Unser Wald ist krank

Kaspar Gut

Immer zahlreicher werden die Meldungen über das Waldsterben, über Schäden und Krankheiten der Waldbäume. Die Erkenntnis, dass diese bedrohliche Entwicklung nicht nur ferne Gegenden, sondern auch unser Land betrifft, dringt immer mehr ins Bewusstsein der Bevölkerung ein, und so drängt sich die Frage auf: «Ist denn auch unser Wald krank?» Der Riehener Gemeindeförster Kaspar Gut, der sich bereits seit 1975 intensiv mit dem Problem der Waldschäden beschäftigt, stellt im folgenden seine Beobachtungen und Überlegungen zu dieser bedrohlichen Entivicklung dar. Zwar kennt er ebensowenig wie die Fachleute in aller Welt die genauen Ursachen der Walderkrankung, noch kann er Rezepte geben, wie dem übel Einhalt zu gebieten wäre. Seine Beobachtungen am Riehener Wald und seine Schlussfolgerungen sind aber für jeden, dem das Gedeihen des Waldes am Herzen liegt, von grossem Interesse.

Die Redaktion

Bevor ich mich dem aktuellen Thema der Walderkrankung zuwende, möchte ich einige allgemeine Fragen beantworten: Ist Waldpflege im Erholungswald notwendig? War die Waldregulierung nötig?

Die Frage, ob Waldpflege notwendig sei, kann mit wenigen Sätzen beantwortet werden. Die Walderhaltung verlangt eine nachhaltige Pflege unserer einheimischen Bäume. Als Beispiel dienen die Eigenschaften der Eiche und der Buche. Die Eiche, ein Baum mit grossem Lichtanspruch und einem hohen Alter, braucht möglichst freien Kronenraum in ihrem normalen Wachstum. Die Buche hingegen als Hauptbaum in unserem Wald kann auf volle Lichteinstrahlung gut verzichten und ist auch neben schattenspendenden Baumarten, also noch im Nebenstand, vital und wachstumsfähig. Aus diesen Feststellungen ist abzuleiten,

dass im Schatten des Altholzes keine Eichenverjüngung möglich ist. Im Gegensatz dazu ist die Verjüngung der Buche im Schatten anderer Baumarten erwünscht. Aber auch hier darf eine Pflege im Wachstum nicht ausbleiben.

Art und Häufigkeit der Pflegeeingriffe sind weitgehend durch das Höhenwachstum und die Mannigfaltigkeit verschiedener Baumarten bedingt. In Mischbeständen, dort also, wo eine Vielfalt der Baumarten gewährleistet sein soll, drängen sich schwierigere, aber sehr notwendige Pflegemassnahmen (Durchforstungsregeln) auf. Diese waldbaulichen Pflegemassnahmen sind auch im Erholungswald notwendig, wenn der Laubmischwald nicht durch natürliche Ausregelung zur Monokultur heranwachsen soll. Da der Wald ein Generationen-Lebensraum ist, braucht der Forstmann genügend Geduld und Einfühlungsvermögen in die waldbaulichen Grundregeln.

Diese Überlegungen führten schon anfangs der 70er Jahre zum Gedanken an eine Waldregulierung. Bei einer überdurchschnittlichen Parzellierung in kleine und kleinste Parzellen, wie sie im Riehener und Bettinger Wald vorlag, ist eine walderhaltende Pflege unmöglich. Am 4. April 1974 hat der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt eine 18köpfige Kommission eingesetzt, welche die Frage prüfen sollte, ob eine Waldregulierung mit neuen Waldwegen notwendig oder aber ein Luxus sei. Auf Grund der Beratungen kam die Kommission zum Schluss, dass einer Waldregulierung im Banne Riehen und Bettingen mit erheblichen Kürzungen im Wegnetzausbau zugestimmt werden könne. So bewilligte der Grosse Rat zum Kostenvoranschlag, der 1 Mio. Franken betrug, einen Kredit von Fr. 500000.—. Eine Auflage wurde in das dem Referendum unterliegende Begehren aufgenommen, dass im Zuge der Waldregulierung ein Waldreservat vorzusehen sei. Diesem Wunsch wurde entsprochen. Die Bürgergemeinde Riehen hat in Verhandlungen mit dem Basler Naturschutz einem Reservat am Horngraben zugestimmt und einen entsprechenden Vertrag ausgearbeitet. Nach rund vierjähriger Arbeit konnte die Waldzusammenlegung Riehen/Bettingen auf den 1. Januar 1982 abgeschlossen werden.

