Vielleicht einfach ein Geschenk

Barbara Imobersteg

Es brauchte Zeit und Geduld, um sich näher zu kommen - damals. Dieses Jahr sind die beiden porträtierten Paare 50 Jahre verheiratet.

Geduld bringt Nudelsuppe

50 Jahre verheiratet, was heisst das? «Ja, was denn - das ist schön!» Maria Oehen lacht. Ihr spontaner Ausruf ist aber ernst gemeint. Heiner Oehen geht einig mit seiner Frau. Das Zusammensein über all die Jahre war schön und ist es noch heute. Nun lachen sie beide. An ihre Begegnung anno 1954 können sie sich noch gut erinnern. Die junge Maria Wallhöfer aus dem Südtirol arbeitete im «Kreuz» in Emmen. Heiner, angehender Unteroffizier bei den Radfahrern, hatte Ausgang. «Ich wollle keinen Schweizer», sagt Maria Oehen schnell. Sie hätten einen schlechten Ruf gehabt, die Schweizer Männer. In den Beizen sitzen, jassen und trinken - da hatte sie andere Vorstellungen. Wobei sie noch lange nicht an Heirat und Familie dachte. Aufgewachsen mit zwei Schwestern auf einem Bauernhof in Schluderns, wollte sie erst die Welt entdecken. Jede Wintersaison arbeitete sie in einem andern Hotel als Zimmermädchen, um möglichst viel Neues kennenzulernen. Den Sommer über half sie zu Hause auf dem Hof. Heiner Oehen war fasziniert von dieser temperamentvollen und lebenslustigen Bauerntochter. Auf seine ernsthafte und ruhige Art versuchte er ihr näher zu kommen. «Ich wollte ausgehen und tanzen und mich noch lange nicht binden», sagt Maria Oehen und lacht wieder. Ihre Unternehmungslust behielt sie auch in ihrem späteren Ehe- und Familienalltag. Aber dann seien sie immer zusammen unterwegs gewesen.

Der erste gemeinsame Ausgang ihrer Anfangszeit führte 1955 ins Stadttheater Luzern. «Dass sie diese Einladung angenommen hat, verbuchte ich als grossen Erfolg», erinnert sich der Ehemann. Es gelang ihm nicht immer, ein Rendez-vous mit Maria zu bekommen. Einmal sei er vergebens mit dem Militärvelo von Riehen nach Bubendorf geradelt, wo die geliebte Tirolerin damals eine Stelle innehatte. Sie war schon auf und davon. Heiner Oehen lächelt: «Ich war enttäuscht, aber da war halt diese Liebe ...». «... und wir lieben uns noch immer», vervollständigt seine Frau den Satz.

Im Südtirol machte man nicht viel Aufhebens um eine Verlobung, erzählt Maria Oehen. Sie liess ihren Zukünftigen bald wissen, dass er diesbezüglich keine Fragen stellen sollte. Bis sie ihm eines Tages ihren Verlobungswunsch mitteilte. «Zum Schluss hat mir seine Ernsthaftigkeit doch besser gefallen, da fühlte ich mich gut aufgehoben», fasst Maria Oehen zusammen. Vier Jahre Wartezeit kamen für den geduldigen Schweizer Freund zu einem glücklichen Abschluss. Dass das Versprechen 50 Jahre Bestand haben würde, da waren sie sich sicher. Zur Verlobung fuhr das Paar mit dem Roller nach Meran, besuchte in Riffian die Kirche und ging anschliessend in einem einfachen Restaurant essen. Kein Filet, nicht einmal ein Stück Braten - nein: «Nudelsuppe mit Würstchen», die Verlobungsgeschichte löst bei den Oehens erneut Heiterkeit aus.

