrhundert später in den Quellen auftaucht. Das Dokument von 1443 ist eine Urkunde, die der Riehener Vogt Diethelm «in des bescheiden Hansen Egers, eines offenen gemeinen Wirtes Huse und in der oberen Stube desselben Huses» siegelte. Das Haus auf der Parzelle an der heutigen Ecke Erlensträsslein-Baselstrasse eignete sich durch seine Lage beim Zugang zur Kirchenburg, durch den freien Platz mit dem Dorfbrunnen und durch die Kreuzungssituation hervorragend als Wirtshaus. Aus der Quelle von 1443 erfahren wir nicht nur von der Existenz des Wirtshauses, sondern auch, dass in dessen Räumlichkeiten offizielle Akte stattfanden. Dies blieb lange Tradition: Bis zur Erbauung des ersten Gemeindehauses 1609 versammelten sich die verschiedenen Gemeindebehörden und das Dorfgericht im Ochsen. Auch als einziger Ort, wo Taufen, Hochzeiten und andere Anlässe gefeiert werden konnten, war der Ochsen ein Zentrum des öffentlichen Lebens.


Nach dem ersten überlieferten Wirt wechselten die Besitzer beziehungsweise die Pächter in schneller Folge. Für etliche von ihnen ist der Beruf des Metzgers überliefert. Tavernenwirte hatten das Recht zum Fleischverkauf und verbrauchten es auch in ihren Küchen; alle drei Riehener Schildwirtschaften verfügten deshalb über eigene Schlachtlokale. 


Neben etlichen auswärtigen Ochsenwirten gab es auch einheimische Dynastien: von 1641 bis 1739 die Familie Fuchs und ab 1763 die Familie Wenk, die 1822 durch die anverwandte Familie Stump abgelöst wurde, die den Ochsen bis 1897 führte.


Da die exponierte Lage des Ochsen die Strasse einengte, kaufte die Gemeinde Riehen 1951 das Gebäude. Nach dem Abbruch des Ochsen wurde auf weit zurückgesetzter Baulinie das Wohn- und Geschäftshaus Baselstrasse 45 errichtet sowie daran anschliessend am Erlensträsslein der Polizeiposten. Der 1840 datierte Türsturz des Schlachtlokals wurde über dem Eingang des Polizeipostens eingesetzt und ist heute das einzige sichtbare Zeugnis des traditionsreichen Ochsen.


Wirtshaus ‹Rössli› – ‹Weisses Rössli›


Das ‹Rössli› auf der heutigen Parzelle Baselstrasse 58, im Eckbereich zur Rössligasse, erscheint in einer Quelle von 1667 als etablierte Meienwirtschaft.2 In den 1680er-Jahren geriet sie in Verruf: Das Wirtepaar halte zwei «Bauern-huren», das Haus sei Schauplatz etlicher «Üppigkeiten», Mägde würden geschwängert und Bürgerkinder verführt. Diese Verhältnisse änderten sich unter dem Wirt und Metzger Samuel Hoch, der 1693 mit Erfolg einen Antrag auf den Betrieb einer Schildwirtschaft stellte. Bei seinem Gesuch verwies er auf den regen Durchgangsverkehr in Riehen und darauf, dass der Ochsenwirt allein nicht alle Reisenden beherbergen könne. Später befand sich das Wirtshaus lange Zeit im Besitz der Riehener Familie Stump. Die Zugehörigkeit der Rössliwirte zur wohlhabenden Oberschicht fand ihren Ausdruck darin, dass im 18. Jahrhundert verschiedene offizielle, von der Gemeinde bezahlte Essen im Rössli stattfanden.


Lange betrieben die Wirte eine eigene Metzgerei. Von den Verhältnissen, die dort herrschten, zeugt ein Bericht von 1903 über die sanitarischen Zustände der Riehener Metzgereien: Abwasser, Blut und Brühwasser ergossen sich direkt auf die Rössligasse. Bald darauf erfolgte die Modernisierung der Metzgerei. 1930 wurde das Gebäude stark umgebaut und aufgestockt. 1947 erwarb es die Basler Metzgerei G. Eiche AG, die im Bereich der ehemaligen Nebengebäude der Gastwirtschaft eine Filiale einrichtete. Die Firma Eiche war später Bauherrin des heutigen, 1976–1978 errichteten Wohn- und Geschäftshauses mit seinen markant zeittypischen Formen. Dieses bedeutete das Ende des Gasthauses zum Rössli.


