Zwei bedeutsame Ausstellungen

Hans Krattiger

Den Stein ins Rollen gebracht hat Theo Schudel, als er — als Mitglied der Redaktionskommission für das Riehener Jahrbuch — mich vor drei Jahren bat, einmal eine Bestandsaufnahme der im Gemeindebesitz befindlichen Bilder vorzunehmen und darüber im Riehener Jahrbuch 1970 zu berichten. So verlockend der Auftrag war, erhob sich doch die Frage, ob dieser öffentliche Kunstbesitz überhaupt des Schreibens wert sei und genügend Stoff für einen Beitrag liefere; denn was «man», das heisst der Riehener Durchschnittsbürger, sah, waren die künstlerischen Ausschmückungen des Gemeindehauses: die drei Majolika-Wandbilder von Christoph Iselin, das Winzer-Relief von Alexander Zschokke und die behauenen Bossen an der Westfassade von Hans Geissberger sowie noch das winterliche Gartenbild von Joseph Keller in der Schalterhalle. Als ich dann aber den der Gemeinde gehörenden Kunstbesitz aufzuspüren begann, entdeckte ich einen umfangreichen «verborgenen Schatz», der mich freudig überraschte, mir aber bald auch deutlich machte, dass sich eine Berichterstattung über mindestens zwei Artikel erstrecken muss. Den ersten im Jahrbuch 1970 — unter dem Titel «Das Gemeindehaus als Museum» — schloss ich mit dem Vorschlag der Schaffung einer ausserparlamentarischen Kommission für bildende Kunst, da mir klar war, dass sich der Genieinderat neben der Fülle von politischen Gemeindeproblemen nicht auch noch mit «öffentlicher Kunstpolitik» befassen kann, wenigstens nicht in der Weise, wie sie die bereits vorhandene Sammlung eigentlich erfordert. Als ich dann für das Jahrbuch 1971 unter dem Titel «Die Gemeinde als Kunstsammlerin» über die Bilder berichtete, die als Deposita der Gemeinde in Schulhäusern, im Landgasthof, im Spital, im Werkhof sowie im Dominikushaus untergebracht waren (und zum Teil heute noch sind), war die Kunstkommission bereits ins Leben gerufen und hatte — unter dem Präsidium von Gemeinderat Dr. Paul Meyer — die Arbeit auch schon aufgenommen. Und eine der ersten Aufgaben sah sie darin, fürs Jubiläumsjahr 1972 zwei Ausstellungen zu organisieren, nämlich eine, in der der «verborgene Schatz» einmal zusammengetragen und öffentlich zur Schau gestellt wird, und eine zweite mit Werken von heute in Riehen wohnenden Künstlern und Künstlerinnen. Während die erste Ausstellung, die auf den Frühling angesetzt wurde, nur Fragen organisatorischer Art aufwarf, da ja das Ausstellungsgut zur Genüge vorhanden war, bereitete die zweite Ausstellung der Kommission bald einmal Kopfzerbrechen, weil sich herausstellte, dass Riehen so reich an Künstlern und Kunstschaffenden ist, dass der Gemeindesaal samt dem vorgelagerten Garderoberaum viel zu klein ist, um alle in Frage Kommenden zu berücksichtigen. Die Kommission entschloss sich deshalb, die Zugehörigkeit zu einer Künstlervereinigung wie GSMBA oder GSMBK als Kriterium anzunehmen und die Teilnehmerzahl auf 14 Künstler und Künstlerinnen zu beschränken. Dass dabei Ernst Giese, der — wie Albert Schudel in einem Artikel in der Riehener-Zeitung vom 8. September 1972 hervorhob — Mitglied der Basler Künstlergesellschaft ist, nicht berücksichtigt wurde, muss als Schönheitsfehler zugegeben werden. Begangene Fehler sind bekanntlich da, um wiedergutgemacht zu werden. Und am guten Willen dazu fehlt es der Kunstkommission nicht.

Riehens Gemeindebesitz

Die Ausstellung mit Kunstwerken aus Riehens Gemeindebesitz, die vom 15. bis 30. April dauerte, wurde mit einer gut besuchten, festlich gestimmten Vernissage eröffnet und bildete auch für viele Parlamentarier und Gemeindebeamte, die doch viel eher einen Blick hinter die Kulissen der Gemeinde zu werfen vermögen, eine Ueberraschung; denn in einem Raum ausstellungsmässig aufgehängt, zeigte sich auf einmal, dass das, was im Verlauf der Jahre und «so bei Gelegenheit» erworben wurde, eine nicht nur quantitativ, sondern vor allem auch qualitativ beachtenswerte Sammlung darstellt, die zu pflegen und weiter auszubauen die Gemeinde allen Anlass hat.

