Vom Negerdörfli zum Privileg

Yvonne Reck Schöni

Sie tragen so geheimnisvolle Namen wie Arba, Rieba oder Hera. Andere weisen darauf hin, wo sie sich befinden und heissen Niederholz, Rainallee oder Hinter der Mühle. 25 Wohngenossenschaften zählt die Gemeinde Riehen derzeit. Weit mehr waren es, seit anfangs der Zwanziger Jahre der genossenschaftliche Wohnungsbau im «Villenvorort» Riehen seinen Anfang nahm. Viele haben sich inzwischen aufgelöst oder diese Rechtsform lediglich zur Erstellung ihrer Häuser gewählt.

Als 1922/23 von der Heimstätte-Genossenschaft Niederholz in der Schäfer- und Römerfeldstrasse auf damals noch unerschlossenem Land 46 Häuser gebaut wurden, war nicht abzusehen, welchen Boom der genossenschaftliche Wohnungsbau später erleben sollte. Und das war gut so, reagierten doch die Riehener Bürger und Bürgerinnen wenig begeistert auf die neuen Siedler. «Negerdörfli» wurde die für Riehen neuartige Anreihung genau gleicher Häuser abschätzig genannt. «Das genossenschaftliche Wohnen passte eben nicht ins bürgerliche Weltbild der Riehener», erklärt sich Gemeindepräsident Gerhard Kaufmann die ablehnende Haltung der Bevölkerung. «Das roch nach Arbeiterkollektiv, nach Kolchose.» Tatsächlich waren die Initianten der Heimstätte-Genossenschaft fast ausnahmslos Handwerker und Mitglieder der Pflanzlandgenossenschaft Horburg. Ihnen schwebte die Idee einer Gartenstadt vor, die Vision, Gärtner und Landwirt auf eigenem Boden zu sein und die misslichen Wohnverhältnisse im städtischen Industriequartier verlassen zu können. Auch die späteren Bau- und Wohngenossenschaften gehen auf die damals in Basel mächtige Arbeiterbewegung zurück.

 

Boom nach dem Zweiten Weltkrieg

Trotz des unfreundlichen Empfangs der «Pioniere» entstanden, wenn auch nur vereinzelt, in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen weitere Wohngenossenschaften, wie zum Beispiel die Heimstättengenossenschaft Gartenfreund, welche 1922 an der Morystrasse und deren Umgebung 54 Häuser baute. Während des Zweiten Weltkriegs kam der Wohnungsbau vollständig zum Erliegen. Um so grösser war die Wohnungsnot in den Jahren danach, verstärkt durch ein enormes Bevölkerungswachstum und Zuzüge von auswärts. So erstaunt es nicht, dass die überwiegende Zahl der Wohngenossenschaften, die es heute in Riehen gibt, Ende der vierziger respektive anfangs der fünfziger Jahre entstanden sind. So unterschiedlich sich die entstandenen Siedlungen von ihren Baukörpern her präsentieren - es entstanden Ein- und Zweifamilienhäuser, Reihenhäuser, aber auch Mehrfamilien-Wohnblöcke -, eines war ihnen fast allen gemeinsam: Es wurde viel Grünraum eingeplant, Freiflächen für die zahlreichen Kinder, Zustände, von denen heutige Kinder oft nur träu men können. Ein Kollege, aufgewachsen in der Wohngenossenschaft «Hirshalm» In den Neumatten, erinnert sich: «Hinter den Wohnblöcken hatten wir eine riesige Rasenfläche, unterbrochen durch Bäume und Büsche, aber ohne trennende Häge. Immer wimmelte es von Kindern. Wir spielten <Balle brûlée>, <Halli-Hallo> oder <Es geht ein böses Ding herum>...» Damals wohnte dort kaum eine Familie ohne Kinder in den Dreizimmerwohnungen. Im Gegenteil: Viele hatten drei oder mehr Kinder. Heute ist es ruhiger geworden auf den grosszügigen Grünflächen. Längst sind die Kinder ausgeflogen, die Enkel kommen dann und wann zu Besuch. Immerhin: «Einige meiner ehemaligen Spielkameraden wohnen heute wieder dort, mit ihren Kindern», weiss mein Kollege. Zu manchen hat er noch heute Kontakt.

