Warum stellen sich nicht mehr Frauen für politische Ämter zur Verfügung

Catherine Geigy-Werthemann

Warum stellen sich nicht mehr Frauen für politische Ämter zur Verfügung?

Nachdem das Jahr 1978 in Riehen Wahljahr des Gemeinderates war und sich wiederum manche Partei vor die Schwierigkeiten gestellt sah, auch eine Anzahl Frauen als Kandidatinnen vorschlagen zu können, soll beim Versuch, die gestellte Frage zu beantworten zunächst von der Vertretung der Frauen in der Legislative ausgegangen werden.

Die Gemeinderatswahlen des Jahres 1978 haben zwar in der Zusammensetzung unseres Parlamentes in anderer Hinsicht gewisse Verschiebungen gebracht, ein wesentlich vermehrter Einzug von Frauen in den Gemeinderat hat jedoch erwartungsgemäss nicht stattgefunden. Um die 40 Sitze des Gemeinderates haben sich diesmal 33 Kandidatinnen beworben, wovon sieben gewählt worden sind. Dem Gemeinderat gehören nach den letzten Wahlen somit 17,5 Prozent Frauen an. Bei den Wahlen von 1974 wurden von 26 Kandidatinnen 6 gewählt, während 1970 bei den ersten Wahlen, an denen Frauen teilnehmen konnten, 43 Anwärterinnen kandidierten, wovon 4 gewählt wurden. Der Prozentsatz unserer Gemeinderätinnen hat sich somit seit 1970 von damals 10 auf jetzt 17,5 Prozent etwas erhöht, was jedoch dem Anteil der Frauen an der aktiven Bevölkerung noch immer keineswegs entspricht.

Die Vertretung der Frauen im Gemeinderat von Riehen entspricht ungefähr derjenigen im Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt, wo im Wahljahr 1976 22 Frauen in den Grossen Rat gewählt wurden. Dies ergibt bezogen auf die 130 Gross-Ratssitze einen Prozentsatz von 16,9 Prozent Frauen im Grossen Rat.

Im Bund ist die Vertretung der Frauen in den eidgenössischen Räten noch geringer. Von den 200 Mitgliedern des Nationalrates sind zur Zeit 16, das heisst nur 8 Prozent, Frauen, während sich zu den Standesherren erst kürzlich wieder eine einzige Frau gesellt hat. Dass die betreffende Ersatzwahl im Kanton Zürich gar unter zwei Frauen ausgemacht wurde, war im schweizerischen politischen Leben ein erstmaliges Ereignis.

Warum ist die Vertretung der Frauen in unseren Parlamenten zahlenmässig so bescheiden?

Angesichts der Tatsache, dass die Frauen im Bund seit 1971, in Basel-Stadt schon seit 1966, stimm- und wahlberechtigt sind, rechtfertigt sich diese Frage, wobei es auffällt, dass auch auf Gemeindeebene, wo die Verhältnisse überblickbarer und der persönliche Kontakt noch ausgeprägter ist als auf kantonaler Ebene, in Riehen kaum mehr Frauen in den Gemeinderat gewählt worden sind.

 

Voraussetzung für eine Wahl ins Parlament, sei es nun in den Gemeinderat, den Grossen Rat oder den Nationalrat, ist die Aufnahme auf eine Liste, wobei die Listen in der Regel von den politischen Parteien aufgestellt werden. Die Aufnahme auf eine Liste setzt somit — wiederum in der Regel — die Zugehörigkeit zu einer Partei voraus.

Obwohl heute bereits zahlreiche Frauen Mitglieder einer politischen Partei sind, beginnt hier bereits die erste Schwierigkeit, indem noch immer sehr viel weniger Frauen als Männer politisch interessiert sind. Politik — Stammtisch — und damit Männersache — werden noch immer weitverbreitet als vorgegebene und damit zwingende Gegebenheit akzeptiert. Weithin fehlt den Frauen noch immer das Bewusstsein, politisch mitverantwortlich zu sein. Nachdem dies in der Schweiz seit jeher der Fall gewesen ist und die Frauen erst vor wenigen Jahren die politische Gleichberechtigung erhalten haben, darf dies nicht erstaunen. Vielfach besteht auf Seiten der Frauen auch gar kein Bedürfnis, sich politisch zu betätigen. Politik wird häufig als unsauberes Geschäft bezeichnet, das man gerne denjenigen überlässt (gemeint ist meistens denjenigen Männern), die sich dafür interessieren.

