Wenn Kinder ein Haus bauen

Stephanie Mumenthaler-Grisard

Ausgehend von der Villa R, einem Bild von Paul Klee, beschäftigte sich eine Kindergartenklasse aus Riehen mit den Themen Häuser, Bauen und Kunst. Daraus entstand die ‹Villa K›.

Die Kreativität und Unbefangenheit, mit der Kleinkinder ans Werk gehen, wenn sie zeichnen, malen oder spielend ihre Umwelt gestalten, hat für Erwachsene oft etwas Verblüffendes. Viele Werke bedeutender Künstler der Moderne wären ohne Bezug zu Kinderzeichnungen nicht denkbar. Er habe ein Leben lang gebraucht, um zu malen wie die Kinder, äusserte sich Pablo Picasso nach dem Besuch einer Ausstellung mit Kinderzeichnungen. Paul Klee bezeichnete seine eigenen Kinderzeichnungen, die er als 23-Jähriger auf dem Estrich seines Elternhauses fand, in einem Brief an seine Verlobte Lily Stumpf als das Bedeutendste, was er bis zu diesem Zeitpunkt geschaffen hatte.

Umgekehrt lernen Kinder durch die Beschäftigung mit Kunst unterschiedliche Sichtweisen der Welt kennen und können ihre Gestaltungskräfte erproben und erweitern. Wie ergiebig und lustvoll dies sein kann, zeigt beispielhaft ein Projekt, das dieses Jahr im Kindergarten am Siegwaldweg realisiert wurde.

Mit der Idee zum Projekt ‹Villa K› hatte sich die Kindergärtnerin Antoinette Gloor erfolgreich an einem Wettbewerb des Paul-Klee-Zentrums zur Förderung der Kunstvermittlung in Schulen und Kindergärten beteiligt.

Bei der Wahl des Bildwerks war neben dem Standort des kleinformatigen Originals im Basler Kunstmuseum auch die bausteinartige Struktur des dargestellten Gebäudes ausschlaggebend. Da das Bauen mit Klötzen zur Erfahrungswelt der meisten Kinder gehört, bot dies einen idealen Ausgangspunkt. Von Bedeutung waren auch das schablonenhafte grüne ‹R› wie ‹Riehen› im rechten Bildvordergrund sowie die Tatsache, dass das Riehener Wappen selbst bausteinartig konstruiert ist. Bald stand der vorläufige Endpunkt des Projekts fest: Die Villa in Klees kleinformatigem Werk sollte dreidimensional aus Kartonkisten nachgebaut werden.

Zuerst beschäftigten sich die Kinder im Zweidimensionalen mit dem Thema des Hausbaus. Durch das Bewegen von selbst ausgeschnittenen geometrischen Grundformen aus buntem Papier konnten sie verschiedene Kombinationen und Formen erproben, bevor sie die losen Bestandteile vorsichtig mit Leim befestigten und so zu einer Collage fügten.

In der folgenden Arbeit ging es erstmals konkret um Klees Villa R sowie um das Thema der Farbigkeit. Auf grundierter Jute, einer von Klee häufig verwendeten Malunterlage, kolorierte jedes Kind die vorgezeichnete Villa von Paul Klee in seinen Lieblingsfarben und versah sie mit dem Anfangsbuchstaben des eigenen Vornamens. Auf diese Weise entstand an einer Wand des Kindergartens ein buntes Dorf im Dorf.

Nach den ausgedehnten Vorarbeiten war der Schritt in die dritte Dimension ein Leichtes: In gemeinsamer Arbeit wurden Umzugskartons grundiert und die Landschaft des Hintergrunds auf ein grosses Stück Jutestoff gemalt. Eine gelbe Kugellampe als Sonne, eine rote an einem Stab befestigte Kugel als Dachbekrönung und ein langes, rosafarbenes Tuch als Weg ergänzten die entstandene Skulptur.

Zum Abschluss des dreimonatigen Projekts präsentierten die 18 beteiligten Kinder ihre ‹Villa K› den eingeladenen Eltern und Geschwistern. Zu Musik von Johann Sebastian Bach und einem von Brigitte Gysin für diesen Anlass komponierten Lied wurde Baustein auf Baustein gesetzt, bis die ‹Villa K› beinahe die Decke des Kindergartens berührte und ein stolzer Lausbub auf der hohen Leiter den abschliessenden roten Schlusspunkt setzen konnte. Zwischen den einzelnen Bausteinen betätigten sich die als Mäuse verkleideten Kinder als Künstlerinnen, Artisten, Tänzerinnen und Rapper und verschwanden anschliessend in ihrem selbstgebauten Haus. Zum Schluss stellten sie vor den Augen des Publikums ein grosses rotes ‹K› auf: ein ‹K› wie Klee, Kunterbunt und Kindergarten.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2011

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