Träumereien um Flaschenschiffe

Frédéric Degen

Jeden Herbst kann man im Gartenbad St. Jakob fahr- und in vielen Details funktionstüchtige Modellboote sehen. 1977 gestaltete das Gewerbemuseum Basel eine Ausstellung über die Schönheit der Segelschiffe, und 1981 konnten wir in Riehen im Wettsteinhaus die prächtigen, bis in jede Einzelheit selbstangefertigten Segelschiffsmodelle einiger Freizeitmodellbauer bewundern (siehe Jahrbuch 1981, S. 106 ff.). Diese Bewunderung galt und gilt heute nach wie vor dem kunstvollen Handwerk dieser Leute, aber auch der formalen Ausgewogenheit von Segelschiffen, die wir in natura nur noch bei Ausbildungsschiffen von Marineschulen sehen können.

Zum Glück gibt es in allen Marinemuseen eine Unzahl Modelle, die uns in romantischer Art eine Zeit miterleben lassen, die heute verschwunden ist oder nur noch traditionsmässig mit den heutigen Annehmlichkeiten gepflegt wird. Die Fortsetzung davon ist in der modernen Regattaoder Fahrtensegelei zu finden. In diesen Museen hängen auch ungezählte Kapitänsbilder (Porträts von Schiffen für den Kapitän), die nicht nur Dokumente sind, sondern einen eigenständigen künstlerischen Wert haben. Die Marinemalerei wurde von Laien wie von bekannten Künstlern betrieben. Schiffe waren für Küstenländer eine Möglichkeit, sich neuen Ufern zuzuwenden, ergaben eine Erweiterung der verschiedensten Kenntnisse, aber auch die Eroberung von Territorien auf anderen Kontinenten. Was dem damaligen Menschen das Suchen nach fernen Küsten war, ist uns heutigen ein Fernweh, vielleicht auch ein Ausbrechen aus irgendeiner Enge. Immer wieder wurden Binnenländer Seemänner, und ein Grossteil der Touristen aus unseren Tagen reist ans oder übers Meer. Der Hang zum Wasser und damit zum Schiff ist also gegeben. Schon bei Kindern wird die kleinste Pfütze ins Spiel einbezogen, wird zum Meer. Schiffe aus verschiedensten Materialien gehören denn auch noch immer zum Spielzeug unserer Kinder. Hans Christian Andersen hat diese Spielfreude in seinem Märchen vom standhaften Zinnsoldaten beschrieben, und viele andere tun es wieder und wieder. Viele Dichter und Schriftsteller sind vom Wasser fasziniert worden und Hessen sich von ihm inspirieren. Es tauchen auf dem Büchermarkt unglaublich viele Bücher in den unterschiedlichsten Sparten (Geschichte, Kunst, Handwerk, Sport, Fotografie) auf, die uns sehr viel Wissen vermitteln und angenehm schwärmen lassen.

Geht diesen Anregungen, wie in meinem Fall, eine Jugendzeit voraus, die immer wieder ans Wasser führte oder sich mit Bootsbau im Modell und in natürlicher Grösse befasste, brauchte es wahrlich nicht viel, dass sich meine Freizeitbeschäftigung in dieser Richtung entwickelte. Am Anfang standen Schiffchen, wie sie jeder Knabe baute, dann kamen solche als Souvenir aus einer Zeit, da es den Reisebüro-Tourismus im heutigen Ausmass noch gar nicht gab. Schöne, in Holz geschnittene Schiffe fand man in vielen Formen. Sie waren vielleicht derber gearbeitet, hatten aber eine grosse Ausstrahlung. Heute muss man sie schon eher suchen. Zu diesen Andenken gehören natürlich auch die Flaschenschiffe, die von Seemännern in ihrer Mussezeit, der Freiwache auf monatelangen Seereisen oder von alten Seebären im Ruhestand angefertigt wurden. Leider trug man die meisten nur im Museumskatalog oder als Ansichtskarte nach Hause, da ja die ursprünglichen kaum mehr zu haben sind, aber ein paar hübsche Exemplare fanden doch den Weg auf mein Bücherbord.

