Warum Der Maler Walter Schüpfer

Franz Osswald

Walter Schüpfer hatte kein Flair für Publizität - sein Werk gilt es wieder zu entdecken. Schüpfer starb 1972 in Riehen.

Mein Name steht nicht in der Liste jener Menschen, mit denen Walter Schüpfer eine innige Freundschaft pflegte - leider. Gerne hätte ich diesen Menschen kennen gelernt, der mir bis vor einem Jahr nur vom Namen her bekannt war. «Mariettchens Hochzeitsreise» führte nicht nur Walter Schüpfer und seine Frau Marietta Schüpfer-Karth zusammen, sondern liess auch mich mit Schüpfer Bekanntschaft schliessen, wenigstens über seine Werke.

Jene Hochzeitsreise, die da in Bild und Wort erzählt wird, fand nie statt. Mariette Schüpfer verunfallte, musste sich in Spitalpflege begeben, und so wurde die Hochzeitsreise kurzerhand zu einem fiktiven literarischen und malerischen Erlebnis. An verschiedenen Talenten fehlte es Walter Schüpfer sein ganzes Leben lang nicht.

Die Familienverhältnisse beschreibt Oliver Wackernagel, von Walter Schüpfer «Küller» genannt, wie folgt: «Walter Schüpfer, Bürger von Schenkon, wurde als fünfter Sohn von Oskar und Paulina Schüpfer-Favez am 30. Dezember 1903 in Luzern geboren. Seine vier älteren Brüder waren Alfred, ein aussergewöhnlich sparsamer und rechnender Versicherungsagent, der wegen eines erlittenen Gewehrschusses eine Prothese trug. Alfreds jüngerer Bruder war der früh verstorbene Oskar. Der drittälteste Bruder, Max, (laut Familienschein Arnold Walter) wurde später Caféhändler in Luzern. Walters älterer Bruder war Hariy (laut Familienschein Leo Heinrich), der den Beruf eines Zahntechnikers ausübte.»

Genau diesen Beruf erlernte auch Walter Schüpfer, dessen Familie nach dem frühen Tod des Vaters 1919 nach La Tour-de-Peilz bei Vevey in die Heimat seiner Mutter zog. Seine erste Stelle trat Schüpfer im Neuenburger Jura an, in La Chaux-de-Fonds. Zu jener Zeit frönte er noch nicht der Malerei, sondern der Musik. Seit seiner Jugend war das Klavierspiel sein eigentliches Hobby. Als er mit 18 Jahren seinen ersten Lohn erhielt, nahm er erstmals Unterricht. Sein musikalisches Talent war gross, sein Wille zum üben ebenfalls. Nur selten nahm er hingegen den Malkasten hervor, einen «Sonntagsmaler» nennt er sich selbst in einem seiner Essays.

Oft war Walter Schüpfer in La Chaux-de-Fonds zu Gast bei einer gutbürgerlichen Familie, deren vier Töchter «ein recht braves und stabiles Sonatendasein fristeten». Zu seinem Abschied - Walter Schüpfer zieht es nach zwei Jahren im Jura weiter - wurde ein Fest veranstaltet, in dessen Verlauf auch die Frage seiner Zukunft aufgeworfen wurde - nicht ohne Hintergedanken. Dort ist dem 22-Jährigen erstmals bewusst geworden, dass er sein Leben irgendwann der freien Kunst zuwenden werde.

Noch aber stand die Musik im Zentrum. In Chur, seiner nächsten Station, gründete Schüpfer mit Laienmusikern eine Band. Dem Rhythmus von zwei Jahren blieb er treu, er verliess die Bündner Hauptstadt Richtung Paris. Der Aufenthalt in der Weltstadt endete ernüchternd. Nachdem sein Geld aufgebraucht war, entschloss er sich, «ins Land der soliden Arbeitsbedingungen zurückzukehren» - nach Basel. Dort tritt er eine Stelle bei Professor Oskar MüllerWidmann an der Aeschenvorstadt 71 an. Dank einer Weiterbildung ist Walter Schüpfer als erster Zahntechniker in der Lage, in Basel Jacket-Kronen auszuführen.