Heute befindet sich im Ladenlokal des Eckbereichs eine Pizzeria. Somit ist die Gastronomie wieder an den Ort des traditionsreichen Rössli zurückgekehrt.


Wirtshaus ‹Drei Könige›


Wie die anderen beiden älteren Riehener Wirtschaften sind auch die ‹Drei Könige› aus einem Bauerngut hervorgegangen.3 Der erste Wirt war der Hesse Christian Günter, dem der Basler Rat 1707 gegen den Willen der Gemeinde Riehen das Recht erteilte, eine Meienwirtschaft zu führen. Wohl durch den Neubau des Hauses und mangelnden Erfolg verschuldete er sich allerdings bald so, dass er verkaufen musste. Die Liegenschaft wurde über längere Zeit eine Kapitalanlage und Pächter führten die Wirtschaft. 1710 trat der Besitzer des Meierhofs das für diesen 1656 gewährte, aber nie ausgeübte Recht zum Betrieb einer Schildwirtschaft an den Besitzer der Drei Könige ab. Wie die Zahlen des Weinausschanks zeigen, überflügelte die neue Wirtschaft bald die beiden älteren Riehener Lokale.


1759 setzte mit dem Metzger Michael Gysin aus Liestal die etwas mehr als ein Jahrhundert dauernde Ära dieser Familie als Wirte im Drei Könige ein. Darauf folgte eine Zeit häufiger Besitzerwechsel. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Tavernenrecht aufgegeben, weil keine Gäste mehr beherbergt wurden. Die letzte Blüte war die Ära der Wirtefamilie Schweizer 1896–1928. Danach wurde auch der Gastbetrieb aufgegeben. Im Erdgeschoss wurde die Metzgerei des ACV (Allgemeiner Consum-Verein) eingerichtet.


Ab 1966 gab es Pläne für einen Abbruch und eine Neuüberbauung. Der Kauf durch die Schweizerische Kreditanstalt 1976 rettete das zu Beginn des 18. Jahrhunderts errichtete Gebäude. Nur auf der Fläche der ehemaligen Nebengebäude wurde ein Mehrfamilienhaus errichtet. Die Schaufensterfront auf der Strassenseite des ehemaligen Gasthofs wurde wieder durch drei Fenster und eine Tür ersetzt, wobei die Tür in der ersten und nicht wie ursprünglich in der zweiten der vier Fensterachsen platziert wurde. Das Haus dient bis heute als Bankfiliale.


Festmahle im Ochsen 


In Privatbesitz blieb ein Notizbuch aus dem Ochsen erhalten, in dem Menüfolgen mit Preisen eingetragen sind.4 Der früheste Eintrag ist 1860 datiert; das Manuskript stammt demnach aus der Ära des langjährigen Ochsenwirts Johannes Stump-Unholz (1824–1897), der die meisten, oft undatierten Einträge zugeordnet werden können. Die letzten allerdings sind 1907 datiert; vereinzelt wurde das Buch demnach auch von seinen Nachfolgern weiterverwendet.


Die Menüfolgen sind chronologisch eingetragen. Sie spiegeln nicht das Tagesgeschäft der Wirtschaft wider; vielmehr handelt es sich um aufwendige Feiern von grösseren Gesellschaften. Man findet Examens-Essen, Zusammenkünfte des Liederkranzes und des Turnervereins sowie Bälle, wie etwa der Pompier-(Feuerwehr)-Ball. Auch «Gemütliche Abendessen» mit Musikbegleitung werden erwähnt. Die Musiker betreffend, finden sich Bemerkungen wie «4 Musiker frei halten mit Essen und 4 Liter Wein» oder «den Musikern hatten wir 15 Lit. Wein zu geben».


Bei den Preisen ist oft angegeben, ob sie den Wein einschliessen oder nicht. Die einberechnete Menge war in der Regel ein Schoppen.5 In einem der spätesten Einträge erscheint auf der Rechnung eines Herrn Dr. Seiler aus Basel «alter Efringer Wein». Sonst ist vom Ausschenken des lokalen Weines auszugehen.


Die opulentesten und teuersten Menüs sind jene für Hochzeiten, bei denen teilweise zwei Essen gereicht wurden (Mittag- und Abendessen). Bei einzelnen Anlässen ist die Zahl der Teilnehmer genannt: Es gibt Angaben von sechzig und gar hundert Personen. 


