Transitverbindung mit Konfliktpotenzial

Daniel Hagmann

Vor 150 Jahren wurde die alte morsche Wiesenbrücke durch einen Neubau ersetzt. Doch der aufkommende Massenverkehr machte schon 1938 einen Ersatz notwendig. Und die Frage der Zollfreistrasse erschwerte Planung und Kostenteilung erheblich.

«Im Ganzen macht diese hölzerne Brücke nicht mehr den besten Eindruck und entspricht meines Erachtens auch nicht mehr den modernen Verkehrsverhältnissen», schrieb im April 1914 der kantonale Strasseninspektor. «Vielleicht könnte der Staat Baden zur Übernahme eines Teils der Kosten [für einen Ersatz der Brücke in Eisenbetonkonstruktion] herangezogen werden, weil diese Wiesenbrücke weitaus am meisten dem Verkehr zwischen den badischen Grenzgemeinden dient.»1

Das amtliche Schreiben bringt es auf den Punkt: Die Wiesenbrücke war während Jahrhunderten ein Riehener Sorgenkind. Morsch und vom wachsenden Schwerverkehr überlastet, teuer im Unterhalt und – obwohl ganz auf Schweizer Boden liegend – eher für die badischen Nachbarn von Nutzen.

Ursprünglich bestand an der Wiese zwischen Riehen und Weil bloss eine Furt, die später durch einen einfachen Fusssteg abgelöst wurde. Auf der kolorierten Federzeichnung von Hans Bock um 1620sind zwar gleich mehrere Wiesenbrücklein zu sehen. Allerdings ist diese Karte sehr frei künstlerisch interpretiert. Auf der hier abgebildeten, angeblich exakten Kopie eines Plans von 1643 ist ein Brückensteg mit drei Pfeilern zu sehen.3 Auf dem Grundriss der Banngrenze, gezeichnet 1672, ist hingegen keine Brücke eingezeichnet.4 Erst ab dem 18. Jahrhundert tauchen einigermassen plausible Wiedergaben einer Brücke auf, beispielsweise auf der Skizze Riehen, von dem Schlipff anzusehen, gezeichnet im September 1752 von Emanuel Büchel.5

Die älteren Ansichten zeigen eine Art Steg mit Geländer, ein wackliges Bauwerk wahrscheinlich. Das belegt ein sogenanntes ‹Memoriale› von 1735: Die jetzige Konstruktion werde immer wieder vom Hochwasser weggespült. Man solle es den Weilern doch erlauben, auf eigene Kosten ein solideres Bauwerk zu erstellen.6 Auch die Nachfolgebauten erwiesen sich als wenig nachhaltig. 1789 entstand anlässlich des Kirchenbaus in Weil eine temporäre Brücke, erstmals für Fuhrwerke passierbar. Sie musste schon bald repariert werden. 1815 beklagte der Gemeinderat Riehen den ruinierten Zustand und ersuchte um die Bewilligung zum Rückbau der Brücke in einen Steg. Dabei bezog er sich jedoch nicht auf die Brücke von 1789, sondern auf deren jüngere Nachfolgerin, von den Alliierten für ihren Durchmarsch erstellt. Immer wieder mussten die Behörden in den Folgejahren zur Kenntnis nehmen, wie Eisgang und Hochwasser die Brücke zerstörten. Daran änderte der Neubau der Wiesenbrücke von 1861 wenig: 1884 mussten auch bei dieser Konstruktion mit gemauerten Widerlagern die abgefaulten Holzjoche ersetzt werden.

Bis dahin hatten vor allem Naturkräfte, Kälte und Wasser, die Brücke angegriffen. Im 20. Jahrhundert nun, die eingangs zitierte Klage des Strasseninspektorats verdeutlicht es, stammten die Schäden von Menschenhand respektive vom motorisierten Warenverkehr.7 1914 brachte die kriegsbedingte Sperrung der Grenzen eine kurze Entlastung. 1920 sah sich die kantonale Behörde jedoch gezwungen, ein Verbot für Lastwagen über 5 Tonnen zu erlassen. Und nur ein Jahr später erwog das Strasseninspektorat gar die völlige Sperrung der morschen Brücke. Nun hagelte es Proteste seitens des Transportgewerbes auf Schweizer Seite wie im Badischen. Man verstärkte die Tragkonstruktion und erhöhte die Gewichtslimite auf 9 Tonnen. Doch die Tonnagen der Lastwagen stiegen: Trotz fehlender Bewilligung fuhren immer mehr Zwölftönner über die Brücke.

1936 ergaben detaillierte Untersuchungen, dass Verstärkungsarbeiten keinen Zweck mehr hatten, ganz im Gegenteil: Die Gewichtslimite musste wieder auf 5 Tonnen herabgesetzt werden.

