Zum Gedenken an Werner Schär-Seckinger

Max Schäublin

Am 7. Oktober 1971 fand in unserer ehrwürdigen Dorfkirche die Trauerfeier für Werner Schär-Seckinger statt. Die grosse Trauergemeinde, die von diesem geschätzten Verstorbenen Abschied nahm, war Beweis seiner Beliebtheit und dankbare Würdigung seiner Verdienste um unser Dorf.


Gewiss ist Werner Schär — vorab den älteren Dorfbewohnern — noch in bester Erinnerung und sie werden seine Würdigung im Riehener Jahrbuch als verdiente Anerkennung gerne sehen. Einer jüngeren Generation und als bleibendes Vermächtnis an die Zukunft soll das Lebensbild dieses Mitbürgers, der seiner Gemeinde Aussergewöhnliches geschenkt hat, dargestellt sein.


Zur Betrachtung dieses Lebensbildes bitte ich Sie, liebe Leser, mir in Gedanken in eines der leider immer seltener werdenden alten Riehener Häuser, am besten in eines der nur noch wenigen Bauernhäuser, zu folgen. Hier, in einer alten Stube, zusammen mit ältern «Dörflern», war Werner Schär, nach der gesundheitlich vorzeitig bedingten Pensionierung, wie man so sagt, in seiner zweiten Welt.


Sitzen wir nun in dieser heimeligen Stube an den Tisch, im Frühsommer zu einem «Chratten» herrlicher «Riechemer Chirsi» oder im Herbst — oh Märchen aus alter Zeit — zu einem «Chrüegli neuem Schlipfer mit Nuss und Burebrot». Auf dem Tisch liegt der von Werner Schär im Juli 1968 verfasste Lebenslauf, daneben zwei dicke Ordner. Sie enthalten, fein säuberlich eingereiht, an die 200 Arbeiten wie Artikel, Beschreibungen, interessante Chroniken und Gedichte. Sie alle wurden im Laufe der letzten 12 Jahre in der Riehener Zeitung publiziert und sie stellen, neben unveröffentlichten Schriften, den Hauptteil des literarischen Schaffens des hier zu Ehrenden dar. Nehmen wir auch die Erinnerungen aus freundschaftlicher Verbindung dazu, so können wir in schlichter und einfacher Weise seinen Lebensweg betrachten.


Werner Schär wurde für Riehen ein wirklich guter, geschätzter Riehener, obwohl er abstammungsgemäss Thurgauer war. Seine Eltern kamen aus dem thurgauischen Egnach nach Basel. Sein Vater war Lehrer und hat später als Vorsteher des Basler Schulfürsorgeamtes ein segensreiches Wirken entfaltet.


Werner wurde seinen Eltern am 14. Januar 1902 als drittes Kind geschenkt. Im schönen Heim an der Burgstrasse — sie wurde damals noch von Fuhrwerken sogar in beiden Richtungen befahren — verlebte der lebhafte «Bueb» im Kreise seiner vier Geschwister eine goldene Jugendzeit. So erinnert er sich: «Das damalige Dorf gehörte uns Schülern». In dieser Zeit legten seine Lehrer, vor allem auch sein Vater, im Jüngling die Saat: «Den Schöpfer zu ehren, die Schönheiten der Natur zu sehen und die Heimat zu lieben». Diese Saat, das darf man füglich sagen, ist auf fruchtbaren Boden gefallen.


Mit Freuden erinnert sich der junge Werner an die Riehener Schulzeit, so auch an seinen Lieblingslehrer, den unvergesslichen E. Eger. Nach Absolvierung der Handelsschule an der damaligen Oberen Realschule und der Handelsschule in Neuenburg trat der aufgeweckte Jüngling anfangs 1919 bei der Firma J. R. Geigy in eine kaufmännische Lehre ein. Der Lehrling Schär entwickelte Wissensdrang und Lerneifer derart lebhaft, dass er bald mit dem übernamen «der Lehrherr» gehänselt wurde. Zusätzliche Kurse erweiterten sein berufliches Wissen und Können; so ist nicht zu verwundern, dass seine Vorgesetzten auf den jungen, intelligenten, strebsamen Kaufmann aufmerksam wurden. Sie boten daher dem erst 20jährigen die Chance einer Auslandsstage in ihrer Vertretung in Lissabon. Der dreijährige Aufenthalt in Portugal hinterliess in ihm bleibende Erinnerungen.


1925 ins Stammhaus zurückgekehrt, begann für den gut ausgebildeten Kaufmann Schär die eigentliche berufliche Laufbahn und der stufenweise Aufstieg vom Handlungsbevollmächtigten über den Prokuristen zum Vicedirektor. Seine stattliche Erscheinung, seine liebenswürdige Art und seine Kontaktfreudigkeit waren beste Voraussetzungen zum erfolgreichen Geschäftsmann in Handel und Kundenbetreuung. In dieser Erkenntnis übertrug ihm die Geschäftleitung der J. R. Geigy AG die Leitung wichtiger Auslandsdepartemente, die weitreichende Auslandreisen erforderte. So können wir Werner Schär auf Geschäftsreisen nach ägypten, Syrien, Libanon, Irak, Iran, Palästina und die Türkei verfolgen. Solche Reisen unternahm er, in grösster Pflichterfüllung, auch in den gefahrvollen Zeiten des Zweiten Weltkrieges, dabei seine eigene Sicherheit und Gesundheit missachtend.


So durfte Werner Schär viel schöne, glückliche Jahre verleben. Seine Erfolge und die Wertschätzung im Geschäft erfüllten ihn mit Stolz.


