100 Jahre Reformierter Frauenverein Riehen

Aletta Schubert-Vischer

«Es gibt nichts Gutes, — ausser man tut es.» Dies war sicher das Motiv, nach welchem Frau Wenk-Marter 1872 den Riehener «Hülfsverein» gründete. Ungefähr um die gleiche Zeit — das genaue Datum lässt sich nicht mehr feststellen — wurde auch ein Armenverein errichtet. Aus einem alten Statutenheft geht hervor, dass 1878 die beiden Vereine unter dem Präsidium von Pfr. Linder zum jetzigen Frauenverein zusammengelegt wurden. Früher hiess er «Frauenverein der Kirchgemeinde». Wann er den Namen «Reformierter Frauenverein» bekommen hat, lässt sich auch nicht mehr feststellen. Wir haben das Jahr des Zusammenschlusses, also 1878 als Gründungsjahr genommen und feiern deshalb 1978 das hundertjährige Bestehen des Frauenvereins.

Warum haben sich die Frauen zusammengetan? Offensichtlich erkannten sie, dass sie innerhalb der Gemeinde eine echte Aufgabe haben. Es war dies ein erster Schritt zur Emanzipation im Sinne von Erkennen einer eigenen Verantwortlichkeit gegenüber der Gesellschaft. Sie schlössen sich zusammen, um Bedrängten und in Not Geratenen zu helfen, und wählten Weihnachten als Fest der Liebe, um Notlagen lindern zu helfen. Dazumal und heute werden Päcklein verteilt, nicht im Sinne einer Wohlfahrtsinstitution, sondern als Ausdruck einer inneren Verpflichtung und Verbundenheit mit dem Schicksal der Mitmenschen. Vielleicht war es damals leichter, diese Verpflichtung zu erkennen. Es war eine Zeit, in der Menschen gravierende Not litten. «Es gab damals arme, sehr arme Menschen in Riehen», erzählt eine alte Riehenerin. Heute ist es anders. Aber die Verpflichtung zur Nächstenliebe bleibt. Die Verarmung tritt anders auf. Es ist eine Verarmung an mitmenschlichen Beziehungen. Wir sind überzeugt, dass die Aufgabe der Frau in der Gesellschaft und Gemeinschaft nicht weniger notwendig ist als vor 100 Jahren, nur brauchen wir andere Akzentsetzungen.

Es liesse sich in einem Bericht über 100 Jahre Frauenverein vieles erarbeiten: die Veränderung der Einstellung der Menschen zur Not anderer, die Entwicklung der Sozialfürsorge, die Preisentwicklung in der Textilindustrie oder die Veränderung der dörflichen Gemeinschaft in Riehen. Der Frauenverein war aber von jeher praktisch und handfest, darum ist es besser, sich auf das zu beschränken, was er getan und wie er sich entwickelt hat.

Viele haben mitgeholfen, einzelne haben ihn geprägt. Die treibende Kraft der ersten Jahre war Frau Wenk-Marter, die ihn von 1878—1917 leitete. Als Handarbeitslehrerin im Dorf unterrichtete sie Generationen in diesem Fach.

 

Sie war eine tüchtige Elsässerin und als Frau des Gemeindepräsidenten gut mit dem Dorf verwachsen. So sah sie auch, wie nötig es war, Not zu lindern und gründete darum den «Hülfsverein». Aus den Geschichten und Schilderungen ehemaliger Schülerinnen geht hervor, dass. sie eine strenge, gute Lehrerin gewesen ist. Wenn man aber zu den unbeliebten und nicht so tüchtigen Schülerinnen gehört hat klingt dies in den Erzählungen der heute bald 80jährigen Ehemaligen noch deutlich mit: «I weiss nit, was de hesch, i ha nie öppis mit ere gha!» «Jo, du, du bisch scho allewyl so tüchtig und exakt gsi, Du scho nit.»

Bis tief in die Nacht hinein soll sie die Arbeiten für die Näh- und Stricknachmittage vorbereitet und zugeschnitten haben. Nur das beste Material wurde gewählt. Auch darin steckte ihr erzieherisches Talent. Sie wollte beweisen, dass man nur mit gutem Material wirklich sparen kann, ein Grundsatz, dem die Frauen immer treu geblieben sind. An Weihnachten wurden dann die Sachen, teilweise in Zeitungspapier verpackt, mit dem Leiterwagen verteilt. Aber schon 1878 tauchen «Bändeli» in den Ausgaben auf. Ich nehme an, dass sie für Weihnachten bestimmt gewesen sind.