Keine Renditeobjekte

Als Elfjähriger mit seinen Eltern in eine damals neue Wohngenossenschaft gezogen ist auch Willi Geering, und zwar in die Bau- und Wohngenossenschaft «Rieba», die sich auf dem Dreieck-Areal Hörnliallee/Rauracherstrasse/Kohlistieg, gegenüber dem Friedhof «Hörnli», befindet. Willi Geering, Chef des Riehener Polizeipostens, ist heute Präsident der «Rieba» und seit 16 Jahren in deren Vorstand. Er relativiert die gängige Vorstellung der billigen Arbeiterwohnungen: «Meine Eltern hatten sich den Umzug lange überlegen müssen. 150 Franken im Monat waren damals, im Jahre 1950, viel Geld. Es gab durchaus Wohnungen für 60 oder 80 Franken in <normalen> Miethäusern.» Und dann gab es ja auch noch die Anteilscheine zu erwerben. Wirklich billig wurden die Wohnungen erst im Laufe der Zeit, als die Hypotheken weitgehend abgezahlt waren. In den folgenden Jahrzehnten stiegen die Löhne rasant, dasselbe galt für die Mieten privater Wohnungsanbieter. Renditen mussten her. Um diese zu erhöhen, wurde das Ausschöpfen der Nutzungsziffern immer wichtiger, auf gute Bausubstanz, genügende Isolationen, gute Architektur wurde aus Profitgründen immer öfter verzichtet. Ihren Tiefpunkt erreichte jene Architektur - es gab daneben natürlich immer auch eine andere - in den siebziger Jahren. So manche Bausünde aus jener Zeit präsentiert sich uns heute, inzwischen saniert und isoliert, als abschreckendes Beispiel.

Eine andere Entwicklung nahm da der genossenschaftliche Wohnungsbau. Dort waren andere Kriterien wichtig, was seit jeher zu einer besseren Architektur führte, als es sonst zeitgemäss war. Schon 1921, bei der Planung der Heimstätte-Genossenschaft Niederholz, wurde die heute wieder moderne Forderung nach dem flexiblen Grundriss erfüllt. Der erlaubt es, je nach momentaner Familiengrösse Räume dazuzumieten oder abzugeben. In der Riehener Zeitung erschien zu jener Zeit ein längerer Fortsetzungsbericht unter dem Titel: «Aus der Entstehungsgeschichte der Kolonie Gartenfreund». Es hiess dort: «Bei jeder Aufgabe baukünstlerischer Gestaltung sprechen die zur Verfügung stehenden Mittel ein gewaltiges Machtwort. Wo der Architekt unumschränkt schalten kann, gerät selten etwas Gutes; wo aber die Kargheit der vorhandenen Zahlungsmittel zu künstlerischer Sparsamkeit zwingt, da erfüllt sich eine Grundbedingung für das Zustandekommen eines Kunstwerks...» Nicht zufällig finden sich in den Architekturführern zahlreiche Adressen von Wohngenossenschaften.

