Unerwünschte Tiere

Sibylle Meyrat

Jahrhundertelang wurde das sogenannte ‹Ungeziefer› hemmungslos bekämpft und dezimiert. Einsichten in ökologische Zusammenhänge erzwangen neue Lösungen. Doch der Umgang mit den unerwünschten Tieren bleibt eine Herausforderung – für Politikerinnen ebenso wie für Landwirte, Wissenschaftlerinnen, Gärtner und Naturfreundinnen.

Nicht nur Wölfe und Bären gehören zu den bedrohlichen Tieren und sorgen für geteilte Meinungen, seit sie in den Alpenraum zurückkehren. Auch sehr viel kleinere Kreaturen können Angst und Schrecken auslösen und Ärger erregen. Vor allem, wenn sie in grosser Zahl auftreten: Wespen, Stechmücken, Blut saugende Zecken, gefrässige Feldmäuse, Rebläuse, Maikäfer und bestimmte Vogelarten, die den Menschen die Ernte streitig machen. Diese Geschöpfe stellen das Nebeneinander von Mensch und Tier auf eine harte Probe. Bis heute sorgen sie auch in Riehen für intensive Diskussionen zwischen Fachleuten, Politikerinnen und direkt Betroffenen. Bereits das Alte Testament berichtet im Buch Exodus von Plagen im Zusammenhang mit Tieren und verdeutlicht, wie existenziell das Schicksal der Menschen mit ihnen verbunden ist. Zwar ist es in den modernen Industrienationen relativ selten geworden, dass Tiere tödliche Krankheiten auf den Menschen übertragen. Doch nehmen diese Fälle wieder zu – parallel zur wachsenden weltweiten Verflechtung von Handel, Tourismus und Migration.

PREKÄRES GLEICHGEWICHT
Ob sie eine Gefahr für die Ernte, die einheimische Fauna oder die menschliche Gesundheit darstellen: Wie vor dem Hintergrund eines zunehmend rationalisierten Zugriffs auf die Natur mit unerwünschten Tieren umzugehen sei, sorgte bei Wissenschaftlern, Politikern und seit Beginn des 20. Jahrhunderts auch bei den Herstellern von chemischen Bekämpfungsmitteln und deren Gegnern für eine intensive Auseinandersetzung.1 Die erste grosse Herausforderung, mit der sich insbesondere die ab den 1860er- Jahren in verschiedenen Kantonen gegründeten landwirtschaftlichen Versuchsanstalten beschäftigten, war die aus Nordamerika eigeschleppte Reblaus (Phylloxera), die in der Schweiz erstmals im Jahr 1874 auftauchte. Der Umgang mit ihr war auch in Riehen ein Thema, ihre Bekämpfung blieb aber weitgehend den einzelnen Reben-Besitzern und Pächtern überlassen. Resoluter gingen die Behörden gegen Maikäfer, Wühlmäuse, Amseln, Stare und Spatzen vor. Neozoen, zu denen die Reblaus gehört, fordern Behörden und Wissenschaftler auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene bis heute heraus. Zu diesen ‹neuen Tieren› gehören alle Arten, die sich seit der Entdeckung Amerikas (1492) in anderen Kontinenten ausbreiten, ob sie nun absichtlich eingeführt wurden oder unbemerkt einreisten, also auch die Reblaus oder der berüchtigte Kartoffel- oder Koloradokäfer. Die meisten Neozoen fügen sich allerdings problemlos in ihre neue Umgebung ein. Nur eine Art auf tausend ist invasiv und breitet sich aufgrund fehlender Feinde und Konkurrenz explosionsartig aus.

