Von Krummholzen und Ölnoppis

Michael Raith

Im Protokoll des Kleinen Rates von Basel ist unter dem 15. Februar 1696 folgendes zu lesen: «Einsitz zu riehen Hanns Stükhlin von ötligen. Hanns Stükhlin von ötligen ein wagner, so seines verstorbenen Meisters s. geschwey [= Schwiegermutter, Schwägerin, Verwandte] Anna Drechslin heyrathen wolt, bittet umb den bürgerlichen einsitz zu riehen, mit offerte seinen taufzedul und manumission [= Entlassung aus der Leibeigenschaft] einzubringen, auch die Religion anzunemen, der untervogt und geschworne wiedersetzen sich diesem petita [= Ersuchen] nicht, sondern stellen es unser G[nädig]e[n] He[rren] anheimb. ... Wan dieser Stükhlin von ötligen Sein abscheidt und manumission in forma haben wirdt, Ist Ihme in seinem begeren wihlfahrt, undt er zu einem bürgerlichen einwohner zu riehen angenomen, biss er aber dieses wird praestirt [= entrichtet, geleistet] haben, Ist Ihme der Kirchgang [= die Heirat] nicht erlaubt...»

Hier wird ein für die Zeit ganz normaler Vorgang geschildert. Ein Handwerksgeselle wird Meister durch Einheirat in einen verwaisten Betrieb. Der Wagner verrichtet Holzarbeiten an Fuhrwerken und Ackergeräten. Offensichtlich war ein solcher in Riehen nötig, erfährt man doch nichts von einem sonst üblichen Widerstand der Berufskollegen gegen die Einbürgerung.

Der Wagnerberuf vererbte sich lange Zeit in der Familie Stücklin (die heutige Schreibweise der Familiennamen wurde erst durch die vor 125 Jahren erfolgte Einführung des Zivilstandes fixiert). Im Protokoll falsch ist der Vorname Hanns: Der erste Riehener Bürger aus der StücklinSippe hiess eindeutig Thomas. Und einen Wagner nannte man in Riehen «Krummholz». Die Sache mit dem «Zedul» scheint nicht geklappt zu haben, ist doch in Otlingen der Januar 1666 und in Riehen der 27. August 1668 als Taufdatum eingetragen. Vielleicht verliess Thomas sein am Rebhang prächtig gelegenes Heimatdorf, weil er im väterlichen Geschäft, in dem auch zwei jüngere Halbbrüder mitarbeiteten, für sich keine Zukunft sah. Um Riehener werden zu können, musste er als Untertan des Markgrafen von Baden entlassen werden, worauf sich die Begriffe Abschied und Manumission beziehen. Auch die Konfession war zu wechseln: Nur als Reformierter konnte der ursprüngliche Lutheraner das Bürgerrecht einer Basler Landgemeinde erwerben. Das Kollegium von Untervogt und Geschworenen, Rechtsvorgänger des Gemeinde- beziehungsweise des Bürgerrates, konnte zwar Anträge stellen, den Entscheid aber fällte die Stadt- und Staatsregierung, der Kleine Rat zu Basel.

Thomas Stücklin bekam, was er begehrte, und am 30. März 1696 führte er Anna Trächslin (Drechslin, 16651718) heim. Die drei aus dieser Ehe hervorgegangenen Söhne starben jung. Kein halbes Jahr nach dem Tod der ersten Frau heiratete Thomas ein zweites Mal. Es musste nun nicht mehr eine Riehener Bürgerstochter sein. Und so fiel seine Wahl auf die noch nicht zwanzigjährige Catharina Huggel (1699-1758) aus «Mönchenstein». Auch sie wurde Mutter dreier Knaben: Hans Jacob (1721-1787), Thomas (1723-1796) und Fridlin (1724-1798). Sie begründeten drei Familienäste. Thomas, der Vater, verschied Ende Januar 1752.