Finanzielle Rückstellungen: Weitsicht gefragt

Einen eigentlichen Gewinn abwerfen müssen sie also nicht; mit den Mieten müssen nur gerade jene Rückstellungen eingebracht werden, die für Instandhaltung und Sanierung der Liegenschaften gebraucht werden. In diesem Punkt zeigt sich, wie weit- oder eben kurzsichtig die Genossenschafter und Genossenschafterinnen dachten. Die meisten der in den Nachkriegsjahren entstandenen Siedlungen haben heute ein Alter erreicht, in dem Sanierungen an Küchen, Badezimmern, Fenstern und Dächern anstehen oder kürzlich ausgeführt wurden. Während am einen Ort von Anfang an die Mieten in einem moderaten Mass im Laufe der Jahre erhöht wurden, um eben dereinst einen finanziellen Rückhalt zu haben, freuten sich andernorts Mieter und Mieterinnen über real immer tiefer werdende Mieten. Allerdings nicht für ewig. Denn wo grosse Geldbeträge für die nötigen Renovationen aufgenommen werden müssen, kommt zwangsläufig irgendwann das böse Erwachen. Und plötzlich kostet das Reihenhaus nicht mehr 500 Franken, sondern vielleicht das Dreifache. In der Genossenschaft «Rieba» zahlt eine Familie derzeit rund 700 Franken. Die beim Einzug zu erwer benden Anteilscheine kosten zwischen 5900 und 6900 Franken, je nach dem, wie viel an der Wohnung schon renoviert wurde. Einige Sanierungsarbeiten wurden schon ausgeführt, anderes steht noch bevor. Demnächst laufen die alten Baurechtsverträge aus, dann wird auch dort die Miete höher zu Buche schlagen.

Gegründet wurde die Bau- und Wohngenossenschaft «Rieba» 1945 mit dem Ziel, «den Mitgliedern architektonisch wie hygienisch vorbildliche und billige Wohnungen zu beschaffen». Nach Plänen des bedeutenden Architekten Hans Schmidt entstand in den Jahren 1946 bis 1950 die Siedlung «Im Höfli»; in fünf Bauetappen wurden insgesamt 94 Wohneinheiten erstellt. Aufgrund eines ersten Vorschlags des Architekten mit Einfamilien-Doppelhäusern wurden zunächst zwei Musterhäuser an der Ecke Hörnliallee/Kohlistieg erbaut. Von ihnen wird in der Fol ge noch die Rede sein. Dieser Vorschlag stiess in der Genossenschaft indes auf heftige Kritik. Ihr schwebten Reihenhausblöcke vor. Schmidt revidierte seine Pläne und erhielt daraufhin den Auftrag für die Bebauung, wie sie sich heute präsentiert: in sechs Reihenhauszeilen, intern verbunden mit dem Strässchen «Im Höfli». Wie in anderen Genossenschaften auch, symbolisieren die einheitliche Architektur, offene Gärten oder auch die Grünhecken entlang der Siedlungsgrenze die Zusammengehörigkeit.

Der Genossenschaftsgedanke: Gibt es ihn?

Der Siedlungsgedanke, von den Gründern definiert, von Architekten umgesetzt, hat eine gewisse Unumgänglichkeit. Wer in einer Genossenschaft lebt, kann sich ihm kaum entziehen - und will dies meist auch nicht. Wer nach Feierabend an zahlreichen Gärtlein oder offenen Baikonen vorbeikommt, wird zwangsläufig da grüssen und dort noch einen kleinen Schwatz abhalten. Wo man dem Nachbarn auf den Grill sieht, kommt die Aufforderung schneller, seine Wurst doch auch noch draufzulegen, als wenn sich das Privatleben unter Ausschluss der öffentlichkeit hinter hohen Thuja-Hecken verbirgt. Wo junge Mütter fast täglich auf dem gemeinsamen Spielplatz zusammentreffen, kommt Nachbarschaftshilfe, etwa beim Kinderhüten, schnell zustande. Und wo jahrzehntelang die gleichen Leute wohnen, eines der Phänomene von Wohngenossenschaften, wird vieles selbstverständlich, was in anonymen Wohnblöcken ein Problem sein kann: Klar, dass jemand der gehbehinderten Frau Meier die Getränke-Harassen in den Keller stellt; dass Herr Müller, dem letztes Jahr die Frau gestorben ist, öfters als früher zu einem Glas Wein eingeladen wird; oder dass die Nachbarsfamilie den «Baby-Call» überwacht, wenn Hubers wieder mal ins Kino möchten.