Zum Thema «kranker Wald» möchte ich ein ganz persönliches Wort über unseren Wald schreiben. Es geht mir nicht um Aussagen, die gemacht werden im Hinblick auf kranke Wälder irgendwo, nein, ich spreche für den Wald von Riehen und Bettingen. Meine Beobachtungen gehen in die Jahre 1975/76 zurück. Da sind die ersten Buchen in unserem Wald an der Buchen-Rindennekrose erkrankt. Folgende Merkmale waren dabei zu erkennen: irgendwo am Stamm trat ein schwarzer Schleimfluss aus. Es war am einfachsten, das negative Merkmal zu erkennen, wenn es am Stammfuss oder zumindest am Stamm bis in Sichthöhe auftrat. Parallel zum Austreten des Schleimflusses waren die Stämme mit Läusen belegt. Das hatte zur Folge, dass die geschwächten Stämme einer baldigen Zwangsnutzung zugeführt werden mussten. Man war natürlich nicht begeistert, dass das Schadbild zugenommen hatte. So erteilte mir im Januar 1977 der Waldchef der Bürgergemeinde Riehen, Albert Abt, den Auftrag, an die eidgenössische Anstalt für das forstliche Versuchswesen in Birmensdorf ein erkranktes Holzstück einzusenden, mit der Bitte, Krankheitssymptome und deren mögliche Bekämpfung festzustellen. Am 19. Januar 1977 kam folgender Bericht: es handelt sich um das Buchenrindensterben und eine vermutlich mit dieser Krankheit zusammenhängende Schwächung des Baumes und um Wundpilzbefall. Die Ursachen dieser Krankheit sind noch nicht oder nur teilweise bekannt. Es bestehen darüber verschiedene, kontroverse Meinungen. Um grössere Schäden am Baumbestand zu vermeiden, ist das Fällen von befallenen Bäumen baldmöglichst vorzunehmen. Diesem Aufruf ist der Förster in unseren Waldungen gefolgt und hat sich rechtzeitig den kranken Bäumen zugewendet und sie der Zwangsnutzung übergeben, um hohe Holzverluste möglichst zu vermeiden. Dies wird ein Grund dafür sein, dass der Allgemeinheit nur wenige Merkmale der Walderkrankung aufgefallen sind.

Im Laufe der letzten Jahre, während man nach Ursachen der Krankheit forschte, haben Presse, Fernsehen und Radio vom «sauren Regen» gesprochen. Man hat sich aber doch etwas beruhigen können, weil es nur die andern angegangen ist. Unser Wald ist doch nicht von einer Krankheit befallen oder gar gefährdet?

Doch leider schritt die Krankheit weiter fort, und so liess der Gemeinderat in den Jahren 1981/82 durch das Institut für Phytomedizin der ETH Zürich eine Expertise ausarbeiten. Der Expertenbericht, welcher am 4. November 1982 vorgelegt wurde, führte unter anderem aus: «Die weiteren überwachungen der Buchen, im speziellen durch K. Gut, erweckten den Eindruck, dass die Verminderung der Vitalität der Buche nicht allein auf die Erreger der Rindennekrose zurückzuführen ist. Mehrere Beispiele zeigen deutliche, nicht zur Rindennekrose gehörende Merkmale, die vermutlich abiotischen Ursprungs sind: Tote, stammumfassende Rindenpartien - spätes Austreiben der Knospen im Frühjahr und frühe Herbstverfärbung Anfang August schüttere Kronenpartien durch fehlende Feinbeastung bei Einzelbäumen kurz nach der Blattentwicklung sektorenweise Verfärbung der Blätter (Chlorose). Neben diesen Anzeichen eines teilweise bis vollständig gestörten Organismus waren die Symptome der Buchen-Rindennekrose von Begehung zu Begehung immer häufiger zu sehen... Die Häufigkeit nahm innerhalb von anderthalb Jahren besorgniserregend zu.» Gleichzeitig weist der Bericht auch auf erste Krankheitszeichen an Eschen und Lärchen hin.

Im Jahre 1983 entwickelten sich die Waldschäden in verheerendem Ausmass weiter. Die folgenden Ausführungen sind eine Bestandesaufnahme und zugleich eine Standortbestimmung mit den letzten Angaben vom 15. August 1983.

Seit Beginn der Vegetation für das Jahr 19 8 3 sind an einigen Baumarten, die bereits letztes Jahr schwache Merkmale aufwiesen, beunruhigende Zeichen zu beobachten. Beginnen wir beim Nadelholz, das für unseren Wald eine kleine Bedeutung hat, da der Flächenanteil an Nadelholz nur einige Prozente ausmacht. Auf unserm Bild sehen Sie eine Fichtenkrone, die bereits starke Krankheitssymptome in der Baumkrone aufweist. Die starke Reduktion der Nadeln bewirkt, dass der Baum an Zuwachs leidet und grosse Probleme hat mit der Atmung. Auch die Lärchen werden dieses Jahr, wie bereits im letzten Jahr, auf dem gesamten Waldgebiet genauestens beobachtet. Sie zeigen Krankheitssymptome, die Sie im Bild genau beobachten können. Auch hier ist ein langsames Abdorren von einzelnen Nadelsektoren festzustellen, was wiederum zur Folge hat, dass der Baum in seinem Wachstum gestört ist.