Bis zu ihrem Tode im Jahre 1917 hat Frau Wenk den Frauenverein geleitet und ihm ein Gesicht gegeben. In ihrer Verwandtschaft und Umgebung warb sie Mitarbeiter, und es war eine Ehre, im Frauenverein dabei zu sein. Die «Basler Nachrichten» schrieben anlässlich ihres Todes: «Mit Frau Wenk ist eine Frau aus dem Leben geschieden, deren Wirksamkeit von weitgehender Bedeutung für die Gemeinde Riehen gewesen ist. Sie hat nicht nur eine grosse Familie grossgezogen, sondern auch einen guten Geist der Ordnung und des Fleisses jeweilen zu stärken und zu mehren versucht in der Gemeinde.» Noch heute blickt Frau Wenk aus dunklem Eichenrahmen mit dem Strickzeug in der Hand auf die Arbeiterinnen im Kränzchen am Donnerstag. Sie war eine patriarchalische Figur. Fast fühlt man sich beobachtet und ein bisschen unter Kontrolle.

Das Büchlein der ersten Mitgliederbeiträge und auch die Ausgabenhefte, fast lückenlos bis auf den heutigen Tag, sind uns erhalten geblieben. Die Mitgliederbeiträge, die noch lange von Haus zu Haus eingezogen wurden schwankten zwischen 20 und 80 Rappen monatlich. 1874 bezahlten 65 Frauen ihren Beitrag, einige «Gönnerinnen» sogar 5 bis 10 Franken.

Interessant sind natürlich die Ausgabenhefte. So kaufte man z.B. 1878 ein:

 

«FersengarnFr. 2.75
Stk Baumwollzeug, 72% mtr36.25
Zoll und Porto1.02
Wolle, 7 Pfd à 4.4030.80
Indienne, Rest5.30
16 Ellen Halbleinen à 2.5040.—
112 Vi Ellen Lama à 65 Pfennig91.40
Fracht Zoll 35 Ellen Barchent und 16 gr Seide Auslagen für Siegristen, Gärtner und Wächter Unterstützung an eine bedürftige Familie 20 m Schipper à 1.60 Botenlohn 10 Ellen Futtertuch à —.30 20 Paar Holzschuh à 2.— Fracht 3 Paar Unterhosen à 1.50 1 Päckli Heftli, 6 Dtzd Knöpf Bei der Weihnachtsbescherung Kerzen und Bändeli Weihnachtsbaum—.25 2.88 28.25 9.— 5.— 32.— —.30 3.— 40.— 1.35 4.50 7.70 6.60 6.—

 

Die Einnahmen bestanden aus monatlichen und halbjährlichen Beiträgen, dazu kam im Jahre 1878 eine Kollekte am Schulexamen von Fr. 21.25 und ein Gottespfennig am 18. Juli von Fr. —.62. Die Gesamteinnahmen betrugen Fr. 437.53.

1905 finden wir die Rechnung: «Für ein Knabenkleid gemacht: Fr. 5.—, ein Herrenanzug mit Knöpf Fr. 7.—.» 1928 wurden verschenkt: Bettjacke, Wolle, Bettschlutti, Hemden, «Hoosen», Schürzen, Strümpfe und Socken, Bettanzug und Barchetleintücher, Unterrock und Männerhemd.

Wenn wir uns das ansehen, kommt uns das dörfliche Riehen, umgeben von Rebbergen und fliessenden Bächlein, mit den Frauen, die mit fröhlichem Geplauder ihre Wäsche am «Dyych» waschen, in den Sinn. Im Herbst wurden die Nüsse in der öli an der Weilstrasse gepresst, und die Kinder sind um ölkuchen betteln gegangen. Einmal im Jahr ist die «Ressliryti» hinter dem heutigen Bell gestanden.

Nach den Eintragungen zu schliessen, verlief die Arbeit Jahr für Jahr im gleichen Rahmen, bis uns dann 1914 ein Eintrag aufhorchen lässt: An bedürftige Wehrmänner auf dem Gotthard verteilt: Hemden, Socken und Unterhosen für Fr. 200.—.

Nach dem Tode von Frau Wenk übernahm Frau Pfarrer Iselin die Leitung des Arbeitskreises. Sie tat es nach Aussagen von Mitarbeiterinnen mit viel Freude und Einsatz. Aus jener Zeit sind nur wenige Akten erhalten. Kirchenkollekten und Wohltätigkeitskonzerte rüsteten das magere Budget auf, und ein Sohn erinnert sich an Berge von Socken und Päckli zur Weihnachtszeit.