Heiner Oehen hatte bei Viscosuisse in Emmen Laborant gelernt und nahm 1956 bei Ciba Basel eine Stelle an, vorübergehend, wie er damals dachte. 40 Jahre hat das Arbeitsverhältnis schliesslich gedauert bis zu seiner Pensionierung. Die Arbeit habe sich enorm verändert in dieser Zeit, erzählt Heiner Oehen. Interessanter sei sie geworden. Durch die neuen Technologien hätten sich auf seinem Spezialgebiet, der Pharma-Analytik, neue Möglichkeiten eröffnet, allerdings sei die manuelle Arbeit fast verschwunden. Heiner Oehen blieb aber nie am Alten hängen. Alle wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Veränderungen verfolgte er stets interessiert und wachsam. Bis heute hat er mehrere Zeitschriften, Tages- und Wochenzeitungen abonniert. Er informiert sich, verfolgt das Geschehen, vergleicht kritisch die Berichterstattungen, ärgert sich über die Abnahme der Medienvielfalt und freut sich beispielsweise über fortschrittliche Initiativen in den Südtiroler Gemeinden. «Mein Mann weiss bald mehr über meine alte Heimat als ich», meint Maria Oehen. Sie vermisst ihr Dorf nicht. Sie ist in Riehen zu Hause, «dort, wo mein lieber Mann ist», fügt sie an.

Nach der Heirat hatten sich die beiden an der Rainallee in Riehen niedergelassen, dort wohnen sie noch immer. 1961 und 1964 sind ihre Söhne Heinz und Beat zur Welt gekommen. «Wir haben alles zusammen gemacht», betonen die Eltern einmal mehr, «Ausflüge, Reisen und vor allem viele, oftmals mehrtägige grosse Wanderungen.» Die Söhne waren schon immer sehr sportlich, beide erfolgreiche Leichtathleten. Ihre Eltern begleiteten und unterstützten sie mit Begeisterung. Mit 50 Jahren begann auch Maria Oehen zu laufen und bald brachte auch sie Medaillen nach Hause. «Sie ist eine Kämpferin und kann die Zähne zusammenbeissen», erklärt ihr Mann den Erfolg. Inzwischen hat sie das Tempo etwas gedrosselt und trainiert Walking, «aber nicht bei den Langsamen», wirft sie sogleich ein. Einmal pro Woche kommen zu ihrer grossen Freude die Grosskinder, Nora und Fabian, zu Besuch. Mit den vierjährigen Zwillingen ist man froh, wenn man fit ist. Brauchen 50 Jahre Ehe ebenfalls Kondition oder gibt es ein Erfolgsgeheimnis? «Man muss manchmal schweigen können und im richtigen Moment etwas sagen», meint Maria Oehen. «Vielleicht ist es auch einfach ein Geschenk», ergänzt ihr Mann.

«Es war nicht langweilig, es war schön!»

Es begann in New York. Die damals 24-jährige Irene Grogg aus Zürich arbeitete als Laborantin in Boston. Der junge Anwalt Lucas Sarasin bot sich an, ihr die berühmte Metropole zu zeigen. Ein gemeinsamer Ausgang - das Rockefeller-Center - Erinnerungen werden wach. Das Ehepaar Sarasin kommt ins Schwärmen. Amerika hat sie nicht nur zusammengebracht, sondern im Laufe ihrer 50-jährigen Ehe auch immer wieder von Neuem begeistert. Bis zu ihrer Heirat sollte aber noch einige Zeit verstreichen. «Mein Mann war nicht der diffigste», lacht Irene Sarasin. Beide kehrten nach dem Amerikaaufenthalt in die Schweiz zurück und gingen vorerst ihre eigenen Wege. Lucas Sarasin baute seine Anwaltspraxis auf, mit Irene pflegte er einen losen Kontakt. Als sie ihm ihre Verlobung mit einem anderen Mann bekannt gab, zeigte er Verständnis für diesen Schritt und schickte Blumen. «Nichts hat mich so sehr gefreut wie diese roten Tulpen», erinnert sich Irene Sarasin. Die Verlobung hatte keinen Bestand. Irene Grogg verliess ihre Heimatstadt und fand Arbeit im Frauenspital in Basel. Hier traf sie ihren Reisegefährten Lucas wieder. Die beiden lächeln geheimnisvoll. Im Jahr 1960 gaben sie sich das Ja-Wort und dieses Versprechen hielt - ein halbes Jahrhundert! Die Sarasins sind sich einig: Die gemeinsamen 50 Jahre sind schnell vergangen. Das erste Treffen in New York? Nein, das ist doch gar nicht lange her!