Aber auch unter den Frauen, die Mitglieder einer politischen Partei sind, ist die Bereitschaft, sich für ein Parlamentsmandat zur Verfügung zu stellen, gering. Das Streben nach einem solchen Amt ist denn auch nur selten der Grund, warum eine Frau einer Partei beitritt.

Immer wieder hört man daher aus verschiedenen politischen Lagern Klagen, wie schwierig es sei, Frauen dazu zu bewegen, sich für eine Kandidatur zur Verfügung zu stellen.

Zeitliche Gründe dürften hiefür, jedenfalls was unseren Gemeinderat anbelangt, kaum ausschlaggebend sein, da vielleicht mit Ausnahme der Mütter von ganz kleinen Kindern die allermeisten Frauen die Zeit aufbringen könnten, um die Vorlagen zu studieren, an den Sitzungen ihrer Fraktion und des Rates teilzunehmen und auch in Kommissionen mitzuarbeiten. Etwas anders mag die Situation für Grossrätinnen oder gar für Nationalrätinnen sein, wo dem Zeitargument angesichts der Hausfrauenpflichten der meisten Frauen eher eine gewisse Bedeutung zukommen mag. Angesichts der Tatsache aber, dass zahlreiche Mütter halbwüchsiger und erwachsener Kinder gerne eine neue Betätigung aufbauen würden, mag erstaunen, dass sich aus diesen Reihen nicht mehr Frauen für ein politisches Amt zur Verfügung stellen. Zu bedenken ist allerdings, dass diese Frauen noch in einer Zeit aufwuchsen, in der eine politische Betätigung für sie nicht nur nicht in Frage kam, sondern ein Auftreten der Frau in der öffentlichkeit überhaupt nicht gern gesehen war.

Es fällt auf, dass es sich auch in unserer Gemeinde bei allen im Jahre 1978 gewählten Gemeinderätinnen um Frauen handelt, die mindestens teilweise berufstätig sind und zwar in einem Beruf, der ihnen ermöglicht, in einem grösseren Kreise der Bevölkerung bekannt zu werden. Von den derzeit sieben Gemeinderätinnen unserer Gemeinde sind zwei ärztinnen, drei Lehrerinnen, eine Gemeindeschwester und eine Sozialarbeiterin. Dagegen figurieren diejenigen Frauen, die sich als Hausfrauen betätigen und ihren anderen, erlernten Beruf zu Gunsten ihrer Hausfrauentätigkeit aufgegeben haben, häufig relativ weit hinten auf ihrer Liste. Sie werden somit nicht nur nicht gewählt, sondern erreichen vielfach auch nur relativ bescheidene Stimmenzahlen.

Solche Wahlergebnisse wirken dämpfend auf die Lust der Betroffenen sowie anderer potentieller Kandidatinnen, sich für eine Kandidatur zur Verfügung zu stellen. Gewiss gilt, dass von einer Liste nie alle gewählt werden können. Wenn jedoch von vorneherein angenommen werden muss, dass diejenigen Frauen auf der Liste, die sich nicht bereits anderweitig profiliert haben, eher zur Dekoration der betreffenden Liste dienen, da es nun zum guten Ton gehört, dass eine Liste auch eine Anzahl Frauen enthält, so ist dies ein wenig verlockender Ausgangspunkt für die Kandidatur einer Frau. Auch auf diesem Gebiet gilt, dass Erfolg oder jedenfalls konkrete Erfolgschancen eine wesentliche Motivation darstellen.

Für Männer und Frauen gilt gleichermassen, dass zunächst gewählt wird, wer in einem grösseren Bevölkerungskreis bekannt ist. Der Stimmbürger wählt gerne Kandidaten, die er entweder persönlich oder wenigstens dem Namen nach kennt. Fehlt eine persönliche Beziehung, so tragen der Beruf oder eventuelle andere, bereits ausgeübte ämter öffentlicher oder privater Natur dazu bei, einen Kandidaten für ein politisches Amt als geeignet und daher des Vertrauens des Stimmbürgers würdig erscheinen zu lassen. Ist eine Frau Hausfrau, ohne sich in der öffentlichkeit irgendwie zu betätigen, so fehlt ihr diese Empfehlung. Viele Frauen sind dadurch gegenüber denjenigen männlichen und weiblichen Kandidaten, deren beruflicheTätigkeit sie in den Augen des Stimmbürgers qualifiziert, von vorneherein im Hintertreffen. Dies ist zwar aus der Sicht der Stimmbürger, die nicht einfach die Liste einer Partei unverändert einlegen, sondern durch Kumulieren und Panaschieren selbständig eine Auswahl treffen wollen, verständlich. Es zeigt jedoch, dass auch die Stimmbürgerinnen, die zahlenmässig den Stimmbürgern überlegen sind, in erster Linie für diejenigen Kandidaten und Kandidatinnen stimmen, die sich im Berufsleben oder bei der Ausübung eines Amtes bereits bewährt haben, während sie nicht bereit sind, für eine Frau zu stimmen, nur aus dem Grunde, weil die Betreffende eine Frau ist. Eine Solidarität unter den Frauen besteht somit in diesem Sinne offensichtlich nicht. Bedauerlich ist dabei, dass viele Frauen, die sich an sich für ein politisches Amt zur Verfügung stellen würden, nicht zu einem politischen Einsatz gelangen, nur weil man sie nicht kennt und sie daher das notwendige «Vorschussvertrauen» nicht geniessen. So liegen wertvolle Kräfte brach, da zahlreiche nichtberufstätige Frauen aufgrund ihrer Ausbildung und Persönlichkeit befähigt wären, ein politisches Amt auszuüben und hiezu neue Ideen und Impulse beitragen könnten.