Bedeutung und erstes Auftreten des Familiennamens

Stücklin kommt von «Stück». Dieses Wort ist vieldeutig. Es kann etwa «Geschütz» bedeuten. Und in der Tat zeigt das Wappen der ursprünglich aus dem Markgräflerland stammenden Basler Familie Stückelberger eine Kanone. Doch ist die Verwendung des Wortes Stück in diesem Sinne viel jünger als der Name Stücklin. Dieser erscheint bereits zur Entstehungszeit der Familiennamen, so in Basel erstmals 1284. Auch im heute württembergischen Oberschwaben ist er schon vor 1300 bezeugt. Zusammenhänge zwischen diesen frühen Namensträgern und denjenigen aus Otlingen sind nicht nachweisbar. In Süddeutschland ist heute die Schreibweise «Stückle» vermutlich vorherrschend.

«Stück» kann auch das baseldeutsche «Blätz» meinen. Wer Schuhe oder Kleider mit solchen Flicken versieht, ist ein Flickschuster oder -Schneider. Diese Berufsbezeichnung stand vielleicht dem Namen Pate. Auch ein Baumstumpf sei mit «Stück» bezeichnet worden. Demnach wäre ein Stücklin der Bewohner einer gerodeten Stelle. überzeugender wirken folgende Erklärungen: Eine mittelalterliche Hube - davon der Name Huber - entspricht modernem Pachtland. Eine nicht eigentlich zur Hube gehörende Landparzelle nennt man zuweilen ebenfalls Stück; ein Stücklin wäre dann der Bewohner oder Bebauer eines solchen Landstücks. Stücklin kann sogar ein übername sein und - wie etwa Stump - einen Menschen charakterisieren, der durch seine Kürze und Dicke auffällt. Gleichgültig aber, welche Bedeutung vorliegt, besteht kein Grund zur Annahme, alle Träger der Namen Stückle und Stücklin müssten miteinander verwandt sein, ist es doch einleuchtend, dass diese Bezeichnung zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten entstanden sein kann. Ein gemeinsamer Stammvater ist deswegen nicht nur nicht nachweisbar, sondern auch unwahrscheinlich.

Die Stücklin in Otlingen

Erstmals 1625 wird in Otlingen ein Stücklin erwähnt: Er trug den Vornamen Conrad. Er muss eingewandert sein, es sei denn, Stücklin wäre eine Abkürzung von Stückelberger. Woher könnte er gekommen sein? Vielleicht aus Inzlingen, wo eine Stücklin-Sippe schon früh bezeugt ist. Kontakte zwischen beiden Dörfern sind nachgewiesen. Vielleicht ist die 1569/70 in Riehen als Hans Kellers «eeliche hussfrouw» genannte Rosina Stücklin ebenfalls aus dem Dorf am Wasserschloss eingewandert.

Conrads Sohn Thomas oder Thomann Stücklin heiratete um 1634 Ursula Brombacher. Ihr erstes Kind, Conrad «Stickhlin» (1635-1719), zog nach Binzen, wo er als Wagnermeister und Richter wirkte. Die Familie starb dort zwar 1801 aus, doch ist die weitere Nachkommenschaft recht verbreitet, unter anderem auch in den heute baselstädtischen Landgemeinden.

Vier weitere Kinder blieben in Otlingen, vom Jüngsten, Claus Stücklin (geb. 1645), stammen die heute lebenden Namensträger des Weinortes ab. Fridlin Stücklin (16401715), der Zweitälteste, war Wagner von Beruf und bekleidete die ämter eines Richters und Almosenpflegers. Aus seiner ersten Ehe mit Magdalena - vielleicht hiess sie auch Chrischona - Sigin (gestorben 1678) ging Thomas hervor, der die Familie bekanntlich nach Riehen verpflanzte, und aus seiner zweiten Ehe weitere Kinder. Sie sorgten für eine immense Verwandtschaft. Die auf Fridlin zurückgehenden Stücklin verschwanden allerdings in der Mitte des 19. Jahrhunderts aus Otlingen.