‹HOTSPOT› FÜR SIGNALKREBSE
«Riehen ist ein Hotspot» sagt Hans-Peter Jermann, während er an einem warmen Sommermorgen im Juli dieses Jahres dem Riehener Teich entlang schreitet und die Reusen prüft. Rund vierzig mit Ködern bestückte Spezialreusen werden hier, im Reservat Eisweiher, im Autal und im Weiher des Wenkenhofs ausgelegt und von April bis Ende September regelmässig geleert. Bis zu 2500 Signal- und Galizierkrebse, vereinzelt auch Kamberkrebse, werden jedes Jahr gefangen. Jermann fängt diese Krebse nicht, weil sich daraus schmackhafte Gerichte zubereiten lassen oder weil er als langjähriger Fischer eine grosse Leidenschaft für alles hegt, was im Wasser lebt. Beides stimmt zwar auch, doch hier ist er als kantonaler Fischereiaufseher unterwegs und muss sicherstellen, dass die Gewässer in Basel- Stadt möglichst gute Lebensbedingungen für die darin heimischen Arten bieten. Die oben genannten Krebsarten wurden einst aus Amerika eingeführt und in den hiesigen Gewässern ausgesetzt. Denn mit der intensiven Nutzung, Begradigung, Eindohlung und Verschmutzung von Bächen und Flüssen waren die einheimischen Arten Edelkrebs, Dohlenkrebs und Steinkrebs sehr zurückgegangen. Dass diese streng genommen auch nicht einheimisch sind, sondern im Mittelalter eingeführt wurden, um den Speiseplan der Mönche zu bereichern, wäre eine andere Geschichte. Jedenfalls sind sie länger hier heimisch als die aus Übersee eingeführten Arten. Die Krebse aus Amerika brachten zwar die gewünschten robusteren Eigenschaften mit und vermehrten sich rasch. Es stellte sich aber heraus, dass sie mit der sogenannten ‹Krebspest› eine Algenpilzkrankheit auf die einheimischen Krebse übertragen, die für diese meist tödlich endet, während sie den Überträgern selbst nichts ausmacht. Wie dramatisch schnell dies gehen kann, zeigte sich im Jahr 2013, als Signalkrebse in die Lützel vordrangen und die von ihnen verbreitete Krebspest alle dort ansässigen Dohlenkrebse in Kürze vernichtete. Eine der landesweit wichtigsten Populationen war damit ausgelöscht. Die unerwünschten Krebsarten flächendeckend zu eliminieren, hat sich als illusorisch erwiesen. «Unser nächstes Ziel ist es, ausgewählte Gewässer von den Signal-, Galizierund Kamberkrebsen zu befreien, sie mittels geeigneter Sperren abzuriegeln, um dann in einer geschützten Umgebung wieder einheimische Krebse aussetzen zu können», erklärt Jermann. Bevor entsprechende Versuche gestartet werden können, muss das Verhalten der Krebse besser erforscht sein. Das Amt für Umwelt und Energie arbeitet diesbezüglich eng mit der Koordinationsstelle Flusskrebse Schweiz zusammen.

TIERLIEBE AUF ABWEGEN
Ein anderes Sorgenkind des Fischereiaufsehers sind die Goldfische und Kojkarpfen, die von Privatpersonen in öffentlichen Gewässern ausgesetzt werden, wenn sich die Tiere im privaten Aquarium oder Teich unerwartet rasch vermehrten. «Kaum jemand kommt in diesem Fall auf die Idee oder bringt es übers Herz, die überzähligen Fische eigenhändig zu töten», sagt Jermann. Das ist zwar nachvollziehbar. Doch der Gedanke, die Tiere lieber «in die Freiheit zu entlassen», ist trügerisch, naiv und kann aus ökologischer Sicht katastrophale Folgen haben. Denn ausgesetzte Goldfische und Kojkarpfen können zunichte machen, was in Naturreservaten in jahrelanger Kleinarbeit aufgebaut wurde. Auch ihre Jungen sind äusserst gefrässig und machen sich insbesondere über den Laich der Amphibien her. Herausfischen lassen sie sich in einem von Seerosen und Wasserpflanzen dicht durchwachsenen Gewässer wie etwa dem Amphibienweiher im Autal nicht. Der ganze Weiher muss abgesenkt und trockengelegt werden. Solche Aktionen sind aber enorm aufwändig. Immerhin steht inzwischen trotz strenger Bestimmungen der Ortsbildkommission neben dem Weiher ein Schild, das den Spaziergängern die ökologischen Zusammenhänge und das Gesetz vor Augen führt: «Das Aussetzen von Tieren jeglicher Art ist gemäss Art. 26 Tierschutzgesetz und Art. 16 Fischereigesetz verboten und strafbar!» Die beständige Öffentlichkeitsarbeit zeigt langsam Wirkung, nicht zuletzt während der Arbeit im öffentlichen Raum. Oft werden Jermann und die Zivildienstleistenden des Amts von Spaziergängerinnen und Passanten angesprochen und nutzen diese Gelegenheit, über ökologische Zusammenhänge aufzuklären. Ein wichtiges Anliegen können sie nicht oft genug betonen: Es gibt nicht nur das Gesetz, das das Aussetzen jeglicher Tierarten verbietet; es gibt auch Hilfestellungen, unerwünschte Haustiere loszuwerden. Handelt es sich um Fische oder Krebse, genügt ein Telefon an den Fischereiaufseher, der sich um die ‹fachgerechte Entsorgung› kümmert.

