Ein erster Schritt nach langem Stillstand


Toprak Yerguz


 

Riehens Dorfzentrum wird ein neues Gesicht kriegen: Die Stimmbevölkerung hat einer Neugestaltung zugestimmt. Das Dorfzentrum soll damit für Einheimische und Auswärtige attraktiver werden – und den Dorfgeschäften mehr Umsatz bringen. Zur Abstimmung kam es, weil die SVP das Referendum ergriffen hatte.


 

Eigentlich deutet alles auf ein Missverständnis hin. Die Riehener Stimmbevölkerung stimmte 2002 und 2014 über eine Aufwertung des Dorfzentrums ab. Aber wo sich in anderen Gemeinden die Opposition gegen solche Projekte vornehmlich aus Gründen des Denkmalschutzes und des intakten Ortsbilds formt, stritt Riehen zweimal über: Parkplätze. Was ist da bloss schiefgelaufen?


 

Am 13. April dieses Jahres hat die Riehener Stimmbevölkerung mit 4137 Ja (56,8 Prozent) zu 3147 Nein (43,2 Prozent) bei einer Stimmbeteiligung von 54,5 Prozent den Investitionskredit zur Neugestaltung des Dorfzentrums genehmigt. Das Projekt für die Neugestaltung wurde in einem Wettbewerb erkoren und im März 2012 der Bevölkerung vorgestellt. Der Einwohnerrat sprach im November 2013 den Investitionskredit über 3,3 Millionen Franken. Die SVP, im Einwohnerrat unterlegen, ergriff das Referendum und hatte die dafür benötigten Unterschriften schnell zusammen. Die Nervosität unter den Befürwortern der Vorlage stieg daraufhin merklich, denn sie erinnerten sich daran, was zwölf Jahre zuvor geschehen war.


 

Der lange Schatten von ‹Julia›


Wir erinnern uns: Am 5. Mai 2002 lehnte die Riehener Stimmbevölkerung einen Projektierungskredit für das Projekt ‹Julia› ab, was dessen Ende bedeutete. Hinter dem Namen verbarg sich ein Paket von zwölf Einzelprojekten, die eine fussgängerfreundliche Aufwertung des Dorfzentrums zum Ziel hatten. Auch ‹Julia› war das Resultat eines Wettbewerbs gewesen, den der Gemeinderat Ende der 1990er-Jahre initiiert hatte.


 

Der Projektierungskredit über 624 000 Franken für ‹Julia› wurde damals im Einwohnerrat mit 33 zu 1 Stimmen bei einer Enthaltung genehmigt. Die SVP, zu dieser Zeit noch ganz am Anfang ihres steilen Aufstiegs in der Riehener Lokalpolitik, ergriff als einzige Partei das Referendum. Damals allerdings mit mehr Erfolg: Zum Entsetzen des Gemeinderats und aller etablierten Parteien folgten an der Urne 55,4 Prozent der Abstimmenden der SVP. ‹Julia› war gescheitert.


Die Parallelen in der Entstehungsgeschichte der beiden Abstimmungen sind augenfällig. Und dennoch nahm die Stimmbevölkerung dieses Jahr das Projekt an, während es zwölf Jahre zuvor nicht einmal einen Projektierungskredit sprechen mochte. Der offensichtlichste Unterschied zwischen damals und heute: Es ist nicht dieselbe Vorlage. Das klingt trivial, ist aber bei genauerem Hinsehen das Resultat eines Lernprozesses: Der zuständige Gemeinderat Daniel Albietz erinnerte sich beim Ausarbeiten der neuen Vorlage daran, wie seinen Vorgängern im Gemeinderat seinerzeit vorgeworfen worden war, mit ‹Julia› ein überladenes Paket zu präsentieren. Das vereinfachte der SVP damals den Abstimmungskampf: Je mehr Teilprojekte in einem Paket enthalten sind, umso einfacher ist es, Gegner zu finden.