Die Stücklin in Riehen

Die Nachfahren des 1696 in Riehen eingebürgerten Thomas Stücklin wohnten zur Hauptsache im Oberdorf, gehörten entweder zum Mittelstand oder waren arm. öffentliche ämter versahen sie lange Zeit nicht. Sie heirateten in sozial ähnlich gestellte Familien ein. Die Umwälzungen der Zeit um 1850 führten, wie anderwärts, zur Landflucht und in die Industriearbeiterschaft. Die Anzahl der ehelichen und unehelichen Geburten stieg. Die finanziellen Verhältnisse nötigten manchmal zum Eintritt ins Pfrundhaus oder zur Auswanderung nach Amerika. Erst die letzten Generationen erlebten die Vorteile einer wirtschaftlich besseren Lage. Was Pfarrer Emil Iselin von den Riehenern allgemein sagte (1923), gilt auch für die meisten Angehörigen der Familie Stücklin, nämlich, dass sie «zuverlässig, aufrichtig und ehrlich» ihren nicht immer leichten Weg gingen.

Der Ölnoppi

Hans Jacob, der älteste des Neubürgers Lhomas, lebte an der oberen Rössligasse und war, wie sein Vater, Wagnermeister. Zwei seiner Söhne erscheinen jedoch als Oler oder ölmänner. Im Jahrbuch 1993 schildert Marianne Prack-Karlin anschaulich die Arbeit eines ölmüllers (auf Seiten 160 bis 162). In Riehen widmeten sich Angehörige der Familie Stücklin diesem Nebenerwerbszweig, waren sie doch zur Hauptsache Kleinbauern. Zuerst übte Fridlin, jüngster Bruder Hans Jacobs, diesen Beruf aus. Nun besass sowohl Hans Jacob als auch Fridlin einen Sohn mit Namen Hans Jacob: Der erste war Hans Jacob StticklinEger (1747-1802), der andere sein Cousin Hans Jacob Stücklin-Schmid (1746-1825). Bekanntlich bildete man zu Jakob die Koseform «Köbi» (baseldytsch «Keebi» und draus «Bebbi»), In Riehen konnte es auch «Nobbi» oder «Nappi» heissen. So gelangten die beiden Hansjakobe zum Dorfnamen «ölnoppi»; er blieb lange Zeit an der Sippe haften.

Der Krummholz

Diese Berufsbezeichnung erscheint zwar nur beim Neubürger Thomas und seinem zweiten Sohn gleichen Namens. Doch sind viele Nachkommen dem Wagnerhandwerk oder wenigstens einem anderen holzverarbeitenden Beruf treu geblieben. Nikiaus Stücklin (17611814), jüngster Bruder des jüngeren ölnoppi, beispielsweise lebte von seinem Wagnerhandwerk, beschäftigte einen Gesellen aus dem Markgräflerland, konnte lesen und schreiben, auch besass er ein Haus, eine Bibel und Land (1796). Sein Neffe Nikiaus, ein Sohn ölnoppis, fiel als bald Vierjähriger 1778 in die heissen Kirschendrusen und verbrühte, was bekanntlich Emanuel Le Grand in seinem Tagebuch festhielt (RJ 1989, Seiten 37 und 57). Andere Nachkommen ölnoppis in diesem Jahrhundert waren etwa der Tramangestellte Johann Stücklin (1885-1958), anlässlich seines 65. Geburtstages in der sozialdemokratischen Presse als «aktiver Parteisoldat» gelobt, und seine Schwester Sophie Löliger-Stücklin (1888-1961) oder Magdalena Schlup-Stücklin (1824-1910) in Bettingen. Dieser auf den ältesten Sohn des älteren Krummholzes zurückgehende Ast ist, zumindest was den Namen Stücklin anbetrifft, am Erlöschen.

