Von Natur aus der Natur verbunden

Franz Osswald

Still und unerwartet hat Jürg Eduard Schmid-Kocher Ende Oktober 2017 diese Welt verlassen. Eine Welt, die er mit seiner Frau Christin Kocher intensiv bereist und als Fachmann für Natur und Umwelt der Gemeinde Riehen im Kleinen mitgestaltet hat.

Wenn ich an Jürg Schmid zurückdenke, sehe ich vor meinem geistigen Auge eine offene Türe. Jene seines Büros bei der Gemeinde Riehen. Jürg war ein begnadeter Schreiber, verfasste nicht nur Projektbeschriebe, sondern auch Kurzgeschichten und mehrere Texte für das ‹Jahrbuch z‘Rieche›. Jürgs Türe stand offen, er schrieb diese Beiträge gern, mit sprachlicher und fachlicher Kompetenz. Ja, Jürg war ein Geschichtenerzähler. Und das kam ihm zugute, wenn er für ein Projekt einstehen musste oder wenn er beispielsweise die Kompostieranlage im Maienbühl vorstellen durfte: an einer Mitgliederversammlung der Sozialdemokratischen Partei, in der Jürg ein langjähriges und engagiertes Mitglied war. Als Interessensvertreter stand er auch im Dienste des VPOD Riehen.

SPRACHROHR DER NATUR
Überhaupt war Jürg Schmid ein tatkräftiger, hilfsbereiter Mensch, ein Praktiker im besten Sinne des Wortes. So suchten nicht nur an seinem Arbeitsplatz Kolleginnen und Kollegen verschiedener Abteilungen Rat bei ihm, sondern sein ganzes Umfeld profitierte von seinem lösungsorientierten Denken und Handeln. Dieser konstruktive Weg spiegelt sich auch in der Entwicklung seines Arbeitsfelds: Aus dem Ressort ‹Abfallbewirtschaftung› wurde bald einmal die ‹Fachstelle Umwelt›, in der er sich für Hochstammbäume einsetzte, für die Quartierkompostierstellen oder für den ‹Naturmärt› und vieles mehr. Als ‹Handwerker› mit Sinn fürs Praktische lag ihm viel daran, dass das, was er machte, auch gut gemacht wurde – wenn möglich sehr gut. Manchmal waren das kleine Dinge, Details. Ein Beispiel: Mit Kari Senn, ehemaliger Gemeinderat und dadurch auch beruflich mit ihm verbunden, hielt Jürg Schmid Schafe. Die ‹Gattertore› befestigte Kari oft nur mit Seilen, was Jürg als halbe Sache betrachtete. Schnell waren deshalb die Tore mit richtigen Scharnieren versehen, sodass das ‹Gatter› eine ‹Gattig› machte. Mit den Schafen ist auch gleich eine Herzensangelegenheit von Jürg angesprochen: die Natur insgesamt und die (Haus-)Tiere im Speziellen. Über 30 Jahre teilten sich Kari Senn und Jürg Schmid das gemeinsame Hobby der Schafhaltung. Als Präsident von Pro Natura diente Jürg Schmid – wie im Beruf – der Natur als Sprachrohr. Und das tat er konsequent, denn er hatte eine eigene Meinung. Die vertrat er mit Überzeugungskraft und war so für die Gleichgesinnten ein Segen, für seine Gegner zuweilen eine hart zu knackende Nuss. Auf kantonaler Ebene gehörte Jürg Schmid viele Jahre als Mitglied und Präsident der regierungsrätlichen Kommission Umwelt an und begleitete manches Bauprojekt mit seinem Fachwissen und seinem diplomatischen Talent. Immer zum Wohle der Natur.

DURCHS ‹GUNDELI› GEPRÄGT
Jürg Schmid war indes kein geborener Naturbursche. Das Licht der Welt hatte er im städtischen Basler Quartier Gundeldingen erblickt. Und dieses Quartier, das er zeitlebens liebte, hatte vermutlich einen ganz bestimmten Einfluss auf seine Lebenswege. Jenseits der Gleise muss ihm die Lust am Reisen eingeimpft worden sein, das Interesse an fremden Ländern und Kulturen und die Neugier am Leben anderer Menschen. Jürg wollte nach der Matur Pilot werden und hatte bereits die Eignungsprüfung bei der Swissair bestanden, da mahnte ihn sein Götti zur Vorsicht und führte ihm vor Augen, wie das Pilotenleben real aussieht: Er nahm Jürg zu einem befreundeten Piloten mit, der ihm von langen Abwesenheiten berichtete, von den Schwierigkeiten, Freundeskreis und Familie zu pflegen, und von anderem mehr. Jürg sah es ein und verzichtete, die Reiselust aber blieb. Der Götti arrangierte dann, dass Jürg auf der ‹Genève›, einem Schweizer Hochseeschiff, als ‹Deckboy› anheuern konnte. Jürg fuhr einmal die ganze Westküste Afrikas von Hafen zu Hafen hinunter und wieder hinauf. So war es nur folgerichtig, dass Jürg nach der Matura am Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Gymnasium ein Ethnologiestudium ins Auge fasste. Vier Semester hielt es ihn in Basel, dann zog es Jürg nach Neuguinea, wo er Feldforschung betrieb. Wissen, das er in einer Dissertation verarbeiten wollte – doch es kam anders.

