Zum Andenken an Diakonisse Marguerite van Vloten

Fritz Hoch

Marguerite van Vloten wurde am 8. November 1894 in St. Gallen geboren. Ihr Vater, Franz van Vloten, stammte von einem Holländer ab, der als Verehrer des Schaffhauser Erweckungspredigers David Spleiss (1786—1854) in die Schweiz eingewandert war. Ihre Mutter, Ida Arnold, war Enkeltochter des berühmten ersten Inspektors der Riehener Taubstummenanstalt, Wilhelm Arnold. Mit drei Schwestern und einem schon in der Rekrutenschule tödlich verunglückten Bruder wurde Marguerite von ihren Eltern in christlichem Sinn und Geist erzogen. Ihre Schulbildung schloss sie ab mit dem Maturitätsexamen am St. Galler Gymnasium. Nach einem Aufenthalt in England und allerlei Kursen trat sie 1918 in den «Lindenhof» in Bern ein, um sich zur diplomierten Krankenschwester ausbilden zu lassen. Während einigen Jahren übte sie diesen Beruf an verschiedenen Stellen aus, zuletzt als Gemeindeschwester in der Kirchgemeinde St. Gallen-Straubenzell. Als sie von dort aus an einem Bibelkurs der «Action biblique» in Genf teilnahm, kam die Frage von Riehen an sie, ob sie bereit wäre, den Posten der Oberschwester im Diakonissenhaus zu übernehmen. Sie erkannte in dieser Anfrage einen Ruf Gottes, und trat am 23. November 1934 ins Diakonissenhaus ein. Auf einer Studienreise in Deutschland lernte sie die «Mutterhausdiakonie» und ihre künftige Aufgabe als Oberin näher kennen. Am 7. April 1935 wurde sie in ihr Amt eingesetzt. In inniger Gemeinschaft mit ihrer Vorgängerin im Amte, Schwester Helene ClausAuberlen, und mit ihrer Stellvertreterin, Schwester Hanna Flury, lebte sie sich rasch in die Ordnungen des Diakonissenhauses und in die Aufgaben ihres neuen Amtes ein. Rasch gewann sie auch das Vertrauen der Schwestern. Seit jenen Jahren, da der Nationalsozialismus seine Irrlehren verbreitete, war es ihr ein dringendes Anliegen, dass die Diakonissen fest im Worte Gottes verwurzelt wurden und dass ihr Glaubens- und Gebetsleben gefördert wurde durch Kurse und «Stille Tage». Eine grosse Freude war es ihr, dass sie 1938 die längst geplante und ersehnte Haushaltschule für junge Töchter, genannt «Marthaschule» eröffnen konnte. An den äusseren und inneren Schwierigkeiten, die der Weltkrieg mit sich brachte, trug sie tapfer mit. Nach dem Waffenstillstand war es Aufgabe der Schweizerischen Diakonissenhäuser, den grossenteils zerstörten Mutterhäusern Deutschlands in ihrer Not und Armut zu helfen und die durch den Krieg zerrissene Gemeinschaft zwischen den Diakonissen Deutschlands und der anderen Länder Europas wieder anzuknüpfen. Schwester Marguerite hat sich dabei intensiv beteiligt, und so kam es, dass sie je und je von manchen deutschen Oberinnen aufgesucht wurde, und auch Mitglied des Vorstandes des «ökumenischen Bundes von Diakonissengemeinschaften», genannt «Diakonie» wurde. Auch in der Schweiz war ihre Mitarbeit im Vorstand des «Schweizerischen Verbandes für Innere Mission und Evangelische Liebestätigkeit» sehr geschätzt. So hatte sie ein vollgerütteltes Mass von Arbeit zu bewältigen, und für die Anliegen der Gemeinde Riehen blieb kaum Zeit. Doch war es ihr immer eine herzliche Freude, wenn etwa am Jahresfest oder an einem Bazar die Riehener in Scharen kamen, um ihre Verbundenheit mit dem «Spital» zu bekunden. 1958 gründete Schwester Marguerite, als erste in der Schweiz, im Moosrain eine Schule für «Alterspflegerinnen» mit anderthalbjähriger Ausbildung. 1959 brachte sie ein Leberleiden an den Rand des Todes. Wie durch ein Wunder durfte sie sich wieder erholen und noch weitere 13 Jahre, zusammen mit Pfarrer H. Pachlatko, wirken. Es waren die Jahre der grossen Bauaufgaben, die während des Weltkrieges hatten zurückgestellt werden müssen. Bei der Renovation des Mutterhauses war es ihr eine besondere Freude, dass es ihrem Schwager, dem Architekten von Steiger-van Vloten aus St. Gallen, gelungen war, die Kapelle als einen würdigen Raum der Stille und der Andacht zu gestalten. Auch beim Bau des Schwesternhauses, des Feierabendhauses und des C.-F.Spittler-Hauses in Adelboden war ihr erfahrener Rat wertvoll. Als sie 70 Jahre alt war, erklärte sie sich zum Rücktritt bereit, sobald eine geeignete Nachfolgerin gefunden sei. Sie musste lange warten und schliesslich noch vom Krankenlager aus mit Hilfe ihrer Stellvertreterin, Schwester Grety Zaugg, ihr Amt ausüben. Sie durfte es aber doch noch erleben, in der Pfarrerin Elsy Weber aus Zürich-Seebach ihre Nachfolgerin kennen und schätzen zu lernen. An ihrer Amtseinsetzung am 5. März 1972 konnte sie noch durchs Mikrophon teilnehmen. Dann nahmen ihre Kräfte rasch ab, und am 17. April durfte sie im Alter von 77 Jahren sanft entschlafen. Während 37 Jahren diente sie den Riehener Diakonissen in steter Hingabe als mütterliche Oberschwester. Vor Gott stand sie in tiefer Demut und Glaubensgehorsam. In ihre Umgebung strahlte sie Würde und Güte aus. Das Diakonissenhaus Riehen hat allen Grund, Gott zu danken, dass er ihm diese, von seinem Geist geprägte Persönlichkeit als Oberschwester geschenkt und durch so viele Jahre hindurch erhalten hat.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1973

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