BEDROHTE ERNTEN
Während die von Signalkrebsen und Goldfischen ausgehenden Schäden für die einheimische Fauna nicht auf den ersten Blick erkennbar sind, kennt jeder Landwirt und jede Hobbygärtnerin sogenannte Schadbilder, die durch Mäuse, Läuse, Fliegen und andere Tiere entstanden sind. Jüngstes Beispiel: die Kirschessigfliege (Drosophila suzukii).2 Da sie einen sehr kurzen Generationenzyklus hat und die Früchte erst unmittelbar vor der Ernte befällt, ist es fast unmöglich, sie mit Insektiziden zu bekämpfen. Die Ausfälle bei der Obsternte können für betroffene Bauern und Winzer dramatisch sein. Anders als gegen Hagel oder Frost können sie sich dagegen nicht versichern. Doch immerhin entstehen dadurch noch keine Ernährungskrisen. Ganz anders ist dies bis heute in vielen Ländern des Südens, wenn sie von Heuschreckenschwärmen heimgesucht werden. Ein einziger Schwarm verbraucht Tonnen von Nahrung; Millionen von Menschen können von heute auf morgen ihre Existenzgrundlage verlieren. Eine zentrale Heuschreckeninformationsstelle der Welternährungsorganisation FAO versucht deshalb Prognosen über die Wahrscheinlichkeit von Schwarmbildungen zu erstellen, damit gefährdete Gebiete möglichst früh Gegenmassnahmen ergreifen können.3 Schwere Heuschreckenplagen sind auch in den europäischen Chroniken des Mittelalters dokumentiert. Da genaue Kenntnisse über die Lebensgewohnheiten und Fortpflanzungszyklen der Tiere fehlten, erklärten sich die Menschen ein gehäuftes Auftreten in bestimmten Jahren mit dem Wirken teuflischer Mächte. Zur Abwehr veranstalteten sie Prozessionen oder läuteten die Kirchenglocken. In Bern wurden Engerlinge und Maikäfer im 15. Jahrhundert für ihr verwerfliches Tun vor ein kanonisches Gericht auf dem Kirchhof gebracht.4