 

Diesmal präsentierte der Gemeinderat ein schlankes Projekt, über das sich die Bevölkerung an Informationsveranstaltungen ein klares Bild machen konnte. Der SVP blieb als letzter Trumpf im Kampf gegen die Umgestaltung die Rückbesinnung auf ein Argument, das schon 2002 gewirkt hatte: die Parkplätze.


 

Opposition im Namen der Dorfgeschäfte


Aber ganz so einfach war es diesmal nicht, denn der Gemeinderat hat – trotz neuer Zusammensetzung nach Gesamterneuerungswahlen – aus der Wahlschlappe von 2002 dazugelernt. Die SVP hatte damals erfolgreich argumentiert, dass das Dorfzentrum mit ‹Julia› wegen Verkehrsbehinderungen und weniger Parkplätzen schlechter erreichbar sein werde. Im Abstimmungskampf zur Vorlage vom April 2014 betonten nun Daniel Albietz und seine Mitarbeitenden bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass kein einziger Parkplatz aufgehoben werde. Was die Gegner der Vorlage allerdings nicht davon abhielt, trotzdem das Gegenteil zu behaupten.


 

Die Parkplätze sind ein schlagendes Argument: Viele Riehener Haushalte tätigen ihre Einkäufe mit dem Auto. Sind die Dorfgeschäfte nicht gut erreichbar, bleibt die potenzielle Kundschaft ein paar Minuten länger im Auto sitzen und fährt bis Basel oder Lörrach durch. Wie gross auch die Gemeinde diese Gefahr für die Zukunft des Dorfzentrums einschätzt, zeigen zwei Sätze aus dem Abstimmungsbüchlein: «Das Riehener Dorfzentrum ist oft auch samstags wenig bevölkert, während in den Nachbarstädten der Handel floriert. Die Gäste der Fondation Beyeler finden den Weg ins Dorf nicht und können den hiesigen Detailhandel nicht berücksichtigen.» 


 

Dieselben Argumente wurden schon vor der Abstimmung im Jahr 2002 ins Feld geführt. Aber damals war der Leidensdruck noch nicht so gross wie heute. Die Situation für die Dorfgeschäfte ist mittlerweile prekär. Die Eurokrise hat einen grossen Teil der Kundschaft nach Deutschland gelockt. Und gerade in dieser Zeit, in der Gegensteuer hätte gegeben werden müssen, war die Entwicklung von Riehens Dorfzentrum von Stillstand geprägt. Die letzten grossen Veränderungen waren einerseits das Webergässchen, das Mitte der 1970er-Jahre von einer Strasse zu einer Fussgängerzone umgestaltet worden war – ein Eingriff, der das Dorfzentrum prägte und heute von niemandem als Fehler bezeichnet wird. Andererseits war und ist die Errichtung des Singeisenhofs als letzte erwähnenswerte Veränderung im Dorfzentrum von sehr begrenzter Strahlkraft und dürfte im Vorfeld der ‹Julia›-Abstimmung das Vertrauen in die Projekte des Gemeinderats nicht gerade gesteigert haben.


 

In Riehen ist es wie überall, wo Rücksicht genommen werden muss auf historische Bausubstanz: Grosse Pläne sind politisch sehr schwierig durchzubringen. Vielmehr muss die Entwicklung in vielen kleinen Schritten vorwärtsgetrieben werden. Ein solcher Schritt war im Dorfzentrum längst überfällig, wenn man den Ausführungen der Vereinigung Riehener Dorfgeschäfte (VRD) Glauben schenkt. Die VRD wies seit Jahren darauf hin, dass der Leidensdruck für ihre Mitglieder zunehme und etwas getan werden müsse, um die Attraktivität Riehens zu steigern. Das sahen eigentlich auch alle politischen Parteien so. Nur: Was genau getan werden sollte, darüber herrschte zwei Jahrzehnte lang Uneinigkeit. Und deshalb wurde gar nichts getan. Stattdessen wurden ideologische Grabenkämpfe geführt – Fussgänger und Velofahrer gegen Autofahrer und ihre Parkplätze ausgespielt.


