Als die Riehener ihre eigene Fasnacht wollten

Nicolas Jaquet-Anderfuhren

In den Büchern über die Geschichte Riehens ist wenig über die Fasnacht zu erfahren. Einzig Pfarrer L. Emil Iselin schreibt, dass Brauch und Sitte in Riehen mit jenen aus dem alemannischen Raum verbunden waren, und so schleuderten auch bei uns in der Fasnachtszeit die jungen Burschen beim Fasnachtsfeuer wie in der badischen Nachbarschaft die glühenden «Schübe» unter Abrufung eines Reimes, wie z.B. : «An Fassnet heisst's: Schibi, Schibo. Wem soll die fürig Schibe go? Berg abe fahrt das fürig Rad Und glüeiht und glumst, es isch e Staat. Do luegt der Bueb si Schätzli a: «Der gilts, wo-n-i am liebste ha!»

 

Die Aktivitäten der 1930 gegründeten und jetzt 50 Jahre alt gewordenen «Chropf-Clique Rieche» haben nichts mit einer Fortführung alemannischen Brauchtums zu tun, sondern sind eine übernahme der Basler Fasnacht mit der Nebenerscheinung, in Riehen davon einen Ableger geschaffen zu haben. Unter den Gründungsmitgliedern befanden sich unter anderen Berti Nussbaumer, der damalige Sängerstübli-Wirt, und Willi Kaufmann, die beide dem Cliquenleben während Jahrzehnten ihren Stempel aufdrückten, sowie Hälmi Schärer, das einzige heute noch lebende Gründungsmitglied.

Einesteils war die Chropf-Clique eine Wagenclique, die mit ihrem Wagen am Umzug in der Stadt teilnahm, zusätzlich dazu machte sie in Riehen Fasnacht, indem die Mitglieder in den Wirtschaften Schnitzelbänke sangen, ja zeitweise sogar Kehrausbälle veranstalteten.

Eigenes Datum für Riehener Fasnacht verlangt

Das Mitmachen am Montag- und Mittwochnachmittag mit dem Wagen an der Fasnacht in der Stadt und das Schnitzelbanksingen am Abend in den Riehener Wirt Schäften wurde von den Cliquen-Mitgliedern als starke Belastung empfunden. Deshalb beschlossen sie im Juli 1937, das Polizeidepartement anzufragen, ob man die Fasnacht in Riehen nicht am gleichen Tage wie in Allschwil durchführen könnte, um auf diese Weise der Riehener Bevölkerung mehr bieten zu können. Eine analoge Anregung wurde 11 Jahre später im März 1948 gemacht. Ob über diese Wünsche mit den Behörden jemals ernsthafte Gespräche geführt wurden, ist in den Vereinsakten nicht festgehalten. Jedenfalls hat Riehen bis heute sein eigenes Fasnachtsdatum noch nicht bekommen.

Riehener Sujets umstritten

Viel zu diskutieren gab es Jahr für Jahr über die Wahl des Sujets. Dabei ging es nicht nur um dessen Inhalt, sondern auch immer wieder um die Frage, ob man als Sujet eine Riehener Begebenheit bringen sollte. Als Riehener Clique fühlte man sich dazu irgendwie verpflichtet, doch zeigte die Erfahrung, dass Sujets aus dem Dorf in der Stadt, weil zu wenig bekannt, oft nicht ankamen.

Unter den Sujets der Vorkriegszeit finden wir unter anderen: Riehener Winzerfest (1936), Lotteriefieber in der Schweiz (1938), d'Schwobe-Maitli-Misere (Heimkehr der deutschen Dienstmädchen 1939). In späteren Jahren folgten beispielsweise: Wandbild im Niederholzschulhaus (1949), Riehener Frauenstimmrecht (1959), Computer (1968), Wintersportort Riehen (1969). Der «Zeedel» für das 1956 gewählte Sujet «Tour de France» scheint so gut gewesen zu sein, dass er ganz im Radio vorgelesen wurde, worauf die Clique verständlicherweise sehr stolz war.