Seit Pfingsten 1983 sind an Eschen und Eichen veränderte Merkmale zu beobachten. Der Blattausbruch der Eschen war enorm verspätet und sehr unregelmässig. Dies bedurfte einer genaueren Abklärung. So haben wir im Mai an eini gen Orten Eschen, welche ihr Blattwerk sehr unregelmässig austrieben, gefällt. Dabei ist uns aufgefallen, dass der Baum vermutlich Schwierigkeiten bei der Wasserversorgung aufweist. Das zeigte sich, indem nach dem Fällen der Baumstrunk sehr trocken blieb, was eher einer Winterruhe entsprach. Auch längere Zeit nachdem der Baum gefällt war, hat sich keine Feuchtigkeit am Wurzelstock eingestellt. Im weiteren ist mir aufgefallen, dass das ganze Erwachen an den Eschen äusserst zögernd ist. Es scheint, dass den Bäumen zuwenig Wasser zugeführt wird, obwohl wir einen sehr nassen Frühling mit genügend Niederschlägen zu verzeichnen hatten. Auch die Jahrestemperatur im ersten Halbjahr ist nicht sehr weit von andern Jahren abgewichen, so dass nach einem eher lauen Winter nicht mit einer verspäteten Natur gerechnet werden musste.

Im weiteren ist auch an der Eiche eine veränderte Situation festzustellen. Statt dass der Baum austreibt, baut er eher ab, d. h. an den äussersten Zweigen war bereits im Mai ein unregelmässiges Abdorren der Zweige festzustellen. Einige Eichen sind schon am Eingehen.

Im Laufe des heissen Sommers 1983 hat sich die Situation noch dramatisch verschärft. Freilich kann man nicht sagen, die grosse Trockenheit von 1976 und 1983 hätten dem Wald den Todesstoss versetzt, denn die Kraut- und Strauchschicht war auch Mitte August noch grün, was darauf hinweist, dass der Baum aus den tiefern Regionen noch genügend Wasser ziehen könnte. Messungen vom 15. August von Dr. W. Flückiger haben ergeben, dass 30-50% der Bäume an Wassermangel leiden. Dies lässt darauf schliessen, dass das Wurzelwerk eindeutig Schäden aufweisen muss und dadurch das vorhandene Wasser, das im Boden gespeichert ist, nur mangelhaft aufnehmen kann. Ein Beispiel soll diesen Sachverhalt verdeutlichen: am Nollenbrunnen, oberhalb des Weihers, der noch genügend Wasser aufweist, stehen zwei grosse, schöne Buchen. Die eine weist alle Anzeichen der Buchen-Rindennekrose auf Schleimfluss, Befall von Läusen usw. Die andere zeigt am Stamm keinerlei Krankheitszeichen, aber von oben, von der Krone her beginnen die Blätter zu vergilben und zu verlichten, d.h. also, dass der Kreislauf des Baumes gestört ist - der Anfang vom Ende. Die Folgen dieser Wasserversorgungsschwierigkeiten sind im ganzen Wald zu finden: Buchen, Eschen und Eichen zeigen von oben her eine Auflichtung, sehr kurzes Längenwachstum, kleine Blätter und vorzeitige Gelbfärbung. Dies hat zur Folge, dass die geschwächten Bäume auch durch Pilze und Insekten weiter geschädigt werden können. Zudem werden die Blätter, nach den Untersuchungen von Dr. W. Flückiger, deutlich durch Ozon geschädigt.

Wie es zu diesen Schadbildern kommen kann, ist natürlich die grosse Frage. Ich erlaube mir aus meiner Sicht und auf Grund meiner Beobachtungen folgende überlegungen. Seit einiger Zeit stelle ich an Bäumen fest, dass dort, wo der Regenwasser-Abfluss am Stamm ist, eine optische Verschmutzung und ein tieferliegender pH-Wert zu verzeichnen ist. Messungen haben ergeben, dass im Bereich des Wasserabflusses im Boden ein pH-Wert von 3 bis 4 auftrat (zum Vergleich: eine Grapefruit weist einen pH-Wert von 3,3 auf), im Gegensatz zu pH-Werten von 6-7 auf der andern Seite des Stammes. Besonders grosse Bäume in nordwestlich exponierter Lage sammeln auf ihren Blättern grosse Mengen von Schadstoffen aus der Luft, welche mit dem Regenwasser dem Stamm entlang in den Boden geführt werden. Der Waldboden an diesen Stellen ist also sauer und weist eine veränderte Bodenstruktur auf. Wachstumstests, die ich im Frühjahr 1983 mit Kresse, Grassamen und mit Bohnen unter gleichen klimatischen Verhältnissen durchführte, haben ergeben, dass in solchem Boden sehr mangelndes oder gar kein Wachstum mehr auftritt.