VON MÄUSEN UND MENSCHEN
Zu den hartnäckigsten Schädlingen in der Landwirtschaft, in privaten Gärten und auf Pflanzplätzen gehören seit Jahrhunderten die Feldmäuse (Microtus arvalis) sowie die Wühl- oder Schermäuse (Arvicola terrestris). Sie schwächen nicht nur junge Pflanzen, sondern können bei massenhaftem Auftreten auch Obstbäume zum Absterben bringen. Bei den Wühlmäusen kommt hinzu, dass sie die Grasnarbe durch unermüdliches Wühlen und Aufschütten von Erdhaufen schädigen. Nicht zu verwechseln sind sie mit dem Maulwurf, der sich von Insekten, Würmern und Engerlingen ernährt und sich vergleichsweise gemächlich fortpflanzt. Bei Mäusen kann es hingegen zu Massenvermehrung kommen, was schwerwiegende Schäden an Kulturpflanzen zur Folge hat. Dies war bereits in früheren Jahrhunderten der Fall, obwohl es um die Lebensräume ihrer natürlichen Feinde wie Wiesel, Fuchs, Dachs, Eulen und Greifvögel noch besser stand als heute. Seit dem 17. Jahrhundert sind für die Schweiz Feldmauser belegt, die im Auftrag von Korporationen und Gemeinden die Mäuse auf einem bestimmten Gebiet zu fangen hatten. Bezahlt wurden sie mit Steuergeldern oder flächenbezogenen Abgaben.5 Ausserdem kamen Katzen als wirkungsvolle biologische Schädlingsbekämpfung zum Einsatz. Auch in Riehen waren im Auftrag der Gemeinde Mäusefänger unterwegs. Für das ausgehende 19. und frühe 20. Jahrhundert finden sich mehrere Verträge in den lokalen Akten.6 Diese verwenden zwar den Begriff «Maulwurffänger », es ist aber anzunehmen und zu hoffen, dass dieser auch oder vorwiegend Wühlmäuse fing. Der Vertrag hielt genau fest, wo der Fänger seine Fallen aufzustellen hatte: «auf sämtlichem Grasland, Kleeäcker inbegriffen», ausserdem «auf Ackerland und in eingefriedeten Gärten», wenn er dazu aufgefordert wurde.7 Im zweiten Fall mussten ihm die Eigentümer oder Pächter ein Fanggeld von 10 Rappen pro Stück bezahlen, der Jahreslohn der Gemeinde betrug 450 Franken. Ein im Jahr 1900 abgeschlossener Vertrag mit dem Maulwurffänger Heinrich Schmidt aus Schönau wurde bis 1910 jährlich verlängert und hielt einen Jahreslohn von 500 Franken fest. Darin verpflichtete sich Schmidt, das «Fangen und die Unschädlichmachung von Maulwürfen im Banne Riehen unter Beiziehung von mindestens einem fachverständigen Gehilfen gewissenhaft und richtig zu besorgen».8 Dass die Tätigkeit des Feldmausers eine wichtige saisonale Nebenbeschäftigung war, belegen die zahlreichen Bewerbungen aus der ganzen Schweiz und der badischen Nachbarschaft, die auf der Gemeindekanzlei Riehen jeweils auf eine ausgeschriebene Stelle eingingen. Neben ihren bisherigen Auftraggebern führten die Bewerber oft die Zahl der jährlich gefangenen Mäuse an.

MÄUSEVIRUS UND VERGIFTUNGSMASCHINE
Der wissenschaftliche Fortschritt brachte für die Schädlingsbekämpfung wichtige Neuerungen. Als man im Jahr 1906 vor allem in Riehen, aber auch im übrigen Kantonsgebiet eine schnelle Vermehrung von Feldmäusen feststellte, bat der Landwirtschaftliche Verein den Kanton um Unterstützung. Dieser erklärte sich bereit, ein neu entwickeltes «Vertilgungsmittel» zu bezahlen, ein sogenanntes Mäusevirus. Ein Angestellter des Seruminstituts in Bern reiste beim Transport mit, um sicherzustellen, dass «die Sache richtig gemacht wurde». Der Gemeinderat hatte dafür zu sorgen, dass genügend Hilfskräfte bereitstanden, denn das Virus musste möglichst frisch zu den Mäusen gelangen. Ausserdem liess er die Köder vorbereiten. Dafür erhielt er genaue Anweisungen aus Bern: «Sorgen Sie gefl. dafür, dass etwa 120 kg. Modelbrot in nussgrosse Würfel zerschnitten und vorgetrocknet wird, denn das Brot muss möglichst trocken sein, damit es viel von der giftigen Flüssigkeit aufsaugen kann. Das Verlegen auf den Feldern sollte gegen Abend ausgeführt werden können, denn das Sonnenlicht zerstört innert kürzester Zeit das Präparat.»9 Das Erziehungsdepartement hatte im Vorfeld das Gesuch des Gemeinderats gutgeheissen, «in den nächsten Tagen 30 Sekundarschüler verwenden zu dürfen», stellte aber die Bedingung, dass kein Zwang ausgeübt werde. Wenn die Eltern nicht in die Aktion einwilligten, mussten die Knaben den Unterricht besuchen. Sie durften maximal drei Tage der Schule fernbleiben, die Lehrer mussten sie «bei Ausführung der zur Vergiftung der Mäuse nötigen Manipulationen » zur Vorsicht mahnen und der Gemeinderat hatte «für gute Überwachung der jungen Leute» zu sorgen. Für allfällige unangenehme Folgen lehnte die Schule jede Verantwortung ab.10 Das Schweizerische Seruminstitut beschwichtigte den Gemeinderat, dass das Mäusevirus nur für Nagetiere gefährlich sei, verlangte aber, dass die Schüler «von dem giftgetränkten Brot nicht essen und sich die Hände nach getaner Arbeit mit lauwarmem Wasser und Seife gründlich reinigen».11 Obwohl es nicht an Knaben mangelte, die sich für eine Prämie von 80 Rappen am Kampf gegen die Feldmäuse beteiligten, und die Aktion generalstabsmässig geplant war, blieb der durchschlagende Erfolg aus und es blieb bei einem einmaligen Versuch. In den 1980er-Jahren rückte man den Mäusen mit einem Vergiftungsapparat zu Leibe, erinnert sich Willi Fischer als ehemaliger Verwalter des Landpfrundhauses. Die Bauern konnten dieses Gerät bei der Landwirtschaftlichen Genossenschaft ausleihen. Das durch einen Verbrennungsmotor erzeugte Kohlenmonoxid wurde in die Gänge der Mäuse geleitet und diese verendeten daran.12 Bis heute steht auf dem Hof seines Bruders Markus Fischer ein solches Gerät. Zum Glück blieben seine Obstbäume aber bisher von Mäusen verschont. Im Rahmen einer Weiterbildung für Obstbauern waren Mäuse aber durchaus ein Thema. Den Teilnehmern wurde theoretisches Wissen über verschiedene Mausarten vermittelt und sie übten sich im effizienten Fangen von Mäusen. Markus Fischer freut sich seither augenzwinkernd über sein «Diplom als Mäusejäger» des Landwirtschaftlichen Zentrums für Obstbau Liebegg. Während der Riehener Landwirt Markus Fischer seine Fähigkeiten als Mauser glücklicherweise in seinem Betrieb kaum braucht, haben betroffene Bauern, Stadtgärtnereien und sogar der Flughafen Zürich-Kloten die Vorteile des alten Handwerks wiederentdeckt. Wenn sie selber keine Fallen stellen möchten, können sie die professionelle Feldmauserin Kathrin Hirsbrunner beauftragen. Die ausgebildete Bildhauerin hat sich ihren Zweitberuf autodidaktisch angeeignet, nachdem sie vom Tod des letzten Feldmausers in der Schweiz erfahren hatte. Mit zunehmendem Erfolg stieg ihr Umsatz, bis sie ab 2006 von ihrer Arbeit leben konnte. Ohne Einsatz von Gift hat sie in den vergangenen zwölf Jahren rund 100 000 Mäuse erlegt, auf Wiesen bis zu 200 Mäuse, in Obstgärten bis zu 50 Mäuse pro Tag.13