Stücklein in der Vorstadt

Es gab auch einmal die heute leicht fremd anmutende Schreibweise «Stücklein». Der bereits erwähnte Krummholz Thomas der Jüngere erscheint so in den Akten. Er wohnte im Bereich Gartengasse-Baselstrasse-Tramschlaufe, den man damals «Vorstadt» nannte, bei seinem Sohn Hans Jakob Stücklin-Trächslin (1750-1809), der ebenfalls Wagner war. Der Beruf vererbte sich von Generation zu Generation weiter: Auf Hans Jacob den älteren folgte Hans Jakob Stücklin-Horn (1786-1854) und auf diesen der Sohn Heinrich (1813-1891), dessen Frau Catharina Schultheiss (1816-1888) als Hebamme wirkte. Johann Friedrich (1849-1896), ein Kind der beiden, erlernte wieder den Wagnerberuf, kam in seinen Wanderjahren nach Naumburg an der Saale und bekleidete später als wohl erster seines Geschlechts ein öffentliches Amt: Er gehörte von 1884 bis 1891 dem Bürgerrat Riehen an. Noch vorher (1878) fiel sein Haus an der Schmiedgasse einer Brandstiftung zum Opfer. Louise Stücklin-Wirz (1862-1947), seine dritte Gemahlin, ist als «Märtfrau» im Jahrbuch (RJ 1991, Seite 150) und im Dorfmuseum verewigt.

Johann Friedrich Stücklin war der letzte Wagner aus der Familie. Sein jüngster Sohn Ernst Stücklin-Hottinger (1891-1963) begründete die bekannte Gärtnerei an der Kornfeldstrasse 71. Sie wurde später vom Enkel Rudolf Stücklin-Lutz (1924-1990) weitergeführt. Dessen Bruder Ernst Stücklin-Thommen (geb. 1927), ebenfalls Gärtnermeister, stand dem kantonalen Friedhofamt vor. Silvio (geb. 1933), ein weiterer Bruder, wanderte nach Afrika und dann nach England aus.

Auswanderer

Er war nicht der Erste. Von den Geschwistern seines Grossvaters zog es Maria Magdalena Stücklin (geb. 1841) nach Amerika und Robert (1844-1873) nach Batavia (Djakarta). Heinrich (1855-1870), der Jüngste, ertrank beim Reiten in der Schwemme. Ein anderer, Heinrich (geb. 1789), weiterer Sohn Hans Jacob des älteren, wagte bereits 1818 die Fahrt über den Atlantik. Der Drechsler Thomas Stücklin-Hunziger (geb. 1794), sein Bruder, folgte ihm, obwohl bereits Grossvater, 1850 mit Familie und Schwiegereltern; die Tochter Rosina (geb. 1839) starb auf See. In Texas lebende Nachkommen meldeten sich 1988 beim Historischen Grundbuch Riehen. Viele Angehörige der Familie Stücklin zogen im 19. Jahrhundert ohne nähere Angaben aus dem Kanton fort. Vermutlich bildeten Armut und die Hoffnung, auf einem anderen Kontinent oder in einem anderen europäischen Staat eine glücklichere Zukunft zu finden, die Gründe. Manchmal verbesserte ein Nebenerwerb die finanzielle Situation, und man konnte in der Heimat bleiben. Der Taglöhner Thomas StücklinBreitenstein (1755-1817), ein Sohn des jüngeren Thomas, verdiente sich als Orgelzieher etwas dazu. Er wohnte an der Gartengasse, seine Frau war Analphabetin, die Töchter arbeiteten - obwohl damals (1795) erst acht beziehungsweise sechs Jahre alt - in der Fabrik. Eine davon, Magdalena (geb. 1789), wurde das letzte Opfer der 1814 in Riehen grassierenden Typhusepidemie. Ihr war ein Monat zuvor schon die Mutter erlegen.

