Vor hundert Jahren Riehen wird Eisenbahnstation

Eduard Wirz

Zu Beginn der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts näherte sich die «Großherzoglich-Badische Rheintal-Eisenbahn», die von Mannheim nach Konstanz führen sollte, von Freiburg her, der Stadt Basel. Im Januar 1851 war die Bahn bis Haltingen betriebsbereit. Am 27. Juli 1852 kam zwischen der Schweiz und Baden ein Staatsvertrag zustande, der den Bau der Badischen Bahn von Haltingen über Kleinbasel nach Schaffhausen und Konstanz sicherstellte und eine Zweigbahn über Lörrach ins Wiesental in Aussicht nahm. Am 20. Februar 1855 konnte die Strecke Haltingen—Basel dem Betrieb übergeben werden. Am 2. Februar 1856 wurde die Strecke Basel—Säckingen und damit der durchgehende Verkehr eröffnet.

Artikel 35 des Vertrages vom 27. Juli 1852 bestimmte, daß, wenn Baden eine Zweigbahn nach Lörrach über baslerisches Gebiet zu führen wünsche, dies auf Kosten der Bahn und unter der Verpflichtung, in Riehen eine Haltestelle zu errichten, gestattet werde. Auf diesen Vertrag berief sich nun ein Schreiben des «Großherzoglichen Ministeriums des Großherzoglichen Hauses und der auswärtigen Angelegenheiten», das die Basler Regierung Ende Juli 1858 erhielt. Darin wurde ausgeführt, daß einige Fabrikanten aus dem Wiesental zusammen mit andern Interessenten die Erbauung einer Eisenbahn von Kleinbasel nach Schopfheim bewerkstelligen wollten. Sie ersuchten, die Trassierung der Bahn und die Aufstellung eines Kostenvoranschlages durch großherzogliche Techniker vornehmen zu lassen; man möge auf dem Gebiete des Kantons Basel-Stadt kein Hindernis in den Weg legen.

Basler Handelsherren begründeten im 19. Jahrhundert die Textilindustrie des Wiesentals, und sie waren es nun auch, die zusammen mit Wiesentaler Fabrikanten die Bahn auf privatrechtlicher Basis erbauten. Vom Gründungskomitee wurden die Vorteile der neuen Bahn hervorgehoben: Zeit- und Geldersparnis, Werterhöhung von Boden und Bodenerzeugnissen, Hebung von Handel und Industrie, bessere Erschließung des baslerischen Ausfluggebietes im Wiesental und Schwarzwald; Basel sei auch der Marktplatz für das ganze Wiesental. Am 3. September konstituierte sich die Gesellschaft zur Erbauung der Wiesentalbahn. Zum Präsidenten des Verwaltungsrates wurde der Basler Wilhelm Geigy gewählt. Am 23. November erhielt die Gesellschaft die Konzession. Zwei Monate später erfolgte die Ausschreibung für die Lieferung von Schienen und Schwellen. In Riehen war offenbar die Begeisterung für die Bahn nicht so groß wie in der badischen Nachbarschaft. Wir lesen im Bericht der Gesellschaft: «Insbesondere war die Expropriation in dem Schweizerorte Riehen mit viel Schwierigkeiten verbunden und mit dem Abbruch der in die Bahnlinie fallenden Gebäude konnte erst Mitte März 1862 begonnen werden. überhaupt beinahe alle Güter und Gebäude auf dieser Gemarkung mußten im Zwangswege erworben werden, während die Erwerbung der Grundstücke auf badischem Gebiet leichter vonstatten ging, und nur einen Prozeß zu Stetten und Lörrach, einen zu Maulburg und zu Steinen nötig machte. Wegen der übertriebenen Forderungen der Land- und Hauseigentümer in Riehen mußte größtenteils das Bundesgericht angerufen werden, welches beinahe überall geringere Entschädigungen bewilligte, als die Gesellschaft angeboten hatte.»