IM JURA EIN ZUHAUSE GEFUNDEN
Zurück an der Universität, führte ihn sein Interesse an anderen Menschen zu Christin Kocher, einer Ethnologin, die er 1974 heiratete. Die beiden blieben dem Reisen treu, denn Christin wurde an die University of Kent in Canterbury berufen. Und so waren die zwei einmal hier und einmal dort. Hier, das war in Riehen, wo das Paar ebenfalls ‹reiste› – im Kleinen: von der Äusseren Baselstrasse an die Rössligasse, dann an die Mohrhaldenstrasse und weiter an die Schützengasse und den Eisenbahnweg, um schliesslich in der Mühlimatt ein letztes Mal im grossen grünen Dorf eine Wohnstatt zu beziehen. Vor zwölf Jahren, 2006, fanden Jürg Schmid und Christin Kocher ihr jetziges Zuhause – ebenfalls in einem Dorf, einem richtigen: in Bressaucourt in der Ajoie. Dort, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Die beiden Deutschschweizer wurden im französischsprachigen Dorf gut aufgenommen, Jürg konnte hier all seine Hobbies und seine Fähigkeiten voll ausleben. Der Ort war wie geschaffen für ihn. So fuhr er mit seinem geliebten ‹Töff› noch einige Jahre zur Arbeit nach Riehen. Später war er dann mit seinen Kollegen ‹on the road again›. Unterwegs war Jürg auch oft zu Fuss, zusammen mit dem Hund. Die Spaziergänge führten ihn zu seiner Freude an manch wunderbaren Flecken Erde. Sein handwerkliches Geschick kam weiterhin Mensch und Tier zugute, zimmerte Jürg doch in Haus und Hof Ställe für die Enten und Hühner oder ein ‹Terrässli› vor dem Stubenfenster für seine Frau Christin. Und etwas, für das mit grosser Wahrscheinlichkeit das ‹Gundeli› und der Bahnhof verantwortlich sind, pflegte Jürg im Jura mit viel Leidenschaft: seine Modelleisenbahn, die ein wahres Bijou darstellte.

SEINE LEIDENSCHAFTEN VOLL AUSGELEBT
Das Verspielte mag ein Grund und eine Eigenschaft von Jürg sein, weshalb er sich mit Kindern gut verstand. Sein ‹Göttibueb› Daniel weilte viele Stunden bei ihm, zum Beispiel während der Ferien auch in Riehen bei den Schafen. Treue Begleiter waren stets Hunde – der eigene und Nachbarshunde, die alle im Juradorf ein schönes Zuhause gefunden hatten. Und dann war da natürlich seine Frau Christin, mit der er – oft mit dem Wohnwagen und samt Hund – nah und fern erkundete und wenn möglich fischte. Dazu kam er indes nur sehr selten. Dafür pflegte Jürg eine weitere Leidenschaft in den Caravan-Ferien exzessiv: sein Interesse für romanische Architektur. Quer durch Frankreich stoppten er und Christin an jeder Kirche, jeder Burg und jeder Abtei und entdeckten so viel Sehenswertes. Den ‹Chantier Médiéval› in Guédelon – ein Projekt, bei dem eine mittelalterliche Burg mit damaligen Baumethoden nachgebaut wird – haben die zwei per Zufall entdeckt, als der Bau 1997 eben gestartet wurde. Alle zwei, drei Jahre ‹pilgerten› Jürg und Christin nach Guédelon, um die Fortschritte und Veränderungen zu beobachten, das letzte Mal 2017. In Bressaucourt, wo der weitgereiste und gewandte Jürg sich zu Hause und geborgen fühlte, verbrachte er gerne gemütliche Abende mit Christin. So auch an seinem letzten Tag auf Erden. Der Winter stand vor der Türe, es war der 30. Oktober. Jürg räumte den Garten auf und stellte die Blumentöpfe ins Haus – sein Stück Natur war auf den Winterschlaf vorbereitet. Bei einem Glas Wein genossen die beiden einen sonnigen Abend und danach schaute Jürg einen seiner geliebten Krimis, die ihn in mancher Nacht bis in die frühen Morgenstunden begleiteten. Mit Hund Theo – Miggi war ein Jahr zuvor gestorben – begab er sich auf eine Runde zu sehr, sehr später Stunde. Kaum nach Hause zurückgekehrt, trat Jürg unverhofft den letzten Weg jedes Menschen an. Er, der in den letzten Jahren zuweilen unter seiner Gicht gelitten hatte, durfte so gehen, wie er es sich gewünscht hatte.

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2018

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