Tradition des Schmiedehandwerks

Ernst Lemmenmeier

Die Schmiede an der Rössligasse 36, an die unmittelbar daneben eine Wagnerei angegliedert war, ist der letzte von vier Schmiedebetrieben, die in Riehen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts noch existierten. Die damalige Tätigkeit dieser Schmiede war das Beschlagen von Pferden und vereinzelt auch von Ochsen, die Schmiedearbeiten an landwirtschaftlichen Geräten und Pflügen sowie der Wagenbau in Zusammenarbeit mit der Wagnerei.

Mein Vater, Ernst Lemmenmeier-Isenring, kam 1927 als Schmiedegeselle von der Ostschweiz nach Riehen und war bei Schmiedemeister Fritz Rüsch tätig, der ihm 1948 die Liegenschaft mit der Schmiede und Wagnerei verkaufte. Bis 1976 blieb die Werkstatt in ihrer ursprünglichen Grösse, so wie sie 1879 von Friedrich Schmid-Vögelin-Döhnel erbaut worden war. Eine grosse Doppelesse, ein Blasebalg im Dachgeschoss, zwei Ambosse, eine Werkbank mit zwei Schraubstöcken, eine Schleifmaschine, eine Bohrmaschine sowie eine Eisenschere waren nebst zahlreichen Handwerkzeugen die damalige Einrichtung.

Zu jener Zeit war das Herstellen von Wagenrädern eine wichtige Tätigkeit, die von Wagner und Schmied gemeinsam ausgeführt wurde. Doch lösten im Wagenbau für die Landwirtschaft nach 1945, als die Motorisierung mit Traktoren aufkam, die Pneuräder die Holzräder ab, und die Tätigkeit der Wagnerei ging stetig zurück.

Seit die Wagner keine Wagen und kaum noch Geräte für die Landwirtschaft anfertigen, ist das Betätigungsfeld der Schmiede anders geworden. Anstelle der Zugpferde werden heute fast nur noch Reitpferde beschlagen. Holzräder mit Reifen, Wagenteile und Geräte, die mit Beschlägen versehen sind, gehören beinahe gänzlich der Vergangenheit an. So haben sich viele einstige Huf- und Wagenschmiede verändert zu Bauschlossereien, Metallbaubetrieben oder Schmiedewerkstätten, in denen Türen und Fenstergitter, Kamingeräte, Kerzenständer, Grabkreuze und andere Gegenstände geschmiedet werden.

Ich kam 1934 in dem an die Schmiede angebauten Haus zur Welt und verbrachte dort, zusammen mit meiner Schwester Hildegard, die Jugendzeit. Die Lehre als Hufund Wagenschmied absolvierte ich 1953 im elterlichen Betrieb. In Bern und Winterthur besuchte ich 1960 die Fachschulen und legte 1961 die Meisterprüfung ab. In den folgenden Jahren wurde der Maschinenpark der Zeit angepasst. Mein Vater übergab mir 1971 das Geschäft, und 1979 verkaufte er mir die Liegenschaft. Mit dem Werkstattausbau im Jahre 1976 konnten wir den Tätigkeitsbereich als Schlosserei erweitern.

Der heutige Arbeitsbereich der Schmiede umfasst den Hufbeschlag, vorwiegend auswärts auf den Höfen oder Reitställen mit einer mobilen Schmiedeeinrichtung, da in Riehen für den Reitsport die Stallungen fehlen. Aber von Zeit zu Zeit wird auch an der Rössligasse ein Pferd beschlagen. Auch Reparaturen und Schmiedearbeiten an Bauwerkzeugen werden ausgeführt. Kunstschmiedearbeiten wie Gitter, Türen, Geländer und weitere geschmiedete Gegenstände werden nach eigenen Entwürfen mit traditionellen Schmiedetechniken wie Spalten, Lochen, Nieten, Stauchen und Strecken hergestellt. Dazu gehören auch Restaurationsarbeiten an alten geschmiedeten Türen, Zäunen und Gittern. Nebst den traditionellen Schmiedewerkzeugen und Beschlagswerkzeugen umfasst der Maschinenpark in der Schmiede heute zwei Krafthämmer, zwei Schleifmaschinen, eine Säulenbohrmaschine, zwei Schweissmaschinen, eine Richtpresse und einen Biegeapparat.

Im neueren Teil der Werkstatt werden Bauschlosser- und Metallarbeiten sowie auch Reparaturen im mechanischen Bereich ausgeführt. Auch auf Reparaturen kleinster Art wurde immer grossen Wert gelegt. In diesem Teil der Werkstatt stehen heute Schweissmaschinen, Kreis- und Bügelsäge, Tafelschere, Abbiegebänke, Rundmaschine, Stanze, sowie Drehbänke und Fräsmaschine. Auf diese Weise passte sich dieser Kleinbetrieb mit einem traditionellen Handwerk stets der Zeit an und wird auch für die Zukunft seine Existenz haben.

Weit weniger Zukunftschancen als die Schmiede hat die Wagnerei. Obwohl die Werkstatt in ihrer ursprünglichen Form noch vorhanden ist, beschränkt sich der Arbeitsbereich fast nur noch auf Stielwaren wie Hammer-, Schaufel- oder Spatenstiele.

In der Schmiede wie auch in der Wagnerei wurden immer Lehrlinge ausgebildet. Früher waren es oft junge Burschen aus dem benachbarten badischen Raum, welche hier das Handwerk erlernten. Heute sind es Lehrlinge, die sich zum Huf- und Fahrzeugschmied oder zum Metallbauschlosser ausbilden lassen.

Mit meinen Söhnen Martin (* 1963) und Albert (* 1966) ist die dritte Generation im Betrieb tätig, während Tochter Sonja (*1978) noch zur Schule geht. Mit Martin, der eine Metallbauschlosserlehre bei der Basler Firma P. Weiland und bei mir eine Zusatzlehre als Huf- und Fahrzeugschmied absolvierte und anschliessend die Metallbautechnikerschule erfolgreich abschloss, sowie Albert, der eine kaufmännische Lehre absolviert hat, aber auch handwerklich im Betrieb tätig ist, dürfte der Fortbestand dieser Schmiede und Schlosserei gesichert sein. Im Büro ist auch meine Frau Agnes tätig, die mir damit einen grossen Teil der administrativen Arbeit abnimmt und somit ebenfalls viel zu unserem Familienbetrieb beiträgt. Wie schon Grossvater und Vater leistet auch Martin in der Armee als Militärhufschmied in einer Gebirgseinheit seine Dienste.

Die Liebe zu unserem schönen Beruf wird dazu beitragen, dass die Schmiede an der Rössligasse 36 noch lange zum Dorf gehört.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1992

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