Zum 100 Geburtstag von Adolf Glattacker (1878-1971)

Hans Krattiger

In der Gedächtnis-Ausstellung Adolf Glattacker und Paul Kammüller (1885-1946), die in Verbindung mit einer Ausstellung Riehener Künstler von der Kunstkommission im Gemeindehaus durchgeführt wurde (26. Mai—11. Juni 1978), befand sich das hier abgebildete kleine Aquarell «Der Hünerberg von meinem Fenster aus in Riehen», entstanden 1920. Und das Fenster, von dem aus Adolf Glattacker dieses in zarten Tönen gehaltene Aquarell gemalt hat, gehörte zum «Grendelhof», in dem Glattacker mit seiner Familie von 1912 bis 1921 wohnte. Diese Episode im langen Leben des Markgräfler Künstlers rechtfertigt eine kurze Würdigung im Riehener Jahrbuch, zumal er zeitlebens durch Freundschaften mit Riehen verbunden war, so wie mit Basel durch das Kunstmuseum, das er — vorab in jüngeren Jahren — fleissig besuchte, Bilder alter Meister kopierte, um sich auf diese Weise im Handwerklichen zu vervollkommnen.

Schon als Schüler wusste der am 30. Juni 1878 in Wehr-Enkendorf im Wehratal geborene Adolf Glattacker, dass er Kunstmaler werden will. Sein Lehrer an der Oberschule, Friedrich Beichel, und Fabrikant Rupp erkannten das Talent des fleissig zeichnenden Knaben, und als einmal Schulinspektor Kraus aus Karlsruhe die Schule in Wehr besuchte und des jungen Glattackers Zeichnungen sah, versprach er ihm ein Ausbildungsstipendium. Das Versprechen wurde gehalten, und im Sommer 1893 reiste der 15jährige mit seinem Vater nach Karlsruhe, wo er in der staatlichen Gemäldegalerie erstmals Bilder im Original sah und davon fasziniert wurde. Auf die Frage von Minister Braun, dem der Knabe vorgestellt wurde, was er werden wolle, gab der junge Glattacker keck zur Antwort: «Ich will e Moler ge, wo so Bilder molt, wie sie in der Galerie hange.»

Es muss für den von jugendlichem Tatendrang erfüllten Adolf Glattacker eine bittere Enttäuschung gewesen sein, dass er mit dem Stipendium nicht gleich in die Kunstakademie eintreten konnte, sondern in eine Lithographenlehre gesteckt wurde. «Du musst einen Beruf erlernen, mit dem du dein Brot verdienst», gab ihm der Minister zu verstehen. Adolf stand die vierjährige Lehre durch, besuchte aber daneben an der Karlsruher Kunstgewerbeschule Abendkurse in Zeichnen und Modellieren. Und was er als Lithograph gelernt hat, kam ihm später als Künstler zustatten, auch wenn er's vielleicht gar nicht wahr haben wollte.

«Nun war ich vorerst Lithograph und 19 Jahre alt. Ich habe aber vor dem Verlassen unserer Lithographenbude meine Arbeitsbluse in vier Stücke zerrissen und in alle vier Ecken einen Fetzen gehängt mit den Worten: 'So, jetzt wird die Lithographie verlassen, ich will Maler werden!'», schreibt Glattacker in seinem «Lebenslauf», der in Nr. 17 der Zeitschrift «Badische Heimat» 1955 erschienen ist. Dieser demonstrative Schlußstrich unter seine Lehrzeit zeugt von Glattackers Selbstbewusstsein, seiner überzeugung, zum Künstler berufen zu sein, und von seinem unbändigen Freiheitsdrang, den er sich bis ins hohe Alter erhalten hat.

Die Antwort, ob er wirklich zum Künstler berufen sei, hat Glattacker mit seinem Werk, in sieben Jahrzehnten entstanden, gegeben. Er war wirklich ein Künstler, ein Spätromantiker, und ich erachte es als eine positive Eigenschaft, dass er nie mehr scheinen wollte, als er war, dass er sich selber und der Art seiner engeren Heimat, des Markgräflerlandes, treu blieb. Ein ganz dem Hebel-Geist verpflichteter Künstler, der es denn auch verstand, die der Hebel-Dichtung adäquaten Illustrationen zu schaffen; ein Gesinnungsverwandter von Ludwig Richter (1803—1884), Hans Thoma (1839—1924) und seinem Vorbild Moritz von Schwind (1804—1871). An der Karlsruher Kunstgewerbeschule sowie an der Akademie erwarb er sich das Rüstzeug zum Maler, kehrte dann zurück nach Weil und lernte die Licht- und Schattenseiten eines freischaffenden Künstlers kennen. Mit Porträts — einen Auftrag erhielt er auch in Zürich, wo er den als Tiermaler bekannten Rudolf Koller kennenlernte — verdiente er sein erstes Geld, mit Illustrationen zu Hebels «Schatzkästlein», 1906 erschienen, wurde er als Illustrator bekannt und erhielt in der Folge vom Basler Verlag Friedrich Reinhardt Illustrationsaufträge.