Wenn ich so mit besorgten Augen in den Wald schaue, stelle ich an vielen Bäumen fest, dass der Baum an einer Trockenheit in der Baumkrone leidet und daher keinen oder nur sehr kleinen Zuwachs aufweist, eher aber ein Abdorren oder zumindest ein anormal kleiner Blattausbruch festgestellt werden muss. Woher alle diese Merkmale und warum der Krankheitszustand? Hier sind folgende Beobachtungen aussagekräftig: ich habe vom Stammabfluss gesprochen und habe pH-Messungen gemacht, und diese sind meines Erachtens eindeutige Merkmale einer Umweltverschmutzung. Ich glaube nicht, dass es nur saurer Regen ist. Es ist vielmehr eine Fülle von Faktoren, die in unserer Umwelt liegen. Wir alle produzieren Abfälle, die vernichtet werden, wir alle verursachen Abgase mit unsern Autos und ölheizungen, und vielleicht sind wir alle am Problem Waldsterben beteiligt. Es könnte auch die Uberalterung des Waldes mit ein Faktor sein, der auf das Problem Einfluss hat. Eines ist sicher: die Mischung unserer Wälder, also aller Laubbaumarten, bietet Gewähr, dass doch ein Teil unserer Bäume diese Krankheit überleben wird.

Im Sommer 1983 wurden in unserem Wald im Auftrag des Kantonsforstamtes Basel-Stadt Untersuchungen über das Buchen- und Eschensterben durch PD Dr. W. Flückiger vom Botanischen Institut der Universität Basel durchgeführt. Die alarmierenden Ergebnisse dieser Untersuchungen bewogen den Gemeinderat Riehen, am 17. August 1983 eine Orientierung der Gemeinderäte Riehen und Bettingen und des Weitern Gemeinderates Riehen sowie der Presse durchzuführen. Dabei erklärte Kantonsoberförster Dr. Reinhard Eichrodt unter anderem: «Wir fürchten, hier in Riehen wie anderswo vor einer Tragödie unabsehbaren Ausmasses zu stehen. Unsere Gesellschaft als Club von Zauberlehrlingen wird bitter lernen müssen, dass unsere heutige Lebensweise nur auf Kosten unseres Lebensraumes weitergeführt werden kann. Zerstören wir ihn, zerstören wir auch uns. Der Wald als Bioindikator zeigt uns bereits den Beginn des Prozesses deutlich an. Es hat schätzungsweise 30 Jahre gedauert, bis wir ein relativ stabiles Gleichgewicht, in der sich die Lebensgemeinschaft Wald befunden hat, durch zunehmende Umweltbelastung zum Umkippen brachten. Es kann nach Meinung verschiedener Wissenschaftler leicht der Moment kommen, wo wir die verlorene Harmonie der Waldsysteme nicht mehr wiederherstellen können.

Was ist zu tun? Als Forstleute versuchen wir zu retten und zu helfen, soweit es in unserer Macht steht. Die Gemeinderäte von Riehen und Bettingen haben bereits den Kredit für eine pflanzensoziologische Kartierung unserer Wälder gesprochen. Diese Kartierung soll die zukünftige Waldbewirtschaftung noch mehr befähigen, einen möglichst vitalen Wald zu erhalten... Im Herbst wird Dr. Flükkiger seine Untersuchungen vom letzten Sommer wiederholen, um eine gesicherte Aussage machen zu können. Auch hierfür hat der Gemeinderat der Einwohnergemeinde Riehen bereits den Kredit gesprochen... Die Forstorgane fordern Volk und Behörden auf, über die Parteien hinweg auf kommunaler, kantonaler und Bundesebene mit aller Kraft dahin zu wirken, dass alle Immissionen, insbesondere Schwefeldioxid und Stickoxide drastisch und sofort gesenkt werden. Notstandsmassnahmen sind zu prüfen.»

Ich befürchte, dass das Problem Waldsterben kein regionales, sondern eher ein europäisches, wenn nicht sogar ein weltweites ist. Eines, so scheint mir, ist dringend notwendig. Es braucht Einigkeit in der Erfassung dringender Massnahmen, und zwar regional wie international, zur Reinerhaltung unserer Umwelt. Ich hoffe, dass die Verantwortlichen aus Wirtschaft und Politik, aber auch jeder einzelne von uns, nicht nur auf Beweise warten, sondern auf Grund des Tatbestandes, den wir in unsern Wäldern ablesen, verantwortungsbewusst handeln.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1983

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