Es liessen sich drei Gruppen unterscheiden: Bilder verstorbener, in Riehen wohnhaft gewesener Künstler: Hans Sandreuter, Paul Basilius Barth, Jean-Jacques Lüscher, Numa Donzé, Otto Roos, Willi Wenk und Joseph Keller.

Werke zeitgenössischer Riehener Künstler: Nikiaus Stoecklin, Christoph Iselin, Karl Flaig, Walter Schüpfer, der wenige Wochen nach der Ausstellung starb, Ernst Giese, Hans Jakob Barth, Edi Meier, Hans Schmid und Rudolf Schmid.

Arbeiten von Basler Künstlern: Karl Dick, Paul Burckhardt, Martin Christ, Eric Bohny, ferner Otto Staiger und Charles Hindenlang, die beide mit Scheiben vertreten waren.

In der ersten Gruppe stach vor allem das Dreigestirn Barth/Lüscher/ Donzé, das die Schweizer Kunst der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts stark mitgeprägt hat, mit repräsentativen, museumswürdigen Werken hervor. Die Landschaftsbilder der Drei, vor allem aber auch Lüschers «Dorfwirtschaft» und Donzés «Frauenraub», zwei hervorragende figürliche Kompositionen, bilden den soliden Grundstock der Riehener Sammlung. Dazu gesellt sich die «Alte Frau», ein Frühwerk von Otto Roos, ein Bild, das vorläufig leider nur als Leihgabe die Sammlung bereichert. Zeitlich am weitesten zurück gehen das ölbild «Waldesinneres» sowie ein paar Aquarelle und Zeichnungen von Hans Sandreuter; diese noch im letzten Jahrhundert entstandenen Arbeiten bezeichnen gleichsam das Fundament, auf dem die nachfolgenden Generationen auf- und weitergebaut haben. Dass auch Willi Wenk, der schon seiner Herkunft nach Riehener Bürger war, in der Sammlung gut vertreten ist, versteht sich von selbst. Wenn er auch qualitativ nicht an seine Zeitgenossen heranreichte, so verdanken wir ihm doch eine ganze Reihe von Riehener Ansichten, die — weil inzwischen verschwunden — dokumentarischen Wert besitzen.

Unter den zeitgenössischen Riehener Künstlern nimmt der nun 77jährige Nikiaus Stoecklin, wie auch die Ausstellung im Herbst deutlich machte, eine Sonderstellung ein; eine Sonderstellung auch innerhalb der Schweizer Kunst. Mit einem seiner Hauptwerke, dem «Chalanda Mars» — vom Treppenhaus im Schulhaus an der Burgstrasse ins Entrée des Gemeindehauses versetzt — besitzt die Riehener Sammlung einen überaus wertvollen Akzent. Nicht nur altersmässig, sondern auch wegen der Eigenständigkeit seiner Kunst bildete Nikiaus Stoecklin die Brücke zur jüngeren Generation, in der wiederum ein Dreigestirn den Schwerpunkt bildet: Christoph Iselin, Walter Schüpfer und Karl Flaig, die mit für ihr Schaffen typischen Werken, hauptsächlich Landschaften, vertreten sind. Zur gleichen Generation gehören noch Ernst Giese, dessen farbenintensives Bild «Abend im Artel» sich gut in die Sammlung einfügt, und Hans Schmid, der mit seiner Scheibe «Licht» den gemeindeeigenen Kunstbesitz bereichert. Dass aber auch Vertreter der jüngeren Generation bei Ankäufen berücksichtigt wurden, bewiesen die Bilder von Edi Meier und Hans Ackermann, die allerdings in ihrem Schaffen der Tradition verpflichtet sind.

Aus was für Gründen auch Bilder von Nicht-Riehener Künstlern erworben wurden, liess sich nicht mehr eruieren ; hingegen ist erfreulich, dass es geschehen ist. Denn die Arbeiten von Karl Dick, darunter ein meisterliches Frühwerk aus der Provence, von Martin Christ und Eric Bohny möchte man nicht missen. Und es ist zu hoffen, dass auch künftig bei Ankäufen oder Wettbewerben der Blick über Riehens Grenzen hinaus gerichtet wird.

Summa summarum: Es war eine Ausstellung, die nicht nur den Beweis erbrachte, dass sich Künstler offenbar gern in Riehen niederlassen, sondern auch aufzeigte, dass die Gemeindebehörden, wenn auch nicht systematisch und zielbewusst, so doch mit Geschick und Geschmack den Grundstock für eine öffentliche Kunstsammlung gelegt haben.

