Auf Gottes Wegen quer durchs Dorf

Franz Osswald

Seit 1935 ist die Neuapostolische Kirche in Riehen beheimatet, eine christliche Gemeinschaft, deren Geschichte viele Veränderungen prägen. Ihr Gotteshaus wurde kürzlich vergrössert und renoviert.

Abgesandte Gottes in Riehen: So hätte der Titel dieses Artikels marktschreierisch lauten können oder «Neue Apostel im Dorf». Unpassend indes für eine kirchliche Gemeinschaft, die seit Mitte der Dreissigerjahre in Riehen ihr Domizil hat und stets im Stillen die Aufgabe der Verkündigung verrichtet hat. Zwei Hundertschaften zählen sich in Riehen zur Neuapostolischen Kirche. Eine kleine Schar, die in ihrem Glaubensleben stets auf Zusammenhalt achten musste, um als Gemeinschaft bestehen zu können.

Um das Jahr 1830 kommt bei Christen in Schottland und England die Meinung auf, es bedürfe neuer Apostel, um dem Reich Gottes zum Durchbruch zu verhelfen. Auch glauben sie, die Wiederkunft Christi werde bald erfolgen. Zwölf Apostel werden daraufhin berufen und beginnen ihr Wirken. Ende des 19. Jahrhunderts erreicht die neuapostolische Botschaft die Schweiz.

Die Neuapostolischen fassen Fuss In Riehen beginnt die Zeit der Neuen Apostel im Jahre 1913. Am 17. September meldet sich Apostel Friedrich Bock in Riehen bei der Einwohnerkontrolle an. Seinen Wohnsitz nimmt er am Spitalweg 2. Doch die Freude darüber, dass sich nun auch in Riehen die Neuapostolische Kirche entfalten kann, dauert nur kurz, denn schon im Juni 1914 stirbt Friedrich Bock.

Es dauert dann bis ins Jahr 1935, bis die Neuapostolischen in Riehen endgültig Fuss fassen. Nicht, dass es im Dorf bis zu diesem Zeitpunkt keine neuapostolischen Glaubensgeschwister gegeben hätte, doch diese mussten mangels eines eigenen Lokals in Riehen die Gottesdienste in den schon bestehenden Gemeinden Basel-Petersgraben und Birsfelden besuchen.

Die erste «Stube» der neuapostolischen Gemeinde Riehen, wie der Versammlungsraum in der Chronik genannt wird, befindet sich an der Ecke Lörracherstrasse/Grienbodenweg. Drei Ehepaare und zwei Schwestern gehören zur neuen Gemeinde Riehen. Ihr wird als Priester Jakob Bacher zugeteilt. Sonntags um 15 Uhr und an den Mittwochabenden werden Gottesdienste gehalten - ohne Harmonium oder Chor; «tonangebend» ist Hans Carbonare mit seiner Klarinette.

Die Gemeinde wächst schnell, ein neues, grösseres Lokal ist nur eine Frage der Zeit. Und diese kommt bereits zwei Jahre später. 1937 kann die neue Stube an der Ecke Schmiedgasse/Mohrhaidenstrasse geweiht werden. Und wiederum zwei Jahre später zieht die Gemeinde an die Baselstrasse 20 in ein Hinterhaus. Dem erfreulichen Wechsel in ein schöneres Domizil geht ein trauriges Ereignis voran: Jakob Bacher verstirbt im Januar 1939. Für ihn kommt Priester Alfred Fierz nach Riehen.

Am neuen Ort verfügt man nun erstmals über ein wenn auch mit zwei Registern nur äusserst bescheidenes Harmonium. Bescheiden sind auch die Ansprüche der Gemeindeglieder an ihr Lokal. So erreicht man den Gottesdienstraum nur über eine «Hühnerleiter», eine Treppe, die so steil ist, dass ältere Leute sie bloss mit Mühe erklimmen können. Normalgewachsene müssen beim Aufgang den Kopf einziehen, weil die Decke so niedrig hängt, im Versammlungsraum selbst können Grossgewachsene nur gebückt stehen. Im Winter gleicht der Raum eher einer «Villa Durchzug», der Ofen produziert bei windigem Wetter mehr Rauch und Abgase als Wärme - sogar die Tinte friert ab und zu ein -, im Sommer riecht es oft streng vom nahen Miststock oder vom Silofutter, und das Gegacker der Hühner übertönt dann und wann sogar die Worte des Evangeliums. Anscheinend sind die Gläubigen zu dieser Zeit weder verwöhnt noch wählerisch und mit wenig zufrieden.