MAIKÄFER IM KRIEG
Auch die Maikäfer gehören zu den Schädlingen, die in bestimmten Jahreszyklen grosse Schäden an Kulturpflanzen verursachten. Das Schütteln der befallenen Bäume und Einsammeln der Käfer ist als Bekämpfungsmethode seit der Frühen Neuzeit überliefert. Ab 1870 koordinierten einzelne Kantone der Deutschschweiz ihre Massnahmen und erliessen gesetzliche Regelungen zum Einsammeln der Käfer.14 Die Ernährungskrise des Ersten Weltkriegs machte die Maikäfer zur Bundesangelegenheit. Sie mussten im Rahmen der kriegswirtschaftlichen Massnahmen an eine zentrale Stelle gebracht werden, wo sie zu Viehfutter verarbeitet wurden. Nach Kriegsende verzichtete man aus hygienischen Gründen auf eine zentrale Verwertung.15 Das Bewusstsein für den hohen Nährwert der Käfer blieb aber erhalten. So empfahl das Eidgenössische Ernährungsamt, die Käfer zu trocknen und sie dem Futter für Schweine, Geflügel und Fische beizumischen. Die Aufrufe an «sämtliche Landeigentümer, Gartenbesitzer und Pächter», sich am Kampf gegen die Maikäfer zu beteiligen, sind auch in der Riehener Zeitung regelmässig zu finden. Dies geschehe am besten durch Abschütteln und Übergiessen mit kochendem Wasser. Die Käfer konnten in einem Schopf beim Gemeindehaus abgeliefert werden. Ein Liter Maikäfer wurde im Jahr 1923 mit 15 Rappen vergütet.16 Interessanterweise brauchte es in der Schweiz eine handfeste Ernährungskrise, bis die Maikäfer als Proteinlieferanten angemessen gewürdigt wurden. In manchen Regionen Frankreichs und Deutschlands hingegen wurden sie nicht nur den Tieren verfüttert, sondern auch roh gegessen oder als kandierte Leckereien in Konditoreien angeboten. Das 1844 in Leipzig gedruckte Magazin für Staatsarzneikunde empfahl eine Bouillon mit gerösteten und im Mörser zerstossenen Maikäfern als «vortreffliches und kräftiges Nahrungsmittel ». In jüngster Zeit werden viele Hoffnungen auf Insekten gesetzt, um den Proteinhunger einer rasch wachsenden Weltbevölkerung zu stillen. Dies lässt die Maikäferplagen – sie kommen bis heute vereinzelt vor, wie dieses Jahr im bündnerischen Valzeina – in einem anderen Licht erscheinen.