 

Als das neue Umgestaltungsprojekt vorgestellt wurde, schien endlich ein Ende der Blockade gekommen. Die VRD stellte sich hinter die Vorlage. Daraufhin musste sich deren Vertreterin und langjährige Präsidentin Rosmarie Mayer-Hirt von den beiden SVP-Einwohnerräten Karl Schweizer und Felix Wehrli an einer Podiumsveranstaltung sagen lassen, dass die Mehrheit der VRD-Mitglieder gegen das Projekt seien. Einen Beweis blieben die beiden aber schuldig – mit der Begründung, dass sich die Geschäftsinhaber vor Repressalien der Gemeinde fürchteten.


 

Was bringt die Zukunft?


Als am 13. April 2014 die Stimmbevölkerung Ja zur Umgestaltung sagte, konnte man fast hören, wie viele Steine im Gemeindehaus von den Herzen fielen. Das Projekt des im Wettbewerb siegreichen Gestaltungsbüros Staufenegger + Stutz richtet die bestehende Anlage zwischen Gemeindehaus und Schweizerhaus neu aus und wandelt sie zu einer Begegnungszone. Grosse bauliche Veränderungen soll es nicht geben, vielmehr geht es um einen Paradigmenwechsel: Das Webergässchen wird zur Hauptachse im Dorfzentrum. Künftig soll der Strassenverkehr auf der Schmiedgasse und der Rössligasse nicht mehr den Vortritt geniessen. Autos und Velos werden stattdessen auf diesen beiden Strassen die Begegnungszone queren. Trotz dieser Veränderungen sollen alle Verkehrswege und dieselbe Anzahl Parkplätze bestehen bleiben. Die Bäume in dieser Begegnungszone werden mit ovalen Gestaltungselementen eingefasst und sollen einen Verbindungsweg zwischen Bahnhof und Fondation Beyeler bilden. 


 

Seit es die Fondation Beyeler gibt, zerbricht man sich in Riehen den Kopf, wie man das durch Baselstrasse und Häuserzeilen abgeschnittene Museum am besten ans Dorfzentrum anbindet. Die Fondation Beyeler ist mit rund 350 000 Besucherinnen und Besuchern pro Jahr das bestfrequentierte Kunsthaus der Schweiz – diesen Strom an potenziellen Kundinnen und Kunden möchte Riehen besser nutzen. Es bleibt abzuwarten, ob das mit den vorliegenden Ideen klappt.


 

Fast interessanter als die Umsetzung des Projekts wird jedoch sein, was danach kommt. Über den Erfolg der Umgestaltung des Dorfzentrums wird letztlich auch dessen Entwicklung an den Rändern entscheiden. Hinter den beiden Abgrenzungen Schweizerhof und Gemeindehaus schlummern zwei Platzanlagen, die sich für eine Ausdehnung der Begegnungszone geradezu aufdrängen: Der Singeisenhof und der Parkplatz an der Wettsteinstrasse.


 

Das Los des Singeisenhofs scheint untrennbar mit dem Schweizerhaus verknüpft zu sein. Solange das Schweizerhaus den Singeisenhof vom Webergässchen abgrenzt, wird es schwierig sein, den Platz zu beleben. Am anderen Ende der künftigen Begegnungszone befinden sich das Gemeindehaus und der Parkplatz an der Wettsteinstrasse. Was geschieht mit dem in die Jahre gekommenen Gemeindehaus? Wenn der Vorplatz gesenkt wird, wie es das Umgestaltungsprojekt vorsieht, wird noch offensichtlicher, wie sehr jener Flügel des Gemeindehauses mit Bürgersaal und Einwohnerratssaal einer Öffnung zur Wettsteinanlage hin im Weg steht. Vor wenigen Jahren wurde der Parkplatz geräumt, um ihn zur Durchführung der Fernsehsendung ‹Donnschtig-Jass› zu nutzen. Seither träumen in Riehen nicht wenige davon, dass hier irgendwann eine mediterran angehauchte Piazza entsteht. Das wiederum ist nur dann politisch durchführbar, wenn es für die verlorenen Parkplätze einen geeigneten Ersatz gibt.


Womit wir dann wieder bei den Parkplätzen wären.


 

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2014

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