So konnte es denn nicht ausbleiben, dass eines Tages der Wunsch in mir erwachte, selber ein Flaschenschiff herzustellen. Nun, was ist ein Flaschenschiff und wie geht man vor, um ein solches selber in die Flasche zu bringen? Voraussetzung ist eine leere Flasche, wenn möglich eine alte, vielleicht eine mundgeblasene, der Antiquität wegen. Das Leeren an und für sich soll ja schon seine Reize haben, aber es ist zu hoffen, dass es nicht dabei bleibt. Zu enge Hälse sind zu meiden, da dadurch das Schiff gezwungenermassen zu klein wird. Die grossen Könner bauten ihr Schiff ausserhalb der Flasche so gross, dass es in der Flasche die Höhe, das heisst bei liegenden Flaschen den Innendurchmesser ausfüllte. Es waren Schiffe mit Masten, Rahen, dem ste henden und laufenden Gut oder zudem mit Segeln. Je genauer die seemännische Richtigkeit, nicht unbedingt die richtige Proportion, in der ganzen Takelage war, desto wertvoller war das ganze Werk. Der Erbauer solcher Kunstwerke hat sich überwiegend mit «seinem» Schiff befasst, es entstanden aber auch reich und liebevoll ausgestaltete Flaschen, die ganze Hafenanlagen, Werftgelände oder Küsten bargen. Bei schlechten Exemplaren, Dutzendware, wurde der Boden abgeschnitten, das fertige Schiff hineingestellt und der Boden wieder aufgeleimt. Diese Stelle verdeckte man mit einem Seemannsknoten oder billig nur mit einem Stück Seil, einem Ende, wie der Seemann sagt.

Also, wie soll es richtig sein? Sie schnitzen und bemalen einen Rumpf, mühen sich mit Masten- und Rahenschleifen ab, einige werden schon brechen. Dann halten Sie diese Rundhölzer mit Wanten, Stagen und Brassen beweglich auf Deck, setzen, wenn gewünscht, die Segel mit den Schoten und legen alles, nachdem es so schön stand, nach achtern, das heisst hinten aufs Schiffchen. Bevor Sie das Paketchen durch den Flaschenhals schieben, bringen Sie mit einem entsprechenden, selbstgebastelten Werkzeug das Meer aus eingefärbtem Fensterkitt, Plastilin oder anderen Werkstoffen in die Flasche. Jetzt kommt das heikle Unterfangen des Einschiebens und zwar rückwärts, Bug zum Flaschenhals, denn mit den Stagen, die über Bugspriet und Klüverbaum laufen, wird alles wieder aufgestellt. Nichts darf irgendwo hängenbleiben, zerbrochen werden. Das Schiffchen wird nun ins Meer gedrückt, und der beglükkendste Moment steht Ihnen bevor. Wenn Sie die richtigen Fäden lange genug ausgemessen haben und Sie ausserhalb der Flasche daran ziehen, entfaltet das Schiff seine Masten und Segel wie eine Möwe ihre Schwingen. Ich hoffe, dass kein Faden gerissen ist und Sie Ihr Kunstwerk beenden können. Fäden festleimen und dann abschneiden oder abbrennen, wieder mit einem Speziai Werkzeug. Auf die vorher eingedrückten Wellen setzt man mit einem langen Pinsel und weisser Farbe noch die Schaumkronen auf. Lassen Sie das Meer gut austrocknen, bevor Sie mit einem Korken und Siegellack die Flasche verschliessen. Sie wird sonst gerne matt. Ein türkischer Bund, verschiedene Katninge schmücken den Flaschenhals. Auf einem Brettchen oder irgendeiner Halterung montiert, können Sie Ihr eigenes Kunstwerk präsentieren. Viel Glück.

Sie fragen sich vielleicht zum Schluss, woher denn diese Idee kommt. Der Ursprung der Flaschenschiffe ist in den sogenannten «Eingerichten», den Geduldsflaschen, im Allgäu und im Erzgebirge zu suchen. Das waren ursprünglich religiöse Darstellungen, Kreuzigung, Kreuz mit Werkzeugen, später auch weltliche: Bergwerke, Handwerk und anderes mehr; in Flaschen so montiert, dass sie sich darin verkeilten und damit Halt hatten. Sie datieren ins 18. Jahrhundert zurück. Entweder kamen diese «Eingerichte» an die Küsten, oder angehende Seeleute aus diesen Gebieten übertrugen die Technik auf die Modellbauerei des Seemannes. Dies ist vor ungefähr 150 Jahren geschehen. Antike Flaschenschiffe sollten also die dieser Zeit entsprechenden Schiffstypen beinhalten.

Diese handwerkliche Kunst erlebt heute mit der Wertschätzung naiver Kunst und Volkskunst auch in diesem Bereich eine Neubelebung. Segelvereine greifen die Beschäftigung mit Flaschenschiffen in der «so langen» Winterszeit auf, Fachzeitschriften berichten und geben Anleitung. So braucht es nur den Mut, eine solche Arbeit zu beginnen, und die Geduld, um ans Ziel zu kommen.

Meine Freizeitbeschäftigung hatte ihre Auswirkung auch auf den Beruf. So habe ich von Zeit zu Zeit grössere und kleinere Schiffe mit Schülern gebaut und sie sogar für Flaschenschiffe begeistert. Es waren mühsame Stunden darunter, da ja im wahrsten Sinne des Wortes alles am Geduldsfaden hing, aber die beglückenden Augenblicke haben um ein Vielfaches entschädigt. In diesem Sinne möge jede Freizeit-Beschäftigung zu erfreulichem Tun werden.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1985

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