Zeitgenössische Riehener Künstler

Die zweite Ausstellung, die vom 9. bis 24. September durchgeführt wurde und sich ebenfalls eines guten Besuches erfreute, zeigte — wie bereits erwähnt — Werke von 14 in Riehen wohnenden Künstlern und Künstlerinnen. Hatten die Bilder der Frühjahrs-Ausstellung einen gemeinsamen Nenner, nämlich die Gegenständlichkeit, so brachte die Herbst-Ausstellung einen Querschnitt durch das zeitgenössische Kunstschaffen und war ein Spiegelbild der heute vorherrschenden, unterschiedlichen Kunstrichtungen, wobei allerdings — und wie uns schien: zum Vorteil für die Ausstellung — die extremen Strömungen fehlten. Aber erstmals hielten nicht nur die Abstrakten, sondern auch die Frauen Einzug in den Gemeindesaal, nämlich Yvonne Binz und Hilda Meyer mit gegenständlicher, Dorette Huegin mit abstrakter Malerei, Yvonne Chapallaz mit Glasscheiben und Elly Iselin-Boesch, von der der Pelikan im Schwimmbad und der «Böckligumpen»-Brunnen an der Ecke Schäferstrasse/Kohlistieg stammt, mit Kleinplastiken. Die Arbeiten dieser Künstlerinnen, die sich nicht nur durch handwerkliches Können, sondern ebensosehr durch ein eigenwilliges, ihrem Wesen entsprechendes Schaffen auszeichnen, bedeuteten eine willkommene Bereicherung der Ausstellung.

Dass die Mehrzahl der ausstellenden Künstler, nämlich Nikiaus Stoecklin, Christoph Iselin, Karl Flaig, Walter Schüpfer, Hans und Ruedi Schmid und Hans Jakob Barth, schon in der Frühjahrs-Ausstellung anzutreffen waren, liess erkennen, dass sich die Gemeinde für das Schaffen dieser Künstler schon interessiert hatte. Neu hinzugekommen sind einzig Gustav Stettler, der erstaunlicherweise bis jetzt noch nicht in der Riehener Sammlung vertreten war, und Max Sulzer, der mit seinen satt-farbigen Kompositionen in Richtung op-art geht.

Einen festlichen, gloriosen Auftakt erhielt die Ausstellung durch eine stattliche Anzahl Bilder von Nikiaus Stoecklin, dem als Nestor der zeitgenössischen Riehener Künstler der vordere Raum zugedacht worden war. Stilleben und Landschaften aus verschiedenen Schaffensperioden manifestierten einmal mehr den Stoecklin'schen Realismus, der nicht zu verwechseln ist mit Naturalismus. Wohl hält sich Nikiaus Stoecklin an die Natur, bisweilen sogar mit wissenschaftlicher Akribie, aber durch die Art der Darstellung und vor allem der Komposition des Bildes erhöht er das Abbild zum Kunstwerk.

Für Walter Schüpfer, der anfangs Sommer 68j ährig verstorben ist, wurde diese Ausstellung unerwartet zu einer Gedächtnis-Ausstellung. Seine Landschaften und Stilleben liessen uns erkennen, dass wir mit ihm einen sensiblen, überaus kultivierten Künstler verloren haben, der ein Werk von bleibendem Wert hinterlassen hat.

Christoph Iselin und Karl Flaig warteten mit neueren Arbeiten auf, wobei Iselins «Faible» einerseits für die Bergwelt des Wallis und anderseits für die Tierwelt Ostafrikas evident wurde, während Karl Flaig ein paar seiner neuesten, wieder dem Gegenständlichen zugewandten Gartenbilder, wandbildhaft-dekorativ gemalt in vorwiegend hellen, fein abgestuften Farbtönen zeigte, und damit bewies, dass ihm, dem Bewohner des Schlipf, ob der jahrelangen Beschäftigung mit abstrakter Kunst der Blick für die Schönheiten der Natur nicht abhanden gekommen ist.

Gustav Stettler, zu dessen 60. Geburtstag die Kunstkommission im Juni 1973 eine Jubiläums-Ausstellung im Gemeindesaal veranstaltete, schuf mit seinen Bildern, die sich durch Strenge des Aufbaus und Nuancenreichtum der Farbklänge auszeichnen, einen weiteren Höhepunkt der Ausstellung. Es war höchste Zeit, dass er für Riehen «entdeckt» wurde.

Elly Iselin mit figürlichen und Ruedi Schmid mit ungegenständlichen Arbeiten vertraten die Plastik, Yvonne Chapallaz und Hans Schmid die Glasmalerei, womit aufgezeigt wurde, dass das künstlerische Schaffen in Riehen nicht nur bezüglich der Auffassungen, sondern auch der Techniken facettenreich ist.

Erwähnt sei noch, dass der Gemeinderat auf Empfehlung der Kunstkommission folgende Ankäufe beschlossen hat: Walter Schüpfer: «Stilleben» (1965), Yvonne Chapallaz: drei Glasscheiben (drei Schöpfungstage), Hilda Meyer: «Frühling» (1967), Hans Schmid: «Paradiesvogel» (Glasscheibe), womit erstmals auch Arbeiten von Riehener Künstlerinnen in die öffentliche Sammlung gekommen sind.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1973

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