Schon um 1920 ist auch der Hausarbeitsverein von Fräulein Heusler erwähnt. Sie hat bedrängten Frauen die Möglichkeit gegeben, zu Hause etwas zu nähen, und der Frauenverein hat oft für seine Päckli das, was ihm noch fehlte, bei ihr aufgestockt. Ich erwähne das, weil ich es wichtig finde, dass die verschiedenen Frauenorganisationen gut zueinander stehen und miteinander arbeiten.

Im Zweiten Weltkrieg fand der Verein eine neue, wichtige Aufgabe. Seit 1923 war Frau Pfarrer Brefin geliebte und geschätzte Leiterin. Sie konnte die Frauen des Vereins dazu gewinnen, eifrig in der Soldatenfürsorge, der Flüchtlingshilfe und im Roten Kreuz mitzuhelfen. Der Frauenverein wurde als Fürsorgerinnenzug Nr. 1053 eingeteilt, und Frau Brefin war Zugsleiterin. «Als Beilage übergeben wir Ihnen den ersten Kredit mit den nötigen Textilzusatzkarten. Ebenfalls legen wir Ihnen ein Hemdenschnittmuster und Sockenstrickvorschriften bei. Aus den Wollresten bitten wir höflich, gemäss den gleichzeitig beigefügten Strickvorschriften Ohrenschoner und Pulswärmer anzufertigen.» So schrieb die Zentralstelle für Soldatenfürsorge 1941. Es sind ein paar Dankesbriefe von Soldaten erhalten. Einen möchte ich gerne zitieren: Im Felde 1941. Geehrter Frauenverein Riehen. Muss mich bei Ihnen von ganzem Herzen bedanken für Euer grösste Güte, die ihr an mir vollbracht habt. Zuerst bitte Ich Sie vielmals um Entschuldigung für mein verspätetes Dankesschreiben wegen Mangel an Briefpapier und seelischer Zerrüttung, weswegen es mir unmöglich war, meine Gedanken zusammen zufassen. Muss Ihnen nämlich auch erklären, dass ich eigentlich ganz skeptisch um mein Gesuch um Winterwäsche stand. Habe mich aber eines bessern belehren müssen, denn Ihre so in liebevoller Weise überreichte Gabe hat meine Erwartung um vieles übertroffen. Habe nie erwartet, dass Sie mich mit so allerbester Wäsche ausstatten würden und erst noch handgestrickte Socken, wieviele Mühe für mich da hinein gesteckt wurde. Kann gar nicht anders, als aus innigstem Herzen Euch allen meinen aufrichtigsten Dank aussprechen, sowie den meiner Frau Erica. A uch sollen Euch immer unsere allerbesten Wünsche zum Wohlergehen begleiten und Eure Mühe belohnt werden. Wünschen allen noch glückliche und frohe Festtage und recht gute Bescherung, gez. XX»

Es scheint, dass der Frauenverein auf alle Hilferufe der Flüchtlings- und Rückwandererhilfe positiv reagiert hat. In jener Zeit erhielt er viele Legate. Immer wieder wurde ihm eine Kirchenkollekte zugesprochen, und ein Wohltätigkeitskonzert des Liederkranzes ist als willkommene Hilfe erwähnt.

1937 kam Herr Pfarrer Wieser als zweiter Pfarrer nach Riehen. Noch ist das Dorf ein Bauerndorf, aber es beginnt seinen Charakter zu ändern. Frau Pfr. Wieser arbeitete anfänglich im Arbeitskränzli im Dorf mit, aber bald hatte sie den Wunsch, im neuen Kornfeldbezirk eine neue Gruppe des Frauenvereins zu gründen. Frau Voegelin-Donzé und Frau Moser-Barth halfen ihr dabei, unterstützt von andern Frauen. Bald war im neu erstellten Kornfeldhaus eine eifrige Gruppe an der Arbeit. Alte Nähmaschinen wurden wieder lebendig, und der Frauenverein stellte — wie beim Arbeitskreis im Dorf — das Material zur Verfügung. Auch im Landauer siedelten sich Menschen an. Das Dorf wurde grösser und grösser. Wie froh war man da, dass an Weihnachten für die grössere Anzahl Päckli auch mehr Gewirktes und Gestricktes zur Verfügung stand. Wo Herzen und Ohren offen sind für die Not anderer, entstehen auch immer neue Möglichkeiten zu helfen. So wurde eine Buschiwagenaktion gestartet. Buschiwagen wurden wieder aufgefrischt, mit Erstlingswäsche, Windeln und allem Zubehör ausgestattet. Einzige Bedingung war, den Wagen nach Gebrauch wieder sauber zurückzugeben. Alle Kleider und Windeln durften behalten werden. Lange Zeit waren zwei bis drei Wagen unterwegs. In jener Zeit konnten 150 Mitglieder geworben werden. Auch dieser Kreis hat die Not des Krieges gehört. Eine Flickaktion für überlastete Bauernfrauen im Entlebuch wurde eingerichtet. Die beiden letzten Mitarbeiterinnen hörten 1976 altershalber auf. Bis zuletzt haben sie für eine Familie mit sieben Kindern geflickt.