Die Eröffnungsfeierlichkeiten fanden am 5. Juni 1862 statt. Das Programm sah auch einen kurzen Halt des Festzuges in Riehen vor zur Mitnahme der Ortsbehörde mit dem Gemeindepräsidenten Nikiaus Löliger-Jundt an der Spitze und der übrigen Eingeladenen. Das Stationsgebäude trug die bezeichnende Inschrift: «Rosen auf den Weg gestreut und des Harms vergessen!» Daß man auch vor hundert Jahren schon Feste zu feiern verstand, geht aus der nachfolgenden Beschreibung hervor: «An den Eröffnungsfestlichkeiten beteiligten sich die höchsten Staatspersonen beider Länder. Am 4. Juni kamen Bundespräsident Stämpfli und Bundesrat Näf in Basel an; sie stiegen zu Dreikönigen ab und erhielten eine Ehrenwache. Am folgenden Tag um 9 Uhr morgens begaben sie sich ins Rathaus und wurden dort von der ganzen Regierung empfangen. Dann fuhren die Bundesräte und einige andere Schweizer Ehrengäste mit den baslerischen Behörden zusammen hinüber zum Badischen Bahnhof. Zwei Kompagnien Miliz versahen dort den Ehrendienst; den musikalischen Teil der Feier bestritt die Stadtmusik. Dem spiegelblanken Bahnzuge, der nun von Norden hereinfuhr, entstieg der Großherzog in eigener Person; ihm folgten mehrere Staatsminister und die Präsidenten beider Kammern. Nach kurzer Vorstellung fuhr um lV/2 Uhr der Festzug — gezogen von der Lokomotive ,Rötteln' — nach Schopfheim ab, und wiederum verlief seine Fahrt aufs beste. Das ganze Wiesental prangte im schönsten badischen und schweizerischen Fahnenschmuck, und überall, an allen Bahnhöfen beteiligte sich die gesamte Bevölkerung mit heiterster Freude an dem Fest. Am Festmahl in Schopfheim, das der Großherzog anbot, brachte zuerst der Präsident der Bahngesellschaft, Oberst W. Geigy von Basel, das Hoch auf den fürstlichen Gastgeber aus, und der Großherzog antwortete mit einem solchen auf die Schweiz. Der Bürgermeister von Schopfheim ließ die Stadt Basel hochleben und Bundespräsident Stämpfli das befreundete Nachbarland Baden. Nicht ohne Unrecht stand Stämpfli im Verdachte, zu jenen Landsleuten zu gehören, die ihre demokratische Gesinnung und ihr Schweizertum vor Ausländern, besonders vor hochgestellten, durch eine möglichst kräftig betonte Hemdärmligkeit erwahren zu müssen glauben. Die etwas ängstlichen Basler Herren waren deshalb aufs Angenehmste enttäuscht, als Seine Exzellenz der Herr Bundespräsident in Schopfheim sich seiner Aufgaben mit vollendetem Takt entledigte. Am Vormittag schon hatte sich glücklicherweise gezeigt, daß er nicht allen guten Einflüssen unzugänglich war. Da hatte der Ratsherr Im Hof, als er neben Stämpfli ins Kleinbasel fuhr und eben seine Glacés zum Fürstenempfang überstreifte, mit Entsetzen bemerkt, daß der Herr Bundespräsident sich nicht im Besitze solcher Gegenstände befand. Im Hof ließ halten und bewog den Formenverächter, im ersten besten Lädelchen Kleinbasels noch schnell das Versäumte nachzuholen. An Schönheit sollen diese bundesrätlichen Handschuhe den ratsherrlichen allerdings bedenklich nachgestanden haben. — Um 7 Uhr abends fuhr der Festzug von Schopfheim nach Basel zurück. In Lörrach empfahl sich der Großherzog und brach für seine Person das Jubilieren ab. Allein in Basel wurde nach alter Väter Sitte der Kelch der Festesfreude noch bis zur Hefe geleert. Ständchen der Liedertafel und des Männerchors sowie ein gewaltiger Fackelzug brachten die Verehrung der Stadt für die Vertreter der Landesregierung zum Ausdruck.» Die Festlichkeiten schienen an die Teilnehmer allerhand Anforderungen gestellt zu haben, denn eine Meldung aus Bern, datiert vom 6. Juni, lautet wie folgt: «Die heutige Sitzung des Bundesrates war eine sehr kurze, da die beiden Repräsentanten des Bundesrates bei der Eröffnung der Wiesentalbahn noch nicht zurück waren.»