CHEMISCHE WAFFEN
In der Zwischenkriegszeit entstand in der Schweiz eine spezialisierte Pestizidindustrie, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihren Produkten zur weltweiten Marktführerin aufstieg. Der Einsatz von chemischen Stoffen zur Schädlingsbekämpfung reicht aber weiter zurück. Bereits im 17. Jahrhundert wurde Saatgut mit Arsen gebeizt, ab Mitte des 18. Jahrhunderts wurden Kupfervitriol und Quecksilber verwendet. Bis 1940 kamen lediglich anorganische und teilweise hochgiftige Substanzen zum Einsatz.17Als sich die Versuchsanstalten Wädenswil und Lausanne in den 1920er-Jahren für eine Liberalisierung von Arsenpräparaten einsetzten, entbrannte erstmals eine Debatte über die unerwünschten Wirkungen von giftigen Pflanzenschutzmitteln auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit.18 Schliesslich setzten sich Entomologen, landwirtschaftliche Interessensverbände und die chemische Industrie gegen den Widerstand von Medizinern und Vogelschützern durch. Die vom Bund im Ersten Weltkrieg eingeführte Bewilligungspflicht für Pflanzenschutzmittel wurde wieder aufgehoben. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln noch stärker geregelt als im Ersten, weil die Rohstoffe knapp waren. Kupfer und Schwefel beispielsweise, die in vielen Produkten enthalten waren, wurden streng rationiert. In Riehen schränkte dies auch den bewährten Umgang mit den Stechmücken ein. In einem Leserbrief in der ‹Riehener Zeitung› vom 17. September 1943 wurde gefragt, wo denn die «Fürsorge unserer Gemeindeverwaltung gegen die Schnakenplage» bleibe. Die Antwort war, dass man bisher «mit sehr gutem Erfolg» Petrol und Petrolpräparate verwendet habe. Diese könnten aber seit Kriegsbeginn nicht mehr bestellt werden.