Neue Berufe

Fridlin Stücklin (1761-1814), ein weiterer Sohn des jüngeren Krummholz, wohnte im Oberdorf und betrieb das Schreinerhandwerk. Dabei half ihm «1 Gesell catholisch, von Bregenz» (1796). Als Nichtbauer musste er, wie man ausdrücklich festhielt, das Brot kaufen. Hans Jakob (1794-1869), sein jüngster Sohn, versah das Amt eines Bannwartes und wohnte mit seiner Schwester Anna (1790-1864) an der Oberdorfstrasse 57. Unter dessen Kindern finden wir einen Knecht und eine Magd sowie Samuel Stücklin-Häner (1834-1906), Landwirt. In der nächsten Generation fand der übergang von der Landwirtschaft, der man wenigstens teilzeitlich noch treu blieb, zu neuen Berufen statt: Der Maurer Wilhelm Stücklin (1862-1937) zog nach Basel und wurde Feuerschaubeamter, Verena Stücklin (vht. Reinhardt, 1871-1895) arbeitete in einer «Cichorieefabrik» und Johannes (1873-1963) zeitweilig als Wiesenwaldarbeiter; Johann Jakob StücklinMeyer (1858-1917), der älteste, war Giesser, seine Söhne wirkten als Marmorsäger, Automobilführer und Grenzwächter. Ein Sohn des Letztgenannten wurde der erste Akademiker der Familie: Es handelt sich um den Veterinär Kurt Max Stücklin (1924-1994).

Heinrich Stücklin-Niggli (1840-1918), ein Enkel von Hans Jakob Stücklin-Horn, verdiente in der Stadt sein Brot als Kutscher und avancierte später zum Färbermeister. Er war Grossvater der Kaufleute Wilhelm (18941968), der in England lebte, und Paul (1898-1958), der es zum Direktor brachte. Solche Entwicklungen sind gesamtgesellschaftlicher Art und natürlich nicht auf die Riehener Stücklin-Sippe beschränkt. Dazu gehört auch, dass die Leute in zunehmendem Masse nicht mehr in ihrem Heimatort wohnen, sondern an verschiedenen Orten der Schweiz anzutreffen sind.

Eine böse Fasnacht

Wegen verbotenem Maskentragen - der Riehener Gemeinderat hatte für die Fasnacht ein Vermummungsverbot verhängt - gerieten 1838 im Wirtshaus Dreikönig Johannes Stücklin und zwei weitere mit einem Gendarmeriegefreiten in Streit. Dabei kamen dem Polizisten «seine Monturstücke und Effekten im Werth von 51 Batzen» abhanden. Stücklin gab an, aus Rache gehandelt zu haben, war ihm doch nicht gestattet worden, anlässlich seiner Hochzeit am 1. Mai 1837 mit den Kanönchen auf dem Kirchturm Salut schiessen zu lassen. Wegen Verprügelung des Landjägers wurde der Rauflustige zu zweimonatiger Einschliessung verurteilt. Solche Ereignisse weiss fast jede Familiengeschichte zu erzählen. Der Landarbeiter Johannes (1808-1841) lebte nicht lange, seine wiederverheiratete Witwe zog nach Amerika, und seine beiden Töchter starben als Kinder. Er war ein Enkel des 1746 geborenen Olnoppis, den man übrigens auch «Stükkli» schrieb. Dessen Bruder Friedrich oder Fridlin Stücklin (1759-1836) übte als vielleicht letzter des Stammes den Beruf eines «Oehlmannes» aus, sein Sohn Samuel (1803-1874) war wieder Wagner. Die Nachkommen dieses ölnoppis und mit ihnen auch diejenigen Fridlins, des jüngsten Sohnes des Neubürgers Thomas, sind im Mannesstamm vermutlich noch im letzten Jahrhundert ausgestorben.

Der wilde Mann

Der Taglöhner Heinrich Prack (1759-1832) aus dem aargauischen Mönthal heiratete in Riehen ein. Eine seiner Töchter, Susanna (1797-1879), gebar ledigerweise drei Kinder, zwei davon gerieten auf eine schiefe Bahn. Eine andere Tochter, Anna Prack (1801-1852), heiratete den bereits genannten Bannwart Hans Jakob Stücklin. Vermutlich wuchs Johann Jakob (1822-1877), das rechtschaffene Kind von Susanna Prack, bei diesem Ehepaar auf, beschloss doch der Kleine Rat des Kantons Basel-Stadt unter dem 18. März 1874 folgendes: «Johann Jakob Prack Namensänderung in Stücklin Gemeindepräsident von Riehen beantragt aus Anlass der Bereinigung des dortigen Familienbuches Umänderung des Namens von Johann Jakob Prack, daselbst, in Johann Jakob Stücklin, was im folgenden schon 1835 vom Statthalter für angezeigt aber nicht durchgeführt worden. Inzwischen habe er seinen Vaternamen getragen. ://: Damit wird diese Namensänderung für Johann Jakob Stücklin und seine Kinder bewilligt.»