Auch in den baselstädtischen Gerichten sind die Frauen nicht wesentlich stärker vertreten als in der Legislative. Am Zivilgericht, wo mehr als die Hälfte der Kammerprozesse Scheidungen oder familienrechtliche Fragen betreffen, somit die Rechtsuchenden in diesen Fällen von der Natur der Sache her zur Hälfte Frauen sind, sind nur 20 Prozent der Laienrichter weiblichen Geschlechts. Unter den sieben Gerichtspräsidenten ist keine Frau. Am Appellationsgericht befindet sich unter den 14 Richtern nur eine einzige Frau. Ob sich für ein Richteramt nicht mehr Frauen zur Verfügung stellen, ist schwer zu beurteilen. An sich müsste von der Sache her angenommen werden, dass sich Frauen für ein solches Amt interessieren und auch qualifizieren. Im Gegensatz zu den Parlamentswahlen ist jedoch bei Wahlen in die Gerichte stets nur eine kleine Anzahl von Kandidaten erforderlich, so dass es offenbar da und dort schon parteiintern am Willen fehlt, mehr Frauen in die richterlichen Behörden vorzuschlagen.

In der Exekutive sind die Frauen in Basel-Stadt weder im engeren Gemeinderat von Riehen noch in der Exekutive der Bürgergemeinde noch gar im kantonalen Regierungsrat vertreten.

Wesentlich anders ist die Situation einzig bei den Schulinspektionen. Die Mitglieder der Schulinspektionen werden unter angemessener Berücksichtigung der verschiedenen politischen Parteien vom Regierungsrat gewählt, wobei die Wahlanträge übungsgemäss in der Regel von den politischen Parteien eingereicht werden. Um in eine Schulinspektion gewählt zu werden, ist es somit nicht notwendig, in einer breiteren öffentlichkeit bekannt zu sein, sondern es genügt, ohne notwendigerweise selbst Mitglied einer politischen Partei zu sein, das Vertrauen der vorschlagenden Partei zu geniessen und von dieser zur Wahl empfohlen zu werden. Da der Elternvertretung in der Schulinspektionen besonderes Gewicht beigelegt und dieser Grundsatz auch gesetzlich verankert ist, sind die Mütter, die mit den täglichen Schulerlebnissen ihrer Kinder in erster Linie konfrontiert werden, für ein solches Amt bestens qualifiziert.

Von den insgesamt 191 Mitgliedern unserer baselstädtischen Schulinspektionen sind zur Zeit 87 Frauen, was einem Prozentsatz von 45,5 Prozent entspricht. Fast die Hälfte, in einigen Inspektionen sogar mehr als die Hälfte der Inspektionsmitglieder sind im Kanton Basel-Stadt heute Frauen, so dass die geltende gesetzliche Vorschrift, wonach nicht mehr als 3/4 der Mitglieder einer Inspektion dem gleichen Geschlecht angehören dürfen, zur Zeit eher der Erhaltung des männlichen Elements in den Schulinspektionen dient! Für dieses Amt stellen sich somit nicht nur zahlreiche Frauen zur Verfügung, sondern diese Domäne wird ihnen offenbar auch von den Männern gerne zugebilligt. Es darf wohl angenommen werden, dass sich diese Bereitschaft auch auf andere politische ämter erstrecken wird, nachdem die jetzt amtierenden Frauen Gelegenheit hatten, sich zu bewähren, und sich die politische Gleichberechtigung der Frau noch einige weitere Jahre konsolidiert haben wird.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1978

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