Ja, man habe viel Kontakt miteinander, bestätigt auch Willi Geering, der «Rieba»-Präsident. «Und wenn einer anfängt, die Hecke zu schneiden, dann ist sofort ein anderer da, der ihm hilft.» Ansonsten, schränkt Geering ein, sei es mit dem Genossenschaftsgedanken aber nicht mehr so weit her. «An den Versammlungen werden keine Anträge gestellt, es gibt kaum Diskussionen. Man ist halt einfach zufrieden, da wohnen zu können.» Wo allerdings in neuen Genossenschaften eine Gruppe von Erstmietern aufeinandertrifft, sieht es punkto Engagement etwas anders aus. Das zeigt sich am Beispiel der Genossenschaften «Hera» und «Kettenacker», die 1991/92 auf dem Vogelbachareal am Friedhofweg 38 Wohnungen, fast alles Vierund Fünfzimmerwohnungen, erstellt haben. Was gibt es da nicht alles zu diskutieren! Da schliessen Türen nicht richtig, werden Sonnenstoren gewünscht, trocknet die Wäsche im Trockenraum nicht schnell genug. Auf den Sandkästen braucht es Abdeckungen, ämterpläne für Treppenhaus- und Innenhofreinigung müssen her, und könnten dort nicht die Betonpfosten begrünt werden?

Alle paar Wochen traf sich anfänglich eine jeweils fast vollständige Mieterschaft, um über die vielen anstehenden und noch mehr neuen Probleme zu diskutieren, die selbstredend nicht von allen als gleich wichtig gewertet wurden. Nicht selten dauerten die Versammlungen über Mitternacht hinaus. Abgesehen davon, dass mit der Zeit für die meisten der Beanstandungen und Wünsche eine Lösung gefunden wurde, lernte man sich bei all den Diskussionen auch besser kennen. Diesem Ziel dienen auch gemeinschaftliche Anlässe wie ein sonntägliches Zmorge, ein spontanes Treffen am Grill, der Besuch des Santiglaus oder was auch immer den Genossenschaften diesbezüglich einfällt. Fast überall haben solche Gemeinschaftstreffen ihre Tradition. Dass Kontakte innerhalb der Wohngenossenschaft unkompliziert sind, davon profitieren vor allem die Kinder. über 80 machen die Gegend um «Hera» und «Kettenacker» unsicher, und jährlich kommen neue hinzu. Da braucht es keine langen Märsche auf entfernte Spielplätze, um Spielkameraden zu treffen. Schon früh können die Kleinen in einigermassen geschütztem Raum allein draussen sein. Das fördert die Selbständigkeit und gibt Eltern ein Stück Unabhängigkeit zurück. Kaum ein Jahrgang, der nicht vertreten wäre. Man trifft auf seinesgleichen im Sandkasten, bei der Rutschbahn, im Planschbecken, auf der Schaukel, beim Brunnen. Das ist ein Lachen, Schreien, Quietschen und Rufen...

Gratwanderung zwischen Toleranz und Rücksichtnahme

Der Lärm. Unvermeidlicher Begleiter lebhaft spielender Kinder. Und ebenso unumgänglicher Gesprächsstoff wohl in allen kinderreichen Siedlungen. In kaum einem Punkt zeigt sich derart deutlich, welches die Hauptforderungen an Genossenschafter und Genossenschafterinnen sind: Toleranz auf der einen, Rücksichtnahme auf der anderen Seite. Nicht alle sind gleich lärmempfindlich, nicht alle haben Kinder im lärmintensivsten Alter (wann immer das auch ist), nicht in allen Familien sind die Ruhezeiten dieselben. Da sind Kompromisse gefragt, und der Anstand, sich an kollektiv getroffene Abmachungen zu halten. Ansprüche, die im Grunde für jedes gesellschaftliche Zusammenleben, nicht nur in der Wohngenossenschaft, ihre Gültigkeit haben. Mit übersteigertem Individualismus, Engstirnigkeit, Diskussionsunfähigkeit oder Egoismus eckt man früher oder später an. Für das Privileg, günstig in kinderfreundlicher Umgebung wohnen zu dürfen, wird im sozialen Bereich schon etwas erwartet.