Die Familie Stücklin kam auf diese Weise zu einem aufgepfropften Ast. Er erwies sich als in verschiedenen Hinsichten recht fruchtbar. An manchen Männern dieses Astes haftet der Dorfname «wilder Mann». Der vom Prack zum Stücklin mutierte Johann Jakob übte die Tätigkeiten eines Landmannes und Gerichtsweibeis aus. Auch sein Sohn Wilhelm (1859-1912) war Landwirt und soll als erster wegen seiner Zornausbrüche «wilder Mann» genannt worden sein. Wild wurde er auch dann, wenn man ihn «wilden Mann» rief. Sein Sohn Hans (1889-1958) ergriff den Beruf eines Metzgers und Wilhelm (1890-1976), der andere, übrigens ein bekannter Schütze und Oberzeiger, denjenigen eines Briefträgers.

Jakob Stücklin (1854-1927), der älteste des ehemaligen Prack, trug den Dorfnamen «Stügglivoppel» (wohl nach dem Vornamen seiner Mutter Sophia Schmid [18291870]). Er war Heizer und Appreteur. Aus seiner Ehe mit der Schneiderin Anna Schwab (1859-1918) gingen 14 Kin der hervor. Manche von ihnen folgten beruflich dem Vater, indem sie sich dem Bereich Heizung und Energie zuwandten. Wirkte da der Genius des ölnoppi?

Von den vielen Nachkommen dieser 14 Kinder seien hier stellvertretend für andere genannt: Jakob (1912— 1973), Begründer der Guggemuusig Stügglischränzer, Umberto (geb. 1934), Mitglied des Grossen Rates, Heinz (geb. 1941), Sohn des unten genannten Kurt, als Maschineningenieur Direktor der Konstruktionswerkstätte Thun, Christoph (geb. 1948), Sohn des ebenfalls nachstehend erwähnten Paul, als promovierter Theologe Pfarrer in Ittigen, und Rolf Stücklin (geb. 1964), Fussballer.

Eine Heizungsfirma und das Evangelium

Carl Stücklin (1882-1937), eines der 14 Kinder, gründete nach Lehr- und Wanderjahren, die ihn nach Dortmund in Westfalen brachten, 1909 am Webergässchen 2 eine Firma für die Erstellung von Zentralheizungen und sanitären Anlagen. Nach Rückschlägen gelang es vor allem dem ältesten Sohn Paul (1910-1977), der sich zum Ingenieur emporgearbeitet hatte, unterstützt von seinem Bruder Kurt (geb. 1915), die heutige Stücklin AG für Heizungs- und ölfeuerungsanlagen in Basel und die Stücklin & Cie AG für Kessel- und Apparatebau in Füllinsdorf zum Erfolg zu führen. Als Unternehmensphilosophie wirkte der Geist des Evangeliums. Die Mutter Maria Stücklin-Greb (18811965) hatte ihre Kinder in diesem Geist erzogen. Sie waren deswegen in der reformierten Kirche, im Blauen Kreuz, in der Mitternachtsmission und in anderen christlichen Werken tätig. Jul Stücklin (geb. 1919), ein weiterer Bruder, löste sich 1958 mit der Stücklin Sanitär AG vom Stammbetrieb ab. Auch er gehörte - teilweise gleichzeitig mit seinem Cousin Umberto - dem Grossen Rat an. Berühmt ist seine Sammlung von Sanitärgegenständen. Der Sohn Dieter (1956-1992) verlor sein Leben als Verwalter eines Missionspitals in Kamerun: Vielleicht eine Parabel der Geschichte der Familie Stücklin.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1995

zum Jahrbuch 1995