1937 stand also fest: Eine neue, stabilere Brücke muss her. Offen blieb, wer diese bezahlen sollte. Bei der 1861 gebauten Brücke hatte dies der Staatsvertrag zwischen der Eidgenossenschaft und dem Grossherzogtum Baden von 1852 klar geregelt: Die Kosten für Weilstrassen- und Wiesenbrückenbau übernahm Baden ganz; den Unterhalt hatten Kanton Basel-Stadt und Riehen zu bestreiten. Ob Riehen den jährlichen Beitrag von 100 Franken tatsächlich konsequent bezahlte, war später nicht mehr festzustellen. Als 1928 die Tragkonstruktion der Brücke verstärkt werden musste, übernahmen die deutschen Behörden drei Viertel der Kosten, Riehen und der Kanton je ein Achtel. Eine solche Regelung stellten sich die schweizerischen Vertreter wohl auch 1937 vor. Doch inzwischen hatte sich die Verkehrspolitik geändert.

Seit 1920 stand das Projekt einer neuen Strassenverbindung zwischen Lörrach und Weil zur Diskussion. Sie sollte oberhalb der Landesgrenze auf einer neuen Brücke über die Wiese führen und dann rechtsufrig durch den Schlipf. Solange diese Option bestand, wollten sich die deutschen Behörden auf keine Kostenübernahme für die bestehende Wiesenbrücke verpflichten. Die Schweizer ihrerseits wollten nicht warten, da sonst auf unbestimmte Zeit der Lastwagenverkehr von Riehen nach Weil unterbunden worden wäre. Dieser wurde zu 70 Prozent von Riehenern und Baslern bestritten. Ähnlich sah es beim Handkarren- und Pferdefuhrwerkverkehr aus, wegen des Land- und Hausbesitzes von Riehenern im Schlipf. Und während der Badesaison stammten auch die meisten Radfahrer aus Riehen. Nur bei den Personenwagen dominierte eindeutig der innerdeutsche Transitverkehr. Deshalb beschloss das basel-städtische Parlament 1938, auf eigene Kosten eine Eisenbetonbrücke zu erbauen. Der Kostenanteil von Riehen belief sich auf 20 Prozent.

Verglichen mit der grossen Verkehrsachse durch das Wiesental spielte die Querverbindung nach Weil keine grosse Rolle für Riehens Bevölkerung und Wirtschaft. Daran änderten auch die 1861 neu gebaute Weilstrasse und die erneuerte Wiesenbrücke vorerst wenig. Zum Thema wurde die Brücke erst im frühen 20. Jahrhundert, als sie zum Nadelöhr im immer dichteren und gewichtigeren Durchgangsverkehr mutierte – und in den jahrelangen Auseinandersetzungen um den Bau einer Zollfreistrasse.

Das Vertragswerk von 1852 hatte den badischen Behörden das Recht eingeräumt, eine Verbindungsstrasse zwischen Weil und Lörrach auf schweizerischem Boden zu bauen. Transitgebühren sollten darauf keine erhoben werden, daher die spätere Bezeichnung ‹Zollfreistrasse›. Als 1861 dann Weilstrasse und Wiesenbrücke gebaut wurden, geschah dies auf Wunsch von Riehener Bürgern. Basel wie Baden hielten ausdrücklich fest, dass die Weilstrasse nicht als Ersatz für eine Zollfreistrasse gelte.8

Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Diskussion um eine Zollfreistrasse erneut begann, beriefen sich vereinzelte Gegner darauf, mit der Weilstrasse und der Wiesenbrücke sei die Vertragsforderung von 1852 ja bereits erfüllt worden. Juristisch war diese Ansicht allerdings nicht haltbar. Trotz erheblichem Widerstand begannen 2006 die Bauarbeiten an der Zollfreistrasse Lörrach–Weil. Nach ihrer Fertigstellung sollte der Transitverkehr über die Wiesenbrücke abnehmen und die jahrhundertelange Brücken-Sorge der Riehener ein Ende nehmen.
 

1 Staatsarchiv Basel-Stadt, Bau Q 14, Schreiben vom 7. April 1914.
2 Staatsarchiv Basel-Stadt, Planarchiv G 1,23.
3 Kopie ausgeführt von Emanuel Büchel 1747, Staatsarchiv Basel-Stadt, Planarchiv A 1,26.
4 Staatsarchiv Basel-Stadt, Planarchiv G 1,12.
5 Staatsarchiv Basel-Stadt, BILD Falk. Fb 1,3.
Staatsarchiv Basel-Stadt, Bau X 3, Memoriale vom 3. Januar 1735. In diesem Dossier finden sich auch die im Folgenden zitierten Schreiben und Hinweise.
7 Vgl. zu den folgenden Ausführungen den Ratschlag betreffend die Erstellung einer  Strassenbrücke über die Wiese im Zuge der Weilstrasse vom 23. Juni 1938.
8 Lukrezia Seiler: Die Zollfreistrasse. Ein Zwischenbericht, in: z’Rieche 1984, S. 140.

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2011

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