ABGRÜNDIGE VERSPRECHEN
Mit Sandoz und Geigy hatten sich in der Zwischenkriegszeit zwei grosse Unternehmen der chemischen Industrie auf dem Gebiet des Pflanzenschutzes dauerhaft etabliert. Während dem Zweiten Weltkrieg boomte das Geschäft mit den Pestiziden, Produktion und Vertrieb wurden in die kriegswirtschaftlichen Ziele zur Steigerung der Nahrungsmittelproduktion integriert.19 Mitten im Zweiten Weltkrieg hatte der Chemiker Paul Hermann Müller in einem Labor der Firma Geigy die insektentötende Wirkung der synthetischen Verbindung Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) entdeckt. Wegen der Erfolge, die damit im Kampf gegen die Überträger von Malaria und Fleckfieber erzielt wurden, erhielt Müller 1948 als erster Nichtmediziner den Nobelpreis für Medizin. Dank den Pflanzenschutzmitteln auf der Basis von DDT konnte sich die Firma Geigy während des Zweiten Weltkriegs international profilieren. 1942 brachte sie das DDTPräparat Gesarol auf den Markt und betonte dabei dessen grosse Bedeutung für die europäische Lebensmittelversorgung. Von den angepriesenen Eigenschaften «ungiftig, anhaltend, geruchlos» erwies sich insbesondere die erste schon bald als Lüge. Seit 1941 war dem Unternehmen und den Eidgenössischen Versuchsanstalten durch Tierversuche bekannt, dass DDT nicht nur für Insekten, sondern auch für Warmblüter giftig war.20 Noch bevor 1962 das Buch ‹Silent Spring› erschien, in dem die amerikanische Biologin Rachel Carlson die fatalen Langzeitfolgen von DDT schilderte und damit eine weltweite Debatte auslöste, wurden die Schattenseiten des Produkts offensichtlich. Schon 1945 gingen bei Geigy erstmals Reklamationen über eine ungenügende Wirkung der Spritzmittel ein. Bei den besprühten Insekten hatten sich Resistenzen gebildet. Auch die Expansion auf ausländische Märkte gelang nicht wie erwartet.21 Vor diesem Hintergrund wurden in den 1950er-Jahren grosse Flächen von Wäldern und Waldrändern mit Pestiziden besprüht, mit dem erklärten Ziel, die Maikäfer vollständig zu vernichten. Einen ersten Grossversuch führte die Firma Geigy 1948 in der Westschweiz durch. 1,8 Tonnen Gesarol wurden aus der Luft auf über 48 Hektaren Waldrand abgeworfen. Die Firma Maag führte eine ähnliche Aktion mit Hexachlorcyclohexan (HCH) durch. 1950 war die Region Basel an der Reihe. Geigy und Maag hatten sich das Gebiet in DDT- und HCH-Sektionen aufgeteilt.22 Die Aktion, die unter anderem das Trinkwasser in den Langen Erlen verschmutzt hatte, wurde zwar von einem Grossteil der Bevölkerung hingenommen, provozierte aber auch heftige Gegenreaktionen. Nicht nur Imker und Naturschützerinnen meldeten sich mit Schadenersatzforderungen und Leserbriefen zu Wort. Es kam auch zu Vorstössen im Parlament und die wenigen Entomologen, die nicht mit der chemischen Industrie zusammenarbeiteten, wiesen auf die Gefahren hin. Ein für das Jahr 1956 geplanter zweiter Grosseinsatz in der Nordwestschweiz wurde nicht mehr durchgeführt. Im Vorfeld hatte es Proteste gegeben. Auch bei der ‹Riehener Zeitung› hagelte es Leserbriefe. Bereits vor dem ersten Einsatz seien Bedenken geäussert worden, die jedoch nirgendwo Gehör gefunden hätten, ist im Leserbrief von Ph. Schmidt in der Ausgabe vom 13. April 1956 zu lesen. Die vom Wasserwerk nachgewiesene Verunreinigung des Trinkwassers sei bestritten worden, eine amtliche Auswertung des Erfolgs der Käferbekämpfung sei versprochen, aber nie vorgelegt worden. Dann zitiert der Leserbriefschreiber drastische Beispiele der Folgen der Vergiftungsaktion 1954 im Thurgau: Wenige Tage, nachdem ein Waldweiher bespritzt worden war, sei dessen Wasseroberfläche bedeckt gewesen mit den aufgetriebenen Leichen von Fischen, Fröschen und Molchen. Wie sein Thurgauer Gewährsmann Dr. P. Keller berichte, seien in einem Bach tote Barsche, Alete und Hechte gefunden worden. Auch auf verendete junge Dachse, Hasen und Singvögel sei man im Wald gestossen. Es sei fahrlässig, durch die Aktion auch gesetzlich geschützte Tiere zu vernichten, schrieb Herr Schmidt in seinem langen Leserbrief, und verlangte eine amtliche Abklärung. Ein letzter Gifteinsatz gegen die Maikäfer, den der Kanton Bern ausdrücklich verlangt hatte, fand 1957 statt. Ab den 1970er-Jahren wurde DDT als Pflanzenschutzmittel in den meisten westlichen Industrienationen verboten.