Dazu kam die glückliche Ehe mit seiner Gattin Margrith geb. Seckinger und das Kinderglück — ein Sohn und zwei Töchter — sowie die Freude am eigenen, schönen Heim und Garten.


Leider überschattete eine dunkle Wolke dieses glückliche Dasein. Auf einer Geschäftsreise im Frühjahr 1949 befiel Werner Schär in ägypten eine infektiöse Gelbsucht, in deren Folge leider schwere Herzschädigungen auftraten. Mit starkem Willen hat der oft schwer Leidende seine beruflichen Verpflichtungen, in wohl etwas gedrosselter Weise, weiter erfüllt. Wie er diese Zeit bis zu seiner Pensionierung anfangs 1960 gemeistert hat, geht aus einem Vers seines Gedichtes «Frühlingshof f en» hervor:

Erneute Schmerzen, erbittert' Ringen Rufen zur Wirklichkeit zurück, Doch Sonnenstrahlen, mit ihrem Leuchten Erhellen froh den Weg zum Glück.


In dieser Zeit der sich leider wiederholenden Herzattacken haben seine Angehörigen und wir Freunde oft um den Lieben gebangt, und der treubesorgten Gattin darf hier Lob und Anerkennung für das jahrelange Hegen und Pflegen ihres lieben Lebensgefährten ausgesprochen werden.


Nun, liebe Riehener, wenden wir uns dem literarischen Vermächtnis Werner Schärs zu. Vor allem fällt die Vielfalt der Themen auf, die sich mit unserer Gemeinde befassen. Seine Vorliebe galt der Erforschung alter Zusammenhänge und Begebenheiten in und um unser Dorf, und er hat es als begabter Erzähler verstanden, sehr lebendig darüber zu berichten. Für heimatverbundene Riehener war es immer ein Genuss, durch seine interessanten Schriften an Ereignisse und Zusammenhänge erinnert zu werden, die sonst unweigerlich in der Vergessenheit versunken wären.


So führt er uns, um nur einige Beispiele herauszugreifen, zur Marktfrauenbank, zum hundertjährigen Oberdörflerbrunnen, erzählt von den alten Gasthäusern Ochsen, Rössli und Drei-König, berichtet vom alten Steinbruch und wie 's Trämli nach Riehen kam, schreibt eine längere Abhandlung über Bürgermeister Wettstein u. a. m. wie das von ihm zusammen mit Gustav Adolf Wanner herausgegebene Bändchen «Höfe und Landgüter in Riehen» und «Kleiner Spaziergang durch Riehens Geschichte», das als ausgezeichneter Führer durch die Schönheiten Riehens bezeichnet werden darf. Nicht zu vergessen sind die vielen feinfühligen Gedichte zum Lobe der Natur und Heimat, aus denen seine romantische Neigung und die Anlehnung an seinen sehr verehrten Lieblingsdichter J. P. Hebel spricht.


Die Quellen seiner Geschichten aus alten Zeiten waren, wie bereits erwähnt, Gespräche mit älteren Dorfbewohnern, die «Geschichte des Dorfes Riehen» von Pfr. Iselin und seine Forschungen in Staatsarchiv und Universitätsbibliothek.


Gedenken wir zum Abschluss nun des Freundes Werner. Seine freundliche und liebenswürdige Art machte ihn allgemein beliebt, und so durfte er sich eines grossen Freundeskreises erfreuen. Seiner Ideologie entspringend, hatte er eine starke Neigung zu allem Guten und Bodenständigen. Daher war er allen Dorfvereinen, die traditionelle, heimattreue Ziele verfolgen, hilfs- und unterstützungsbereit zugetan. Es ging ihm sehr darum, das Kulturelle zu heben und die Riehener Eigenständigkeit zu fördern, welche Ziele er auch in den zwei Amtsperioden als Mitglied des Weiteren Gemeinderates verfochten hat. So sehr er Gesang und Musik liebte, seine Vorliebe galt der Turnsache. In vielen Chargen hat er dem Kantonalturnverband und dem Turnverein Riehen, welcher ihn zum Ehrenmitglied ernannte, wertvolle Dienste erwiesen, und er hat unter den Turnern seine Freunde fürs Leben gefunden. Werner war eigentlich kein Freund grosser Gesellschaften. Vielmehr lag ihm der kleine, intime Kreis, wo er seiner Gemütlichkeit, in seinem gastfreundlichen Haus oft und zu jeder Stunde, in unbeschwerter Weise, freien Lauf lassen konnte. Er würde es mir nicht übel nehmen, wenn ich hier ausbringe, dass es ihm ein besonderer Spass war, als gewesener Fourier und Quartiermeister in gemütlicher Runde und zu später Stunde im Hause eines Freundes Küche und Keller zu requirieren und unbedingt den Kaffee selbst zu brauen. Solche und andere schöne Erinnerungen erhalten in uns das Bild des Freundes Werner Schär lebendig.


Riehen feiert in diesem Jahr seine 450jährige Zugehörigkeit zu Basel. Sicher hätte Werner Schär diesen Anlass mit wertvollen Beiträgen bereichert. Eine höhere Macht hat ihm die Feder zu früh aus der Hand genommen. Er durfte am 2. Oktober sanft entschlafen, in der Stärke seines Leitbibel Wortes: Fürchte dich nicht, glaube nur!


Sein Vermächtnis aber bleibt uns als bleibender Wert erhalten und alle, die dem lieben Verstorbenen nahestehen durften, werden ihm ein ehrendes Gedenken bewahren.


Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1972

zum Jahrbuch 1972