Kehren wir vom Festen in den Alltag zurück. Am 7. Juni wurde die Bahn dem Betrieb übergeben. Das Bahnhöflein stand, aber Riehen mußte noch über ein Jahrzehnt um den Bau eines Güterschuppens kämpfen. Die Bahndirektion vertrat die Auffassung, daß die bescheide nen Gütermengen dieser nicht industriellen Ortschaft voraussichtlich durch die von Holzladungen nach Basel leer in den Schwarzwald zurückkehrenden Fuhrwerke befördert werden könnten.

Auch beim Personenverkehr gab es in Riehen viele Anstände: Alle nach Basel führenden badischen Strecken und der Badische Bahnhof in Basel selbst waren deutsches Zollinland; nur Riehen bildete eine Ausnahme. Für Reisende nach Riehen bestand in Basel ein separater Wartesaal, und die Wiesentalzüge führten besondere «Riehen»-Wagen. Zu diesen wurden die Reisenden durch badische Zöllner geführt und bei der Gegenrichtung in Basel vom Zug zum Ausgang nach der Stadt begleitet. Diese Beamten überwachten auch die Züge zwischen Basel und Lörrach, damit die Reisenden des innerdeutschen Verkehrs nicht mit jenen nach und von Riehen in Verbindung treten konnten. Wer von Riehen in Richtung Lörrach fuhr, mußte ebenfalls diese «Riehen»Wagen benützen, damit die Zollrevision im Zug oder in Lörrach vorgenommen werden konnte. Im Bahnhof Riehen befand sich keine deutsche, lediglich eine schweizerische Zollstelle für die von Lörrach Eintreffenden.

Nach rund vier Jahrzehnten, im Jahre 1906, stand die Station Riehen in bezug auf den Personenverkehr von 410 badischen Stationen an 16. Stelle, während z.B. Lörrach den 7. Rang einnahm. So sahen Verkehr und Einnahmen in jener Zeit aus:

Personenverkehr19061907
Gelöste Fahrkarten........  182 201118 033
Arbeiterwochenkarten.......  9 2189 897
Kilometerhefte..........  7369
Einnahmen aus dem Personenverkehr . .  . 33 535 Mk.  39 162 Mk.  
Güterverkehr   
Güterversand..........  1 193 t705 t
Güterempfang..........  2 655 t2 664 t
Einnahmen aus dem Güterverkehr . . .  . 37 569 Mk.  40 002 Mk.  

Wie an andern Orten, so war es auch in Riehen der Verkehrsverein, der sich immer wieder mit der Bahn beschäftigte und seine Wünsche und gelegentlich auch Klagen vorbrachte. So lesen wir im ersten Vereinsbericht aus dem Jahre 1900: «Von den verschiedenen in unser Arbeitsprogramm fallenden Aufgaben haben wir uns durch Dringlichkeit veranlaßt, zuerst den Eisenbahnverhältnissen zugewendet. Wir strebten Sauberkeit, Ordnung, bessere Beleuchtung in den Wartsälen und Wagen, Verbesserung der Zugsverbindungen, Vereinfachung der Fahrkartenabgabe an.» Ein Jahr später stellt der Bericht fest: «Mit dem Hinweis auf den bevorstehenden Umbau des Bad. Bahnhofes wird übrigens jeder alte und neue Notstand auf diesem Gebiete von der Bahnverwaltung geduldet und mit mehr oder weniger Grund entschuldigt.» Nicht erbaut war man in Riehen, als 1905 die Bahnsteigsperre eingeführt wurde. Am 9. November des gleichen Jahres beschloß der Große Rat die Tramverbindung Basel—Riehen. Der Bericht sagt dazu: «Nicht ohne Einfluß auf die eben erwähnte Beschlußfassung des Großen Rates war ohne Zweifel die Durchführung der Bahnsteigsperre auf dem Badischen Bahnhof und der Station Riehen.» 1906 konnte für die vielen Schüler, die in Basel die Schulen besuchten, zwischen 4 und 5 Uhr eine Verbesserung der Fahrgelegenheit erzielt werden. Der Rangierzug, der um 4.36 Uhr Basel verließ, erhielt einen Personenwagen, in dem auch andere Personen zu Lokaltaxen mitfahren konnten. Das Jahr 1907 brachte noch verschiedene bauliche Veränderungen auf der Station Riehen. Das Interesse der Riehener aber wendete sich immer mehr der bevorstehenden Tramverbindung zu.