Das Wasser für den Gottesdienst holt die Altardienerin beim «Chropfbrünneli», so weiss die Chronik zu berichten. Das Wasser habe einen besonders guten Geschmack, Hessen die Amtsbrüder stets wissen - bei Renovationen findet man später beim «Chropfbrünneli» ein Schild, auf dem geschrieben steht: «Kein Trinkwasser».

Wechselvolle s Jahrzehnt Veränderungen ergeben sich nicht nur bei den Lokalitäten, auch bei den Priestern ist Abwechslung angesagt. Auf Alfred Fierz folgt 1942 Evangelist Willy Hopfer, der schon ein Jahr später die Leitung Priester Fritz Berchtold übergibt. 1952 nimmt Evangelist Albert Ellenberger die Geschicke der neuapostolischen Gemeinde Riehen in seine Hände - wie seine Vorgänger für Gottes Lohn, denn fast alle ämter werden in der Neuapostolischen Kirche ehrenamtlich ausgeführt. In Ellenbergers Wirkungszeit fällt der Bau des noch heute an der Ecke Langenlängeweg/Fürfelderstrasse stehenden Versammlungslokals.

Zuvor dürfen die Gottesdienste der immer grösser werdenden Gemeinde in der Aula des Hebelschulhauses gefeiert werden. Am 30. August 1953 kann dieser Raum seiner Bestimmung übergeben werden. Obwohl die Aula dem Platzbedarf entspricht - es zählen neu die Gläubigen des Hirzbrunnenquartiers zu Riehen -, muss vor jedem Gottesdienst der Altar aufgebaut und müssen die Stühle gestellt werden. Die Notwendigkeit, ein eigenes Kirchengebäude zu besitzen, ist nicht mehr zu verkennen. Und der Zufall will es, dass gleich gegenüber, am Langenlängeweg 9, ein Stück Land zum Verkauf steht. 800 Quadratmeter ist es gross und kann zu einem Preis von 43 Franken pro Quadratmeter erworben werden.

Gerade der Kirchenbau zeigt das Wesen des neuapostolischen Gemeindelebens gut auf. Viele Vorbereitungsarbeiten werden von den Gemeindegliedern eigenhändig bewerkstelligt. Das Geld der Neuapostolischen Kirche stammt nicht aus Steuern, sondern aus freiwilligen Spenden, wobei die Riehener Neuapostolischen ihren Kirchenbau nicht alleine finanzieren mussten. Sind die Männer eher mit Erdarbeiten beschäftigt - alle Sträucher und Bäume werden von Amtsbrüdern gepflanzt und berappt -, so kommen die Frauen zum Zuge, als es gilt, Vorhänge zu nähen.

Das Standardmodell einer Kapelle, das auch andernorts zur Anwendung kommt, entstammt einem Entwurf der Bauabteilung der Neuapostolischen Kirche Zürich. Am 29. Januar 1956 kann die neuapostolische Kirchgemeinde von Riehen in den Neubau einziehen. Damit geht eine Odyssee von Riehen Nord quer durchs Dorf bis in den südlichen Teil der Landgemeinde zu Ende.

Im Kirchenraum finden 160 Personen Platz. Und auch wenn am Tag der Einweihung laut Chronik «254 Seelen» am Festakt teilnehmen, so sollte die Raumnot nicht so schnell wieder zum Thema werden. Dies auch deshalb, weil Anfang 1973 neue Gemeindegrenzen festgelegt werden: Wegen des neuen Gotteshauses an der Breisacherstrasse in Basel siedeln 65 Mitglieder um. Kaum vier Jahre danach zählt man in Riehen bereits wieder 186 Mitglieder. Von diesen sind rund ein Drittel Mitglieder der verschie denen Chöre. 35 Geschwister singen im gemischten Chor, zehn Jugendliche im Jugendchor und zehn Schwestern im Grabchor. Gegründet wurde der Kirchenchor bereits im Jahre 1949. Priester Alfred Fischer nahm sich damals dieser Aufgabe an. Zum ersten Dirigenten wurde Bruder Max Gutjahr ernannt. Auch handwerklich stellen 24 Geschwister ihre Dienste für die Reinigung der Kapelle und die Gartenarbeit zur Verfügung.