Und noch etwas ist dem genossenschaftlichen Leben dienlich: Offenheit und Humor. Wo verdichtet gebaut ist, kriegt die Nachbarschaft zwangsläufig mit, wenn mal irgendwo die Fetzen fliegen. Und wenn die Wohnungen so transparent gestaltet sind, wie jene des Architekten Michael Aider (*1940) auf besagtem Vogelbachareal, schön hell, weil rundherum mit Fenstern versehen, dann sieht man halt, dass die Nachbarin Wäsche bügelt und gleich gegenüber Fondue gegessen wird. Was soll's? Das gibt einem doch gleich das Stichwort für den Schwatz am nächsten Morgen. Indes: Jede Wohngenossenschaft hat ihre ureigene Atmosphäre, die sich im Laufe der Jahre auch verändern kann. Weht da ein offener Geist, wo man den anderen grundsätzlich in Frieden lässt, kann dort schon mal eine verschworene Gemeinschaft jemandem das Leben schwer machen. Denn die Ausweichmöglichkeiten sind ja beschränkt. Wohl nicht alle, die ihre Anteilscheine zurückforderten, taten dies in Minne.

Gemeindehilfe für neue Genossenschaften

Neben «Hera» und «Kettenacker», die auf die Initiativen der CVP respektive der VEW zurückgehen, sind in den beiden letzten Jahrzehnten auch die Genossenschaften «Hinter Gärten» (1972/77), «Bündten» (1982) , «Mühleteich» (1983) und «Im Niederholzboden» (1991) entstanden, alle mit Unterstützung der Gemeinde, anders wäre mit den heutigen Bau- und Bodenpreisen genossenschaft licher Wohnungsbau kaum mehr denkbar. Riehen gab nicht nur das Land zu vergünstigtem Baurechtszins ab, sondern gewährte darüber hinaus A-fonds-perdu-Beiträge. Dies, um auch jungen Familien die Chance zu geben, sich in Riehen ansiedeln zu können, wie Gemeindepräsident Gerhard Kaufmann erklärt. «Riehen soll nicht nur eine Gemeinde für die Reichen sein. Wir streben einen demographischen Ausgleich an.» Rund 15 Prozent aller Wohnungen in der Gemeinde sind heute Genossenschaftswohnungen. Das ist ein sehr hoher Anteil.

Dass somit genügend junge Familien ihren Platz in Riehen finden sollten, ist allerdings ein Fehlschluss. Denn die meisten Genossenschaften sind überaltert. Fast alle wurden sie in den Nachkriegsjahren von jungen Familien bezogen. Und ein sehr grosser Teil der Erstmieter wohnt 40 Jahre später noch am gleichen Ort, vielleicht mit dem Ehepartner, vielleicht allein, die Kinder sind schon vor zwanzig Jahren ausgezogen. Folglich ist ein überwiegender Teil dieser für Familien konzipierten Wohnungen unterbelegt. Was lässt sich dagegen tun? Wohl kaum eine Genossenschaft zwingt alte Leute zum Wegzug, nachdem sie ein halbes Leben in der gleichen Umgebung mit der gleichen Nachbarschaft verbracht haben. «Das könnte deren Tod sein», sagt auch «Rieba»-Präsident Willi Geering. Anderseits macht es wenig Sinn, wenn sich ein 85jähriger die engen Treppen seiner Vierzimmerwohnung hinauf- und hinunterquält, während fünfköpfige Familien dringend zahlbaren Wohnraum suchen.