Schnitzelbänke

Die Protokollbücher der Chropf-Clique sind ein umfassender Riehener Wirtschaftenkatalog. Die Sitzungen wurden nämlich immer wieder in anderen Gaststätten abgehalten. Da man vor der Fasnacht bei den Wirten jeweils Geld für das Schnitzelbanksingen sammelte, besuchte man ihre Lokale auch das Jahr hindurch, in der Hoffnung, die Gastwirte bei guter Stimmung zu halten. Mit dem Schnitzelbanksingen scheint nicht immer alles gut gegangen zu sein. So ist aus einem Protokoll von 1938 ersichtlich, dass im mer wieder nach lokalen Schnitzelbankmotiven gesucht wurde. Für die Fasnacht 1939 beschloss man infolge des Fehlens von genügend attraktiven Motiven nur einen Bank anstatt der üblichen zwei Bänke zu singen. über die Motive wurde im Januar 1957 sogar so heftig diskutiert, dass der Protokollführer erschrocken notierte: «Was in der Behandlung der einzelnen Motive beanstandet und befürwortet wird, artet in eine solche Schreierei und gegenseitige Anpöbelei aus, dass es unmöglich ist, alle Kosenamen und sonstigen Titel, die da fallen und einander zugebrüllt werden, zu wiederholen.»

Zwei Jahre später heisst es in einem Protokoll: «Nachdem die Bänke 1959 nicht gerade überwältigend waren, tröstete man sich damit, dass dies weniger am Können der Schnitzelbanksänger lag, als an den mageren Motiven, welche die Riehener Einwohner als Sujet lieferten.» Die Cliquen-Mitglieder wurden dann aufgefordert, nicht die ganze Arbeit dem Präsidenten zu überlassen, sondern das Jahr hindurch selbst geeignete Motive zu notieren.

1962 scheinen Schwierigkeiten mit dem Schnitzelbanksingen aufgetaucht zu sein, weil die Wirte keinen Beitrag mehr leisten wollten. Nach einer ähnlichen Klage im Jahre 1968 wurde dann auf das Schnitzelbanksingen in Riehener Lokalen endgültig verzichtet.

Schon in früher Zeit mit Guggemusig Schon in der Vorkriegszeit bestand in der Clique eine Guggemusig. Diese wurde in der Kriegszeit, wo das Fasnachtmachen nur in Lokalen, nicht aber auf der Strasse gestattet war, ausgebaut. So wurden im November 1944 drei Vertreter der Clique nach Oberwil geschickt, um dort zwei zum Verkauf ausgeschriebene Instrumente, eine Pauke und einen Bass zu besichtigen. In der Nachkriegszeit beteiligte man sich mit der Guggemusig, als dies noch nicht verpönt war, auch am Morgestraich.

1948 bestand der Wunsch, sich als Guggemusig zu vervollkommnen, um so am Monstertrommelkonzert mitwirken zu können. Es zeigte sich aber bald, dass die finanziellen Mittel dazu nicht ausreichten, es sei denn, man hätte auf den Wagen verzichtet.

Kehraus- und Sylvester-Bälle Schon früh wurden auch Kehrausbälle organisiert. Derjenige an der Fasnacht 1938 im Rösslisaal brachte allerdings nicht den gewünschten Erfolg, so dass man für 1939 darauf verzichtete und an dessen Stelle zusammen mit dem Kaninchenzucht-Verein Riehen eine Sylvester-Abendunterhaltung durchführte. Mit diesem Verein wurde schon zwei Jahre zuvor ein gut besuchter Unterhaltungsabend veranstaltet.

Auch in der Nachkriegszeit lesen wir von Kehrausbällen im Rösslisaal und im Landgasthof. Der letzte scheint 1972 stattgefunden zu haben; denn im November 1972 wurde der Beschluss gefasst, dass sich der Aufwand für einen Kehraus nicht mehr lohne. In den Jahren 1961-63 wurden auch Sylvesterbälle durchgeführt, die allerdings teilweise nicht auf das erhoffte Interesse stiessen.