In Basel nimmt Schüpfer wieder Klavierunterricht, entdeckt indessen mehr und mehr die bildende Kunst. Ein Glücksgefühl erzeugt in ihm eine Ausstellung von Henri Matisse, ja die Bilder lösen in ihm einen Sturm der Begeisterung aus. Das ist der eigentliche Beginn seiner künstlerischen Laufbahn. Nach der Arbeit stieg er in sein Atelier, das er sich im Estrich eingerichtet hatte, und malte Aquarelle. Erste Versuche in der ölmalerei folgten.

Schnell stellten sich erste Erfolgserlebnisse ein. In der Kunsthalle wurde eines seiner Bilder gezeigt - wenn auch nur im Treppenhaus. Nun wagte er es, auch in einer Galerie auszustellen, und verkaufte prompt sein erstes Bild. Einer jener Galeristen, bei denen Schüpfer später seine Bilder ausstellte, heisst Ernst Beyeler, von Schüpfer liebevoll «Bey» genannt. Schüpfer wohnte ab 1939 an der Bäumleingasse 7, Ernst Beyeler arbeitete damals an der Bäumleingasse 9 als Buchhalter des Holbein-Verlags. 1946 taucht im Adressbuch erstmals der Vermerk auf: Ernst Beyeler, Buch- und Kunstantiquariat - heute steht in Riehen ein Museum, das seinen Namen trägt - die Fondation Beyeler.

Doch zurück zu Walter Schüpfer. 1935, erst seit wenigen Monaten als freier Künstler lebend, nimmt er an einem Wettbewerb zur Gestaltung eines Fresco am Bundesbriefarchiv in Schwyz teil und erreicht auf Anhieb den 4. Preis. Der unerwartete Erfolg war für ihn eine grosse Genugtuung, denn sein Entschluss, zugunsten der Kunst einem bequemen Leben zu entsagen und seinen Beruf aufzugeben, erntete in seiner Familie und Verwandtschaft viel Kritik und Unverständnis. Sichtbar wurde das neue Leben des Walter Schüpfer auch andernorts: im Telefonverzeichnis lautete Walter Schüpfers Berufsbezeichnung bis 1935 «Zahntechniker», ab 1936 «Kunstmaler».

Die kommenden Jahre sind von vielen Reisen ins Ausland geprägt. Die Studienreisen wurden dank Beiträgen der Stipendienkommission Basel-Stadt möglich. Griechenland, Italien, Südfrankreich, und vor allem Spanien zählten zu seinen Reisezielen. Von diesen Studienaufenthalten berichtete er jeweils in äusserst lebhaften Schilderungen der Stipendienkommission über sein Tun und Lassen. Aus dem Dörfchen Invrea in Italien schreibt er: «Die 84-jährige, äusserst rege und schrullige Marchesa verfügt heute noch über den Küstenstrich von vielen Kilometern, was ihr ganzer, wenig einträglicher Besitz bedeutet. Sie ist jedoch durch kein noch so grosses Angebot dazu zu verleiten, auch nur das kleinste Landstück zu verkaufen, was ihren traditionellen Besitzerstolz verletzen würde. Dank diesem Umstand ist hier noch ein unberührter Landstrich zu finden, der von den Scheusslichkeiten zementener ParvenuBurgen, wie man sie leider so vielerorts trifft, verschont geblieben. Ich wünsche dieser Dame ein recht hohes Alter.»

An diesem beschaulichen Ort treffen sich die Männer des Dorfes in ihrer Feiertagskleidung, um von ihrem Sindaco die neuesten Nachrichten aus der Gemeinde zu erfahren. Die farbige und lebendige Weise der Berichterstattung lässt Rückschlüsse auf das Schaffen Walter Schüpfers zu. Was er in Worten erzählt, ist ein stimmungsvolles Erlebnis. Das Atmosphärische spielt eine entscheidende Rolle - auch oder gerade in seiner Malerei.