1984 erfährt die Kapelle am Langenlängeweg unter Evangelist Günter Klopfenstein (Vorsteher von 1982 bis 1996, Nachfolger von Walter Erny, dem heutigen Bezirksältesten) eine gründliche Renovation. Das rege Gemeindeleben weckt mit der Zeit neue Ansprüche: Nebenräume für Unterricht, Sitzungen und für Mütter mit ihren Kindern, die am Gottesdienst teilnehmen wollen, fehlen. Ein Erweiterungsbau soll diese Lücken füllen.

Neue architektonische Aspekte Am 5. Oktober 1997 wird der letzte Gottesdienst in der alten Kapelle gefeiert. Bis zur Fertigstellung des neuen Gebäudes geniessen die Riehener Neuapostolischen Gastrecht bei der Kleinbasier Gemeinde. Für den Umbau zeichnet Architekt Arnaldo Cavalli verantwortlich. Die auffallendste Neuerung ist, dass der Kirchenraum nun quer genutzt wird und nicht mehr in seiner Länge. In der Mitte der hinteren Längswand steht der Altar, links und rechts davon gruppieren sich die Bankreihen. Kleine, farbige Fenster setzen lichte Akzente in den weiss getünchten Wänden. Die vorhandene Technik wie Mikrofonanlage und Lautsprecher ist von blossem Auge kaum sichtbar. Gleiches gilt für die Lichtquellen. Der Erweiterungsbau, der eigentlich fast ein Neubau ist, umfasst ein Unterrichtszimmer, einen Raum für Mütter mit kleinen Kindern, den eine schalldichte Glaswand vom Gottesdienstraum trennt, ein Sitzungszimmer sowie die Toilettenanlage. Schlicht und einfach, aber zweckmässig präsentiert sich der Bau. Am 9. August 1998 kann Vorsteher Karl-Heinz Kaiser nach rund neunmonatiger Umbauzeit das Gotteshaus in einem Einweihungsgottesdienst mit seiner Gemeinde in Empfang nehmen.

Abschied nehmen muss die Kirchgemeinde nicht nur vom vertrauten Anblick des alten Kapellenbaus, sondern auch von der alten Adresse: Der Eingang befindet sich nicht mehr am Langenlängeweg 9, sondern an der Fürfelderstrasse 100.

Dass der Neubau rege genutzt wird, davon zeugt im Eingangsraum das Anschlagbrett, das insbesondere die grossen musikalisch-gesanglichen Aktivitäten der neuapostolischen Gemeinde Riehen belegt. Sonntags wie mittwochs wird im neuen Versammlungsraum Gottesdienst gehalten - Hühnerleiter, rauchende öfen, kalte Füsse und häufige Domizilwechsel gehören definitiv der Vergangenheit an: Die Neuapostolische Kirche nimmt in Riehen einen festen Platz ein.

Die Neuapostolische Kirche In 150 Ländern auf allen Kontinenten bekennen sich rund 10 Millionen Menschen zum neuapostolischen Glauben. In der Region Basel, Bezirk Basel genannt, leben 2500 Gläubige in 16 Gemeinden und einer Comunità italiana. Leiter der gesamten Neuapostolischen Kirche ist der Stammapostel (Sitz in Zürich), dem weitere Apostel zur Hilfe beiseite stehen. Ihnen unterstehen die Bischöfe, ältesten, Hirten, Evangelisten und Priester. Die Priester werden von Diakonen und Unterdiakonen unterstützt. Fast alle ämter werden ehrenamtlich ausgeführt, ein theologisches Studium kennt die Neuapostolische Kirche nicht. Priesterliche ämter sind Männern vorbehalten. Drei Sakramente kennt die Neuapostolische Kirche: die Wassertaufe, die Versiegelung (Spendung des Heiligen Geistes beim Eintritt in die Gemeinschaft) und das heilige Abendmahl.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2000

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