Herr Pfr. Brefin war der letzte Präsident des Frauenvereins. Nach ihm hat Frau Pfr. Pfendsack als erste Präsidentin den Verein übernommen. Frau Rominger leitete zu jener Zeit das Arbeitskränzli im Dorf. Sorgsam und pflichtbewusst bestimmte sie die Geschicke. Sie war ein echtes Glied ihrer Generation, die mit viel Energie und harter Arbeit ihr Leben gelebt hat, aber immer etwas übrig hatte für diejenigen, denen es schlechter ging. Viele Riehener Frauen konnte sie für die Aufgabe gewinnen. Aus ihrer Hand habe ich 1961 die Arbeit entgegengenommen.

1961 wurde ein Vorstand zusammengestellt, der zur Hälfte aus Frauen aus dem Dorf und zur Hälfte aus dem Kornfeld bestand. Präsidentin ist noch eine Pfarrfrau. In der Jahresversammlung von 1966 wurden Statuten genehmigt.

Inzwischen ist Riehen grösser geworden. Die Rebberge sind verschwunden, fast alle Bäche sind unterirdisch. Die Sozialfürsorgerin der Kirchgemeinde hilft die über 100 Weihnachtspakete richtig verteilen. Im Andreasbezirk wird 1956 ein dritter Pfarrer gewählt, Pfr. H.R. Rothweiler. Er ist es denn auch, auf dessen Initiative der Albert-Schweitzer-Verein gegründet wird. Er sammelt hauptsächlich Frauen aus jenem Gebiet. Erstmals bezahlt die Gemeinde an den Frauenverein Riehen einen jährlichen Beitrag von Fr. 1000.—, der in drei gleiche Teile an die drei arbeitenden Gruppen verteilt wird: Vi Kornfeld, Vi Dorf und Vi Albert-Schweitzer-Verein. So ist es noch heute.

Das Dorf ändert sich und mit ihm die Aufgabe des Frauenvereins. Auch der Inhalt der Päckli ändert sich. Die Bettschlutti sind verschwunden, die währschaften Schürzen und Barchentnachthemden machen eleganteren Platz. Socken sind immer noch beliebt. über die Grenzen unseres Dorfes hinaus übernehmen wir eine Weihnachtsbescherung in einem Bergdorf und senden jährlich grosse Pakete in ein Berggebiet. Die Päckli in Riehen werden immer mehr zu Grüssen an Einsame und Betagte, Aufmunterung und Zeichen der Verbundenheit zu Weihnachten. Mit einem Weihnachtsbrief sammeln wir seit Jahren selbstgebackene Gutzli bei unsern Mitgliedern. Eine grosse Zahl reagiert, und Berge von herrlichem Gebäck kommen zusammen. Auch die katholische Gemeinde macht mit, und seit drei Jahren werden ökumenische Weihnachtsgriisse von Jugendlichen in Stuben und Wohnungen der Alterssiedlungen verteilt.