Nach der Heirat gab die junge Ehefrau ihre Berufsarbeit auf, so, wie es damals üblich war. Bald kamen die Kinder. Ohne zu stocken zählt Irene Sarasin die Geburtsjahre ihrer fünf Töchter und Söhne auf. Drei Mädchen und zwei Jungen hat sie grossgezogen. 1965 zog die Familie nach Riehen an den Wenkenhaldenweg. Die Einwohnergemeinde stellte auf dem ehemaligen Ackerland zehn Parzellen zur Verfügung, die, allerdings mit strengen Auflagen, bebaut werden durften. «Bis zur Schräge des Dachwinkels war alles vorgeschrieben», erinnert sich Lucas Sarasin. 50 Jahre später sieht es in ihrem Quartier noch genau gleich aus. Die vielen Kinder, die hier zusammen gespielt haben, sind aber ausgeflogen. Nach und nach halten wieder junge Familien Einzug. Irene Sarasin vermisst die alte, vertraute Nachbarschaft. Ihre fünf Grosskinder kommen nicht mehr sooft zu Besuch, seit sie zur Schule gehen. Alle wohnen auswärts. Die Töchter und Schwiegertöchter haben ein anspruchsvolles Berufsleben, keine ist als Mutter und Hausfrau zu Hause. «Wir hatten vergleichsweise ein ruhiges Leben», sagen Irene und Lucas Sarasin übereinstimmend. Sic wechselten weder den Wohn-, noch den Arbeitsort. Selbst die Feriendestinationen blieben gleich: Engelberg und die Toscana. «Es war nicht langweilig, es war schön.» Nach 50 Jahren erinnern sie sich gern an die wiederkehrenden Reisen und die vertrauten Orte. Auch der Familienalltag verlief gleichmässig. Lucas Sarasin kam jeden Tag nach Hause zum Mittagessen. Er erzählt, wie sich sein Sohn unter der Tür stets vergewisserte, ob Mama da sein werde, wenn er von der Schule heimkehre. Der Junge konnte sich darauf verlassen, seine Mutter war immer da, beschäftigt mit den fünf Kindern, mit Haus, Garten, Hund und Katzen. Als Einzelkind hatte sie sich immer eine grosse Kinderschar gewünscht.

Nach der Primarschule gingen die fünf Kinder nach und nach ins Gymnasium Bäumlihof. Sie waren sehr unterschiedlich, ja sogar gegensätzlich. Die Eltern skizzieren die Charakterzüge ihrer Töchter und Söhne und lassen die Persönlichkeiten lebendig werden. Fünf Kinder geben viel zu reden. Ihre verschiedenen Wege ins Berufs- und Erwachsenenleben sind für die Eltern interessant, bisweilen auch herausfordernd. Die Zeiten haben sich geändert. Heute stehen die Familien unter Stress. Irene und Lucas Sarasin sind dankbar für die angenehme, ruhige Zeit, die sie zusammen erlebt haben. «Es gab noch keine Globalisierung, wir hatten nicht diese Hektik und diesen Leistungsdruck», hält Lucas Sarasin fest. Wenn er früher mit Amerika korrespondierte, konnte er einen Brief schreiben und damit rechnen, dass die Reaktion nach rund drei Wochen eintreffen würde. Dieses Kommunikationstempo löst heutzutage Heiterkeit aus. Wenn der Anwalt nach der Arbeit nach Hause kam, hatte er Feierabend. Als die Kinder klein waren, bekam ein jedes sein Schlafliedchen. Welche Eltern nehmen sich heute noch Zeit dafür? Auch die Wertvorstellungen haben sich geändert. Wenn die Sarasins an ihre zaghafte Annäherung vor über 50 Jahren zurückdenken, an die Vorsicht, Geduld und Zurückhaltung, die sie an den Tag gelegt haben, wird ihnen bewusst, wie sehr sich auch die Beziehungen gewandelt haben.

Lockt Amerika noch immer? Im Alter möchte man lieber in der Nähe bleiben, meinen Irene und Lucas Sarasin. Der lange Flug, ein schmerzender Rücken und die Vorstellung, weit weg von der gewohnten und erprobten ärztlichen Versorgung zu sein, sind inzwischen unangenehm. Amerika gehört nun zu den schönen Erinnerungen, leuchtet auf, wenn die Sarasins auf die letzten 50 Jahre zurückblicken. Die grossen Highlights in ihrem Leben kamen aber nicht aus Amerika, da sind sich die beiden einig. Das waren die Geburten ihrer Kinder und Grosskinder.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2010

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