POSITIONEN UND PERSPEKTIVEN
Von den Signalkrebsen über die Mäuse bis zu den Schnaken und Läusen zeigt sich, dass der Umgang mit unerwünschten Tieren voller Fallstricke ist. Sie wurden schon in biblischen Zeiten als Plage empfunden und sind es für viele Menschen bis heute, wenn auch in unterschiedlichem Mass. Im Dienst einer auf Produktions- und Effizienzsteigerung ausgerichteten Landwirtschaft wurden ab Mitte des 20. Jahrhunderts Pestizide in grossen Mengen eingesetzt. Deren Hersteller versprachen eine dauerhafte Ausrottung der unerwünschten ‹Schädlinge›. Die bekämpften Tiere zeigten aber bald Resistenzen, der Einsatz der Pestizide führte zu unerwünschten Nebenwirkungen. Unerwartet waren diese allerdings nicht. Schon sehr früh hatten Wissenschaftlerinnen, Vogelkundler, Naturfreundinnen und sogar kirchliche Kreise davor gewarnt: Ein einseitiger Glaube an den technisch-wissenschaftlichen Fortschritt schade letztlich dem Menschen selbst, weil dabei wichtige Zusammenhänge aus dem Blick gerieten, von denen er selber abhängig sei. Je nach Perspektive wurden diese als Geheimnis der Schöpfung oder als ökologisches Gleichgewicht bezeichnet und später mit Fokus auf die Schadstoffanreicherung in der Nahrungskette wissenschaftlich erforscht. Rund 70 Jahre nach dem ‹Maikäferkrieg› dominiert in der Region Basel zum Glück ein anderer Umgang mit der Natur und ihren Tieren. Zumindest, was die Natur vor der eigenen Haustür betrifft. In den Ländern des Südens werden trotz wachsender weltweiter Proteste immer noch Pestizide wie beispielsweise Paraquat eingesetzt, die in Europa längst verboten sind. Besonders in der Kritik steht dabei die im vergangenen Jahr vom chinesischen Staatskonzern ChemChina übernommene Firma Syngenta mit Hauptsitz in Basel.

1 Lukas Straumann: Nützliche Schädlinge.
Angewandte Entomologie, chemische Industrie
und Landwirtschaftspolitik in der Schweiz
1874–1952, Zürich 2005, S. 51–115.

2 Vgl. den Beitrag ‹Faszinierende Welt der
Insekten› von Brigitte Braschler in diesem Buch.

3 Vgl. www.spektrum.de/news/eine-biblischeplage-
verbreitet-immer-noch-schrecken/1281461,
Zugriff: 25.08.2018.

4 Vgl. Martin Illi: Schädlinge, in: Historisches
Lexikon der Schweiz, www.hls-dhs-dss.ch/
textes/d/D7786.php, Zugriff: 02.09.2018.

5 Vgl. ebd.

6 Vgl. StABS, Gemeindearchiv Riehen, Q10,
Maulwurf- und Feldmäusefang, Schna(c)
kenbekämpfung, Blutlaus, Maikäfer u. dgl.
1892–1929.

7 Vertrag betreffend den Maulwurffang zwischen
der Einwohnergemeinde Riehen, vertreten
durch den Gemeinderat, und Ludwig
Strittmatter von Grossherrischwand,
Grossherzogtum Baden, Riehen, 1892, in:
StaBS, Gemeindearchiv Riehen, Q10.

8 Anstellungsvertrag betreffend den Maulwurffang
in der Gemeinde Riehen zwischen
dem Gemeinderat und dem Maulwurffänger
Heinrich Schmidt von Schönau, Riehen,
1900, in: ebd.

9 Schweiz. Seruminstitut an den Gemeinderat
Riehen, 19. März 1906, in: ebd.

10 Erziehungsdepartement Basel-Stadt an den
Gemeinderat Riehen, 19. März 1906, in: ebd.

11 Schweiz. Seruminstitut an den Gemeinderat
Riehen, 19. März 1906, in: ebd.

12 Gespräch mit Willi Fischer am 08.08.2018.

13 Vgl. NZZ, 19.06.2010; Gespräch mit Kathrin
Hirsbrunner am 02.09.2018.

14 Vgl. Straumann, Schädlinge, S. 288.

15 Vgl. Kreisschreiben des Eidg. Ernährungsamtes
an die Kantonsregierungen betreffend die
Bekämpfung der Maikäfer vom 25. März 1919.

16 Vgl. Riehener Zeitung, 25.04.1923.

17 Vgl. Illi, Schädlinge.

18 Vgl. Straumann, Schädlinge, S. 181.

19 Vgl. Straumann, Schädlinge, S. 185.

20 Vgl. Christian Simon: DDT. Kulturgeschichte
einer chemischen Verbindung, Basel 1999, S. 173.

21 Vgl. Straumann, Schädlinge, S. 308.

22 Vgl. Simon, DDT, S. 174.

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