1962 ist einer Gruppe von Frauen aufgefallen, dass in Riehen viele Familien wohnen, die ferne von ihrer Verwandtschaft auf sich gestellt sind. Keine Tanten, Schwestern oder Grossmütter hüten ihre Kinder für einige Stunden. So ist die Hüterstube entstanden. Bis 1975, also 13 Jahre lang, erfüllte sie einen wichtigen Dienst. Frau Pitschen, welche in der Gründungszeit jahrelang darin half, wurde bei andern, wie Pilze aus dem Boden schiessenden Hüterstubengründungen als Beraterin beigezogen. Viele Frauen, manchmal bis zu 30, setzten sich tatkräftig ein. Unter Frau Holligers jahrelanger Leitung hatte es in den Spitzenjahren 1968/69 bis zu 55 Kinder jeden Mittwoch. Unsere älteste Hüterin, Frau Mundschin, hat mit viel Freude und Geschick als fast 80Jährige mitgeholfen. Als man Abschied nehmen musste vom alten Gemeindesaal, wo das herrlichste Spielzeug ein alter Kinderwagen war, mit dem man herumtollen durfte, nahm man auch Abschied von dieser Form des Hütedienstes. Es war nicht mehr nötig. Nachbarinnen hatten gelernt, diese Hilfe unter sich auszutauschen. Aus der Hüterstube ist die «Kinderfähri» entstanden. Es war ein Versuch, eine Wochensonntagsschule mit Hilfe von Mittelschülern aufzubauen. Mit dem neuen Schulsystem, bei dem auch am Mittwochnachmittag Schule ist, wurden immer wieder die besten Leiter und Leiterinnen weggenommen. Heute betreut eine Gruppe junger Frauen die «Fähri». Im Programm steht fest das «Basteln auf Weihnachten». Unter dem Jahr werden nach Möglichkeit Kurse in Basteln, Kochen etc. angeboten, alles aus dem Wunsch heraus, Kinder in der Gemeinde zu beheimaten.

1967 entsteht ein neuer Verein, die «Gegenseitige Hilfe». Wie der Name sagt, möchte er die Hilfsbereitschaft untereinander in Nöten aller Art fördern und wecken. Eine wunderbare Art der Nächstenliebe.

1965 sucht die Vormundschaftsbehörde in Basel private Institutionen, die mithelfen, kleine Heime für Lehrtöchter aufzubauen, die aus irgendeinem Grund nicht zu Hause wohnen können. Der Ruf wird gehört. Einige Frauen des Vereins schliessen sich unter dem Präsidium von Frau N. Schmid zusammen und machen sich an die Arbeit. Ein langer und dornenvoller Weg beginnt. Viele Helfer und Freunde kommen dazu: Mitglieder, die Gemeinde Riehen, die Stadt Basel, die GGG, die Kirche. Aber es braucht zähen Einsatz und die überzeugung, etwas Notwendiges zu tun, um sich nicht beirren zu lassen. 1972 kann das Lehrtöchterheim eröffnet werden. Im Riehener Jahrbuch 1974 wird ausführlich darüber berichtet. Wie hat sich die Mithilfe der Vielen gestaltet? Einerseits durch Spenden, Kirchenkollekten und Gönner, anderseits durch Bazare. Mit viel Phantasie und Einsatz wurde nicht nur Geld gesammelt, sondern auch die Notwendigkeit des Heimes der öffentlichkeit bewusst gemacht. Die Bazare haben uns aber noch etwas anderes gelehrt. Wir haben erfahren, wie gemeinsames Schaffen Gemeinschaft schafft. So begannen wir Kurse aller Art zu organisieren, zuerst einen Nähkurs, jetzt einen «Chum mer z'Hülf»-Kurs, der den Frauen in allen Nähproblemen helfen will. Einmal in der Woche ist Basteln für Betagte. Basteln, Kochen und Töpfern für alle Altersstufen sollen aus der so viel beklagten Isolierung heraushelfen.

Im Laufe der letzten Jahre sind viele Alterssiedlungen entstanden. Menschen mussten aus ihrer gewohnten Umgebung ausziehen und sich in Riehen niederlassen. Sie sollen sich bei uns einleben und zu Hause fühlen. Auf Anregung einer kleinen Gruppe haben sich 1976 etwa 30 Frauen zusammengefunden, um Kontakte herzustellen. Eine gute Möglichkeit sind die Besuche am Geburtstag.

1975 wird das kirchliche Zentrum «Meierhof» eingeweiht. Das Arbeitskränzchen, die Kerngruppe des Frauenvereins, das seit hundert Jahren, zuerst im Schulhaus und dann während Jahrzehnten im alten Gemeindehaus zusammengekommen ist, zieht in die Martinsstube um. Zuletzt haben wir uns im alten Gemeinderatszimmer versammelt. Als eine Art Erinnerung an die jahrelange Arbeit im Gemeindehaus erhalten wir von der Gemeinde den alten Gemeinderatstisch. Ist es nicht symbolisch für den allgemeinen Wandel, dass nun am Tisch, an dem früher die Männer und gar noch der Gemeinderat tagte, Frauen arbeiten, diskutieren und Sitzungen abhalten?