Massnahmen gegen Überalterung

Auch die WG «Rieba» ist überaltert, wenn auch nicht in extremem Mass. Auf unserem Rundgang entlang der internen Weglein - eine idyllische kleine Welt für sich zumal im Sommer, wenn es in den liebevoll gepflegten Gärtchen in allen Farben blüht - lassen sich Kinderstimmen vernehmen, und im Sandkasten spriesst noch nicht das Gras. Nicht wenige der heutigen Bewohner und Bewohnerinnen wuchsen als Kinder hier auf, zogen vorübergehend weg und bemühten sich später, mit eigenen Kindern, wieder um ein Häuschen. Um wieder vermehrt jungen Familien das attraktive Wohnen in ihrer Genossenschaft zu ermöglichen, plant die «Rieba» die Erstellung von 12 Zweizimmer-Wohnungen auf ihrem Areal. Sie entstehen anstelle der bereits erwähnten Musterhäuschen an der Ecke Kohlistieg/Hörnliallee. Schon jetzt liegen genug Anmeldungen für die komfortablen, rollstuhlgängigen Kleinwohnungen vor. 1985 bereits war von Betagtenwohnungen für die Genossenschaft «Rieba» die Rede. Damals erstellten Studierende der Ingenieurschule Muttenz anlässlich einer Semesterarbeit 19 verschiedene Lösungsvorschläge, wie in der WG «Rieba» Platz für Familien geschaffen werden könnte, ohne dass die älteren Genossenschafter die Siedlung verlassen müssen. Die Projekte wurden damals im Gemeindehaus vorgestellt und stiessen auf grosses Interesse. Die Zeit für eine Verwirklichung der Vorschläge schien noch nicht reif, der Motivationsschub aber verfehlte seine Wirkung nicht: Fast zehn Jahre später kommt es zur Umsetzung einer der Ideen. Dank Unterstützung durch Gemeinde und WEG (Wohneigentumsförderungsgesetz)-Finanzierung des Bundes werden die Mieten eine zumutbare Höhe nicht überschreiten.

Wo allerdings heute neu gebaut wird, ist wirklich «billiges» Wohnen schlicht nicht möglich. Das müssen viele Familien erfahren, die sich um eine Wohnung in einer der neuen Genossenschaften bemühen. Bei «Hera» und «Kettenacker» kosten die vom Bund grundverbilligten Vierzimmer-Etagenwohnungen derzeit rund 1700 Franken, die Fiinfzimmer-Maisonettewohnungen rund 2000 Franken monatlich. In der Planungsphase musste gar aufgrund damals höherer Baukosten und Hypothekarzinsen mit noch weit höheren Mieten gerechnet werden. Hinzu kommen die Anteilscheine: 4000 Franken pro Zimmer. Auch wenn zusätzliche Vergünstigungen möglich sind, wo eine gewisse Einkommenslimite unterschritten wird, sprengt das doch manches Familienbudget. Das Problem der überalterung allerdings dürfte sich dort dereinst nicht stellen. Die Gemeinde Riehen verband ihre Unterstützung bei der Erstellung der Genossenschaft mit der Auflage, in absehbarer Zeit auf benachbartem Areal kleinere «Stöckli»-Wohnungen zu erstellen. Die Mindest-Bewohnerzahl einer Wohnung ist statuarisch festgelegt: Anzahl Bewohner plus eins ergibt die zulässige Anzahl an Zimmern.

Fazit: Ein Privileg, trotz allem

Schon jetzt zeigen nicht wenige «Hera»- respektive «Kettenacker»-Familien reges Interesse für die künftigen «Stöckli»-Wohnungen, selbst wo die Kinder noch klein oder im Schulalter sind. Das zeigt: Man gedenkt, in der Siedlung Wurzeln zu schlagen und alt zu werden. Trotz eingeschränkter Privatsphäre, realer oder auch nur moralischer Verpflichtung zu Arbeitseinsätzen, trotz sozialer Ansprüche und endloser Grundsatzdiskussionen über Tiirschliesser und Energiesparlampen - das Leben in der Genossenschaft wird als Privileg empfunden. Lange Wartelisten allerorten scheinen das zu bestätigen.

Dank

Ich danke den Herren Gerhard Kaufmann, Georges Tomaschett, Willi Geering und Peter Würmli für die freundliche Unterstützung.

Quellen

Gerhard Kaufmann: «Die Heimstätte-Genossenschaft Niederholz 19211933», in: RJ 1980, S. 86-100

GKR, S. 120,124

RZ

Ursula Suter: «Hans Schmidt 1893-1972 - Architekt in Basel, Moskau, Berlin-Ost», Zürich 1993, S. 257-261

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1994

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