Am 8. August 1908 fand die Eröffnung der Tramlinie Basel-Riehen, der Nr. 7, statt. Obwohl man ein überqueren der Passerelle und ein Umsteigen beim Badischen Bahnhof in Kauf nehmen mußte, fing das Tram an, die Bahn zu verdrängen. 1909 nahm die Eisenbahnstation Riehen von 453 Stationen im Personenverkehr nur noch die 136. Stelle ein, im Güterverkehr — den das Tram ja nicht übernahm — gar erst die 274. Riehen befand sich weit hinter Lörrach und den andern industriereichen Ortschaften des Wiesentals. In Basel hatte man inzwischen mit dem Bau des neuen Badischen Bahnhofs begonnen, und in unserm Dorf beschäftigte man sich nun vor allem mit der Führung der Tramlinie, denn «wir sind für die Zukunft einzig auf das Tram angewiesen. Die Wiesentalbahn verliert mit ihrer Verlegung des Bahnhofs — der neue Bahnhof war weiter vom Stadtzentrum entfernt, der alte befand sich dort, wo heute die Mustermesse steht — für unser Gemeinwesen ihre bisherige Bedeutving hinsichtlich des Personentransportes.» Merkwürdigerweise ist in unserm Dorf noch ein Stücklein vom alten Badischen Bahnhof erhalten. Im Türmlein des Burgstraßeschulhauses zeigt die Uhr die Zeit an, wie sie es zuvor im Turm des alten Bahnhofs getan hat. Man sprach in jenen Jahren auch von einer Unterführung des Bahnüberganges an der Schmiedgasse. «Der Antrag erschien verfrüht», stellt der Bericht fest. «Wir wollen vorerst abwarten, wie sich die Abwicklung des Verkehrs gestaltet nach der Einführung des elektrischen Bahnbetriebes.» — Hier seien noch einige Daten nachgetragen. 1876 wurde die Wiesentalbahn bis nach Zell verlängert, 1899 ging die Bahn in den Besitz der Badischen Staatsbahn über, und im gleichen Jahr wurde die Schmalspurbahn Zell—Todtnau eröffnet. 1913 wurde die Wiesentalbahn elektrifiziert.

Am 15. September des gleichen Jahres wurde der neue Badische Bahnhof eröffnet. Der Tramanschluß wurde zwar zunächst nicht ganz nach den Wünschen der Riehener gelöst, aber man konnte sich zufrieden geben. Und die Bahn? «Ob dem Tram ist die Wiesentalbahn bei uns nicht in Vergessenheit geraten. Wohl kommen wir hier weniger mehr in den Fall zu reklamieren.» Ein Jahr später brach der Erste Weltkrieg aus. Die Station Riehen wurde geschlossen. 1921 wurde der Verkehr teilweise wieder aufgenommen. Er erreichte aber seine einstige Bedeutung nicht wieder, denn Tram und Autos, auch die Lastwagen, drängten die kleine Station immer mehr in den Hintergrund. Sie wurde auch während des Zweiten Weltkrieges wieder geschlossen.

Wie steht es im Jubiläumsjahr der Bahn? 46 Züge fahren täglich in beiden Richtungen, 14 Personenzüge halten in Riehen. Doch die Benützung ist nicht groß. Im Güterverkehr werden zurzeit nur noch Expreßgüter und Gepäck befördert. — Also weg mit der das Dorf durchschneidenden Bahn! So werden immer wieder Stimmen laut. Wir wollen nicht voraussagen, welcher Weg einst eingeschlagen wird, sondern uns nur daran erinnern, wie manche Jahre es geht, bis z. B. eine Umgehungsstraße und eine Autobahn erdauert sind. So schnell schießen bekanntlich die Preußen nicht, und die Schweizer erst recht nicht, und beide haben ja ein Wörtlein dazu zu sagen, nicht etwa nur die Riehener.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1962

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