Nach einer mehrwöchigen Schweizerreise (1906) begab sich Adolf Glattacker 1907 nach Paris, wo seine Schwester Elise weilte und wo er deren Freundin, die Französin Alice Biot, zur Frau gewann. über seine Pariser Zeit schreibt Glattacker: «Es zeigte sich, dass die Jahre in Paris für mich nicht verloren waren. Ich lernte dort im Louvre nicht nur die grossen Meister der Kunst kennen, sondern war auch in die Malschule der Akademie Julien gegangen. Neben dem Kopieren alter Meister war dann die Porträtstudie und die Parklandschaft getreten. Die Gemälde von Luini und Rubens sowie die Landschaften von Hobbema machten auf mich besonderen Eindruck.» Aber von den Impressionisten, von van Gogh und Cézanne scheint er kaum Notiz genommen zu haben. 1910 übersiedelte das junge Paar nach Weil und 1912 nach Riehen. «Dort fand ich Schüler und gab im Zeichnen und Malen Unterricht. Ich verdiente damit sehr ordentlich», schreibt er. 1915 wurde auch Adolf Glattacker zum Militärdienst eingezogen und verbrachte einen grossen Teil der Kriegsjahre als Dolmetscher in Brüssel. Auf Weihnachten 1918 kehrte er zu seiner Familie, seiner Frau und drei Buben, zurück; und bald kam der vierte Knabe zur Welt. Interessant ist, aus Glattackers «Lebenslauf» zu vernehmen, dass ihm die Gemeinde Riehen nahegelegt habe, die Aufnahme ins Schweizer Bürgerrecht zu beantragen, «schon auch wegen meiner Frau, die doch Französin sei». Dieses Detail zeugt von der Verbundenheit Glattackers mit Riehen und von der Beliebtheit, deren er sich in Riehen erfreute. Doch 1921 liess sich Glattacker mit seiner Familie in Riedichen bei Zell im Wiesental nieder, wo er ein Bauerngütlein hatte erwerben können und wo der Künstler nebenbei auch als Landwirt tätig war. In Riedichen wurde das fünfte Kind, ein Mädchen, geboren, aber 1927 starb Frau Alice an den Folgen einer Rippenfell- und Lungenentzündung im Alter von 43 Jahren. «Sie war eine tapfere Frau, die sich im Krieg mit Nähen und der Unterstützung unseres Konsulates durchs Leben schlug.»

Durch den Tod der Frau genötigt, das Heim in Riedichen zu veräussern, erwarb sich Adolf Glattacker ein Heim in Tüllingen und heiratete 1930 Ida Spath, die vorher in der siebenköpfigen Familie als Haushälterin tätig gewesen war. In zweiter Ehe wurde Adolf Glattacker noch Vater dreier weiterer Kinder. Und in Tüllingen wohnte er bis zu seinem Lebensende am 28. Juli 1971, und in Tüllingen verschied auch seine zweite Frau nach kurzer Krankheit im Januar 1978.

Als ich im Sommer 1977 Frau Glattacker wegen der Riehener GedächtnisAusstellung besuchte, schilderte sie ihren Gatten als guten Vater, der mit seinen Kindern viel musizierte, selber Laute und Zither spielte und wie kaum einer mit seinem Volk verwachsen war. Er habe auch viel gearbeitet, sei oft mitten in der Nacht aufgestanden, um zu zeichnen oder zu malen, und habe auf dem Nachttischchen immer einige Bücher gehabt. Dass Adolf Glattacker sehr belesen gewesen sein muss, geht ja auch aus seinen Bildern hervor, nicht nur aus den unzähligen Illustrationen, sondern ebensosehr aus seinen Gemälden, unter denen die figürlichen Kompositionen eine grössere Rolle spielen als die Landschaften und die Stilleben. Sein Interesse galt in erster Linie dem Menschen, wie er ihn in seiner Umgebung sah und kennenlernte. In seinem 1955 verfassten «Lebenslauf» schreibt er abschliessend: «Meine künstlerische Entwicklung habe ich abgeschlossen und gehöre seither meiner Heimat Tüllingen an. Ich habe das erreicht nach Stil und Art, wie es mir vorschwebte. Was mich heute besonders beschäftigt, sind Märchenbilder, weniger Illustrationen, die einst mein wichtigstes Gebiet waren. Daneben beruht mein Lebensunterhalt auf Porträtieren, wo die Aufträge nicht abreissen . . . Seit drei Jahren male ich Landschaften, die früher stark im Hintergrund standen.»

Von kleiner Statur, mit wallenden Haaren und patriarchalischem Bart, war Adolf Glattacker, Ehrenbürger von Wehr-Enkendorf, diesseits und jenseits der Grenze bekannt; im guten Sinn ein Bohémien, der sich des Lebens freute und unbeirrt seinen Weg ging. Und das umfangreiche Werk, das er hinterlassen hat, zeugt von solcher Originalität, Phantasie und gesundem Humor, dass er als eigenständiger Künstler in der Erinnerung weiterlebt.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1978

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