Vogel Gryff-Hock

Der älteste, auch heute noch existierende Anlass der Chropf-Clique ist der Vogel Gryff-Hock. An ihm werden die Plaketten verteilt und man beginnt so richtig auf die Fasnacht zu fiebern. Es scheint, dass dieser Hock immer sehr wichtig genommen worden ist. Mehrmals wurde in der Clique auch darüber diskutiert, ob die Vereinslaterne das ganze Jahr über dem Stammtisch im Sängerstübli hängen solle oder nur in der Zeit zwischen dem Vogel Gryff und dem Fasnachtsbummel. Eine solche Diskussion fand auch im Jahre 1955 statt, als man eine neue Stammtischlaterne anschaffen wollte.

Gartenfeste und Küngeli-Essen

In den 60er Jahren waren in der Clique Gartenfeste Trumpf. Sie dienten vorwiegend dazu, die Vereinskasse zu äufnen und fanden zuerst im Schützengarten, dann im Landgasthof und wahrscheinlich hin und wieder auch im Niederholz statt.

Einer Tradition gemäss gab es jedes Jahr ein Kaninchenessen, zu dem die Kaninchen jeweils von einem Vereinsmitglied gestiftet wurden. Im Dezember 1954 erklärte allerdings ein Stifter, dass das vergangene Essen das letzte gewesen sei, nachdem doch alle immer das Gefühl hätten, sie seien an einem Katzen- statt an einem Küngeli frass. Allerdings ist später wieder von diesem Essen zu lesen, doch nachdem eine weitere dieser Mahlzeiten in einem Protokoll von 1966 als «Versager» bezeichnet wurde, standen 1967 spanische Nierli und 1969 Wildschwein auf dem Speisezettel.

Weitere Anlässe und Feste

In den 50er Jahren bestanden auch Kontakte zu benachbarten Narrenzünften, und die Clique nahm mehrmals an der Fasnacht in Weil und Zell teil. Neben dem Cliquenbummel bildeten auch Sauser-Break-Fahrten während längerer Zeit eine Tradition. Diejenige im September 1942 scheint etwas unglücklich ausgegangen zu sein; denn das von Fuhrhalter Karlin gratis zur Verfügung gestellte Break erlitt wegen Durchbrennen der Pferde einen Radbruch.

In den Zeiten der Hochkonjunktur, als die Mitglieder besser bei Kasse waren als in den Anfangsjahren, unternahm die Clique zur Pflege der Kameradschaft jährlich eine zwei- oder dreitägige Reise. Ziele waren unter anderen München, das Rheinland, Hamburg und der Tessin. Am Riehener Fest anlässlich der 450jährigen Zugehörigkeit Riehens zu Basel richtete die Clique den Keller der Alten Kanzlei als Wirtschaft mit Bar ein. Diese Räumlichkeiten dienten ihr auch später noch hin und wieder für die Durchführung von eigenen Anlässen.

Fasnachts-Stress

In den 50er und 60er Jahren war die Fasnacht für die Mitglieder der Chropf-Clique recht anstrengend. Am Montagmorgen Guggemusig am Morgestraich, ab 9 Uhr Fortsetzung in Riehen mit Ständeiis in den verschiedenen Wirtschaften, 13-18 Uhr Fasnacht auf dem Wagen in der Stadt, ab 20 Uhr bis zum frühen Morgen Schnitzelbanksingen mit Guggemusig-Einlagen in Riehen, am Dienstagnachmittag gemeinsamer Besuch der Laternenausstellung, abends Guggemusik in der Stadt, am Mittwoch mit Ausnahme des Vormittags, gleiches Programm wie am Montag. Heute macht die Clique am Montag- und Mittwochnachmittag mit dem Wagen in der Stadt Fasnacht, an den drei Abenden radeln ihre Mitglieder auf dem lOplätzigen Plausch-Velo durch die fasnächtlichen Strassen der Stadt. Auf ihrer Fahrt zum nächsten Jubiläum wünschen wir der Chropf-Clique viel Erfolg und weiterhin gutes Gedeihen.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1980

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