Einmal möchte ich aber auf die Stillen hinweisen, die ohne Aufhebens all die Jahre gearbeitet haben. Es sind Hunderte in den hundert Jahren. Es lässt sich kaum ausdenken, wieviele Kilometer Faden und Wolle und wieviele Zentner Stoffe vernäht und verstrickt worden sind. Auch jenen, die den Jahresbeitrag zahlen, die Bazare besuchen und mit ihrem Wohlwollen unsere Sache unterstützen, gebührt unser Dank. Alle Arbeit geschieht ehrenamtlich. Man kann sich vorstellen, was das bedeutet. Eine Kirche, eine Gemeinde, ein Land leben nicht nur von den Beamten und Angestellten, sie leben nur, wenn alle mithelfen.

Wir danken der Gemeinde für alles Entgegenkommen in all den Jahren. Nie klopfen wir umsonst an, wenn es sich um eine nötige und sinnvolle Anfrage handelt. Darum fühlen wir uns auch als Gemeindeverein, und all unser Bestreben ist es, mitzuhelfen, dass Riehen eine wohnliche Gemeinde bleibt.

Eine kleine Abschweifung sei mir erlaubt: «Unsere Socken». Auf die wird ein Frauenverein immer angesprochen. Socken-strickende Frauen! Aber ehrlich, was ist eine Kleidung ohne Socken? Sie ist nicht vollständig. Schon der Volksmund kennt die Wichtigkeit. «Es jagt einen aus den Socken» oder «er ist wieder in den Socken». Gemeint ist hier das innere Gleichgewicht. — Was ist aber, wenn die Socken grell, auffallend oder misstönend sind? Die Kleidung ist aus dem Gleichgewicht. Ich wage den Vergleich: Wenn ein Frauenverein auffällig, grell oder zu laut ist, dann stimmt etwas nicht. Fehlen aber die Frauenvereine, in welcher Form auch immer, dann ist ein Dorf, eine Stadt nicht in Ordnung.

In diesem Jahr haben wir einige besondere Anlässe zur Feier des lOOjährigen Bestehens geplant: Zusammen mit Frau Largiardèr haben wir ihr Büchlein «Wie ich meine Grossmutter erlebte» in Grossdruck herausgegeben. Als Jubiläumsgabe wird es zum Geburtstag an Betagte überreicht.

Die Kinderfähri lud im Juni zu einer Klöpferbrötlete auf den Spielplatz im Maienbühl ein; ein Kinderheim für Schwerstbehinderte in örbottyan, Ungarn, hat eine Spende für einen soliden Hag um ihren Spielplatz erhalten.

Als Dank für die jahrhundertalte gute Beziehung laden wir die Behörden von Riehen zu einem gemütlichen Nachtessen in den Meierhof ein, und als Abschluss des Jubiläumsjahres wird ein St. Nikolausfest im Meierhof und im Saal des alten Gemeindehauses abgehalten. Die Hälfte des Ertrages geht zu Gunsten des Neubaus des Bischofsstifts, mit dem wir durch Jahrzehnte verbunden sind, einerseits durch die Weihnachtsbescherung und andererseits durch unser Lehrtöchterheim, das im Baurecht auf einem Stück Land steht, das der Stiftung gehört. Die andere Hälfte des Ertrags möchten wir dem geplanten übergangsheim der psychiatrischen Klinik Sonnenhalde geben. Das Haus soll den Menschen den übergang in den Alltag erleichtern. Dazu möchten wir helfen. Zudem ist es ein Zeichen der Verbundenheit mit dem Diakonissenhaus Riehen.

Schliesslich hat uns Frau Piatti zum 100jährigen Bestehen ein Signet geschaffen. Es enthält symbolisch das Kreuz, als Zeichen der Verantwortung und Liebe zu unsern Nächsten, und vier Gestalten, die ihre Hände zur Hilfe ausstrecken. Wir sind dankbar für dieses schöne und verpflichtende Signet. Möge der Frauenverein in den nächsten hundert Jahren dazu beitragen, dass die Liebe nicht erkalte, und möge er hier und über die Grenzen hinaus helfen, dass die Liebe die treibende Kraft bleibe.

 

(Die Tabellen zu den Präsidenten und Leiterinnen des Reformierten Frauenvereins Riehen 1878-1978 sowie zu den Organen und Kommissionen des Reformierten Frauenvereins Riehen im Jahre 1978 finden sich in der gedruckten Ausgabe, S. 76)

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1978

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