In einem Brief an Hans Göhner beschreibt Schüpfer den Entstehungsprozess seiner Bilder. Er sitze in der Landschaft und schaue in diese hinein. Bis der erste Strich auf dem Papier gezogen war, konnte eine lange Zeit vergehen. Seine Bilder entstanden in vollkommener Ruhe und hingebungsvoller Sammlung, kurz in übereinstimmung mit dem, was ihn umgab. «Es ging mir nicht darum, ein Abbild des Geschauten zu machen, sondern um den Ausdruck eines Lebensgefühls; (...) Ich denke also nicht, eine Herbst- oder Frühlingslandschaft zu malen, sondern versuche das Erlebnis Herbst, Frühling als Teil des geheimnisvollen Kreislaufs des Vergehens und neunen Werdens spürbar zu machen.» Während der Kriegsjahre nahm Schüpfer oft seinen Aquarellmalkasten, packte ihn aufs Fahrrad und fuhr zu einer Waldhütte im Luzerner Hinterland, wo er sich den beschriebenen Betrachtungen hingab.

Von Stimmungen getragen ist nicht nur Schüpfers Malerei, sondern sein ganzes Leben. Schüpfer wusste die Feste zu Feiern, seine Freundschaften zu pflegen. Dennoch blieb sein Lebensstil stets einfach. 1946 heiratet Walter Schüpfer Mariette Karth, die er 1938 kennen gelernt hatte. Die Hochzeitsanzeige lautete: «Walter Schüpfer und Mariette Karth heiraten endlich». Die Hochzeit fand an einem fleischlosen Freitag im Restaurant «Museumsstübli» statt, einem Ort, der gern von Künstlern besucht wurde. Die verbotenen Fleischplätzli wurden unter dem Reis versteckt. Ab 1949 wohnte das Paar an der Aeusseren Baselstrasse 186 in Riehen.

Mit Trauungen hatte Schüpfer schon etwas Erfahrung, wenn auch nur künstlerische. Beim Wettbewerb für ein Tafelbild im Trauungssaal des Basler Zivilstandsamtes 1943 errang er hinter Gustav Stettier den 2. Rang. Stettiers Werk «Die Zeugen» landete nach einigem Hin und Her im Kunstmuseum und Schüpfers Tafelbild im Trauungszimmer. Ein grosses Wandbild schuf Walter Schüpfer auch für das Wasgenring-Schulhaus (1954), sodann erhielt er den I.Preis für ein Fresco für das Sitzungszimmer der Bezirksverwaltung Arlesheim und schliesslich durfte er auch ein Tafelbild in der Eingangshalle des Verwaltungsgebäudes der Elektrizitätswerke Basel (Industrielle Werke Basel) erstellen.

Sein Schaffensdrang war gross, die Zahl seiner Werke ebenfalls, doch begrenzte ein allzu früher Tod am 20. Februar 1972 das Leben und Wirken von Walter Schüpfer. Er starb just am Abend vor dem von ihm so geliebten «Morgestraich». Walter Schüpfer hat manche Laterne gemalt und war dem Schnitzelbank «Bäredräggschlägger» für die Helgen besorgt. Mariette Schüpfer rief noch am Abend die zahlreichen Freunde an, um ihnen zu sagen, sie sollen doch trotz Walters Tod Fasnacht machen.

Die Galerie Beyeler widmete Walter Schüpfer im selben Jahr eine Gedenkausstellung, drei Jahre später tat es ihr die Gemeinde Riehen gleich. Hans Kräftiger schrieb am 31. Oktober 1975 in der Riehener Zeitung über Schüpfer: «Mag man diesen Walter Schüpfer Weltflucht, Ignorierung der Realität vorwerfen - er ging, in dieser Welt und wissend um die Realität, einen Weg, der zu den Sternen führte und auf dem ihn nur das Licht der Inspiration weiterführen konnte ...»

Einen Weg, den er selbst gewählt hatte. Warum? Walter Schüpfer: «Und dies gibt Dir vielleicht eine Antwort auf das <Warum>. Der ewig neue Kampf, das immer wieder hoffen und bangen und suchen nach einer Realisation hat eine geheimnisvolle Anziehungskraft, etwas Beunruhigendes, Spannendes, Beglückendes ...! - Darum.»

Quellen: Katalog Kunsthalle Basel, Ausstellung Schüpfer 1974 Riehener-Zeitung Nr. 44 vom 31. Oktober 1975, S. 5 Aufzeichnungen (1995) und Erinnerungen von Oliver und Bea Wackernagel Walter Schüpfer, Briefe und Essays Mariettchens Hochzeitsreise, Privatdruck 2003

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2004

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