Die Preise reichen von 2.50 bis 10 Franken pro Person, wobei die Mehrheit im Bereich von 4–6 Franken liegt. Dass diese festlichen Essen sehr kostspielig waren, zeigt der folgende Vergleich: Für 1861 sind in Riehen Wochenlöhne für Melker und Fuhrknechte von 3–3.50 Franken überliefert.6


Die Bezeichnungen der einzelnen Speisen sind sehr knapp gehalten und erlauben keine Rückschlüsse auf die Zubereitung. Die Menüs weisen über die ganzen 47 Jahre eine grosse Kontinuität auf. Neu auftauchende Gerichte sind Wienerschnitzel und Roastbeef (nach 1891) sowie «Magronen» (Makkaroni, um 1889), welche die Kartoffeln als Beilage ersetzen. Einmal tauchen Champignons auf (1891) und zur selben Zeit einmal Tomaten als Beilage zu Rindsbraten und Magronen.


Am Anfang stand regelmässig die Suppe. Sie ist selten spezifiziert: Genannt werden Sago- (granulierte Stärke aus der Sagopalme gewonnen), Grünkern- (halbreif geernteter Dinkel), Julienne- oder ‹Nüdeli›-Suppe.


Bei den Fleischgerichten wurde Schweinebraten meist mit Salat, Rindsbraten mit Kartoffeln gereicht. Nach dem ersten oder zweiten Fleischgang wurde ein Pudding serviert, wobei es keinen Hinweis auf dessen Zusammensetzung gibt. Auch Pasteten wurden häufig gereicht. Gewiss abhängig von der Jagdsaison, taucht gelegentlich Wild auf: Reh- oder Hasenpfeffer sowie Rehschlegel. Erwähnte Geflügelgerichte sind Gans mit Kompott und Enten mit Beilage und Zwetschgen. Fischgerichte kommen nicht sehr häufig vor: Genannt werden Hecht und Lachs, manchmal ist auch einfach Fisch mit Sauce notiert. Noch seltener findet sich Lammfleisch, und zwar in Form von Hammelschlegel (Gigot). Den Abschluss der Gerichtefolge bilden meist Schinken und Zunge, in der ersten Zeit begleitet von «Gallerte» (Sülze).


Was das Gemüse betrifft, sind kaum spezifisch jahreszeitlich gebundene aufgeführt. Häufig erwähnt sind Kartoffeln, die gelegentlich als «Neue» bezeichnet werden. Ansonsten findet man Blumenkohl, Rosenkohl, gelegentlich Bohnen oder Erbsen. Manchmal ist auch nur «Beilage» ohne weitere Angabe vermerkt. Blumenkohl wurde meist mit Spanischbrot (Blätterteig)7 gereicht, Rosenkohl mit Bratwürsten. Salat erscheint meist als Beilage zum Schweinebraten, manchmal auch zum Kalbsbraten.


Bei den Nachspeisen ist oft eine Mandeltorte erwähnt, gefolgt von Kaffee und nicht weiter spezifizierten Desserts. Neben der Küche des Ochsen befand sich eine ebenso grosse Backstube8, die gewiss für die Herstellung des Spanischbrots, der Pasteten und der Desserts diente. In der Handschrift sind fünf Rezepte von süssem Gebäck aufgeführt – ob sie Teil des Desserts waren? 


1 Vgl. dazu Albin Kaspar: Häuser in Riehen und ihre Bewohner, Heft 1, Riehen 1996, S. 16–23.


2 Vgl. dazu Dokumentationsstelle Riehen, Historisches Grundbuch Baselstrasse 58.


3 Vgl. dazu Dokumentationsstelle Riehen, Historisches Grundbuch Baselstrasse 20, sowie Fritz Lehmann: Das alte Wirtshaus zu Dreikönig, in: z’Rieche 1984, S. 70–93.


4 Verfasser und Redaktion danken Martin und Johannes Wenk-Madoery dafür, uns dieses Manuskript zur Verfügung gestellt zu haben.


5 Zirka 1/3 Liter.


6 Dokumentationsstelle Riehen, Privatarchiv Wenk 12-03/A. Diesen Hinweis verdanken wir Johannes Wenk-Madoery.


7 Andreas Morel: Das Spanischbrot, in: Zu Tisch: Ein Pot-pourri zur Esskultur aus drei Jahrzehnten, Menziken 2013, S. 113–118.


8 Vgl. den von Albin Kaspar rekonstruierten Grundriss (Anm. 1), S. 20.


 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2015

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